
Raus, um zurückzufinden
Geraldine wusste nicht, wohin sie wollte. Nur, dass sie wegmusste.
Der Type-9 stand auf dem Hangardeck wie ein unbewegter Koloss, unscheinbar, fast trotzig. Sie wählte ihn nicht aus Überzeugung, nicht aus Sympathie – sondern, weil er sie nie enttäuscht hatte. In einer Zeit, in der fast alles zerfiel, war das mehr, als man erwarten konnte.
Sie lud ihn voll mit Vorräten. Wasser, Notrationen, Ersatzteile. Kein Auftrag. Kein Ziel. Nur genug, um sich wochenlang treiben zu lassen – fern von allem, was nach Bubble roch.
Sprung um Sprung, Lichtjahr um Lichtjahr, ließ sie den bewohnten Raum hinter sich. Die Frequenzen wurden leerer, der Funk leiser. Irgendwann war sie nur noch ein einzelner Punkt auf dem Scanner. Und sie spürte zum ersten Mal seit Langem so etwas wie Ruhe.
Die Kommunikationssysteme schaltete sie ab. Kein Signal. Kein Kontakt. Nur das monotone Brummen der Triebwerke und der schwache Rhythmus ihrer eigenen Atmung.
Sie überflog Nebel, die nicht einmal in Atlasdaten verzeichnet waren – schimmernde Wolken in Blau und Violett, wie zerplatzte Träume. Manchmal landete sie auf Planeten, deren Oberfläche noch nie einen Fußabdruck gesehen hatte. Staub. Fels. Stille.
An manchen Tagen blieb sie einfach dort.
Im Quartier. In der Luftschleuse.
Trank aus einer blechernen Feldflasche, starrte ins Leere, sprach leise mit sich selbst – nicht aus Einsamkeit, sondern weil es die einzige Stimme war, der sie noch zuhören konnte.
Die Tage begannen, sich aufzulösen. Zeit verlor Struktur.
Einmal verbrachte sie Stunden im Maschinenraum, nur um dem Ticken der Kühlung zu lauschen.
Ein anderes Mal saß sie mit einem Rationsriegel in der Hand auf dem Boden des Cockpits, ohne ihn anzurühren – als hätte selbst Essen eine Entscheidung verlangt, zu der sie nicht mehr fähig war.
Sie scrollte durch alte Missionslogs. Gesichter, Systemnamen, Siege – alles wirkte fremd.
Ein Roman, den sie aus einer verstaubten Datenbank geladen hatte, blieb nach drei Seiten geschlossen. Sie hatte vergessen, wie man sich in etwas verlor, das nicht funktional war.
Und sie schlief im Pilotensitz, obwohl das Quartier komfortabler war.
Dort roch es zu sauber. Zu leer.
Wie früher.
Doch in dieser Leere geschah etwas Unerwartetes.
Nicht plötzlich, nicht dramatisch.
Ein Gedanke – leise, fast vorsichtig. Erst flüchtig, dann klar.
Die Corvette.
Nicht als Trophäe. Nicht als Symbol.
Als Ziel.
Ein Schiff, das Platz bot für alles, was in ihr wogte – Wut, Sehnsucht, Klarheit.
Agil genug für ihre Reflexe, schwer genug für ihre Geschichte.
Sie sah sie nicht auf einem Bildschirm.
Sondern dort, wo sie hingehörte: unter ihren Händen.
Und sie wusste: Es war Zeit.
Langsam, fast feierlich, programmierte sie den Kurs zurück.
Zurück in die Bubble.
Zurück in die Realität.
Aber diesmal mit Richtung.
Der Mann mit dem Rang und der Staubschicht
Der Rückflug in die Bubble verlief langsam.
Nicht aus Mangel an Geschwindigkeit, sondern aus Vorsicht. Geraldine traute dem inneren Gleichgewicht noch nicht ganz.
Die Systeme wurden dichter. Die Funksprüche häufiger.
Nicht direkt an sie gerichtet – aber sie war wieder Teil von etwas.
Kein gutes Gefühl, aber ein lebendiges.
Sie schaltete den Funk leise – nicht stumm, nur flach genug, um sich nicht verantwortlich zu fühlen.
Die nächste Station war eine Zwischenlandung. Der Treibstoff reichte noch für ein paar Sprünge, aber nicht für Sicherheit.
Das System war ein vergessenes Nest mit einem Namen wie ein Passwort, das jemand im Zorn erfunden hatte.
Ein einziger Außenposten.
Zwei Landeplätze.
Eine Bar.
Sie landete. Tankte. Ging zur Bar, weil es nichts Besseres zu tun gab.
Der Raum war zu hell, die Luft zu trocken, die Musik zu generisch.
Zwei Personen. Eine davon war die Zapfanlage.
Die andere saß in der Ecke, vor sich ein Glas mit dunkler Flüssigkeit, das aussah, als wäre es vor mehreren Stunden bestellt und vor mehreren Jahrzehnten verdient worden.
Geraldine setzte sich zwei Hocker entfernt. Sagte nichts. Schaute ins Glas, das sie nicht hatte.
„Neu in der Gegend?“, fragte der Mann.
Sie antwortete nicht sofort.
„Eher auf der Flucht vor mir selbst.“
Er nickte, als hätte sie ihm gerade den Wetterbericht durchgegeben.
„Hab ich zwanzig Jahre gemacht. Hilft nicht.“
Ein kurzer Blickkontakt.
Sein Gesicht war vom Licht zerschnitten, aber die Haltung sprach für sich:
Alt nicht wegen des Alters. Alt wegen Erfahrung.
Falten von Erkenntnis, nicht von Müdigkeit.
„Föderation?“, fragte sie.
„Admiral.“
„Und jetzt hier?“
„Jetzt bin ich frei. Und der Kaffee ist besser.“
Sie sprachen. Nicht viel. Nicht schnell.
Zwischendurch stand sie auf, bestellte etwas, das nach Nikotin schmeckte, aber als Tee verkauft wurde.
Sie schaltete ihr Pad durch alte Screenshots von Systemkarten – nicht, weil sie etwas suchte, sondern weil Bewegung besser war als Stillstand.
Der Admiral – sie hatte seinen Namen nicht gefragt – sprach über die Bubble. Über Leute, die alles wollten und nichts aushielten. Über Schiffe, die nie zurückkamen. Über falsche Helden mit richtigen Abzeichen.
Sie mochte seine Stimme. Sie war wie sein Gesicht: kaputt, aber unnachgiebig.
Irgendwann fragte sie:
„Wie lange braucht man wirklich für die Corvette?“
Er lachte. Trocken. Leise.
„Kommt drauf an, wie dumm du dich anstellst.“
„Ich bin ziemlich gut darin.“
„Dann hör jetzt zu.“
Er diktierte Systemnamen. Keine Glanzorte. Keine Tipps aus dem Netz.
Dunkle Ecken mit hoher Missionsdichte.
Datenkuriere.
Keine Ladung. Keine Fragen.
Nur Sprung. Landung. Weiter.
„Die meisten denken, man braucht Kampfschiffe und Blut an den Händen“, sagte er.
„Aber du brauchst nur Geduld. Und ein Schiff, das bei zehn Sprüngen am Tag nicht auseinanderfällt.“
Sie nickte. Speichert die Orte.
„Warum erzählst du mir das?“
Er drehte sich ihr erstmals richtig zu. Seine Augen waren wie Rauch über Asche.
„Weil du aussiehst wie jemand, der sich nicht mehr versteckt. Sondern endlich weiß, was sie will.“
Am Abend saß Geraldine eine Weile auf der Schiffsrückseite und trank heißen Sojakaffee aus einer versifften Metalltasse.
Sie hörte alte Musikdateien durch, lachte einmal laut auf bei einem alten Synth-Track, den sie mit 16 gehört hatte.
Dann löschte sie ihn.
Zu viel Vergangenheit.
Sie machte einen Workout-Zirkel auf dem Frachtraum-Boden. Nur 20 Minuten. Nur, um den Kopf zu spüren.
Danach duschte sie. Und schlief zum ersten Mal seit Wochen in ihrem Quartier – nicht im Cockpit.
Als sie abdockte, war es Nacht auf der Station.
Sie sagte nichts. Dachte nur:
Warum trifft man solche Leute immer am Arsch der Galaxis?
Und vielleicht, irgendwo hinter ihr, hatte er tatsächlich gegrinst.
Kein Platz für kleine Träume
Shinrarta Dezhra.
Für manche das Endgame. Für Geraldine: nur ein weiterer Ort mit Landeerlaubnis.
Die Station hieß Jameson Memorial – als wäre allein der Name ein Ritterschlag.
Aber in der Realität sah sie aus wie jede andere.
Stahl, Lichter, endlose Durchsagen, die klangen wie ein schlecht gelaunter Autopilot.
Nichts Mystisches. Nichts, das sagte: Willkommen unter den Auserwählten.
Sie parkte den T9, stieg aus, und gönnte sich einen Spaziergang durch das Stationsinnere. Nicht, weil sie etwas suchte – sondern, weil Bewegung half. Die Beine schienen es zu genießen, wieder Schwerkraft zu spüren.
Vor einem Schaufenster mit modifizierten Waffensystemen blieb sie kurz stehen.
Nicht wegen der Technik.
Wegen der Spiegelung.
Ihr Gesicht sah müde aus. Aber nicht leer.
Mehr wie jemand, der angekommen war – irgendwo, wenn auch noch nicht ganz da.
Die Bar lag auf dem oberen Ring, mit Blick auf das Andockfeld.
Geraldine bestellte etwas mit Nikotinextrakt – nicht weil es schmeckte, sondern weil es nach „Pause“ klang.
Sie setzte sich ans Fenster.
Beobachtete Piloten, die zu wichtig taten.
Rüstungen, die mehr Glanz als Erfahrung zeigten.
Und eine Gruppe junger Typen, die versuchten, cool zu sein, während sie über Null-G-Physik diskutierten.
Und dann sah sie es.
Zuerst hielt sie es für eine Dolphin. Die Linien, die ruhige Bewegung, die fast tänzerische Eleganz.
Aber das Schiff war größer. Massiver.
Es schwebte wie eine Bühne durch das Hangarfeld.
Ein Beluga Liner.
Geraldine setzte ihr Glas ab.
Da war kein Reflex, kein Impuls.
Nur ein langsames, stilles Erkennen.
Als hätte jemand in ihrem Kopf ein Fenster geöffnet – und das Bild dahinter sagte: Das bin ich. Oder: das könnte ich sein.
Sie dachte an ihre eigene Dolphin. Klein. Elegant. Still.
Dieses Schiff war ihre Weiterführung – nicht Ersatz.
Mehr wie… eine Version von sich selbst, die weiter atmen konnte.
Sie stand auf.
Ging zur Werft.
Nicht hastig. Nicht planlos.
Einfach, weil sie sehen wollte, wie es sich anfühlt, näher dran zu sein.
Und als sie vor dem Holo stand, der den Beluga in voller Größe zeigte, flüsterte sie fast:
„Diesmal nicht, weil ich’s kann. Diesmal, weil ich’s will.“
Sie klickte auf Kaufen. Keine Extras. Kein Overkill.
Nur die Basisversion.
Ein leerer Raum, der auf ihre Entscheidung wartete.
Zwei Tage später flog sie Passagiere.
Föderale Gesandte, Zivilisten, Forscher.
Menschen, die selten Fragen stellten und meist nur lesen wollten.
Der Beluga fühlte sich nicht wie ein Raumschiff an.
Mehr wie ein Fluss aus Stahl.
Sanft, gewaltig – und ganz ohne Drama.
Sie hörte Podcasts im Cockpit.
Schrieb ein paar alte Missionslogs um, nur für sich.
Manchmal bereitete sie Essen zu, das nicht aus dem Automaten kam.
Und für einen Moment hatte sie fast vergessen, wie es war, gejagt zu werden.
Oder gehetzt.
Oder leer.
Aber Ruhe hat ihren Preis.
Und manchmal wird’s laut.
Warnung auf Augenhöhe
Der Einsatz war kurz, dreckig und schnell vergessen.
Drei Frachter, Zielsystem mit Piratenwarnung.
Geraldine nahm die Mamba, ließ den Beluga geparkt.
Wenn’s knallt, flieg ich scharf.
Die Angreifer kamen aus dem Schatten – zu viele, zu schnell.
Sie schnitt sie auf, lenkte ab, deckte den Abflug der Frachter.
Am Ende war sie allein im Raum. Verbeulte Außenhülle, halb verrauchte Cockpitverkleidung.
Puls ruhig.
Mission erledigt.
Das war der Deal:
Fliegen. Ballern. Trinken.
Die Bar lag am äußeren Ring der Station.
Fensterblick aufs Hangarfeld, schummriges Licht, billige Beats aus der Konserve.
Geraldine saß am Rand, Drink in der Hand, Gedanken auf Drift.
Sie mochte Orte wie diesen – weil niemand hier glänzen konnte.
Dann betrat sie den Raum.
Schlank. Selbstsicher.
Roter Pilotenanzug, eng geschnitten, ohne Zierrat – funktional, fast militärisch, aber getragen mit einer Selbstverständlichkeit, die Bände sprach.
Sie wirkte nicht wie jemand, der Befehle gab.
Sondern wie jemand, der nicht wartet, bis du bereit bist.
Keine Begrüßung. Kein Zögern.
Nur ein Satz:
„Ist das deine Mamba da draußen?“
Geraldine drehte sich langsam um.
„Kommt drauf an, was du über sie sagen willst.“
„Dass sie aussieht wie ein überzüchteter Hitzkopf mit Turbopickel.“
Ein Grinsen schlich sich in Geraldines Gesicht.
Langsam. Messend.
„Sagt die Frau, die aussieht wie ein taktisches Briefing in Menschengestalt.“
Die andere trat näher.
„Amanda.“
„Geraldine.“
Keine Hand. Kein Lächeln.
Nur ein unausgesprochener Check: Freund oder Feind?
Amanda lehnte sich an das Geländer, blickte hinaus.
„Ich flieg ’ne Fer-de-Lance. Agil. Durchschlagsstark. Stilvoll.“
Geraldine nippte an ihrem Glas.
„Klingt wie ein Tinderprofil, das vorgibt, keins zu sein.“
Amanda drehte den Kopf, nicht ganz zu ihr.
„Deine Mamba ist ein Witz. Ein lauter, zorniger, schlecht ausbalancierter Witz.“
Geraldine stand auf. Langsam. Nicht drohend – nur bereit.
Blick auf Augenhöhe.
„Und du bist eine Statistik mit Lipgloss. Schön gerechnet, aber wehe, man kratzt an der Oberfläche.“
Ein halber Schritt von Amanda.
Raumspannung. Zwei Zentimeter zu nah.
Die Luft schien den Atem anzuhalten.
„Was ist dein Problem?“, fragte Amanda leise.
„Leute, die glauben, sie wären das Maß, nur weil sie eine FDL fliegen.“
„Und Leute, die glauben, Coolness könne schlechte Technik ausgleichen.“
Stille.
Nicht leer.
Knisternd wie das Geräusch vor einem Gewitter.
Dann sagte Geraldine:
„Wenn wir uns nicht gleich prügeln, sollten wir das hier beenden.“
Amanda nickte.
Nicht zustimmend – nur wissend.
„Wird eh noch passieren. Später. Vielleicht draußen.“
Sie ging.
Nicht provozierend. Nicht flüchtend.
Aber mit Nachhall in jedem Schritt.
Geraldine setzte sich.
Trank aus.
Nicht, weil sie Durst hatte.
Nur, damit sie nicht vor Wut das Glas warf.
Feuer, Funk, Vertrauen
Der Auftrag war Routine.
Föderale Lieferung, drei Frachter, schwach bewaffnet.
Zielsystem mit Piratenwarnung – nicht ungewöhnlich, aber auch kein Ort für Leichtsinn.
Geraldine ließ den Beluga in der Werft.
Zu langsam. Zu groß.
Das hier roch nach Präzision und Reaktion.
Also nahm sie die Mamba.
Wenn’s knallt, flieg ich scharf.
Die Eskorte bestand aus zwei Kampfschiffen – sie war eines davon.
Das andere: eine Fer-de-Lance.
Dunkler Rumpf. Keine Markierungen. Kein Funkspruch.
Nur Präsenz.
Kalt. Elegant. Bereit.
Sie registrierte das Schiff nur beiläufig – bis es sich bewegte.
Es war die Art, wie es driftete, wie es sich ausrichtete, ohne zu zucken.
Wie es die Formation nicht einfach hielt, sondern definierte.
Geraldine sah genauer hin.
Erkannte das Muster.
Die Haltung.
Die Art zu fliegen, die nicht aus Lehrbüchern kam, sondern aus Erfahrung – und Trotz.
Sie wusste, wer das war.
Amanda.
Der Sprung ins Zielsystem war ruhig. Für genau 22 Sekunden.
Dann erschienen sie.
Fünf Schiffe.
Drei Vultures. Eine Python. Eine Clipper, modifiziert bis zur Unkenntlichkeit.
Sie griffen an ohne Scan, ohne Drohung.
Wie Aasgeier – schnell, direkt, brutal.
Geraldine beschleunigte, wollte nach vorn brechen – doch etwas hielt sie zurück.
Die Fer-de-Lance war bereits in Bewegung.
Amanda kappte die Formation, zog die Clipper auf sich.
Ein Frontalmanöver.
Zu aggressiv.
Zwei Vultures setzten gleichzeitig zum Scherenmanöver an.
Die Python lauerte.
Ein Moment zu lang.
Ein Fehler zu viel.
Geraldine stieß vor.
Triebwerke im roten Bereich. Waffen geladen.
„Amanda, hörst du mich?!“
Nur Rauschen. Dann:
„Ziemlich… kchhht… beschäftigt hier!“
„Willkommen im Club.“
Sie riss die erste Vulture aus dem Anflug, Schnittwinkel exakt, Trefferpunkt kontrolliert.
Amanda fing sich, drehte hart nach oben, streute Flares.
Ihre Fer-de-Lance sah angeschlagen aus – aber noch hungrig.
Geraldine übernahm die Python.
Amanda jagte die Clipper.
Kein Plan. Kein Rufzeichen.
Nur ein Rhythmus.
Ein Wechselspiel aus Schüssen, Ausweichmanövern, kurzen Atemzügen.
Die Python versuchte zu wenden – zu spät.
Geraldine zog den Abzug durch.
Explosion. Trümmer. Funken wie ein mechanischer Schrei.
Die letzten Vultures flohen.
Amanda schickte ihnen noch ein paar Abschiedsgeschenke.
Dann Stille.
Der Raum ein dampfender Friedhof.
Geraldine atmete durch.
Einmal.
Langsam.
Der Funk knackte.
Amanda, direkt, rau.
„Ich hätte schwören können, du lässt mich verrecken.“
Geraldine lehnte sich in den Sitz zurück.
„Dachte kurz drüber nach.“
„Fair. Danke trotzdem.“
„Du schuldest mir zwei Heat Sinks und eine neue Mamba-Nase.“
„Und du mir meinen Stolz. Aber ich geb dir lieber einen Drink.“
„Name der Station?“
„Veranda Outpost. Du wirst’s hassen.“
„Perfekt.“
Sie grinste.
Nicht weil es vorbei war.
Sondern weil es funktionierte.
Weil zwei wie sie – in dieser Hölle – nebeneinander fliegen konnten, ohne sich umzubringen.
Das war neu.
Und nicht zufällig.
Stahl, Stolz und keine Geduld
Veranda Outpost war einer dieser Orte, an denen sich Technik und Bedeutungslosigkeit gute Nacht sagten.
Viel Metall, wenig Atmosphäre.
Eine Station, die so tat, als hätte sie noch Träume – und dabei schon längst alles runtergedimmt hatte.
Geraldine dockte an.
Die Mamba war noch warm vom letzten Gefecht.
Sie ließ sie abkühlen, überflog die Reparaturmeldungen – nichts Kritisches, aber auch nichts, was sie ignorieren sollte.
Sie ging zu Fuß zum Hangar.
Einfach, weil sie wusste, wer dort wartete.
Amanda stand vor ihrer Fer-de-Lance.
Seitenteil offen, Werkzeug in der Hand, Stirn verschwitzt.
Sie fluchte gerade über eine Kühleinheit, die wahrscheinlich lieber sterben wollte, als noch einen Auftrag zu überleben.
„Schönes Chaos“, sagte Geraldine.
„Du bist zu spät“, knurrte Amanda, ohne aufzusehen.
„Ich hab ein paar Leben gerettet. Meins eingeschlossen.“
„Das erklärt die Einschusslöcher.“
Sie trat näher, betrachtete das Schiff.
Die Fer-de-Lance war nicht poliert.
Sie war gezeichnet – Dellen, Kratzer, Spuren von Dingen, die nicht im Logbuch standen.
Aber sie stand da wie etwas, das niemand um Erlaubnis fragt.
Geraldine sagte es, bevor sie darüber nachdenken konnte:
„Ich kauf mir auch eine.“
Amanda hörte auf zu schrauben.
Drehte sich nicht sofort um.
„Weil du’s kannst?“
Geraldine hielt ihrem Blick stand.
„Nein. Weil ich’s will.“
Ein kurzer Moment.
Kein Lächeln. Kein Schulterklopfen.
Nur ein Nicken.
Eins, das bedeutete: Jetzt wird’s interessant.
Amanda wies mit dem Schraubenschlüssel in Richtung Verkaufsbereich.
„Dann komm. Aber wenn du das Ding wie deine Mamba konfigurierst, stopf ich dir persönlich das Reaktorlimit in den Hals.“
Zehn Minuten später standen sie vor dem Auswahlterminal.
Die Fer-de-Lance leuchtete rot im Holo – kompakt, gefährlich, bereit.
„Wenn du das Ding wirklich willst“, begann Amanda, „machen wir’s richtig. Keine halben Sachen.“
„Ich bin ganz Ohr.“
Sie zeigte Konfigurationen.
Erklärte Hitzeverteilung, Schildwahl, Zielverhalten.
Sprach schnell, klar, ohne Platz für Unsinn.
Und mit jeder Beschreibung klang es weniger nach Technik – und mehr nach Haltung.
„Du willst keine Glaskanone sein“, sagte sie.
„Aber du willst auch nicht rennen. Du willst ihnen zeigen, dass du da bist – und dass sie sofort verschwinden sollten.“
Geraldine nickte. Klickte. Bestätigte.
Und da war sie.
Ihre eigene Fer-de-Lance.
Nicht Amanda 2.0.
Geraldine – verdichtet auf Stahl.
Sie standen nebeneinander in der Werft.
Das Schiff dampfte noch leicht vom Erststart.
Alles war neu – und doch fühlte es sich an wie ein Teil, das schon immer gefehlt hatte.
Amanda lehnte sich gegen das Geländer.
„Na? Bereit, ein echter Schmerz im Arsch zu werden?“
Geraldine klopfte ihr die Schulter.
„Du meinst: bereit, mit deinem Schatten zu konkurrieren?“
„Oh bitte“, lachte Amanda.
„Wenn du’s wirklich drauf hast, schaffst du’s vielleicht, mir den Kill zu klauen. Einmal.“
Geraldine stieg ein.
Startete die Systeme.
Und dachte:
Jetzt wird’s ernst.
Endlich schwer genug
Die Fer-de-Lance veränderte alles.
Nicht weil sie neu war.
Sondern weil sie Geraldine zwang, klar zu denken.
Jeder Schuss war eine Entscheidung.
Keine Spielerei, kein Adrenalinrausch.
Nur Wirkung – oder Konsequenz.
Jede Sekunde unter Feuer war ein Prüfstand.
Nicht für das Schiff. Für sie.
Die FDL war keine Bühne.
Sie war ein Spiegel.
Und manchmal auch ein Urteil.
Amanda und sie arbeiteten zusammen.
Nicht oft. Nicht geplant.
Aber wenn es passierte, funktionierte es.
Amanda schickte ihr Loadouts.
Mit Kommentaren wie: „Wenn du DAS verbaust, spreng ich dir persönlich den Kühlkreislauf.“
Geraldine ignorierte die Hälfte. Modifizierte den Rest.
Und meistens hatte Amanda recht. Meistens.
Manchmal flogen sie in denselben Systemen.
Sichtkontakt, aber keine Absprache.
Manchmal auch kurze Funksprüche – direkt, trocken, effizient.
So wie sie beide waren.
Sie nannten es nicht Freundschaft.
Aber niemand sonst durfte sie Fehlzündung nennen – und ungestraft überleben.
Die Ränge stiegen.
Langsam, aber spürbar.
Korvettenleutnant.
Fregattenkapitän.
Kapitän.
Geraldine sprach nicht darüber.
Nicht mit Amanda. Nicht mit sich selbst.
Keine Screenshots. Kein Stolz.
Nur Fortschritt.
Sie flog.
Sie lieferte.
Sie funktionierte.
Ohne Drama.
Ohne Applaus.
Nur Schritt für Schritt.
Ein Ziel, das sie nicht laut aussprach.
Nur dachte. Und näher kam.
Dann kam die Nachricht.
Unspektakulär.
Ein nüchterner Datenstrom auf dem Terminal.
Konteradmiral.
Das Wort stand da, als wäre es für jemand anderen bestimmt.
Doch es löschte sich nicht.
Es flackerte nicht.
Es wartete.
Geraldine starrte darauf.
Lange.
Dann sagte sie es laut – nicht für andere. Für sich.
„Jetzt.“
Amanda saß in der Stationsbar.
Sie kaute auf einem Stück Synth-Wurst, das aussah, als würde es gleich rebellieren.
Ein Pad in der Hand, halb gelesen, halb ignoriert.
„Was jetzt?“, fragte sie kauend, ohne aufzusehen.
Geraldine drehte ihr eigenes Pad um.
Schob es wortlos über den Tisch.
Amanda las.
Stockte.
Schluckte.
Dann ein Brauenheben.
Ein Tonfall zwischen Respekt und Neid:
„Verdammt. Du hast’s durchgezogen.“
Geraldine sagte nichts.
Sie musste nicht.
Amanda stand auf.
Keine Frage. Kein Glückwunsch.
Nur:
„Wir gehen zur Werft.“
Ein Befehl, der keiner war.
Aber er wirkte.
Dort stand sie.
Auf dem Holoprojektor.
Federal Corvette.
Zwei Worte. Ein Gewicht.
Geraldine spürte es in den Schultern, obwohl es noch nicht real war.
Amanda trat neben sie.
Blick auf das Schiff, nicht auf Geraldine.
„Willst du sie sehen?“
Geraldine klickte.
Das Licht flackerte.
Die Form baute sich auf:
Massiv. Breit. Kompromisslos.
Keine Schönheit.
Aber auch kein Zweifel.
Ein Schiff, das keinen Platz mehr für Ausreden ließ.
Amanda sagte leise:
„Weißt du, was du da in den Händen hältst?“
Geraldine sah sie an.
Dann das Schiff.
Dann wieder sie.
Und antwortete:
„Ein Schiff, das ich mir erflogen habe.
Erkämpft.
Erlebt.
Und das ich als Teenager nicht mal zu träumen gewagt hätte.“
Sie klickte Kaufen.
Kein Zögern.
Kein Zurück.
Nur eines.
Jetzt bin ich schwer genug.