
Danke für nichts
Man sagt, das erste Schiff vergisst man nie.
Geraldine hatte nicht vor, sich daran zu halten.
Die Sidewinder stand noch immer in Hangar 14-C, genau dort, wo sie sie nach der letzten Lieferung abgestellt hatte.
Schief, beleidigt, als hätte sie geahnt, dass das hier ihr Ende war.
Geraldine umrundete sie ein letztes Mal.
Die Schrammen an der Flanke, die verbeulte Einstiegsluke, das Schild mit der halb abgekratzten Seriennummer – all das wirkte jetzt nicht mehr charmant.
Nur noch müde.
„War nett mit dir“, murmelte sie.
„Also, vielleicht dreimal.“
Sie lehnte sich gegen die Außenhaut, klopfte leicht dagegen.
„Du hast mich fliegen lassen. Und du hast versucht, mich umzubringen.
Ich würd sagen, das ist ausgeglichen.“
Dann trat sie zurück, zog den Terminalstick aus der Tasche und begann den Verkaufsprozess.
Der Bildschirm fragte:
„Sind Sie sicher, dass Sie dieses Schiff verkaufen möchten?“
Sie zögerte. Einen Moment.
Dann tippte sie:
Ja, ich bin sicher
Das Terminal piepte. Die Daten wurden übertragen.
Mit einem letzten Summen wurde das Schiff entkoppelt.
Geraldine sah zu, wie die Hangarlichter über der Sidewinder langsam erloschen.
Zurück blieb nur ein leerer Platz und ein Systemkonto mit genug Credits, um etwas Neues zu kaufen –
oder wenigstens so zu tun, als wüsste sie, was sie tat.
Die Adder wirkte im Vergleich wie ein Aufstieg.
Größer. Breiter.
Immerhin Platz, um sich zu drehen, ohne sich den Ellbogen an einer Wand zu brechen.
„Na, du bist aber hässlich“, sagte sie beim ersten Anblick.
Und meinte es fast liebevoll.
Das Cockpit war nüchterner, das Layout logischer.
Die Anzeigen leuchteten stabil – ein Wunder.
Nur der Bordcomputer war offenbar noch auf einem Dialekt programmiert, den niemand verstand.
Sie musste dreimal bestätigen, dass sie wirklich der neue Eigentümer war, bevor das Schiff sie reinließ.
Sie ließ sich in den Sitz fallen, atmete einmal tief durch.
„Ein neuer Anfang“, murmelte sie.
Nicht aus Romantik. Nicht aus Hoffnung.
Nur nüchtern: neues Schiff, bessere Systeme – und diesmal keine Schulden.
Sie hatte sich die Adder ehrlich erflogen.
Mit durchgearbeiteten Nächten, Missionsmist und Stationen, die alle gleich rochen.
Das hier war ihrer.
Das erste Mal so richtig.
Sie lehnte sich zurück, sah durchs Frontglas in den Hangar hinaus.
„Na gut“, flüsterte sie. „Zeig mir, was du kannst.“
Trading? Ich hasse Menschen
Der Frachtraum der Adder roch nach Metall, Hitze – und einem Hauch von altem Fisch.
Geraldine war sich nicht sicher, ob das am letzten Frachteintrag lag oder am Frachterkapitän, der ihr den Job vermittelt hatte.
Irgendwas mit Katalysatoren. Oder Synth-Nahrung. Vielleicht auch beides.
Sie wollte es nicht wissen.
„Du willst was mit Volumen? Dann mach Handel“, hatte er gesagt.
„Mit ’nem Kampfschiff kommst du nicht weit, aber mit der Adder – das ist ein Arbeitstier.“
Geraldine hatte genickt. Nicht, weil sie überzeugt war, sondern weil sie keine Lust auf Diskussion hatte.
Menschen.
Allein der Gedanke, dass sie jetzt mit denen verhandeln musste, um weiterzukommen, ließ sie innerlich zucken.
Sie programmierte die Handelsrouten, grob kalkuliert, was sich wo lohnen könnte – Synth-Fasern hier, Gewebeproben da, irgendwas mit organischen Filtern nach Orerve.
Sie flog. Ließ sich ausladen. Fluchte über Verzögerungen.
Sie lud neu. Nächste Station. Weiter.
Noch auf dem Weg zur dritten Lieferung ploppte eine Benachrichtigung auf:
Pilotenrang aktualisiert: Ziemlich mittellos
Geraldine starrte auf den Eintrag.
„Wow. Danke für nichts.“
Sie grinste.
Der Rang klang wie ein offizielles Urteil über ihr Leben.
Commander Geraldine Callen: arm, aber fliegend.
Immerhin stimmte das zweite.
Ein paar Tage später:
Rang: Händler – Kleinkrämer
Dann:
Rang: Händler – Händler
Jeder dieser Aufstiege kam still, leise – als würde das System flüstern:
Schön, dass du’s nicht ganz verkackt hast. Noch nicht.
Sie begann, ihre Routen zu optimieren, experimentierte mit Schwarzmarktwaren, hatte irgendwann drei Frachttypen gleichzeitig an Bord – und natürlich vergaß sie, für welchen Auftrag was gedacht war.
Einmal lieferte sie versehentlich kybernetische Ersatzteile an eine Forschungsstation, die eigentlich nur biologische Proben bestellt hatte.
Der Typ an der Ladeklappe war kurz davor, sie zu erschießen.
Sie rettete sich mit einem Kommentar über ineffiziente Lieferketten.
Später lachte sie darüber.
Kurz.
Die Adder hielt durch.
Sie nicht immer.
Nachts fiel sie manchmal einfach auf die Liege, Uniform noch halb an, starrte an die Decke und fragte sich, ob das hier ein Plan war oder einfach nur Bewegung.
Aber die Zahlen stimmten.
Ihr Konto wurde stabiler.
Die Reparaturzyklen seltener.
Sie war – objektiv gesehen – auf dem Weg nach oben.
Nur fühlte es sich nicht so an.
Die Adder war… okay.
Sie mochte sie.
Aber da war wieder dieses Gefühl.
Wenig Platz. Kaum Erweiterungsmöglichkeiten. Und jedes Mal, wenn sie ihren Blick nach hinten wandte, sah sie nur Technik – nie Raum.
Ein paar Stationen später saß sie an einem dieser versifften Missionscounter, als ein anderer Pilot beiläufig sagte:
„Wenn du die großen Jungs beeindrucken willst, brauchst du was mit Ladefläche.
Mit der Adder kannst du vielleicht Kisten stapeln – aber keine Karriere.“
Geraldine lachte.
Aber irgendwo innen traf es.
Weil sie’s schon gedacht hatte, bevor er’s sagte.
Du kommst hier rein – aber nicht einfach so
Die Bar auf Darnielle’s Progress war nicht wirklich eine Bar.
Eher ein Flur mit Lichtern, die vorgaben, stimmungsvoll zu sein.
Die Sitzflächen waren aus Kunststoff, der bei jeder Bewegung leise knirschte.
Aber sie hatten echten Alkohol. Angeblich.
Und das reichte.
Geraldine saß am Rand, die Füße auf einer leeren Versorgungsbox, ein Glas mit irgendwas in der Hand, das wie Whiskey aussah, aber nach Lösungsmittel roch.
Sie hörte nur halb zu, was der Typ gegenüber erzählte.
Ein Frachterpilot, Typ „Ich hab alles gesehen“ mit Schmauchspuren an den Ärmeln und dem Ego eines Planeten.
„…und dann hab ich den ganzen Mist nach Ugrivir gezogen, ohne FSD-Upgrade, verstehste?“, lallte er.
„Du bist doch jetzt auch draußen, oder? Freigeschaltet? Kein Lave-Kindergarten mehr?“
Geraldine hob eine Augenbraue.
„Anscheinend. Keine Ahnung, woher die das wissen, aber das System meinte plötzlich: ‚Commander Callen, Sie dürfen jetzt ernst genommen werden.'“
Sie trank.
„Ich glaub, ich hab gelacht.“
Der Frachtertyp lachte mit, als wär’s sein Witz gewesen.
Du darfst raus
Was sich anfühlte wie Freiheit, war in Wirklichkeit nur die Erlaubnis, weiter weg zu scheitern.
Andere Systeme. Mehr Wege, verloren zu gehen.
Geraldine sah nachdenklich in ihr Glas.
Vielleicht ist das genau das, was ich will.
Später, beim zweiten Drink – oder war’s der dritte? – setzte sich jemand anderes neben sie.
Eine Frau, vielleicht Mitte vierzig, Pilotenkombi, kein Schnickschnack.
Nur eine dieser Stimmen, die klingen, als hätten sie schon Dinge gesagt, bei denen jemand gestorben ist.
„Du bist Callen, richtig? Die mit der Adder.“
Geraldine drehte leicht den Kopf.
„Kommt drauf an, wer fragt.“
Die Frau grinste schief.
„Nur jemand, der die Systeme liest.
Man sieht, wer sich bewegt. Und du bewegst dich. Schnell. Zu schnell.“
Geraldine lehnte sich zurück.
„Wenn du ’nen Antrag hast, spar’s dir. Ich steh nicht auf Kontrollfreaks.“
„Ich steh nicht auf Amateure“, sagte die Frau trocken.
„Aber bei dir wär ich fast bereit, eine Ausnahme zu machen.“
Pause.
„Hast du schon von den Ingenieuren gehört?“
Geraldines Blick wurde schmal.
„Klingt wie eine Sekte. Oder ein geheimer Club.“
„Kommt hin“, sagte die Frau. „Nur dass du da nicht einfach reinspazierst.
Die wollen Dinge. Ruf. Daten. Proben. Oder dass du jemandem den Arsch rettest.
Kommt drauf an.“
Geraldine schwieg.
„Aber wenn du reinwillst, fängst du besser jetzt an, dich drum zu kümmern.
Bevor dein Schiff merkt, dass du’s überforderst.“
Dann stand sie auf, nippte an ihrem Drink, nickte ihr zu – und verschwand.
Geraldine blieb zurück.
Mit einer halbleeren Adder.
Einer langen Liste von Dingen, die sie nicht hatte.
Und einer Frage, die langsam in ihr gährte:
Wie viele Systeme muss ich durchfliegen, bis mich einer wirklich reinlässt?
Ich will fliegen, kein Bewerbungsgespräch führen
Geraldine saß auf der Klappe ihrer Adder und starrte auf das Terminal vor ihr.
Das Licht der Station flackerte leicht. Nicht aus Strommangel – aus Prinzip, wie es schien.
Sie hatte sich eine Tasse Synth-Kaffee besorgt, ein paar Frachtpreise gecheckt – und dann die Entdeckung gemacht.
Es reicht nicht.
Ihr Sprungantrieb war solide.
Aber er reichte nicht mehr.
Zwei neue Handelsrouten waren aufgetaucht – Systeme mit guten Preisen, aber zu weit entfernt.
Sie hatte alles versucht: Tank voll, Ladung raus, sogar die Lebenserhaltung runtergedreht.
Nichts half.
Sie brauchte mehr Reichweite.
Und damit fing das Elend an.
Im Missionsbereich der Station hatte jemand ein altes Aushangpanel freigeräumt.
Darauf: ein halbgrauer Flyer mit dem Titel
„Zugang zu Ingenieuren – Grundlagen für Weitreisende“
Geraldine las skeptisch.
Dann nochmal.
Dann lachte sie.
Kein gutes Lachen.
„Felicity Farseer – Spezialisiert auf Frame Shift Drive. Explorerin, Eigenbrötlerin. Zugang über Empfehlung oder durch Lieferung technischer Daten.“
„Elvira Martuuk – Fokus auf FSD, Schilde, Energieverteilung. Zugang nur bei Ruf in wissenschaftlichen Kreisen oder durch empfohlene Kontakte.“
Geraldine runzelte die Stirn.
„Zugangsvoraussetzungen: u. a. 1000 Lichtjahre Erkundungsdaten. Mindestens. Und das ist die Einsteigerin.“
Sie trank einen Schluck.
Der Kaffee war kalt.
„Modifikation auf Stufe 1 bis 5 – abhängig von Ruf, gelieferten Materialien und Bereitschaft, die Galaxis wie ein Paketbote abzuklappern.“
Dann kam der nächste Absatz.
„Benötigte Materialien: u. a. atypische Kühlkörper, elektromagnetische Emissionen, verdichtetes Delta-Phasenmetall, Datenbruch-Protokolle„
Geraldine starrte den Text an.
Lang.
Leise.
Dann sagte sie:
„Was zum Geier ist Delta-Phasenmetall – und warum klingt es wie eine Todesursache?“
Sie lehnte sich zurück.
Das Terminal ließ sich Zeit beim Scrollen.
Oder sie beim Verarbeiten.
Farseer. Martuuk. Zwei Namen, die offenbar alles veränderten.
Sie waren der Schlüssel, wenn sie rauswollte. Weiter als jetzt.
Richtig raus.
Aber der Schlüssel war versteckt hinter einer Wand aus Anforderungen.
Ruf. Materialien. Daten.
Und irgendwo zwischen all dem: sie, mit ihrer Adder, ein bisschen zu groß für Lave, ein bisschen zu klein für die Galaxie.
Geraldine leerte den Rest der Tasse, stellte sie neben sich und murmelte:
„Ich will fliegen. Kein Bewerbungsgespräch führen.“
Kein Zuhause mehr
Der Hangar war still.
Die Art von still, die bleibt, wenn etwas vorbei ist – aber noch keiner weiß, was kommt.
Die Adder stand da wie immer – schief, trotzig, voller Geschichte.
Geraldine trat näher, sah sie an, als würde sie einen alten Streit beenden, ohne ihn je geführt zu haben.
Sie fuhr mit den Fingern über die Einstiegsluke.
Ein Kratzer, den sie nie auspolierte.
Ein Abdruck ihrer Schuhe im Lack.
Im Inneren: leere Halterungen, ein ausgebranntes Panel, ein Sitz, der ihren Rücken kannte.
Sie atmete einmal tief durch.
Dieses Schiff hat mich getragen.
Aber nicht mehr weiter.
Sie trat zurück.
Die Klappe fuhr zu.
Langsam. Schwer.
Kein Abschiedston, kein Symbol. Nur Technik, die abschließt.
Das Terminal wartete.
„Verkauf bestätigen: Adder – Seriennummer 9XC-2148-EL.“
Geraldine tippte den Code ein.
Kein Zögern. Nur Klarheit.
Ein kurzer Piepton. Dann Stille.
Sie blieb noch einen Moment stehen.
Sah auf den leeren Platz, der zurückblieb.
Und ging.
Die Adder war Geschichte.
Verkauft, ohne Tränen, nur mit einem stillen „Viel Spaß damit“ an den neuen Besitzer.
Ich brauchte mehr Platz – und einen Grund, nicht jeden zweiten Flug an der Frachttür zu kleben.
Die Lösung stand im Dock vor mir: ein T6.
Breit wie ein Schrank, unbeeindruckt von jedem Kratzer.
„Okay, Großer. Zeig mir, wie man arbeitet.“