
Das Warten im Staub
Die Citadel sprang in der Nacht, ein Satz quer durch den Raum, bis sie im äußeren Bereich einer Aisling-Hochburg hing. Offiziell ein Routinebesuch: Geraldine stand längst in den Listen als verlässliche Unterstützerin. Unauffällig genug, um keine Alarmglocken zu wecken – und doch blieb das Restrisiko, dass jemand fragte, warum ein Carrier in dieser Größe genau jetzt hier auftauchte.
Im Quartier war die Atmosphäre dicht. Geraldine saß am Rand des Betts, Amanda gegenüber, die Arme verschränkt, das Gesicht im Halbdunkel.
„Hat er dich kontaktiert?“ fragte Geraldine.
Amanda schüttelte den Kopf, langsam. „Nicht direkt. Ich krieg nur die Drecksarbeit ab. Kuriereinsätze, Drohungen überbringen, kleine Botengänge. Alles, was keine echten Antworten gibt.“
„Also weißt du nichts über den Überfall?“ Geraldine bohrte nach.
„Gar nichts.“ Amanda klang bitter. „Er hält mich klein, blind. Damit ich nicht einmal die Wahl habe, auszusteigen.“
Die Stunden danach liefen wie ein stiller Countdown. Geraldine stand an der Bordkonsole, schickte letzte verschlüsselte Nachrichten an Echo. Kurze Bestätigungen, Koordinaten, vereinbarte Codesätze. Echo antwortete knapp, aber mit der gleichen Energie wie beim Treffen: „Transponder läuft. Ich bin bereit.“
In den Hangars summte Caitlyn, frisch überprüft, voll ausgerüstet, als spürte das Schiff selbst, was bevorstand. Geraldine ging einmal die Checkliste durch, strich über die warme Außenhaut, ehe sie ins Cockpit stieg. Amanda war schon dort, angeschnallt, wortlos, aber mit dieser kalten Entschlossenheit im Blick.
Sie lösten sich von der Citadel, der Carrier blieb als stumme Masse zurück. Ein paar Sprünge später glitt Caitlyn in den Orbit eines kleinen, kahlen Mondes am Rand von Orsius. Keine Städte, keine Signale, nur Felsen und Staub. Perfekt, um zu verschwinden.
Geraldine senkte die Triebwerke, ließ die Corvette tief zwischen zwei Kratern kauern. Von hier aus sah man den leuchtenden Punkt, wo Echo ihren Kurs zog – klein, unscheinbar, nur ein Frachter unter vielen.
„Und jetzt?“ fragte Amanda leise.
Geraldine lehnte sich zurück, verschränkte die Arme. „Jetzt warten wir, bis die Haie Blut riechen.“
Die Corvette lag reglos zwischen zwei Kratern, die Systeme gedimmt, nur das matte Leuchten der Anzeigen füllte das Cockpit. Stille.
„Echo hält Kurs,“ kam Mariams Stimme über den verschlüsselten Kanal. „Keine Auffälligkeiten.“
Geraldine trommelte mit den Fingern auf die Armlehne. „Natürlich nicht. Wenn’s langweilig bleibt, krieg ich Ausschlag.“
Amanda warf ihr einen Seitenblick. „Manchmal wünsch ich mir, du würdest wenigstens so tun, als wärst du nervös.“
„Und dich noch nervöser machen? Nein danke.“ Geraldine verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen.
Wieder Stille. Minuten dehnten sich, wie zähflüssig. Amanda hatte die Arme verschränkt, starrte hinaus ins Schwarze.
„Du weißt, dass das alles schiefgehen kann,“ sagte sie schließlich.
„Das weiß ich immer,“ entgegnete Geraldine. „Aber diesmal haben wir den Vorteil. Wir wählen das Feld, nicht Vey.“
Amanda atmete hart aus. „Und wenn er mehr mitbringt, als wir rechnen?“
„Dann machen wir, was wir immer machen.“ Geraldine sah sie an, das Grinsen nun schmal, aber ernst. „Wir schlagen zurück, bis nur noch Schrott übrig ist.“
Da knackte der Funk. Mariams Stimme, noch immer nüchtern, doch diesmal mit einem Unterton. „Unbekannte Signatur im System. Kurs auf Echo. Noch unbestätigt.“
Amanda richtete sich sofort auf, die Finger an der Konsole. „Das ist es.“
Geraldine lehnte sich vor, die Augen fest auf die Anzeigen gerichtet. „Na endlich. Der Tanz beginnt.“
Aus dem Schatten
„Zweite Signatur bestätigt,“ meldete Mariam. „Viper Mark III. Kurs direkt auf Echo. Sie nehmen Kontakt auf.“
Im Cockpit der Corvette spannte sich alles. Geraldine nickte Amanda zu, dann schaltete sie auf den Mithörkanal. Ein Kratzen, dann brach eine raue Stimme durch.
„Unbekannter Frachter, hier spricht Captain Loras von der Vulture’s Fang. Sie verlassen sofort den Kurs und halten Geschwindigkeit. Standard-Kontrolle. Sie wollen doch sicher nicht, dass wir neugierig werden.“
Echo antwortete nach einem kurzen Atemzug, ihre Stimme erstaunlich ruhig: „Hier ist Transponder Kappa-77, Frachter ‚Kirin‘. Ich bin auf geplanter Handelsroute, autorisierte Ladung. Worin besteht das Problem?“
Ein schneidendes Lachen. „Das Problem ist, dass du in unserem Revier fliegst. Und hier kostet es extra, wenn man so hübsch beladen unterwegs ist.“
„Meine Ladung ist Standard. Industriemetalle, nichts Besonderes,“ log Echo ohne Zögern.
Ein zweiter Kanal knackte auf, eine andere Stimme, höhnisch. „Industriemetalle, ja? Komisch, dass ich da Werte lese, die mehr nach Monazit riechen. Ziemlich lukrative ‚Standards‘, die du da hast.“
Amanda presste die Lippen zusammen. „Verdammt, sie haben angebissen.“
Geraldine beugte sich vor, das Grinsen kalt. „Und wie. Lass sie noch ein Stück spielen.“
„Echo,“ Mariams Stimme kam leise über den gesicherten Kanal, „bleib bei der Rolle. Noch keine Eskalation. Wir sind bei dir.“
Echo atmete hörbar ein, dann wieder über offenen Funk: „Wenn Sie meinen, gern. Ich habe Papiere für meine Fracht. Ich sende sie rüber.“
„Lass stecken,“ knurrte die erste Stimme. „Wir schauen selbst nach. Fahr Schub runter und bereite dich auf ’nen Besuch vor.“
„Scan abgeschlossen,“ krächzte die Stimme des Piraten. „Moment mal… das ist leer.“
Eine zweite Stimme, diesmal härter, fast triumphierend: „Keine Fracht. Das Ding ist ’ne Hülle! Wir sind verarscht worden.“
Amanda spannte sich im Sitz der Corvette auf, ihre Finger krampften über den Schubhebeln. „Scheiße. Sie haben’s gemerkt.“
Mariam kam gleichzeitig über den Kanal: „Mehr Kontakte. Viele. Vultures, Cobras, zwei Anacondas… und – “ Sie brach ab, dann kälter: „Bestätigung: Vey ist dabei.“
Im Cockpit von Echo brach der Funk aus allen Nähten. „Frachter ‚Kirin‘, ihr steht unter Feuer. Keine Spielchen mehr.“ Laserzischen, Einschläge. Echo schrie kurz auf, dann presste sie die Stimme durch die Zähne: „Verdammt, die Schilde brechen!“
Geraldine schaltete die Triebwerke hoch, die Corvette bebte, als sie die Krater verließ. Amanda riss den Waffenstatus hoch, die Displays glühten rot.
„Zu spät,“ keuchte Amanda. „Wir schaffen es nicht rechtzeitig.“
„Echo, hör mir zu!“ Geraldines Stimme peitschte durch den verschlüsselten Kanal. „Raus aus dem Schiff. Sofort.“
„Ich kann -“
„Kein ich kann. Steig in die Rettungskapsel! Jetzt!“ Geraldine donnerte es, als könnte sie Echo mit bloßen Worten aus dem Cockpit zerren.
Stille, dann das leise Klacken einer Notfallsequenz. „Rettungskapsel gestartet,“ meldete Mariam. „Signal erfasst.“
Im Hintergrund tobte der Funk der Piraten: „Die Ratte springt ab! Holt sie!“
Geraldine riss das ComPad von der Halterung, öffnete den Carrier-Kanal. „Citadel, sofort Elena starten! Crewteam an Bord, Zielsignal liegt vor. Echo muss raus, bevor die Bastarde sie kriegen.“
„Bestätigt,“ kam die Stimme des Hangaroffiziers. „Elena ist in dreißig Sekunden unterwegs.“
Ein grüner Punkt blitzte auf der Taktiktafel auf, schoss vom Carrier los. Die ASP Explorer „Elena“, klein, schnell, gebaut für genau diesen Zweck.
Amanda atmete hart aus, die Augen starr auf das Symbol. „Sie hat verdammt wenig Vorsprung.“
„Reicht,“ knurrte Geraldine, die Hände fest am Steuer der Corvette. „Es muss reichen.“
Geraldine nickte, die Hände fest am Steuer. „Dann zeigen wir Vey, mit wem er sich angelegt hat.“
Caitlyn riss sich aus dem Mondschatten, die Triebwerke auf Maximum. Geraldine presste die Corvette in den Verbund der Piraten, Waffen hochgefahren, Schilde auf Maximum.
„Ziele erfassen,“ knurrte sie.
„Schon dabei,“ erwiderte Amanda, die Hände blitzschnell über den Konsolen. „Vulture, Cobra, Viper – ich geb dir Reihenfolge.“
Die erste Salve krachte aus den Geschützen, schickte eine Viper sofort taumelnd in die Leere. Geraldine riss Caitlyn herum, die Kanonen spien wieder.
Doch dann flammten plötzlich neue Signaturen auf der Taktiktafel. Mariams Stimme kam durch den Funk, hart und kurz: „Zusätzliche Geschwader! Zehn, zwölf neue Schiffe. Das ist zu viel.“
Die Anzeigen füllten sich mit roten Punkten – eine zweite, dann eine dritte Welle. Geraldine biss die Zähne zusammen. „Verdammt. Genau das meinte Amanda.“
Caitlyn bebte unter dem ersten Gegenschlag, die Schilde leuchteten grell. Amanda biss sich auf die Lippe, hämmerte Daten durch. „Wir halten das nicht lange!“
Geraldine griff nach dem gesicherten Kanal, brüllte fast ins Mikro: „Orisus an Aisling-Command! Hier läuft euer verdammtes Gerücht gerade aus dem Ruder. Zeit, dass eure Engel Flügel zeigen!“
Keine dreißig Sekunden später zerriss ein massiver Energieimpuls den Funk. Signatur nach Signatur sprang ins System – Cutter, Clippers, FdLs, schwer bewaffnet. Aislings Brigade.
„Bei allen Sternen,“ murmelte Amanda, ihre Augen weiteten sich, als die imperiale Formation auffächerte. „Die waren wirklich schon in Bereitschaft.“
„Natürlich,“ knurrte Geraldine und riss Caitlyn erneut in den Kurs. „Die lieben nichts mehr, als im richtigen Moment den großen Auftritt hinzulegen.“
Caitlyn stürzte mitten ins Inferno. Laserfeuer schnitt durch das Schwarz, Raketenbögen explodierten in grellen Blitzen, während die imperiale Brigade und Veys Schiffe ineinander krachten.
„Ziel zwei im Fadenkreuz,“ rief Amanda, die Finger flogen über die Tasten. „Cobra, drei Uhr. Saubere Bahn.“
„Hab sie,“ knurrte Geraldine, und die Geschütze donnerten. Die Cobra zerbarst in einem Feuerball, drehte sich brennend in die Tiefe.
Ein Treffer riss durch Caitlyns Schilde, die Anzeigen heulten auf. Amanda fluchte. „Das hält nicht ewig, Geri!“
Geraldine zog die Corvette in einen brutalen Sturzflug, Laser gleißten an der Hülle vorbei. „Dann machen wir’s kurz und schmerzhaft. Für die da draußen jedenfalls.“
Amanda lachte trocken, trotz des Lärms. „Du nennst das ’kurz und schmerzhaft‘?“
„Im Vergleich zu dem, was ich mit Vey vorhabe, ja.“ Geraldines Augen funkelten, während sie die nächste Salve abfeuerte.
Ein Funksignal knackte durch, diesmal vom Carrier. „Citadel an Caitlyn: Rettung erfolgreich. Echo an Bord, unverletzt.“
Amanda atmete hörbar aus, ihre Schultern sanken für einen Moment. „Danke den Sternen.“
Die Stimme des Offiziers fuhr fort: „Ihr Schiff ist verloren. Der T7 wurde zerstört.“
Geraldine presste die Lippen zusammen, Augen fest nach vorn. „Dann bauen wir ihr einen besseren, wenn das hier vorbei ist.“
„Kümmer dich erst mal darum, dass wir hier rauskommen,“ fauchte Amanda, während sie den nächsten Zielvektor einspielte.
„Mach ich doch gerade.“ Geraldine riss die Corvette herum, zog in eine Flanke, die Geschütze fraßen sich in eine Vulture. „Siehst du? Teamarbeit.“
„Du und Teamarbeit?“ Amanda schnaubte, aber ihr Mundwinkel zuckte. „Das muss ich mir merken.“
„Schreib’s in dein Tagebuch,“ gab Geraldine zurück und jagte die nächste Salve raus.
Die Flucht
Veys Stimme knisterte über den offenen Funk, tief und voller Hohn. „Na sieh mal einer an – Amanda und ihre neue Beschützerin. Ich hätte wissen müssen, dass du dir einen Hund anschaffst, der beißt.“
Amanda spannte sich im Sitz auf, die Hände zu Fäusten. „Du hast keine Ahnung, mit wem du dich angelegt hast, Vey.“
Geraldine zog Caitlyn in eine scharfe Drehung, ihre Augen verengt. „Rede nicht, Amanda. Lass ihn spüren, dass wir ihn haben.“
Die Corvette eröffnete das Feuer, gleißende Salven fraßen sich in die Schilde der massiven Anaconda. Vey schoss zurück, der Raum explodierte in grellen Lichtbögen, doch Caitlyn hielt stand.
„Schilde bei vierzig Prozent!“ rief Amanda, die Anzeigen blitzten rot. „Er hat Feuerkraft, Geri!“
„Aber keinen Mut,“ knurrte Geraldine und schickte eine Raketenserie hinterher. „Drück ihn!“
Ein dumpfer Schlag, Veys Schilde flackerten. Seine Stimme kam zurück, nicht mehr höhnisch, sondern hart. „Das hier ist nicht vorbei. Ich wähle, wann ich sterbe – nicht ihr.“
Dann brach sein Schiff aus dem Gefecht, die Triebwerke auf Maximalleistung. Ein Sprungbefehl blinkte auf, und mit einem grellen Blitz verschwand die Anaconda.
„Verdammt!“ Amanda schlug auf die Konsole. „Wir hatten ihn!“
Geraldine starrte in die Leere, die Hände noch an den Steuerungen. „Wir hatten ihn.“
Die Minuten danach zogen sich. Sprung für Sprung jagten sie seiner Signatur hinterher, doch die Spuren verliefen sich. Amanda fluchte leise, Mariams Stimme kam trocken über den Kanal: „Keine neuen Daten. Wir haben ihn verloren.“
Ein Moment der Stille, schwer wie Blei.
Dann knackte der Carrier-Kanal. Rosies Stimme, knapp, sachlich: „Citadel an Caitlyn. Wir haben die Sprungspur rekonstruieren können. Veys Anaconda musste auf einem Planeten notlanden – Koordinaten sind gesichert.“
Geraldine sah Amanda an, die Augen hart und kalt. „Dann ist es noch nicht vorbei.“
„Nein,“ erwiderte Amanda, und ein dünnes, gefährliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Jetzt wird’s persönlich.“
Die Meldung von der Citadel ließ keinen Raum für Zweifel: Veys Anaconda hatte wirklich auf einem Planeten notlanden müssen. Geraldine und Amanda tauschten nur einen Blick – Worte waren überflüssig.
Caitlyn sprang los, System um System, jede Sekunde zog sich wie eine Stunde. Kein Funk, keine Ablenkung, nur das Summen der Triebwerke und das Kreischen der Frameshift-Spulen. Amanda saß neben ihr, starr geradeaus, die Hände still im Schoß – ein stilles Versprechen, das mehr sagte als jede Rede.
Dann tauchte der Zielstern vor ihnen auf, der Scanner leuchtete grün. Ein Planet in der südlichen Hemisphäre. Eine einzelne Signatur am Boden.
„Da ist er,“ sagte Geraldine leise.
„Und diesmal läuft er nicht mehr,“ erwiderte Amanda.
Caitlyn brach durch die dünne Atmosphäre. Staubschleier trieben über die Ebene, wie Schleier aus Asche. Unter ihnen glühte ein einzelner Punkt im Scanner – groß, schwer, beschädigt. Als sie tiefer kamen, sahen sie es mit eigenen Augen: Veys Anaconda lag schräg in der Ebene, eine Triebwerksgondel aufgerissen, ein ganzer Flügel verkohlt. Rauch zog in zackigen Fahnen in den Himmel, ein Wrack aus Macht und Arroganz, das die Schwerkraft festhielt.
„Sieht nicht so aus, als käme er jemals wieder hoch,“ murmelte Amanda.
Geraldine presste die Lippen zusammen. „Nicht mehr. Und diesmal läuft er uns nicht davon.“
Sie setzten Caitlyn in sicherer Entfernung ab, fünf Kilometer westlich. Der Staub türmte sich beim Aufsetzen auf, legte sich langsam über die Hülle. Dann öffnete sich der Hangar, hydraulisches Zischen, kalte Luft schlug ihnen entgegen.
Geraldine nahm den Fahrersitz im SRV, Amanda kletterte daneben. Der Innenraum war eng, die Anzeigen schimmerten bläulich. Mit einem Ruck rollte der Scorpion hinaus in die Ebene.
Die Räder griffen ins Gestein, Staub spritzte unter ihnen auf. Vor ihnen ragte das Wrack wie ein gefällter Riese auf, die Silhouette gegen den fahlen Horizont scharf gezeichnet.
Amanda starrte auf den Scanner. „Eine Signatur. Ganz schwach, aber eindeutig menschlich.“
„Er lebt,“ sagte Geraldine knapp.
„Dann sitzt er in der Falle.“
„Genau da, wo wir ihn haben wollen.“
Das SRV rumpelte über Felsen, jede Bodenwelle ließ den Rahmen knarren. Der Weg zog sich. Minuten dehnten sich, das Wrack kam näher, aber nie schnell genug. Beide schwiegen eine Zeitlang, nur das Brummen des Motors füllte die Kabine.
„Was, wenn er nicht allein ist?“ fragte Amanda schließlich.
Geraldine warf ihr einen kurzen Blick zu. „Dann wird’s enger. Aber mein Gefühl sagt: er hat keine Freunde mehr, die ihm nachlaufen. Nicht hier.“
Amanda zog die Waffe aus dem Holster, überprüfte die Ladung, klickte sie wieder ein. „Sicher ist sicher.“
„Immer,“ antwortete Geraldine.
Der Scorpion erklomm einen kleinen Hang, und von oben sahen sie die ganze Szene: die Anaconda, wie ein toter Koloss, ein leeres, verfallene Settlement dahinter, die Antenne schief, Tanks längst trocken. Eine Kulisse aus Vergessen.
Geraldine lenkte den SRV langsam hinunter. „Da unten endet es.“
Amanda nickte, die Stimme kaum hörbar. „Für ihn ganz sicher.“
Das Fahrzeug rollte weiter, Staubfahnen im Schlepptau, direkt auf das gestrandete Schiff zu.
Der Showdown
Der Scorpion kam knirschend zum Stehen, nur noch wenige hundert Meter vor der havarierten Anaconda. Der Koloss ragte schräg im Boden, wie ein angeschlagener Riese, der zu groß war, um zu fallen.
„Endstation,“ sagte Geraldine knapp und griff zum Helmverschluss. Mit einem Zischen verriegelte sich die Dichtung.
Amanda tat es ihr nach, überprüfte den Druck und nickte. „Filter stabil.“
Die Luke öffnete sich. Kälte schlug ihnen entgegen, dünn, scharf, wie ein Messer, das durch die Anzüge glitt. Jeder Atemzug war nur noch ein leises Hecheln in den Helmlautsprechern.
Sie sprangen vom SRV, die Stiefel sanken knirschend in Staub und Splitt. Vor ihnen erhob sich die Anaconda, Rauchfahnen stiegen träge aus den aufgerissenen Gondeln.
„Sieht aus wie ein Grab,“ murmelte Amanda.
„Dann sehen wir nach, ob der Leichnam noch drin liegt,“ erwiderte Geraldine und hob ihre Waffe.
Gemeinsam gingen sie die Rampe hinauf, das Metall unter ihren Schritten vibrierte dumpf. Das matte Licht der Helmlampen schnitt durch die Dunkelheit des Schiffsinneren.
Im Inneren der Anaconda roch es nach verbranntem Metall, nach Strom, der sich in die Wände gefressen hatte. Ihre Lampen huschten über geborstene Paneele, Schotts, die halb offen standen, Kabel, die wie Adern aus den Wänden hingen.
„Maschinenraum ist tot,“ stellte Amanda fest, als sie einen kurzen Blick durch ein aufgerissenes Schott warf. „Kein Restschub, keine Chance auf Reparatur.“
„Wie erwartet,“ murmelte Geraldine und ging weiter.
Die Quartiere lagen verlassen. Ein paar Kleidungsstücke trieben im Luftzug der offenen Türen, ein zerbeulter Becher klirrte leise, als Amanda ihn beiseite stieß. Keine Stimmen, kein Atem, nur das Kratzen ihrer Stiefel auf Metall.
„Er war hier,“ sagte Amanda. „Aber nicht mehr lange.“
„Dann bleibt das Cockpit,“ entschied Geraldine.
Sie stiegen die letzte Leiter hoch, traten in die Brücke. Ein Terminal glomm schwach, flackerte zwischen Leben und Tod. Geraldine ging direkt nach vorn, hob die Plasmawaffe – und feuerte.
Ein gleißender Schlag, dann explodierten Funken aus den Konsolen, Displays splitterten, Rauch zog durch den Raum. Das letzte Licht starb.
„Damit ist das Schiff Geschichte,“ knurrte sie.
Amanda stand neben ihr, den Blick auf die verkohlten Steuerungen gerichtet. „Selbst wenn er’s irgendwie zurückschafft – er fliegt damit nirgendwo mehr.“
Geraldine senkte die Waffe, ihre Stimme kühl. „Dann bleibt uns nur noch, ihn selbst zu finden.“
Sie verließen die Anaconda, die Rampe hallte dumpf unter ihren Schritten. Draußen wehte der Staub in dünnen Schleiern, legte sich wie ein Schleier über die Helmlinsen. Vor ihnen lag das Settlement – ein Haufen alter Gebäude, halb verfallen, rostige Tanks, eine schiefe Antenne, Türen, die der Wind offenhielt wie Münder ohne Zähne.
„Er könnte überall da drin sein,“ murmelte Amanda.
„Dann suchen wir,“ erwiderte Geraldine.
Sie gingen nebeneinander über die Ebene, Waffen im Anschlag. Jeder Schritt knirschte, jeder Atemzug im Helm war zu laut. Als sie die ersten Gebäude erreichten, war es so still, dass sogar die Bewegungen ihrer Anzüge wie Donner wirkten.
Eine Weile passierte nichts. Nur verlassene Räume, verrostete Terminals, umgekippte Container. Dann flackerte plötzlich ein Ping auf Amandas Radar – kurz, schwach, fast wie ein Atemzug.
„Da!“ Ihre Stimme war scharf. „Eine Signatur, südöstlich vom Hauptgebäude.“
Geraldine prüfte ihr eigenes Display. „Schwach, aber da. Das ist er.“
Sie hielten am Rand einer halb eingestürzten Halle, lehnten sich an die Mauer. Amanda atmete hart. „Wenn wir direkt reingehen, laufen wir ihm in die Arme.“
„Also einkreisen,“ entschied Geraldine. „Du gehst von Westen, ich von Süden. Kein Risiko. Funk offen.“
Amanda nickte, das Visier glänzte im schwachen Licht. „Verstanden. Und diesmal keine Alleingänge, Geri.“
Geraldine erwiderte kalt: „Ich könnte dasselbe sagen.“
Sie lösten sich voneinander, Amanda schob sich nach Westen, Geraldine verschwand im Schatten nach Süden. Zwei Lampenkegel, zwei Herzschläge – ein Ziel.
Amanda blieb am Rand des Settlements stehen. Der Radar blinkte, und dann sah sie ihn mit eigenen Augen. Vey. Er stand halb im Schatten eines Gebäudes, das Visier seines Helms im Schimmer ihrer Lampe, die Haltung so lässig, als sei er derjenige, der hier die Kontrolle hatte.
„Na, das ging gründlich schief, Amanda,“ begann er, die Stimme verzerrt über den Funk. „Ein Frachter voller Monazit, hm? Clever. Aber nicht clever genug.“
Amanda schaffte es kaum, die Waffe zu heben. „Du hast’s gerochen.“
Er nickte, grinsend. „Natürlich. Du warst nie gut im Versteckspiel. Ich hab dir beigebracht, wie man überlebt – erinnerst du dich? Alles, was du bist, hast du von mir.“
Amanda blieb stumm, die Worte blieben ihr im Hals stecken.
„Und jetzt stehst du da, bei diesen… neuen Freunden.“ Er spuckte das Wort fast. „Denkst, du kannst mich reinlegen. Aber ohne mich wärst du immer noch auf der Station, am Boden, ein Niemand. Ich hab dich großgezogen aus dem Dreck. Und das hier –“ er breitete die Arme aus, „– ist dein Dank?“
„Mein Dank,“ brachte Amanda schließlich hervor, „ist, dass du überhaupt noch atmest.“
Vey lachte trocken, ein Geräusch wie Metall auf Metall. „Du redest groß. Aber ich kenne dich. Du ziehst nicht ab. Du kannst nicht. Dafür hab ich dich viel zu gut programmiert.“
Amanda atmete hart, ihre Finger zitterten am Abzug.
Da knackte der Funk. Geraldines Stimme, kühl und bestimmt: „Amanda, Status.“
Amanda zwang sich, zu antworten: „Kontakt. Er weiß Bescheid.“
Sekunden später huschte ein zweiter Lichtkegel über die Wand. Geraldine kam ins Sichtfeld, die Plasmawaffe schon erhoben, der Schritt fest.
„Keine Bewegung, Vey,“ sagte sie, jede Silbe wie ein Befehl.
Vey lachte wieder, sah von einer zur anderen. „Die große Geraldine Cailloux-Delaurent. Ich habe gelesen, was man über dich sagt – deine Schiffe, dein Carrier, ganze Flottenbewegungen. Beeindruckend.“ Er machte eine Pause, das Grinsen breiter. „Und trotzdem brauchst du Amanda. Genau wie ich sie gebraucht habe. Nur dass sie’s nie begreifen wird.“
Geraldine trat einen Schritt vor. „Falsch. Sie hat längst begriffen, dass du nichts weiter bist als ein Parasit.“
Vey lachte wieder, sah von einer zur anderen. „Die große Geraldine Cailloux-Delaurent. Ich habe gelesen, was man über dich sagt – deine Schiffe, dein Carrier, ganze Flottenbewegungen. Beeindruckend. Und trotzdem brauchst du Amanda. Genau wie ich sie gebraucht habe. Nur dass sie’s nie begreifen wird.“
Geraldine trat einen Schritt näher, die Waffe fest im Griff, die Stimme schneidend. „Brauchen? Du meinst wohl: zerstören. Seit Wochen sehe ich, wie du sie auffrisst. Die Nächte, in denen sie kaum schläft. Die Albträume, die sie nicht erklären will. Das Schweigen, wenn ich frage. Und weißt du was? Sie hat’s immer noch besser getroffen als du. Denn sie hat mich – und nicht mehr deinen Dreck im Rücken.“
Vey grinste schief, als hätte sie ihm gerade ein Kompliment gemacht. „So viel Leidenschaft. Aber täusch dich nicht – die Narben, die sie trägt, hab ich ihr gegeben. Du kannst sie nicht auslöschen. Sie sind das Fundament, auf dem du stehst.“
Geraldine lachte trocken, kalt. „Dann ist dein Fundament morsch. Ich hab gesehen, wie sie dich in Gedanken wegstößt. Jeden verdammten Tag. Dein ‚Werk‘ bröckelt, Vey. Und der Witz ist: sie hat’s längst begriffen. Nur du hängst noch an deiner eigenen Legende.“
Er trat einen Schritt vor, die Hände erhoben, als wollte er sie beschwichtigen. „Du verstehst es nicht. Amanda ist, was sie ist, weil ich sie so gemacht habe. Ohne mich gäbe es keine Stärke, keinen Mut.“
„Ohne dich,“ konterte Geraldine, „gäbe es keine Wunden, keine Drohungen, kein Zucken in ihren Augen, wenn dein Name fällt. Du willst Schöpfer sein? Du bist nur der Dreck, den man irgendwann abwäscht.“
Ein Moment der Stille. Amanda stand da, zwischen ihnen, der Blick gefangen, die Hände zitternd an ihrer Waffe.
Vey neigte den Kopf, als genieße er jede Silbe. „Vielleicht. Aber solange sie atmet, atme ich in ihr weiter.“
„Nicht mehr lange,“ sagte Geraldine leise, die Waffe unverändert im Anschlag.
Die Worte flogen hin und her wie Messer. Vey grinste ungebrochen, Amanda kämpfte hörbar mit jedem Atemzug, Geraldine blieb kühl, bissig. Minuten dehnten sich. Schließlich sanken Amandas Arme ein Stück, die Waffe zitterte, und sie senkte sie langsam.
Geraldine tat es ihr gleich, das Visier fest auf Vey gerichtet. „Ein imperialer Einsatztrupp ist schon unterwegs,“ sagte sie kalt. „Dein Spiel ist aus.“
Vey lachte trocken, schüttelte den Kopf. „Imperiale Truppen? Das beeindruckt mich nicht. Sie wollen mich seit Jahren, und ich bin immer noch hier.“
Amanda presste die Lippen zusammen, machte einen Schritt zurück. „Nicht mehr lange.“
„Ihr glaubt wirklich, ihr habt die Kontrolle?“ Veys Stimme wurde tiefer, schärfer. „Ihr habt keine Ahnung, wie schnell sich das Blatt wenden kann.“
Geraldine spürte, wie sich ihr Nacken sträubte. „Keinen Schritt, Vey.“
Doch da war es schon zu spät. Blitzschnell riss er die Hand nach unten, eine Pistole blitzte auf. Amanda riss sich instinktiv zur Seite – der Schuss streifte ihren Anzug, Funken sprühten, Warnanzeigen flackerten rot.
„Amanda!“ Geraldines Stimme war ein Schlag.
Sie zögerte keinen Herzschlag. Ihre Plasmawaffe donnerte, der Strahl fraß sich durch Veys Helm. Ein gleißender Blitz, dann kippte er nach hinten, reglos, das Grinsen für immer eingefroren.
Stille. Nur das harte Atmen durch die Helme, das schrille Piepen von Amandas beschädigtem Anzug.
Amanda stemmte sich hoch, tastete über die versengte Stelle. „Nur gestreift. Alles dicht.“
Geraldine stand über Veys Leiche, die Waffe noch erhoben, die Augen kalt. „Dann war’s das.“
Amanda hob den Blick zu ihr, die Stimme rau. „Endlich.“
Geraldine atmete einmal tief durch, dann senkte sie die Waffe. Sie drehte sich zu Amanda, nickte. „Lass uns gehen. Hier gibt’s nichts mehr zu holen.“
Hinter ihnen blieb das Wrack, das Settlement – und ein Mann, der geglaubt hatte, unantastbar zu sein.
Epilog
Staub wirbelte um ihre Stiefel, als Geraldine und Amanda zurück zum SRV gingen. Amanda hinkte leicht, hielt aber den Kopf hoch. Hinter ihnen lag Veys Leiche im Schatten des Settlements, das Wrack seiner Anaconda ragte wie ein stummer Grabstein darüber.
Die Motoren eines Dropships zerrissen die Stille. Der imperiale Einsatztrupp setzte hart auf, Sturmtruppen sprangen heraus, Waffen im Anschlag. Geraldine hob sofort die Hände, Amanda folgte ihrer Bewegung.
„Ziel neutralisiert,“ erklärte Geraldine sachlich über den Helmfunk. „Er hat auf uns geschossen. Wir haben reagiert.“
Die Offizierin nickte knapp, ihr Blick huschte zwischen den beiden Frauen hin und her. Nach einem kurzen Abgleich mit den Daten des Einsatzes war das Urteil gesprochen: „Notwehr. Trotzdem – ihr kommt mit. Standardverfahren.“
Geraldine zuckte nur die Schultern. „Erwartet.“
Die Befragung zog sich, nüchterne Protokolle, endlose Fragen. Doch niemand zweifelte ernsthaft an ihrer Version – die Spuren waren eindeutig. Nach wenigen Stunden durften sie gehen.
Als Caitlyn wieder abhob, saßen Geraldine und Amanda nebeneinander, beide erschöpft, beide schweigend. Der Sprung zurück zur Citadel war von einer Stille erfüllt, die schwerer wog als jede Schlacht.
Erst als die vertraute Silhouette des Carriers vor ihnen auftauchte, brach Amanda das Schweigen. „Er ist weg.“
„Ja,“ antwortete Geraldine leise. „Und er kommt nie wieder zurück.“
Amanda drehte den Kopf, ihr Blick hinter dem Visier kaum lesbar. „Du weißt, dass du mir das Leben gerettet hast.“
Geraldine sah sie an, ihr Gesicht ernst, aber ihre Stimme sarkastisch-schneidend wie immer. „War doch nur Notwehr. Vey hat mir schließlich fast die Corvette ruiniert – da musste ich was gutmachen.“
Amanda schnaubte, ein kurzes, raues Lachen, das fast ein Schluchzen war. „Du bist unmöglich.“
„Genau deswegen bleibst du bei mir,“ erwiderte Geraldine.
Die Citadel öffnete ihre Hangartore, Licht brach ihnen entgegen. Gemeinsam setzten sie Caitlyn hinein, die Schilde glitten zur Ruhe. Für einen Moment standen sie nur da, die Hände auf den Steuerungen, und atmeten.
Das Kapitel war vorbei. Doch sie wussten beide: Die Narben würden bleiben – und sie würden sie gemeinsam tragen.