
Der lange Rückflug: Elena
Die Sterne streckten sich zu Linien, stürzten zurück in Punkte. Sprung um Sprung, immer derselbe Rhythmus. Doch im Cockpit der Anaconda blieb die Stille schwer wie ein zweiter Rumpf. Geraldine ließ den Blick über die Anzeigen wandern, doch ihre Gedanken klebten an dem einen Namen, der im Hangar gefallen war.
Elena.
Seitdem trug Amanda eine Spannung in sich, die selbst ihr kontrolliertes Schweigen nicht verbergen konnte. Geraldine zögerte, bis der nächste Sprung endete, dann noch einen. Schließlich, leise: „Amanda. Der Name. Elena. Wer war sie?“
Neben ihr blieb Amanda reglos. Nur die Hand am Schubregler krampfte kurz, bevor sie wieder locker wurde. Erst nach einer Ewigkeit kam eine Antwort, brüchig: „Sie war… mehr als eine Freundin.“
Geraldine wartete.
„Wir waren jung. Siebzehn, achtzehn. Auf der Station war Härte alles. Lauter, brutaler, kälter als die anderen, sonst hattest du keine Chance. Aber Elena…“ Amanda atmete hörbar aus. „Sie war anders. Sie hat gelacht. Mitten in Situationen, in denen alle die Luft anhielten. Sie hat mich gesehen, wirklich gesehen – nicht die Maske, die ich trug, sondern mich. Und mit ihr… konnte ich atmen.“
Ihre Stimme senkte sich. „Dann kam dieser Job. Ein Routineflug, ein alter Frachter, Schmuggelware. Nichts, was uns beunruhigt hätte. Elena war eingeteilt, zusammen mit einer Handvoll Crew. Ich sollte eigentlich mit. Aber sie haben mich kurzfristig abgezogen – irgendein anderer Auftrag, eine verdammte Patrouille. Also stand ich da und habe gesehen, wie sie durchs Dock ging. Sie hat mir noch zugenickt. Dieses freche Grinsen, das immer sagte: ‚Das Universum kann uns mal.‘“
Amanda schwieg kurz, schluckte. „Es war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.“
Geraldine hielt den Atem an.
„Kaum waren sie im Zielsystem, meldete sich der Funk. Piraten. Erst dachte ich, es wird wie immer – Drohungen, ein Handel vielleicht. Aber sie sind an Bord gegangen. Keine Worte, kein Zögern. Sie haben sie einfach abgeschlachtet.“ Amandas Stimme brach. „Ich konnte nur zuhören. Schreie. Schüsse. Metall, das brach. Und dann nichts mehr.“
Die Worte hingen im Raum wie Rauch. Amanda starrte hinaus in den Frameshift, ihre Augen leer, während ihre Finger das Knie umklammerten.
„Alle tot. Die Crew, die Wachen… und Elena. Sie war siebzehn. Sie hatte keine Chance. Keine.“
Ein Zittern durchlief ihre Schultern. „Ich war nicht dort. Ich konnte sie nicht schützen. Ich habe nur diesen verdammten Funkspruch gehört, bis er abriss.“ Ihre Stimme fiel in ein Flüstern. „Und seitdem frage ich mich, ob ich hätte da sein sollen. Ob ich sie hätte retten können. Oder ob ich mit ihr hätte sterben müssen.“
Eine Träne löste sich, glänzte im blauen Licht der Anzeigen, und Amanda wischte sie hastig weg. Doch ihre Stimme schwankte weiter: „Ich bin zurückgeblieben. Sie nicht. Und seitdem kontrolliere ich alles. Jeden Ablauf, jede Mission. Weil ich weiß, was ein Fehler kostet.“
Endlich sah sie Geraldine an, direkt, mit Augen, die brannten. „Wenn du dein Schiff Elena nennst… dann mach etwas Gutes daraus. Lass den Namen leben. Das schulde ich ihr.“
Geraldine legte ihre Hand auf Amandas. Keine Worte, nur Präsenz. Amanda ließ es zu, länger als sonst, bevor sie den Blick wieder abwandte.
Draußen zogen die Sterne vorbei, gleichgültig und endlos. Doch im Cockpit blieb eine neue Schwere – geteilt, nicht mehr allein getragen.
Abschied vor den Missionen
Der Hangar des Carriers vibrierte vor Leben. Schweißgeräte zischten, Stimmen hallten von den Wänden wider, irgendwo klapperte Metall auf Metall. Zwischen all dem Lärm stand die Fer-de-Lance, ihr Rumpf frisch versiegelt, die Kanten dunkel glänzend. Ein Raubtier, das nur darauf wartete, losgelassen zu werden.
Amanda bewegte sich zwischen den Technikern, prüfte Anzeigen, gab kurze, präzise Anweisungen. Jeder Handgriff schien kalkuliert, jede Bewegung kontrolliert. Geraldine stand ein Stück abseits, beobachtete sie, wie sie es immer tat, wenn Amanda sich vorbereitete. Normalerweise war es ein Anblick, der sie beruhigte – weil Amanda in ihrem Element war, unerschütterlich. Doch heute war es anders.
Ein Druck lag auf ihrer Brust, diffus, ohne klare Form. Ein Gefühl, das sie nicht loswurde, seit Amanda von ihren Missionen gesprochen hatte. Geraldine wusste, dass Amanda sich durchsetzen konnte, dass sie stärker und erfahrener war als die meisten Piloten, die diesen Hangar je betreten hatten. Aber diesmal nagte etwas an ihr.
Amanda bemerkte ihren Blick, drehte sich kurz um. „Alles okay?“ Ihre Stimme schnitt durch den Lärm, sachlich, beinahe beiläufig.
Geraldine nickte zu schnell. „Ja. Natürlich.“
Amanda zog eine Augenbraue hoch. Dann wandte sie sich wieder ihrer Checkliste zu, als würde sie das Spiel mitspielen – aber Geraldine wusste, dass sie längst durchschaut war.
Sie ging ein paar Schritte näher, bis der Geruch von Schmiermittel und erhitztem Metall intensiver wurde. „Pass auf dich auf“, sagte sie leiser, als die Umgebung es rechtfertigte.
Amanda hielt inne. Ein kurzer Moment, dann legte sie das Werkzeug aus der Hand, das sie eben inspiziert hatte. Sie sah Geraldine direkt an, und für einen Augenblick war da kein Kommandoton, keine Routine. Nur Aufmerksamkeit.
„Du machst dir Sorgen.“ Keine Frage, eine Feststellung.
Geraldine wollte widersprechen, aber die Worte blieben stecken. Sie spürte, wie sich ihre Hände unruhig ineinander verschränkten. „Ich… hab einfach ein ungutes Gefühl.“
Ein Schatten huschte über Amandas Gesicht, kaum sichtbar. Dann trat sie näher, legte eine Hand auf Geraldines Arm. Der Druck war fest, kontrolliert – und trotzdem warm. „Ich weiß.“
Die Worte hätten leicht klingen können, wie ein automatisches Beruhigen. Aber Amandas Stimme war anders, tiefer, voller Gewicht. „Ich komme zurück.“
Geraldine sah sie an, suchte nach einem Hauch von Zweifel in ihrem Blick, fand aber nur diesen unerschütterlichen Kern, den Amanda immer trug. Für einen Moment wollte sie etwas sagen – festhalten, bitten, nicht gehen lassen. Doch sie brachte es nicht über die Lippen.
Amanda nahm ihre Hand vom Arm, setzte den Helm auf. Das Visier blieb noch oben, ihr Gesicht sichtbar. „Vertrau mir. Ich weiß, was ich tue.“
Geraldine nickte langsam. „Ich weiß. Aber das macht es nicht leichter.“
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln zog über Amandas Gesicht, mehr in den Augen als auf den Lippen. Dann klappte das Visier herunter, die Stimme kam durch den Lautsprecher, wieder sachlich: „Dockfreigabe anfordern.“
Die Techniker zogen sich zurück, die Fer-de-Lance erwachte mit einem tiefen Grollen. Geraldine trat einen Schritt zurück, die Hitze der Triebwerke im Gesicht. Das Schiff hob sich, schwebte kurz über dem Boden, ehe es zur Startbahn drehte.
Für einen Augenblick blieb es dort, als würde es auf einen letzten Gedanken warten. Dann beschleunigte es, schoss durch die geöffneten Tore hinaus ins All – ein Schatten, der im Schwarz verschluckt wurde.
Der Hangar füllte sich wieder mit Alltagslärm. Aber für Geraldine blieb eine Leere zurück, die kein Geräusch ausfüllen konnte. Sie stand noch lange da, die Augen auf den Punkt gerichtet, an dem Amanda verschwunden war.
Und das ungute Gefühl blieb.
Kampf um den Namen
Geraldine hielt den Blick noch eine Weile auf den Sternen, in die Amanda verschwunden war. Der Hangar vibrierte längst wieder von Schritten, Stimmen und Werkzeugen, aber für sie blieb der Raum leer. Zurück im Quartier versuchte sie, die Stille mit Arbeit zu füllen: Routinen checken, Crewberichte durchsehen, kleine Frachten einplanen. Doch alles fühlte sich nach Warten an – und Warten hasste sie.
Also griff sie zum Terminal und suchte die ersten Stationen in Reichweite heraus, die Namensänderungen bearbeiteten. Sie packte ihre Unterlagen, flog hin, setzte sich vor die Schalter. Anfangs noch mit Optimismus. Doch jedes Gespräch lief gleich ab: ein gelangweilter Blick, ein kurzer Zugriff aufs Register, und dann diese leeren Worte, die jedes Mal etwas anderes bedeuteten und doch dasselbe sagten – nicht möglich.
Beim dritten Versuch zwang sie sich noch zu einem Lächeln, beim vierten nur noch zu einem knappen Nicken. Nach dem fünften nahm sie die Bestätigung des Beamten gar nicht mehr in die Hand. Sie hatte verstanden: Hier würde sie nicht weiterkommen.
Zurück im Carrier ließ sie sich in den Sitz fallen und starrte eine Weile auf die dunkle Oberfläche des Tisches, bis sie das Com aktivierte. Das Holo flackerte auf, Amandas Gesicht erschien – Schatten über den Wangen, die Augen wachsam wie immer.
„Und?“ fragte sie.
Geraldine erzählte. Von den Terminen, den Abweisungen, den ausweichenden Formulierungen, die alle auf dasselbe hinausliefen. Am Ende schüttelte sie den Kopf. „Es ist, als wäre der Name nie da gewesen. Als hätten sie ihn absichtlich gelöscht.“
Amanda schwieg einen Moment, das Kinn leicht gesenkt, die Gedanken irgendwo hinter den Augen. Dann hob sie den Blick. „Schick mir deine Unterlagen. Alles, was du hast.“
Geraldine zögerte. „Amanda, das ist nicht dein—“
„Doch.“ Die Stimme war ruhig, aber so fest, dass kein Widerspruch möglich war. „Gib mir ein paar Tage. Ich finde jemanden.“
Bevor Geraldine etwas erwidern konnte, brach das Holo ab. Sie blieb allein zurück, das Summen der Systeme lauter als zuvor.
Die Tage dehnten sich. Geraldine arbeitete, gerade so viel, dass die Hände beschäftigt waren: kurze Flüge mit der Cutter, Fracht umsetzen, Crew briefen, Listen prüfen, die ohnehin jeder kannte. In der Lounge schrieb sie ihren Namen auf einen Notizzettel – nicht, um ihn zu lernen, sondern um zu fühlen, wie er unter der Hand liegt. Cailloux-Delaurent. Er sah groß aus und passte ihr doch genau. Sie legte den Zettel in die Schublade und machte sie zu, als müsste der Name etwas Warmes behalten.
Nachts lag sie wach und hörte die Schwankungen der Klimarohre, das ferne Zischen der Schleusen – Geräusche, die sie sonst beruhigten. Jetzt wartete sie auf das Klicken des Com. Es kam nicht. Nicht am ersten Tag. Nicht am zweiten. Am dritten schlief sie auf dem Sofa in der Lounge ein, den Arm über die Augen gelegt, und das Holo weckte sie wie ein Fremder in einem Traum.
Amanda stand nicht in ihrem Cockpit. Hinter ihr schwebte das kalte Licht einer Station. Ihr Blick war hellwach.
„Du fliegst nach Vespera,“ sagte sie. „Station Hobb’s Inlet, Verwaltungsdeck 3. Dock 27. Frag nach K. Deren.“
„Wer ist das?“
„Jemand, der weiß, wo sein eigener Schatten liegt.“ Ein Schatten eines Lächelns flog über Amandas Mund. „Und jemand, der mir etwas schuldet.“
Geraldine richtete sich auf. „Was muss ich mitbringen?“
„Dein Modul von L-57. Deine aktuelle ID. Und… eine gewisse Flexibilität bei Gebührenstrukturen.“ Amandas Stimme wurde noch einen Hauch leiser. „Nicht protzen. Nicht bitten. Klar bleiben. Sie werden testen, wie sehr du willst.“
„Danke.“
„Tu mir einen Gefallen,“ sagte Amanda, und jetzt war etwas Persönliches in der Stimme, kein Befehl, kein Tonfall – etwas, das man nicht leicht gibt. „Geh allein. Und ruf mich danach an.“
„Ich rufe dich vorher an, wenn—“
„Danach.“ Amanda ließ die Hand kurz an den Rand des Holo-Feldes gleiten, als streiche sie eine unsichtbare Falte glatt. „Flieg.“
Vespera lag abseits, am Rand eines Industrie-Clusters, dessen Sterne aussahen, als hätten sie die Farbe verloren. Die Anaconda sprang, ihr Rumpf vibrierte, bis die Systeme der Zielstation sie packten und das Dock frei gab. Hobb’s Inlet war ein Kasten ohne Charme: außen matte Paneele, innen Gänge, die jedes Gespräch verschluckten. Auf Deck 3 roch es nach Papier, obwohl hier niemand Papier benutzte.
„K. Deren?“ fragte sie am Schalter.
Die Frau hinter dem Terminal sah nicht auf die Uhr, sie sah überhaupt nicht auf irgendwas. „Wartezone.“
Geraldine setzte sich. Sie wartete. Minuten wurden zu Fäden. Leute kamen und gingen. Ihr Name wurde nicht durch den Raum gerufen; stattdessen blinkte eine Zahl auf, die nicht passte. Als sie aufstand, um nachzufragen, öffnete sich eine Seitentür.
„Geraldine Cailloux-…“ Die Stimme stockte nicht, sie machte einfach eine kleine Pause, als wäre sie das Komma. „Bitte.“
Der Raum dahinter war zu klein für zwei Menschen und eine Wahrheit. K. Deren war schmal, die Haare zurückgekämmt, das Gesicht von der Sorte, die man leicht vergessen würde, wenn nicht diese Augen wären, die alles katalogisierten. Kein Lächeln. Kein Händedruck.
„Sie wünschen eine Aktualisierung ihres Eintrags.“ Keine Frage.
„Ja. Ich habe den originalen Datensatz.“ Geraldine legte das Modul auf die Tischplatte. K. Deren schob es in eine Schnittstelle, ohne hinzusehen, als säße in ihren Fingern ein eigenes Paar Augen.
„Sie sind sich sicher, dass Sie das wollen?“ fragte Deren, und das klang nicht nach Trost, eher nach letzter Gelegenheit, wegzugehen.
„Ich war noch nie sicherer.“
Deren nickte. „Es ist machbar.“ Sie sagte das, als spräche sie über das Wetter. Dann hob sie doch die Augen, und in ihnen lag ein Hauch von Prüfung. „Es ist nicht billig.“
„Was kostet es?“
„Nicht Kosten,“ erwiderte Deren. „Schichten. Der Eintrag muss an mehrere Stellen ‚aufwachen‘, sonst reißt er beim ersten Transfer. Und er muss so gesetzt werden, dass keine automatische Rücksetzung greift, wenn irgendein Zuliefersystem noch den alten Datensatz pushen will. Das braucht… Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist rar.“
„Wie viel Aufmerksamkeit genau?“
Deren schob ihr ein Pad herüber. Kein Betrag, nur vier Felder mit neutralen Bezeichnungen: Expressrouting, Archivpflege, Signaturpflege, Verbundprüfung. Daneben Platz für Summen.
Geraldine fühlte den Impuls, sich zu empören, und ließ ihn vorbeiziehen wie ein Stück Weltraumschrott am Rumpf. „Expressrouting und Signaturpflege sind nicht verhandelbar,“ sagte sie ruhig. „Archivpflege – zur Hälfte. Verbundprüfung – voll.“
Ein Schatten von Respekt huschte über Derens Gesicht – oder Einbildung. „Zahlbar in drei Tranchen. Eine heute. Eine bei Vorabfreigabe. Eine bei Finalisierung.“
„Heute.“ Geraldine tippte die erste Summe ein. „Und ich möchte daneben stehen, wenn der erste Schritt passiert.“
Deren deutete auf einen zweiten Stuhl. „Dann setzen Sie sich.“
Die nächsten zwei Stunden waren das Gegenteil von dramatisch, und gerade darin lag die Spannung. Kein großer Hebel, kein geheimes Passwort, kein Zauberknopf. Nur Arbeit: Protokolle, Freischaltungen, biometische Abgleiche, die sie dreimal wiederholen musste, weil eines der Linsenpaare ihre Pupille im falschen Winkel las. Ein kurzer Abgleich der DNA-Signatur gegen den alten Kern – Deren kommentierte nichts, als der Wert sich grün färbte, sie scrollte einfach weiter. Zwischen ihnen lag nur das Tippen der Tasten und das leise Klicken der Bestätigungen, die sich anfühlten wie winzige Türen in einem Korridor ohne Fenster.
„Vorabfreigabe,“ sagte Deren irgendwann, so nüchtern, dass Geraldines Herzsprung sich komisch anhörte. „Zweite Tranche.“
Geraldine zahlte. Deren reichte ihr einen Beleg, der aussah, als wäre er für Staub gemacht. „Sie gehen jetzt nicht zur Tür raus,“ sagte sie, „Sie gehen durch den Seitengang, nehmen den Lift B, Deck 4, Schalter 12. Dort wird die Bestätigung generiert. Nicht fragen. Nur zeigen.“
„Und wenn—“
„Nicht fragen.“ Der Tonfall ließ keinen Widerspruch zu, weder wegen Härte noch wegen Freundlichkeit. Es war einfach der Tonfall von jemandem, der wusste, wie Dinge überleben.
Geraldine stand, steckte das Modul ein und ging durch den Seitengang. Lift B vibrierte, als sei dort nie jemand freiwillig gefahren. Deck 4 roch nach ozonfrischer Luft und Licht, das zu hell war. Schalter 12 wurde von einem Mann bedient, der aussah, als wäre er müde geboren worden.
„Name?“
„Geraldine Cailloux-Delaurent.“ Sie sprach ihn aus, als müsste sie ihn einmal durch den Raum legen, damit er dort bleibt.
Er ließ den Blick kurz auf ihr Gesicht springen, dann auf das Terminal. „Vorabfreigabe liegt vor. Bitte biometrische Bestätigung.“
Sie legte die Hand auf die Fläche. Ein kurzes Summen. Grün.
„Finalisierung in Arbeit.“ Er sagte es mechanisch, aber seine Finger wurden einen Hauch schneller. „Bitte warten Sie dort.“
Es gab keinen Stuhl, nur die Wand. Geraldine lehnte sich nicht an; sie blieb stehen, als hielte sie das Schiff auf Kurs. Die Minuten wurden zu einem dünnen Faden, und irgendwo am Ende glomm eine kleine LED, die niemand außer ihr bemerkte. Als sie erlosch, hob der Mann den Kopf.
„Prozess abgeschlossen.“
Der Ausdruck erschien, unscheinbar, als wäre er keiner. Er schob ihn unter der Plexiglasleiste hervor. Geraldine nahm ihn mit beiden Händen, obwohl dafür eine gereicht hätte. Das Papier war leicht und trug doch Gewicht. Oben stand es in gestochen klaren Zeichen:
Name: Geraldine Cailloux-Delaurent.
Kein Fanfarenstoß. Keine Tür, die aufsprang. Nur ihr Atem, der sich anders anfühlte.
„Danke,“ sagte sie, und war überrascht, wie rau ihre Stimme klang.
„Nächster,“ sagte der Mann, schon wieder in seiner Welt.
Sie trat beiseite, faltete das Dokument langsam, legte es in die Innentasche, dort, wo man gelegentlich die Hand hinlegt, wenn man wissen will, ob etwas noch da ist. Auf dem Weg zurück durch die Gänge spürte sie, wie der Carrier sie schon aus der Ferne „ansah“ – dieses merkwürdige Gefühl, dass ein Ort dich erkennt.
Zurück an Bord stand sie eine Weile in der Schleuse, ohne sich zu rühren. Dann ging sie in die Lounge, legte das Dokument auf den Tisch, nahm es wieder auf, als sie merkte, dass sie es nicht dort liegen lassen konnte. Ihr Com blinkte, als hätte es geahnt, dass sie jetzt bereit war.
„Amanda,“ sagte sie, als das Holo aufging. „Es ist geschafft.“
Amandas Gesicht erschien, dieses Mal mit einem echten, kleinen Lächeln, das langsam wurde, als sie es aussprach: „Geraldine Cailloux-Delaurent.“
„Ja.“
Amanda nickte einmal, knapp, und in dem Nicken lag so viel Anerkennung, dass Geraldine sie fast wie Wärme im Raum spürte. „Gut gemacht.“
„Deine Leute—“
„—haben getan, was sie konnten,“ unterbrach Amanda ruhig. „Den Rest hast du gemacht.“
Geraldine atmete aus. Es klang wie ein leises Lachen und wie ein Schluchzen zugleich. „Ich schulde dir was.“
„Du schuldest mir gar nichts,“ sagte Amanda. „Aber wenn du willst, bring beim nächsten Mal den besseren Kaffee mit.“
Das Holo brach in weiches Rauschen, und die Lounge war wieder nur die Lounge. Geraldine setzte sich, legte die Hand auf die Innentasche, spürte das dünne Papier unter dem Stoff. Es war nicht die Art von Sieg, die jubelt. Es war die andere – die, die bleibt.
Sie saß eine Weile so, ohne Ziel und ohne Eile. Dann stand sie auf. Sie hatte jemandem etwas mitzuteilen. Und vielleicht, nur vielleicht, war heute der erste Tag, an dem ihr eigener Name in den Fluren ihres Carriers so klang, als hätte er hier nie gefehlt.
Die Verkündung und die Feier
Die Lounge lag still, als das Holo aufflammte. Zwei Felder schoben sich in den Raum: Amanda in der schmalen Kanzel ihrer Fer-de-Lance, scharfkantiges Licht über den Wangen; Kathleen in einem hellen Zimmer, Regale im Hintergrund, der Blick weich und wach.
Geraldine legte das Dokument auf den Tisch. Die Projektion fing die Zeilen auf, klare Schrift schwebte zwischen ihnen: Geraldine Cailloux-Delaurent.
Niemand sprach sofort. Dann Amanda, leise, fest: „Sag’s noch mal.“
Geraldine spürte, wie ihr die Luft kurz stockte. „Geraldine Cailloux-Delaurent.“
Kathleen lächelte, und in ihrem Lächeln lag etwas, das den Raum wärmer machte. „Willkommen, Geraldine. Endlich stimmt die Welt mit dir überein.“
Amandas Mundwinkel zuckten, ein seltenes, kleines Zeichen. „Wurde Zeit.“ Sie hielt den Blick, und darin lag Stolz ohne Schmuck. „Gut gemacht.“
„Ohne euch …“ Geraldine brach ab. Der Rest stand zwischen ihnen. Sie räusperte sich. „Danke.“
Sie blieben noch einen Moment zusammen, tauschten Sätze, die normal klangen und doch Gewicht hatten: Was als Nächstes anstand, ob die Systeme den Eintrag sauber synchronisieren würden, wann man wieder fliegen wollte. Dann endete der Call. Amanda verabschiedete sich knapp, Kathleen winkte, die Projektion zerfiel in Licht, und die Lounge war wieder nur die Lounge – leer, still, mit einem Blatt in Geraldines Hand, das schwerer wog als jede Ausrüstung.
Die nächsten Tage ließ sie den Namen in die Gänge sickern. Kurze Missionen, Checks, Gespräche in der Werkstatt; jemand fragte nach einer Signatur, und sie sprach ihn laut aus, zum ersten Mal vor jemand anderem als einem Beamten. Er schmeckte ungewohnt und richtig zugleich. Als die Crew begann, ihn beiläufig zu sagen – ohne Fragezeichen, ohne Zögern – merkte sie, wie sich etwas in ihr setzte.
Der Ruf kam am Abend, über die Bordsprechanlage: „Kommandantin, bitte sofort in die Lounge. Es gibt eine Entscheidung.“ Rosies Stimme, geschäftig, ein Hauch Dringlichkeit. Geraldine strich die Jacke glatt und ging. Der Korridor war stiller als sonst. Sie dachte an Routen, an Frachten, an irgendein Problem, das einen Kopf brauchte.
Die Türen zur Lounge glitten auf, und die Welt kippte in Farbe.
Licht sprang an, warm und tief. Jemand hatte alte Ladungsnetze zu Bannern geflochten, darauf in groben Lettern ihr Name, mit einem Marker nachgezogen. Holo-Projektoren warfen fließende Muster an die Decke, auf dem langen Tisch standen Gläser und Dinge, die wie Gebäck aussahen, obwohl die Bordküche dafür nie ausgelegt gewesen war. Ein Chor aus Stimmen brach los, durcheinander und doch eins: „Auf Geraldine! Auf Cailloux-Delaurent!“
Sie blieb stehen. Für einen Herzschlag tat ihr Körper nichts. Dann brannte es zwischen den Rippen heiß und hell, und die Luft reichte nicht.
Amanda stand in der Mitte, nicht als Bild, sondern als Person, die Handschuhe in der Jackentasche, das Kinn gehoben, und hob ein Glas. „Auf Geraldine Cailloux-Delaurent,“ sagte sie, und die Crew antwortete mit einem Ruf, der die Wände vibrierte. Neben ihr flammte ein Holo auf – Kathleens Gesicht, live, das Licht weich, als wäre sie am selben Tisch.
„Ihr …“ begann Geraldine, und das Wort zerriss. Sie lachte, aber die Tränen waren schneller. Sie wischte sie nicht weg. „Ihr seid unmöglich.“
„Organisiert,“ korrigierte Amanda trocken, ohne den Blick abzuwenden. „Perfekt organisiert.“
„Und unerbittlich,“ fügte Kathleen hinzu, Heiterkeit in der Stimme. „Sie hat mir Checklisten geschickt. Drei. Für eine Überraschungsfeier.“ Sie zwinkerte. „Ich mag sie.“
„Es waren zwei Checklisten,“ sagte Amanda, und jetzt schimmerte tatsächlich ein Lächeln. „Die dritte waren Szenarien.“ Sie wandte sich an Geraldine und wurde wieder ernst. „Das hier passiert nicht jeden Tag. Also wollten wir, dass du es fühlst.“
Geraldine nickte, und das Zittern in ihrer Kehle machte den Kopf schwer. „Ich fühl’s.“
Die Crew drängte näher, gab ihr Gläser, legte Hände auf Schultern, sagte Sätze, die man nur einmal sagt. Rosie hatte aus einem alten Frachtlabel einen kleinen „Namensanhänger“ gebastelt und hielt ihn hoch, stolz wie ein Kind; jemand hatte eine Holo-Linse so programmiert, dass überall dort, wo der Raum „Geraldine“ hörte, ihr neuer Nachname kurz aufflackerte, wie ein Echo, das den Klang fängt. Jemand stellte eine Schale mit etwas auf den Tisch, das aussah wie Kuchen und schmeckte nach allem, was man an Bord zusammenkratzen konnte, wenn es wichtig war.
Amanda trat einen Schritt näher. „Ich habe dich kämpfen sehen,“ sagte sie leise, so dass nur Geraldine es hörte. „Und ich wollte, dass du an diesem Abend keine Türen aufdrücken musst.“
Geraldine musste lachen, heiser, und atmete ein, als hätte sie eben einen Sprung hinter sich. „Danke, dass du hier bist.“
„Wo sonst,“ erwiderte Amanda, und in dem Satz lag mehr als Ort.
„Und danke, Kathleen,“ sagte Geraldine in das Holo hinein. „Dass du …“ Sie suchte ein Wort, das nicht klein machte, was groß war. „…mit mir feierst.“
„Gern.“ Kathleen neigte den Kopf, und für einen Moment wirkte die Verbindung, als hätte sie Temperatur. „Ich kenne dich noch nicht lange. Aber lang genug, um zu wissen, dass dieser Name dir nicht gegeben wurde – du hast ihn dir zurückgeholt. Das verdient mehr als ein knappes Nicken.“
Amanda hob das Glas erneut. „Auf Entscheidungen, die bleiben.“ Ihre Stimme trug. „Auf den Namen, der schon immer deiner war. Und auf die Crew, die ihn mit dir trägt.“
„Auf euch,“ brachte Geraldine hervor, und weil die Tränen jetzt frei liefen, hob sie das Glas nur halb. Es reichte. Die Gläser stießen an, der Klang sprang durch den Raum, als hätte er darauf gewartet, genau diesen Moment zu finden.
Später, als die Musik weicher wurde und die Gespräche kleiner, stand Amanda mit Kathleen im Holo fast Schulter an Schulter, so nahe, wie es Licht erlaubte. Es war kein großes Gespräch, das sich in die Luft schrieb, eher ein leiser Strom: kurze Bemerkungen, die Treffer landeten; ein trockenes „Das war effizient“ von Amanda, ein warmes „Du überraschst mich“ von Kathleen; dazwischen Blicke, in denen ein unausgesprochenes Einverständnis wuchs – wir ziehen an demselben Strang. Geraldine stand einen Schritt entfernt und sah zu, wie zwischen den beiden etwas entstand, das kein Zufall war.
„Ihr zwei habt das zusammen gemacht,“ sagte sie, als sie wieder bei ihnen war, und die Stimme hatte wieder Boden.
„Wir sind ein gutes Team,“ antwortete Kathleen, ohne Pathos.
„Sie ist unverschämt gut im Vorausdenken,“ sagte Amanda, und das war bei ihr bereits ein Kompliment mit Schleife. „Und sie redet mit Leuten, als wären sie Menschen.“
„Du auch,“ entgegnete Kathleen, „nur schneller.“ Ein kurzer, echter, gemeinsamer Blick, in dem Humor und Respekt sich trafen.
Geraldine legte eine Hand auf Amandas Arm, die andere auf den Holo-Tisch, der Kathleens Gesicht trug. „Ich weiß nicht, wie ich das jemals wieder gutmachen soll.“
„Mach’s nicht gut,“ sagte Amanda. „Mach weiter.“
„Und heb dir ein Stück von dem Kuchen auf,“ ergänzte Kathleen. „Er schmeckt furchtbar. Aber er ist perfekt.“
Geraldine lachte, und es klang nach etwas, das man behalten kann. Die Crew sang schief ihren Namen, jemand setzte falsch ein, jemand anders korrigierte, und plötzlich war der Raum ein Chor, der sich selbst fand. Amanda sah zu, die Hände in den Taschen, die Schultern entspannt wie selten. Kathleen lehnte im Bildwinkel, das Kinn auf die Hand gestützt, als wollte sie die Szene speichern.
Es war keine große Festhalle, kein offizieller Akt. Es war besser. Es war ein Raum voller Menschen, die beschlossen hatten, dass ein Name nicht nur in Daten stehen sollte, sondern in Stimmen. Und als Geraldine den Kopf hob und die Luft holte, tat sie es, als hätte sie genau diesen Sauerstoff immer gebraucht.