
Wiedersehen in Sol
Der nächste Tag begann mit Routine und endete mit einer Idee, die Amanda schnaubend kommentierte, sobald sie davon hörte.
„Eine Beluga. Ernsthaft?“ Sie stand im Hangar, die Hände in die Hüften gestemmt, während Geraldine an einem Wartungsterminal stand. „Du willst Kathleen in einer verdammten Raumjacht abholen?“
„Warum nicht?“ Geraldine ließ die Statusanzeigen über den Bildschirm laufen, grinste schief. „Sie kommt nach Monaten Forschung und Transportschiffen endlich in der Bubble an. Da ist ein bisschen Stil doch nicht verkehrt.“
Amanda hob eine Augenbraue. „Stil nennt man das? Das Ding ist eine schwimmende Touristenfalle. Fehlt nur noch, dass du einen Barkeeper einstellst.“
„Luxuskabinen hab ich noch drin,“ erwiderte Geraldine trocken. „Vielleicht kriegt sie einen Fruchtsaft auf’s Zimmer.“
Amanda stöhnte gespielt, aber ein Lachen huschte über ihr Gesicht. „Kathleen wird sich totlachen.“
„Das ist der Plan.“
Ein paar Stunden später lag die Beluga, frisch durchgecheckt, am Dock von Hesperides. Geraldine und Amanda standen in der Empfangshalle, als die Transportkapseln aus Colonia andockten. Die Menge strömte hinaus, Stimmen und Schritte hallten, bis ein vertrautes Gesicht im Strom auftauchte.
Kathleen wirkte kleiner zwischen all den Reisenden, aber ihr Lächeln füllte den Raum. Geraldine trat vor, und ohne Zögern fiel Kathleen ihr in die Arme. Für einen Moment vergaß Geraldine alles andere – das Summen der Halle, die Blicke, sogar Amanda.
Als Kathleen sich löste, drehte sie sich sofort zu Amanda und umarmte auch sie. Amanda, sichtlich überrascht, ließ es zu, dann grinste sie. „Wenn du mich gleich noch durchkitzelst, wird das hier eine peinliche Szene.“
Kathleen lachte hell. „Ich hatte drei Wochen Vorfreude im Gepäck. Das muss raus.“
Sie machten sich auf den Weg zur Beluga. Kathleen blieb an der Gangway stehen und starrte das Schiff an. „Das Ding ist riesig.“
„Willkommensgeschenk,“ meinte Geraldine. „Nur für dich.“
„Luxuskabinen?“ fragte Kathleen mit gespieltem Ernst.
Amanda warf Geraldine einen Seitenblick. „Sag’s ihr.“
„Luxuskabinen,“ bestätigte Geraldine unschuldig.
Kathleen schüttelte lachend den Kopf. „Ich seh schon, ich hätte eine Gala-Kleidung einpacken sollen.“
Die Fahrt zurück war voller Stimmen. Kathleen erzählte Anekdoten aus Colonia, von einem Professor, der versehentlich einen halben Reaktorraum evakuieren ließ, weil er das Alarmsystem falsch auslöste. Amanda konterte mit Geschichten von haarsträubenden Dogfights, und Geraldine steuerte trockene Kommentare bei, die beide zum Lachen brachten.
Auf der Citadel angekommen, war Kathleen weniger beeindruckt. „Ich kenne das gute Stück noch,“ meinte sie und strich über die Reling des Hangars, als sie die Rampe hinunterging. „Aber schön zu sehen, dass sie noch lebt.“
„Sie lebt nicht nur,“ sagte Geraldine. „Sie ist gewachsen.“
Kathleen nickte, sah sich kurz um, doch blieb nicht lange bei den Schiffen hängen. Erst als ihr Blick auf die neue Python fiel, blieb sie stehen. „Die gefällt mir. Nicht so überladen, nicht so prunkvoll. Einfach… ehrlich.“
Amanda grinste spitz. „Das hat Geraldine von mir. Ehrlich und tödlich.“
Geraldine verdrehte die Augen. „Und arrogant.“
„Das auch,“ sagte Amanda, und Kathleen lachte, als hätte sie die beiden noch nie anders erlebt.
Kathleen hatte ein paar Tage frei, bevor ihre Arbeit auf der Forschungsstation begann. Geraldine lud sie sofort ein, die Zeit auf der Citadel zu verbringen. „Du weißt ja, wo alles ist,“ meinte sie. „Mach’s dir gemütlich.“
Kathleen nickte dankbar. „Das werde ich. Aber ich sag’s gleich: Wenn ihr mich auf einen eurer Wahnsinns-Ausflüge schleppt, will ich wenigstens wissen, wo der Fluchtweg ist.“
„Kein Problem,“ erwiderte Amanda trocken. „Der Fluchtweg heißt Geraldine.“
Erste Schritte an Bord
Die Tür zum Handelsbereich glitt auf wie ein Vorhang, und dahinter lag das Summen einer kleinen Stadt: Förderbänder, die Kisten trugen; Stimmen, die zu Preisen wurden; Projektoren, die Routen in die Luft zeichneten. Zwischen all dem stand Rosie wie der ruhige Kern eines Sturms, ein Datenpad in der Hand, den Blick auf drei gleichzeitig laufende Feeds gerichtet.
„Nur Hangar kannte ich,“ murmelte Kathleen, die Hände in den Taschen. „Das hier ist… lebendig.“
„Lebendig heißt teuer, sobald man schläft,“ sagte Amanda trocken.
Geraldine blieb neben Rosie stehen. „Import aus Colonia. Heißt Kathleen. Sie will wissen, wie Zahlen zu Bewegung werden.“
Rosie hob kurz den Blick. „Zahlen werden zu Zeit. Zeit wird zu Geld. Wer zu spät ist, bezahlt zweimal.“ Dann neigte sie das Pad, sodass die Holo-Anzeigen für alle sichtbar wurden: drei Angebote, drei Fristen, drei unterschiedliche Routen. „Du magst Modelle, habe ich gehört.“
„Liebe ich,“ sagte Kathleen ehrlich. „Was sehe ich?“
„Beryllium, med. Güter, Industrieersatzteile.“ Rosie tippte nacheinander die Felder an, Zahlen und Bedingungen poppten auf. „Beryllium zahlt viel, aber die Gegenseite ist unzuverlässig. Med. Güter zahlen weniger, dafür gibt’s Bonus bei pünktlicher Lieferung. Ersatzteile sind stabil, doch blockieren Frachtraum, den ich morgen brauche.“
„Einfache Lösung,“ warf Amanda ein. „Nimm das, was heute mehr zahlt.“
Rosie verzog kaum den Mund. „Heute ist billig, wenn du morgen draufzahlst.“ Sie drehte das Pad zu Kathleen. „Sag du.“
Kathleen trat näher, las, keine Hektik, nur diese konzentrierte Ruhe, die sie immer bekam, wenn Zahlen sprachen. „Ersatzteile raus, Frachtraum ist knapp – du hast morgen einen größeren Turnover.“ Sie wies auf die medizinischen Güter. „Die hier. Bonus bei pünktlicher Lieferung, und die Route kreuzt sowieso zwei deiner Standardsprünge. Wenn Beryllium ausfällt, sitzt du mit leeren Händen da und hast dir die Reputation ruiniert.“
Amanda pfiff leise. „Sie hat das Wort Reputation benutzt. Du magst sie, Rosie.“
„Ich mag pünktliche Leute,“ erwiderte Rosie und bestätigte das med.-Paket mit einem knappen Fingerzug. Auf dem Display sprang eine Uhr an, die in leisen Impulsen lief. „Siehst du das?“ Sie zeigte auf kleine Markierungen am Rand der Route. „Staus, Patrouillen, Schlangenlinien. Das ist die Bubble. Dein Modell ist nur so gut, wie deine Bereitschaft, es zu brechen, wenn’s brennt.“
„Regeln kennen, um sie im richtigen Moment zu beugen,“ sagte Geraldine und nickte. „Rosies Lieblingssport.“
„Mein einziger,“ entgegnete Rosie. Dann reichte sie Kathleen ein kleines Tagging-Tool. „Markier mir Lager D-17 als priorisiert. Und setz am Ende des Laufbands eine Warnung, falls die Kühlkette zickt.“
Kathleen nahm das Tool, als hätte man ihr eine Auszeichnung gegeben, und tippte die Markierungen in die Luft, präzise und ohne Zierde. Zwei Lichter sprangen am Ende des Förderbands auf – gelb für Vorsicht, blau für Priorität.
Rosie nickte knapp. „Nicht schlecht.“
Amanda grinste sie an. „Willkommen in der Vorlesung ‚Praxis 101‘. Keine Folien, nur echte Kopfschmerzen.“
„Ich… mag Kopfschmerzen,“ sagte Kathleen, und es klang nicht mal ironisch. „Sie bedeuten, dass etwas wirklich ist.“
„Dann wirst du hier glücklich,“ meinte Rosie, das Pad schon wieder halb im nächsten Deal. „Und wenn nicht, gibt’s Kaffee. Doppelt.“
Geraldine deutete den Gang entlang. „Weiter geht’s. Tritium, Routenplanung, der Teil, bei dem Holland behauptet, er sei nur ein stiller Matheblock.“
„Er ist ein stiller Matheblock,“ sagte Amanda. „Bis ihm jemand in die Berechnung patscht.“
Rosie hob kurz zwei Finger zum Gruß, ohne vom Pad aufzusehen. „Wenn ihr aus Holland Worte herauskitzelt, bringt mir davon eins mit. Ich rahm’s mir ein.“
Sie gingen weiter, das Summen des Handelsbereichs im Rücken; vor ihnen lag der kühle, gedämpfte Trakt der Treibstoff- und Routenleute—Hollands Reich, in dem Zahlen leiser sprachen und dennoch alles entschieden.
Die Gänge wurden enger, die Luft schwerer vom Geruch nach Metallstaub und Kühlflüssigkeit. Geraldine führte sie tiefer hinab in den Bauch des Carriers, dorthin, wo das Tritium lag und jeder Schritt ein leises Dröhnen unter den Sohlen verursachte.
„Hier unten pulsiert das Herz,“ erklärte Geraldine. „Ohne Tritium keine Sprünge.“
„Und ohne Holland keine Ordnung,“ fügte Amanda hinzu, und tatsächlich tauchte die markante Gestalt im Halbdunkel auf. Holland Ratliff stand vor einem Terminal, die Ärmel hochgekrempelt, Hände voller Schmieröl, als hätte sie gerade eben selbst Tanks verschraubt.
„Geraldine,“ brummte er zur Begrüßung, ohne sich umzudrehen. „Die letzte Lieferung war ein Witz. Halb so viel wie zugesagt, und die Hälfte davon Schlamm.“ Erst dann sah er auf, fixierte Kathleen, runzelte die Stirn. „Besuch?“
„Kathleen,“ stellte Geraldine vor. „Neu in der Bubble. Sie wollte sehen, was den Carrier wirklich am Laufen hält.“
Holland musterte sie, kurz, abwägend, dann nickte er. „Na, dann willkommen in der Abteilung Drecksarbeit.“
Kathleen grinste, unbeeindruckt. „Ich hab gehört, Tritium ist der kostbarste Treibstoff, den es gibt. Aber so wie Sie reden, klingt es nach Kohle im Keller.“
„Ist es auch,“ knurrte Holland. „Nur dass Kohle dich nicht mitten im Sprung verdampft, wenn sie verunreinigt ist.“
Amanda lachte, verschränkte die Arme. „Siehst du? Glamourös, unser Leben.“
Kathleen legte den Kopf schief. „Wie berechnen Sie den Verbrauch eigentlich? Ich meine, rein mathematisch – ist das linear zur Masse oder gibt es Variablen bei Dichte und Temperatur?“
Holland starrte sie an, dann Geraldine, dann wieder Kathleen. „Sie will’s wirklich wissen?“
„Sie ist so,“ bestätigte Geraldine trocken.
Holland seufzte, wischte die Hände an einem Lappen ab. „Kurzversion: Masse mal Strecke, Faktor Sternenklasse. Rest ist Erfahrung. Wir rechnen, ja – aber die Hälfte passiert hier.“ Er tippte sich an die Schläfe. „Wenn du’s falsch einschätzt, sitzt du in der Leere.“
„Oder du fällst in einen Jet und hoffst, dass Geraldine dich wieder rauszieht,“ warf Amanda ein, ein spöttisches Funkeln in den Augen.
„Passiert das oft?“ fragte Kathleen.
„Öfter, als ich zugeben würde,“ murmelte Geraldine, worauf Amanda in schallendes Gelächter ausbrach.
Holland schüttelte nur den Kopf. „Solange sie zurückkommt, ist mir egal, wie oft.“ Dann wandte er sich wieder seinem Terminal zu. „Wenn du wirklich was lernen willst, Mädchen, komm morgen früh her. Sechs Uhr. Dann siehst du, was es heißt, Tanks zu jonglieren.“
Kathleen grinste breit. „Ich bringe Kaffee.“
„Bring besser starke Schuhe,“ brummte Holland.
Geraldine legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Gewöhn dich dran. Jeder hier unten redet so. Aber am Ende hält Holland uns am Leben.“
„Und sorgt dafür, dass keiner von uns zu Fuß durch die Sterne wandert,“ ergänzte Amanda.
Kathleen nickte ernsthaft, doch ihre Augen blitzten vor Neugier. „Dann bin ich morgen pünktlich hier.“
Nach den Stationen im Bauch des Carriers führte Geraldine die beiden zurück nach oben. Die Gänge wurden leiser, die Geräusche der Maschinen gedämpfter, bis nur noch das Summen der Systeme blieb. Schließlich blieb sie vor einer Schiebetür stehen.
„Und hier,“ sagte sie, „endet die Tour.“
Die Tür glitt auf, und Kathleen trat ein. Sie blieb sofort stehen. „Das ist… anders, als ich erwartet hätte.“
Der Raum war schlicht, aber nicht kalt. Ein breiter Tisch, eine Konsole mit Projektionen, ein Regal mit Datenkristallen und ein paar wenigen Gegenständen, die nicht nach Funktion aussahen: ein alter Becher, ein kleines Modellschiff, ein Stück Metall, das wie Treibgut wirkte. An der Wand hing eine Decke, farbig gewebt, unpassend in all dem Stahl.
„Ich dachte, du würdest in deiner eigenen Kommandozentrale wohnen,“ murmelte Kathleen. „Aber das hier… sieht nach jemandem aus, der sich einen Platz gebaut hat.“
„Weil es meiner ist,“ sagte Geraldine knapp.
Amanda ließ sich sofort auf den Sessel fallen, die Beine über die Lehne gehängt. „Und der hier ist mein Platz, wenn sie nicht hinguckt.“
„Du frechstehst hier höchstens rum,“ gab Geraldine zurück, doch ihre Stimme klang weich.
Kathleen lächelte, ging ein paar Schritte durch den Raum, blieb vor dem Regal stehen. „Sind das alles Erinnerungen?“
Geraldine nickte langsam. „Jedes Stück hat seine Geschichte. Manche will ich behalten, andere… erinnern mich daran, was ich nicht wiederholen will.“
Amanda zog eine Augenbraue hoch. „Und trotzdem darf keiner dran rühren.“
„Genau,“ sagte Geraldine, und ein kleines Lächeln zuckte über ihr Gesicht.
Kathleen wandte sich zu den beiden um. „Es ist komisch – ich habe dich jahrelang in Colonia gekannt, Geraldine, und trotzdem habe ich dich nie so… privat gesehen. Jetzt fühlt es sich an, als würde ich dich neu kennenlernen.“
Amanda lachte leise. „Willkommen im Club.“
Die drei sahen sich einen Moment an, und die Stimmung war für einen Augenblick still – nicht unangenehm, sondern dicht. Dann stand Amanda auf, klopfte Geraldine leicht auf die Schulter. „Na los, Commander. Bevor wir hier sentimental werden, solltest du uns was zu trinken hinstellen.“
„Bar ist zwei Gänge weiter,“ erwiderte Geraldine trocken.
Kathleen grinste. „Dann kenne ich mein nächstes Ziel.“
Szene 3 – Letzte freie Tage
Die Cutter hob schwerfällig vom Pad der Citadel ab. Kein Schiff für Eleganz – mehr ein Muskelpaket mit Frachträumen –, doch Kathleen saß hinter Geraldine, die Hände über der Lehne, als wollte sie keinen Augenblick verpassen.
„Ich hätte nie gedacht, dass ein Schiff sich so… mächtig anfühlen kann,“ sagte sie und verfolgte gebannt die Anzeigen. „Es ist, als würde man eine Stadt durch den Himmel steuern.“
„Warte, bis du mal siehst, wie sie voll beladen reagiert,“ murmelte Amanda von der Seite. „Dann fühlt sie sich eher wie ein bockiger Wal an.“
Kathleen lachte. „Immerhin schwitze ich nicht so sehr wie beim ersten Andocken in einer Bubble-Station.“
Geraldine schmunzelte, hielt das Schiff auf Kurs. „Keine Sorge. Die Handelsmissionen, die wir heute fliegen, sind harmlos. Ein paar Luxusgüter, ein paar Standardwaren. Keine Piraten, keine Fallen.“
„Schade eigentlich,“ murmelte Amanda, lehnte sich zurück. „Ein bisschen Action wäre nicht schlecht.“
Kathleen schüttelte den Kopf. „Ich hatte noch nie so viele neue Eindrücke in so kurzer Zeit. Schiffe, Märkte, diese unendliche Bewegung… Es ist, als würde die Bubble nie schlafen.“
„Tut sie auch nicht,“ meinte Geraldine. „Und genau deshalb musst du wissen, wo du stehst.“
Kathleen beugte sich vor, die Augen glänzend. „Ich will genau das lernen. Zu verstehen, wie man in diesem Chaos eine Linie zieht.“
Amanda sah sie an, eine Sekunde länger, als nötig. „Man zieht sie nicht. Man hält durch, bis sich alles wieder sortiert. Und wenn es nicht passiert, musst du trotzdem fliegen.“
Kathleen nickte nachdenklich. „Das klingt hart.“
„Ist es,“ sagte Amanda schlicht.
Geraldine spürte die Spannung, die sich zwischen den beiden aufbaute – kein Streit, sondern ein Unterschied im Blickwinkel. Amanda, die alles durch das Prisma von Gefahr und Stärke sah. Kathleen, die voller Neugier und Optimismus war. Zwei Pole, die Geraldine gleichermaßen brauchte – und die sie manchmal mehr trennten, als ihr lieb war.
Die erste Mission führte sie zu einer Station am Rand eines Industrieclusters. Schon im Anflug war das Gewimmel unübersehbar: Transporter, Patrouillen, kleine Jäger, die sich wie Fliegen um die Dockingschleusen drängten.
„So viel Verkehr,“ flüsterte Kathleen, das Kinn fast an die Scheibe gedrückt. „Es sieht aus, als würden hunderte Geschichten gleichzeitig passieren.“
„Und alle blockieren den Einflugkorridor,“ knurrte Amanda. „Wenn du Pech hast, wartest du eine halbe Stunde, bis dich die Kontrolle reinlässt.“
„Oder du fliegst wie Geraldine,“ ergänzte Kathleen lachend. „Da macht jeder Platz.“
Geraldine zog nur eine Augenbraue hoch und setzte die Cutter in den Korridor. Sekunden später gaben die Tower-Lichter grün.
„Sag ich doch,“ meinte Kathleen triumphierend.
Das Andocken verlief reibungslos. Während die Station die Fracht auslud, spazierten die drei durch die Gänge. Händler riefen Angebote, Uniformierte eilten vorbei, Stimmen füllten die Luft. Kathleen blieb immer wieder stehen, sog alles auf.
„Es ist so… dicht,“ sagte sie. „Wie ein Herzschlag. Colonia ist weitläufig, langsam. Aber das hier…“
„Das hier frisst dich, wenn du nicht aufpasst,“ unterbrach Amanda. Ihre Stimme war nicht scharf, nur nüchtern. „Und es gibt keine Pausen.“
Kathleen blieb stehen, sah sie an. „Und du lebst mittendrin.“
Amanda nickte knapp. „Weil ich gelernt habe, mich nicht auffressen zu lassen.“
Geraldine blieb zwischen beiden stehen, legte die Hände in die Taschen. „Beides stimmt. Die Bubble ist Herzschlag und Mahlstrom. Kommt drauf an, wie du reinspringst.“
Später, zurück an Bord, setzten sie die nächste Mission an. Medizinische Vorräte für eine kleine Kolonie, knapp hundert Lichtjahre entfernt. Auf dem Weg zurück, als die Cutter durch den Frameshift glitt, herrschte eine andere Stille. Keine Arbeit mehr, nur das Summen der Systeme und die Gedanken, die schwer im Raum lagen.
„Weißt du, Amanda,“ begann Kathleen vorsichtig, „ich glaube, du bist härter zu dir selbst, als es irgendjemand sonst sein könnte.“
Amanda drehte den Kopf, musterte sie. „Das ist der einzige Grund, warum ich noch hier sitze.“
„Oder,“ mischte sich Geraldine ein, „der Grund, warum du manchmal fast daran zerbrichst.“
Amanda schwieg kurz, dann lachte leise, bitter und warm zugleich. „Vielleicht beides.“
Kathleen lächelte. „Dann werde ich dich an beides erinnern.“
Geraldine sah zwischen ihnen hin und her, spürte, wie die Nähe wuchs. Schön, aber auch gefährlich – zwei so unterschiedliche Menschen, die trotzdem etwas in der anderen fanden. Sie fragte sich, wie lange sie das Gleichgewicht noch halten konnte.
Die Tage reihten sich aneinander, Mission für Mission. Kathleen sog alles auf: die Hektik der Handelsstationen, das Gewimmel der Bubble, das Blinken unzähliger Schiffe im Anflug. Für sie war es ein Fest aus Eindrücken, für Geraldine Routine. Amanda kommentierte von der Seite, inzwischen wieder mit mehr Energie, die alte Schärfe kehrte zurück in ihre Stimme.
„Du siehst nur die Lichter,“ sagte Amanda, als sie auf einer vollen Station andockten. „Ich sehe die Gefahren. Jeder dieser Frachter kann dir die Hülle eindrücken, wenn er nur einen Moment patzt.“
„Und trotzdem koordinieren sie sich,“ widersprach Kathleen begeistert. „Es ist wie ein Tanz. Chaotisch, aber mit unsichtbaren Regeln.“
Geraldine grinste schief. „Und genau dazwischen sitzen wir – irgendwo zwischen Tanz und Faustkampf.“
Abends, zurück auf der Citadel, saßen sie in der Lounge. Kathleen sprudelte von neuen Eindrücken, sprach von Colonia, wie sehr sich dort alles langsamer anfühle. Amanda hörte zu, lächelte sogar, doch in ihren Worten lag Nachdenklichkeit.
„Du siehst Chancen,“ sagte sie zu Kathleen. „Ich sehe nur, wie schnell man hier Fehler macht.“
„Vielleicht ist es beides,“ meinte Geraldine ruhig. „Genau deshalb braucht es mehr als eine Sicht.“
Ein kurzer Moment Stille. Dann grinste Kathleen. „Dann ergänzen wir uns eben.“
Amanda sah sie an, ein kurzes Funkeln in den Augen, fast Zustimmung.
Der letzte Abend kam. Diesmal nahmen sie die Dolphin, klein und elegant, um Kathleen zur Forschungsstation zu bringen. Das Schiff glitt durch den Frameshift, und zum ersten Mal seit Tagen klang das Cockpit nicht nach Arbeit, sondern nach ausgelassenem Lachen. Anekdoten flogen hin und her – Amanda erzählte von einer Landung, die sie fast in eine Wand gesetzt hätte, Kathleen konterte mit einer Laborstory über explodierte Versuchsreihen, Geraldine steuerte trockene Bemerkungen bei, die die beiden noch mehr zum Lachen brachten.
Als sie die Lichter von Hesperides im Orbit von Sol erreichten, war die Stimmung leicht und warm. Doch während Amanda und Kathleen Seite an Seite lachten, blieb Geraldine still einen Moment länger am Steuer sitzen. Sie spürte es deutlich: So harmonisch, so einfach würde es nicht ewig bleiben. Zu verschieden waren ihre Welten, zu stark die Spannungen, die unter der Oberfläche lauerten.
Sie zwang sich zu einem Lächeln, als die Dolphin auf Kurs zur Station ging. Für heute sollte es reichen, dass sie lachten – alle drei zusammen.
Rückkehr zur Citadel
Die Dolphin stand wieder sicher im Hangar der Citadel, die Rampen noch ausgefahren. Amanda und Geraldine saßen nebeneinander in der Lounge, beide mit einem Glas vor sich, das kaum angerührt war.
„Komisch,“ sagte Amanda schließlich und starrte in die Flüssigkeit, „wie still es plötzlich ist. Drei Tage lang hat Kathleen gequasselt, als gäbe es kein Morgen – und jetzt hört man nur noch die Lüftung.“
Geraldine grinste schief. „Du magst sie.“
Amanda zog die Brauen hoch. „Hab ich das gesagt?“
„Musst du nicht. Ich hab’s gesehen.“
Ein leises Lächeln zuckte über Amandas Lippen. „Ja. Ich mag sie. Auch wenn sie manchmal nervt mit ihrer ewigen Begeisterung. Aber… sie ist echt. Ehrlich. Keine Maske.“
„Das ist selten,“ murmelte Geraldine.
Amanda nickte. „Vielleicht liegt’s daran, dass sie hübsch ist.“
Geraldine riss den Kopf herum. „Bitte was?“
„Na komm,“ Amanda grinste frech. „Dir ist das doch auch aufgefallen.“
„Aufgefallen, ja,“ entgegnete Geraldine, die Arme verschränkt. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass du gleich Augen machst.“
Amanda hob beschwichtigend die Hände. „Mach ich nicht. Ich sag nur: Sie ist hübsch. Punkt. Du musst nicht gleich Eifersucht üben.“
Geraldine schnaubte. „Ich übe nicht.“
„Doch,“ sagte Amanda grinsend. „Und du bist schlecht darin.“
Ein Moment Schweigen. Dann brachen beide gleichzeitig in Lachen aus – erst leise, dann so heftig, dass sie die Gläser abstellen mussten.
Als das Lachen abebbte, legte Amanda die Hände auf die Tischkante. Ihr Blick war ernst, doch in den Augen blitzte dieses alte Feuer. „Weißt du was? Ich hab entschieden. Ich kauf mir meine eigene Python.“
Geraldine blinzelte. „Du kannst doch meine nehmen. Sie steht im Hangar und wartet.“
Amanda schüttelte den Kopf. „Nein. Ich will was Eigenes. Nach meinen Vorstellungen. Ich bau sie mir so aus, wie sie zu mir passt. Nicht deine Hand-me-down-Version.“
Geraldine grinste breit. „Hand-me-down? Das ist eine fast neue Python.“
„Trotzdem,“ sagte Amanda. „Ich will meinen eigenen Vogel. So wie du deine Flotte aufgebaut hast. Meins.“
Geraldine sah sie an, erst überrascht, dann anerkennend. „Dann bau dir was, das dich fliegen lässt.“
Amanda lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Das ist der Plan.“