
Der erste Sprung
Die Kommandobrücke des Carriers lag in gedämpftem Licht, als die Sprungantriebe erwachten. Ein tiefes Vibrieren kroch durch das Metall, kaum hörbar, aber spürbar in den Blicken der Crew. Jeder wusste, was dieser Moment bedeutete: Es war nicht einfach der nächste Flugauftrag. Es war der Beginn einer Reise, die sie alle aus der Bubble hinausführen würde – in ein fernes Ziel, das viele nur aus Geschichten kannten: Colonia.
Geraldine stand vorn am Geländer, die Augen auf den zentralen Projektionsschirm gerichtet. Ein Gitter aus Navigationsdaten spannte sich wie ein Sternenatlas über die Brücke. Sie spürte das Kribbeln im Magen, das sie immer kurz vor einem Sprung überkam – doch diesmal war es stärker. Feierlich. Schwerer. Als hätte sich das Universum selbst in den Sekunden vor dem Bruch in etwas Neues verwandelt.
„Countdown erreicht… fünf, vier, drei…“ Die Stimme des Navigationsoffiziers war sachlich, beinahe beiläufig.
Doch als das Schiff ruckte, die Realität selbst ins Zittern geriet und die Sterne wie Funken auseinandergerissen wurden, hielt jeder auf der Brücke unwillkürlich den Atem an.
Das erste Mal. Der erste Sprung.
Für einen Herzschlag lang schien alles stillzustehen – dann explodierte das All in neuer Ordnung. Die Sterne sortierten sich, der Projektionsschirm flutete die Brücke mit Daten. Der Carrier hing im Raum wie ein träger Titan, und doch fühlte es sich an, als hätte er die Dimensionen selbst durchstoßen.
Niemand applaudierte, niemand jubelte. Nur diese Stille, dieses ehrfürchtige Schweigen. Geraldine atmete langsam aus. Es ist wirklich passiert.
Neben ihr trat Holland Ratliff vor. Sie war eine Frau von stiller Präsenz, kaum größer als Geraldine, das dunkelbraune Haar streng im Nacken zusammengefasst. Ihre grünbraunen Augen wirkten, als läsen sie ununterbrochen unsichtbare Datenkolonnen. Sie sprach nicht viel, und wenn doch, dann präzise wie ein Wartungsprotokoll.
„Sprungantrieb vollständig stabilisiert,“ meldete Holland knapp. „Tritiumfluss bei 98 Prozent, keine Abweichungen.“
Geraldine nickte. „Gut. Halten wir’s so.“
Für Holland war es damit erledigt. Ein kurzes, kaum wahrnehmbares Zucken um den Mundwinkel, dann verschwand sie wieder zu den Konsolen. Geraldine aber spürte den Nachhall, der in der Luft hing: Dies war mehr als nur ein Sprung. Es war Aufbruch.
Sie löste die Hände vom Geländer, verließ die Brücke und durchquerte die metallenen Korridore. Die vertraute Stille der Andocksektion empfing sie, gedämpft nur vom gleichmäßigen Summen der Systeme. Ihre Anaconda stand dort, glänzend im künstlichen Licht, riesig und doch so vertraut wie eine zweite Haut.
Geraldine berührte flüchtig die Außenhülle, bevor sie die Rampe hinaufstieg. Es war ein alter Reflex, fast wie eine Begrüßung. Dann glitt sie in den Pilotensitz, ließ die Systeme hochfahren und spürte, wie sich das Schiff unter ihren Fingern zum Leben regte.
Der Carrier würde den Sprung machen, egal was sie tat – doch Geraldine brauchte Bewegung. Die Anaconda war ihre Möglichkeit, vorauszufliegen, die Systeme zu scannen, sich das Unbekannte zuerst anzusehen. Während der Koloss Zeit brauchte, um sich neu zu fassen, war sie bereits draußen, frei, einen Atemzug näher an den Sternen.
„Anaconda bereit zum Abdocken,“ murmelte sie ins Funknetz, auch wenn niemand sie kontrollierte. Die Dockklammern lösten, und das Schiff schwebte hinaus ins All.
Hinter ihr blieb der Carrier zurück, ein träger, gewaltiger Schatten, dessen Masse man fast fühlen konnte. Vor ihr aber lag der offene Raum – ungebremst, voller Versprechen. Sie schob den Schubregler nach vorn, und die Anaconda reagierte sofort, geschmeidig, als wollte sie zeigen, dass sie für diese Reise geboren war.
Die Scanner erwachten. Linien, Spektren, Datenfluten überzogen die Displays.
Ein violetter Nebel schwebte über der Oberfläche eines fernen Planeten, wie ein Atemzug, der nie verging.
Ein Gasriese spannte seine Ringe in den Raum, funkelnd wie Millionen von Glassplittern, die sich endlos umeinander drehten.
Und weiter draußen brannte ein weißer Zwerg, kalt, unbarmherzig, sein Licht schnitt jede Farbe aus der Schwärze.
Geraldine lehnte sich zurück, ließ die Eindrücke wirken. Jeder Sprung brachte solche Wunder, und doch fühlte es sich diesmal anders an – größer, endgültiger.
Ihre Gedanken drifteten zu Amanda.
Sie könnte gerade alles Mögliche tun.
Vielleicht saß sie in einer Bar, ein Glas halb geleert, das selbstsichere Lächeln wie immer. Vielleicht flog sie ein Gefecht, die Hände ruhig am Steuer, während draußen die Welt brannte. Vielleicht schlief sie einfach irgendwo, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, völlig frei von Sorgen.
Der Gedanke begleitete Geraldine wie ein Echo. Er wärmte – und stach zugleich.
Sie schloss für einen Moment die Augen, lauschte nur dem Summen der Systeme. Dann sah sie hinaus in die endlose Schwärze, die jetzt nicht mehr nur Leere war, sondern ein Weg.
Die Reise hatte begonnen.
Fast ohne Treibstoff
Die ersten Sprünge liefen reibungslos. Geraldine hatte sich bereits in den Rhythmus eingefunden: Scans, Logbuchnotizen, kurze Überprüfungen der Anzeigen. Doch nach der siebten Route flackerte plötzlich ein gelbes Warnsymbol auf.
Sie starrte auf die Treibstoffanzeige. Der Balken war weiter gesunken, als er sollte. Noch zwei, maximal drei Sprünge – dann würde sie im Nichts hängen.
„Verdammt.“ Geraldine zoomte die Galaxiekarte heran, suchte nach dem Fehler. Da war er: Ein falsch gesetzter Haken in der Routenplanung. Winzig, kaum sichtbar – und doch mit enormer Wirkung. Ein Stern zu weit, ein Segment ohne scoopbaren Stern. Sie hätte es sehen müssen.
„Admiral, hm?“ murmelte sie bitter. „Vielleicht sollte ich wieder Kadett werden.“
Die Anaconda bestätigte ihre Selbsterkenntnis mit einem unheilvollen Ping. Fuel critically low. Das Display wechselte von Gelb auf Rot, und ein roter Balken blinkte im Rhythmus ihres Herzschlags.
Für Sekunden starrte Geraldine einfach nur auf die Anzeigen. Ihr Kopf rechnete hektisch: Restmenge, Distanz zur nächsten Station, Möglichkeit, den Carrier rufen zu lassen. Aber der Carrier brauchte Zeit, und wenn er im Leeren ankam, konnte er ihr auch nicht helfen. Holland würde sie vermutlich mit einem einzigen Blick in Stücke zerlegen.
Sie schüttelte den Kopf. „Keine Option.“
Die Scanner jagten durch das System. Kein scoopbarer Stern, kein Gasriese, nichts, was ihr Tanks füllen konnte. Nur tote Felsen und eine Schwärze, die zu nah rückte. Doch am Rand der Karte tauchte ein Symbol auf: eine kleine Tankstelle auf einem Mond, offiziell kaum registriert, eher eine Relaisstation als eine vollwertige Basis.
„Besser als nichts.“
Sie warf die Anaconda in den nächsten Sprung. Das Schiff rüttelte, der Antrieb sang, und der Balken sank ein weiteres Stück. Mit jeder Lichtsekunde, die sie zurücklegte, knabberte die Uhr am Resttreibstoff. Ein einziger Fehler – und sie würde in den Weiten gestrandet sein.
So fühlt sich also Leichtsinn an.
Ihre Gedanken wanderten unweigerlich zu Amanda.
Sie würde mir was husten, wenn sie das wüsste. Geraldine konnte sie fast hören: ein spöttischer Kommentar, ein hochgezogener Augenbrauenbogen. „Admiral? Wirklich? Dann lerne mal rechnen, Süße.“ Der Gedanke tat weh – und brachte sie gleichzeitig zum Schmunzeln.
Der letzte Sprung kam. Geraldine verkrampfte die Finger um den Steuerknüppel, als könne sie das Schiff mit Willenskraft noch ein Stück tragen. Ein Ruck, ein Aufblitzen – dann fiel die Anaconda aus dem Tunnel, und vor ihr hing die Station im Raum: klein, rostig, kaum mehr als ein Tank mit Antennen.
Sie atmete hörbar aus. „Da bist du ja.“
„Hier Anaconda „Ashley“, bitte um sofortige Docking-Erlaubnis. Treibstoff kritisch.“
Es knackte im Funk, dann meldete sich eine Stimme, so träge wie ein Montagmorgen.
„Docking erteilt. Bay 03. Beeilen Sie sich – wir schließen die Tanks um Mitternacht Standardzeit.“
Geraldine verzog das Gesicht. „Herzlichen Dank auch.“ Sie drückte den Schubregler vorsichtig nach vorn.
Die Landeplattform ächzte, als sie aufsetzte, als würde sie das Gewicht widerwillig tragen. Kurz darauf klinkten sich die Versorgungsleitungen an. Ein dumpfes Zischen ging durch den Rumpf, während der Tank gefüllt wurde.
„Wie viel brauchen Sie?“ fragte der Stationsmeister.
„Alles. Volltanken.“
„Alles?“ Ein kurzes, ungläubiges Lachen. „Sie waren ja wirklich leer.“
Minuten vergingen, das monotone Rauschen der Pumpen füllte die Kabine. Geraldine schloss die Augen, legte den Kopf gegen die Lehne und fühlte, wie die Anspannung langsam nachließ.
Dann kam die Meldung: Treibstofftanks gefüllt – 100 %.
„Übertragung abgeschlossen,“ knarzte die Stimme über Funk. „Das macht 2.400 Credits.“
„Bestätigt. Vielen Dank, Commander.“ Geraldine zögerte kurz, dann fügte sie trocken hinzu: „Admiral, genau genommen.“
Ein Moment der Stille. Dann ein Schnauben.
„Admiral, hm? Dann sollten Sie vielleicht besser rechnen können.“
Geraldine lachte. Ein ehrliches, erschöpftes Lachen, das sich im engen Cockpit breitmachte. Sie überwies die Credits, löste die Leitungen und sah zu, wie die Tankstation kleiner wurde, als sie wieder ins All abhob.
Noch einmal gut gegangen. Doch sie wusste: Das Universum würde ihr noch viele solcher Prüfungen stellen.
Highway-Stop und die Guardian-Geschichte
Die Station war klein, kaum mehr als ein Knotenpunkt am Highway. Ein paar Landeplätze, ein Frachtring, eine Bar mit abgewetztem Bodenbelag – praktisch, aber unscheinbar. Geraldine hatte eigentlich nur einen längeren Halt eingeplant: Vorräte auffüllen, Systeme durchsehen, vielleicht fünf Minuten Ruhe, bevor der Carrier nachgezogen hatte.
Sie ließ die Anaconda im Hangar zurück, streifte den Helm ab und ging in die Taverne. Der Geruch von recyceltem Kaffee und billigem Synth-Ale hing in der Luft. Zwei Händler stritten am Nebentisch über Frachtpreise, ein müder Techniker döste mit halb leeren Augen über seinem Pad.
Geraldine bestellte sich einen Kaffee – schwarz, ohne Zusätze. Sie wollte einfach nur sitzen, die Hände um etwas Warmes legen und für einen Moment das Summen der Systeme vergessen.
„Neu auf dem Highway?“ Die Stimme klang heiser, aber ruhig.
Geraldine drehte sich. Ein Mann hatte sich zu ihr gesetzt, das Gesicht von Falten und Narben gezeichnet, die nicht von Kämpfen, sondern von Jahren in zu trockener Luft stammten. Sein Anzug war alt, an den Nähten nachgeflickt, die Stiefel verstaubt, als hätte er mehr Monde als Stationen betreten.
„Vielleicht,“ antwortete sie vorsichtig. „Sieht man mir das an?“
Er lächelte schwach. „Man hört’s am Schweigen. Wer lange genug draußen war, redet anders.“
Er nippte an seinem Glas, das mehr nach Reinigungsmittel als nach Alkohol roch, und begann zu erzählen – nicht wie jemand, der prahlt, sondern wie jemand, der einfach eine Erinnerung teilt.
Von einer Expedition sprach er, die ihn weit abseits des Highways geführt hatte. Zu Strukturen, die nicht menschlich waren. „Die Guardians,“ sagte er leise, und der Name hing in der Luft wie etwas, das man besser nicht aussprach.
Er beschrieb die Ruinen: gewaltige Hallen aus Stein und Metall, halb versunken in Sand und Zeit. Muster, die sich bewegten, als würden sie atmen. Maschinen, die längst niemand mehr bedienen konnte – und doch noch arbeiteten, stumm, unaufhaltsam. „Manchmal hörst du sie,“ sagte er. „Ein Summen, das nicht von dieser Welt ist. Als hätten sie nie aufgehört, zu warten.“
Geraldine hörte gebannt zu. Der Kaffee in ihrer Hand wurde kalt, ohne dass sie es bemerkte. Sie hatte nur fünf Minuten Ruhe gewollt – und jetzt saß sie da, als hätte jemand die Tür zu einer ganz anderen Galaxie aufgestoßen.
„Warum sollte ich da hin?“ fragte sie schließlich.
Der Explorer lächelte, und in seinem Blick lag keine Spur von Übertreibung. „Weil die Technologie, die dort ruht, Schiffe verändert. Waffen, Antriebe, Energieflüsse – alles. Guardian-Tech macht dich stärker, schneller, unabhängiger.“
Er tippte ein paar Koordinaten in sein Pad, schob es ihr über den Tisch. „Hier. Ein Ort, den du erreichen kannst. Wenn du willst.“
Geraldine zögerte, dann übertrug sie die Daten auf ihr eigenes Gerät. Sie wusste nicht, ob sie diese Koordinaten je nutzen würde. Aber der Gedanke setzte sich fest – wie ein Splitter, der nicht mehr herausgeht.
Sie sah noch einmal zu dem Mann. Seine Stimme hatte nach Tausenden Lichtjahren geklungen, und sie glaubte ihm jedes Wort.
Als sie später die Taverne verließ, spürte sie das Gewicht der Daten in ihrer Tasche. Amanda, Colonia, die Reise – alles lag weiter klar vor ihr. Und doch war da plötzlich ein neuer Schatten, eine Möglichkeit, die alles verändern könnte.
Ein völlig neuer Zweig ihrer Reise.
Unerwartete Hilfe
Das All wirkte friedlich, als Geraldine aus dem Sprung fiel. Ein leuchtender Stern brannte in der Ferne, die Ringe eines Gasriesen warfen silbrige Schatten, und für einen Moment schien die Reise einfach nur still und geordnet.
Doch dann knackte der Funkkanal.
„—Hier Explorer-Konvoi Vega, hört uns jemand? … verdammt, noch eine Schleife… wir brauchen dringend Unterstützung.“
Geraldine richtete die Antennen aus. Drei Schiffe, nicht weit entfernt, trieben mit gedrosselten Signaturen durchs System. Ein Konvoi – zwei Asp Explorer und eine Krait Phantom. Die Anzeigen meldeten Triebwerksstörungen, Energie im roten Bereich.
„Hier Anaconda [Name],“ gab Geraldine zurück. „Empfangen. Was ist passiert?“
Eine raue Stimme antwortete, gepresst und genervt: „FSD-Schaden nach einem Überhitzungsfehler. Wir können nicht weiter, ohne Ersatzteile. Station ist vier Sprünge entfernt, aber wir hängen hier fest.“
Geraldine atmete tief ein. Noch ein Umweg. Noch mehr Zeit. Aber sie sah die drei Signale blinken – im Nirgendwo, ohne Chance, allein weiterzukommen.
„Verstanden. Ich sehe, was ich tun kann.“
Die nächsten Stunden verliefen in einem Rhythmus aus Fliegen, Sammeln, Scannen. Geraldine sprang zu einer nahen Station, organisierte Module und Reparaturpakete, während die Explorer ihr über Funk Gesellschaft leisteten.
„Weißt du,“ knurrte einer, „wir wollten eigentlich nur einen Abstecher machen, ein paar Systeme loggen. Jetzt sitzen wir hier wie Kadetten auf ihrem ersten Schulflug.“
Ein anderer lachte. „Immerhin haben wir einen Admiral erwischt, der uns rausboxt.“
Geraldine grinste schmal. „Erzählt das bloß nicht weiter. Sonst glaubt noch jemand, ich hätte nichts Besseres zu tun.“
Zwischen den technischen Koordinaten schlichen sich Geschichten in den Funkverkehr. Einer berichtete von einer Wolkenformation nahe Barnard’s Loop, die wie eine schlafende Riesenhand gewirkt hatte. Ein anderer schwärmte von einem Planeten mit einem Ozean aus flüssigem Methan, so ruhig, dass er aussah wie schwarzer Samt.
Und dann meldete sich die dritte Stimme – eine Frau, älter als die anderen, ruhig, von dieser Art Gelassenheit, die Jahrzehnte im All hervorbringen.
„Ich bin vor vielen Jahren nach Colonia gezogen,“ erzählte sie. „Damals war’s noch härter. Weniger Stationen, weniger Schiffe. Aber es war Freiheit. Du kommst an, und alles fühlt sich … neu an. Keine Bubble-Politik, keine alten Schatten. Nur das, was du selbst mitbringst.“
Geraldine schwieg, hörte zu.
„Lass dir eins sagen,“ fuhr die Frau fort, „Colonia ist kein Ort, an dem du einfach nur ankommst. Es ist ein Spiegel. Alles, was du von dir mitbringst, holt dich dort ein. Aber du hast Raum, damit zu leben. Das ist der Unterschied.“
„Wie ist Ihr Name?“ fragte Geraldine schließlich.
Eine kleine Pause, dann: „Elena Solari.“
Geraldine lehnte sich zurück, während die Reparaturdrohnen die Teile einsetzten. Die Worte trafen tiefer, als sie erwartet hätte. Ein Spiegel. Ja – vielleicht war es das, was sie suchte.
Am Ende meldeten die Explorer grünes Licht. Triebwerke stabil, FSD wieder einsatzbereit. Dankesmeldungen fluteten den Funk.
„Du hast uns ein paar Wochen Reise gerettet,“ meinte der Anführer.
„Ich hab nur ein paar Stunden verloren,“ entgegnete Geraldine nüchtern.
Doch als die Schiffe abdockten und ihre Sprungvektoren setzten, blieb ihr die Stimme der älteren Pilotin im Kopf.
Ein Spiegel.
Die letzten Sprünge
Die Tage vergingen in Sprüngen.
Ein Sprung, ein neuer Stern. Ein Sprung, ein weiterer Zwischenstopp. Geraldine flog voraus, scannte Systeme, zeichnete Daten auf, während der Carrier gemächlich hinterherzog. Immer dasselbe Muster – und doch nie gleich.
Manchmal war es nur ein einzelner Felsen, karg und einsam, der für einen Moment in ihrem Cockpitfenster aufleuchtete. Manchmal ganze Planetensysteme mit Ringen, die wie geschliffenes Glas im Licht funkelten. Sie nahm sich die Freiheit, hier und da den Kurs leicht zu verlangsamen, der Crew ein paar zusätzliche Scans mitzuschicken, während sie selbst einen Atemzug länger bei einem Gasriesen verweilte.
Die Wochen verschmolzen zu einem Strom aus Sternen und Zahlen. Im Funk summten Routinemeldungen, gelegentlich ein Scherz, manchmal das Schweigen von Stunden. Geraldine begann, diesen Rhythmus zu lieben – er ließ sie vergessen, wie weit sie von allem weg war, und gleichzeitig spüren, dass sie unterwegs war.
Eines Abends – wenn man im All überhaupt von Abend sprechen konnte – flog sie voraus in ein System, das sie innehalten ließ. Zwei Sonnen, ein binäres Paar, standen wie tanzende Zwillinge im Herzen eines violetten Nebels. Ihr Licht brach sich im Staub, tauchte alles in Schattierungen aus Purpur und Silber. Für einen Moment wirkte es, als hätte das Universum selbst kurz die Schönheit zur Pflicht erhoben.
Geraldine speicherte die Aufzeichnung. Das hier zeige ich Amanda, dachte sie, und allein der Gedanke brachte ein Ziehen in ihre Brust.
Später, als sie ihre Route berechnete, meldete sich das Funkgerät. Ein vertrauter Ruf: Amanda.
„Na, Admiral. Lebt ihr noch, oder seid ihr längst Staub?“
Geraldine lachte leise. „Noch kein Staub. Wir sind fast da. Du würdest das hier lieben.“
Eine Pause am anderen Ende. Man hörte fast, wie Amanda ein Lächeln unterdrückte. „Vielleicht irgendwann. Pass nur auf dich auf. Colonia ist nicht weniger gefährlich, nur weil’s hübsch aussieht.“
Geraldine wollte noch etwas sagen – irgendetwas, das Gewicht hatte. Doch die Verbindung knackte, brach ab, und sie blieb allein mit dem Rauschen.
Der letzte Sprung kam schneller, als sie gedacht hatte. Diesmal blieb sie im Carrier. Holland meldete nüchtern die Systeme, die Crew verteilte sich in der Lounge, ein paar hielten Getränke in der Hand, andere standen schweigend am Panoramafenster.
Geraldine gesellte sich dazu. Kein Jubel, keine ausgelassene Freude. Es war eine stille Feier, getragen von der Gewissheit, dass sie etwas geschafft hatten, was größer war als jeder einzelne von ihnen.
„Countdown läuft,“ meldete Holland.
Das vertraute Beben durchlief den Carrier. Ein letztes Mal stürzte das Schiff ins Unwirkliche – und tauchte wieder auf.
Vor ihnen breitete sich Colonia aus. Stationen glühten wie Sterne, Handelsrouten zogen sich wie feine Linien durch die Dunkelheit. Es war kleiner als die Bubble, leiser – und doch strahlte es eine Kraft aus, die Geraldine sofort spürte.
Sie stand allein an der Panoramascheibe. Das Glas spiegelte ihr Gesicht – müde, aber entschlossen. Hinter ihr summte leises Gespräch, das Klirren von Gläsern.
Amanda war nicht da. Dieser Gedanke legte sich wie ein Schatten in ihren Gedanken. Aber er machte den Moment nicht kleiner. Er machte ihn nur… unvollständig.
„Colonia,“ flüsterte Geraldine, fast unhörbar.
Es fühlte sich an wie das Ende einer Reise. Und gleichzeitig wie der Anfang einer ganz neuen.
Später, als die Stimmen der Crew verklungen waren und nur noch das Summen der Systeme blieb, saß Geraldine allein in ihrer Kabine. Das Pad lag in ihrer Hand, die Sternkarten flimmerten über das Display. Zwischen all den Kursaufzeichnungen blinkte ein unscheinbarer Eintrag: die Koordinaten, die ihr der Fremde gegeben hatte. Guardian-Ruinen, irgendwo im Nichts.
Sie ließ die Zahlen über den Schirm wandern, ohne sie wirklich zu lesen. Es war, als hielte sie nicht Daten, sondern eine zweite Tür in der Hand. Eine Möglichkeit, die weit über Colonia hinausführte.
Ihr Blick glitt zur Scheibe. Draußen funkelte Colonia wie ein neues Versprechen – heller, klarer, kleiner als die Bubble, aber mit eigener Gravitation. Und in diesem Licht fehlte Amanda, wie ein Schatten, der sich nicht vertreiben ließ.
Geraldine atmete tief ein. Vielleicht war genau das der Sinn dieser Reise: nicht nur irgendwo anzukommen, sondern neue Wege zu sehen, noch bevor man den ersten ganz verstanden hatte.