Kapitel 29 – Rückkehr ins Vertrauen

Überraschung

Der Alltag an Bord der Citadel Geraldine war träge geworden. Nicht im schlechten Sinn – eher wie ein Schiff, das gleichmäßig durch die Wellen schnitt, ohne dass jemand an Deck nachjustieren musste. Die Crew erledigte ihre Routinen: Rosie hatte im Handelsmodul mehrere Aufträge gleichzeitig laufen, Holland überarbeitete Sprungberechnungen, und irgendwo tief im Bauch des Carriers kreischten die Werkzeuge, weil wieder ein Frachter schneller repariert werden wollte, als die Ersatzteile geliefert werden konnten.

Geraldine selbst flog kleinere Missionen. Ein paar Transporte, zwei, drei lukrative Kurieraufträge, dazu eine Bergungsmission, die mehr Staub als Credits einbrachte. Kein Risiko, keine großen Kämpfe – nur ein stetiger Fluss an Aufgaben, die die Citadel am Laufen hielten.

Abends fand sie sich in der Lounge wieder, ein Becher Wasser auf dem Tisch, die Stiefel abgestreift, während im Hintergrund die Nachrichten auf einem Holo liefen. Amanda hatte sich schon zurückgezogen; ihre Genesung machte Fortschritte, aber sie schlief noch viel. Geraldine genoss die Ruhe – ein seltenes Gefühl, wenn alles um sie herum einfach funktionierte.

Das Com knackte. Erst nur ein Summen, dann das Aufleuchten eines Signals, das sie im ersten Moment nicht einordnen konnte. Ein Ruf aus Colonia.

Geraldine richtete sich auf. „Kathleen?“

Die Projektion baute sich langsam auf. Kathleens Gesicht erschien, blasser als sie es in Erinnerung hatte, aber mit diesem konzentrierten Ausdruck, den sie kannte.

„Überraschung,“ sagte Kathleen, und ein kurzes Lächeln stahl sich in ihre Stimme.

Kathleen beugte sich ein Stück näher an die Kamera. „Ich hoffe, ich störe dich nicht mitten in einem deiner berüchtigten Abendrituale.“

Geraldine grinste schief. „Wenn du damit meinst, mit einem Glas Wasser Löcher in die Wand zu starren – ja, genau da hast du mich erwischt.“

„Gut,“ erwiderte Kathleen, und ihr Lächeln wurde breiter. „Dann bist du entspannt genug für Neuigkeiten.“

Geraldine verschränkte die Arme. „Jetzt mach’s nicht spannend. Raus damit.“

Kathleen zog die Worte etwas in die Länge, so, als koste sie es selbst aus. „Ich komme in die Bubble. Für ein paar Monate. Austauschprogramm. Mein Institut hat sich mit einer Forschungsstation in Sol kurzgeschlossen, und ich habe einen Platz bekommen.“

Geraldine blinzelte, als müsse sie nachholen, ob sie das richtig verstanden hatte. „Du… kommst hierher? In die Bubble?“

„Genau das,“ bestätigte Kathleen. „Kein Hologramm, kein Delay mehr. Echtzeit. Face to face.“

Geraldine ließ sich in den Sessel zurückfallen. „Verdammt, das hätte ich nicht gedacht. Wie lange?“

„Drei, vielleicht vier Monate,“ antwortete Kathleen. „Je nachdem, wie viel Material wir auswerten. Die Station hat mich schon offiziell bestätigt. Unterkunft, Arbeitsplatz, alles steht.“

„Und wo genau?“ Geraldine lehnte sich vor, plötzlich hellwach.

„In Sol. Direkt im Orbit, Forschungsstation Hesperides. Wir arbeiten da an Langzeit-Simulationen für Terraforming.“ Kathleen grinste verschmitzt. „Klingt trocken, ich weiß. Aber für mich ist es riesig. Und – es bringt mich endlich mal raus aus Colonia.“

Geraldine nickte langsam, als müsse sie die Worte durch mehrere Schichten sacken lassen. „Du weißt nicht, wie sehr ich mich darüber freue. Du hier. Endlich.“

„Ich hab’s mir fast gedacht,“ meinte Kathleen. „Deshalb wollte ich dir’s persönlich sagen, bevor es irgendwo in einer offiziellen Liste aufploppt.“

Ein Moment Stille, nur das Surren des Carriers im Hintergrund. Geraldine schüttelte den Kopf, noch immer ungläubig. „Du kommst wirklich. Drei Monate. Das ist mehr, als ich mir je vorgestellt habe.“

„Dann fang schon mal an, Pläne zu machen,“ neckte Kathleen. „Ich will nicht die ganze Zeit in Labors hocken. Ein bisschen Abenteuer darf schon sein.“

Geraldine grinste, diesmal offen. „Du wirst mehr Abenteuer bekommen, als du dir wünschst.“

Kathleen hob die Hände. „Dann notier das gleich mal als Warnung: Ich will heil wieder zurück nach Colonia.“

„Keine Sorge,“ sagte Geraldine. „Dafür sorge ich.“

Die Tür zur Lounge glitt auf, und Amanda kam herein. Sie trug wie in den letzten Wochen einfache Freizeitkleidung – ein lockeres Shirt, weite Hose, barfuß auf den kühlen Platten. Die Haare waren noch feucht, wahrscheinlich frisch gewaschen, und sie wirkte entspannt, fast untypisch für jemanden, der sonst in Konturen und Routinen lebte.

Als sie die Projektion erkannte, breitete sich sofort ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus. „Kathleen. Ich hätte wetten können, dass du dich wieder wochenlang hinter deinen Daten versteckst, bevor du dich meldest.“

„Und ich hätte wetten können, dass du immer noch in deiner Fer-de-Lance hockst,“ konterte Kathleen, die Augen hell. „Schön, dich zu sehen, Amanda.“

Amanda ließ sich neben Geraldine nieder, legte den Arm lässig auf die Sofalehne. „Wir sollten erwähnen, dass wir zwei zusammen deine große Feier geplant haben,“ sagte sie in Geraldines Richtung. „Nur, damit du endlich verstehst, was für ein gefährliches Dreamteam du da am Hals hast.“

Geraldine schnaubte, konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. „Ihr zwei wart schon einzeln ein Problem. Zusammen seid ihr eine Naturkatastrophe.“

Kathleen lachte hell. „Dann gewöhn dich besser dran. Ab jetzt treten wir öfter im Doppelpack auf.“

Kathleen schob ihre Brille höher – eine Geste, die sie nicht brauchte, aber sich angewöhnt hatte. „Wenn es mich nicht schon jetzt abschreckt, dann halte ich es wohl aus. Außerdem: Ich bringe Nerd-Talk mit. Terraforming, Simulationsmodelle, molekulare Stabilität – willst du hören?“

Amanda starrte sie gespielt entsetzt an. „Nur, wenn du es schaffst, es so zu erklären, dass ich dabei nicht einschlafe.“

„Ich könnte es mit Explosionen vergleichen,“ schlug Kathleen vor. „Wenn ein Planet eine Bar ist und die Atmosphäre die Gäste – dann musst du die Mischung so steuern, dass niemand sich prügelt. Klingt doch spannend, oder?“

Geraldine prustete los. „Du erklärst Terraforming mit einer Kneipenschlägerei. Das wird mir gefallen.“

Amanda legte den Kopf zurück und lachte laut. „Gut, die will ich wirklich mal live treffen.“

Kathleen grinste noch, dann wurde ihr Blick ernster. „Übrigens… ich habe Gerüchte gehört. Von einem Gefecht in HIP. Dass du verletzt wurdest, Amanda. Stimmt das?“

Einen Moment lang war es still. Amanda lehnte sich zurück, die Hände verschränkt, und ihr Lächeln blieb, aber es wurde kühler. „Stimmt. Aber das Thema bleibt heute draußen. Wir haben Besseres zu tun, als über meine Narben zu reden.“

„Alles klar,“ nickte Kathleen sofort, ohne nachzuhaken. „Dann verschiebe ich die Fragen.“

„Mach das,“ sagte Amanda, und ihre Augen funkelten wieder spöttisch. „Heute darfst du nur über Terraforming quatschen. Alles andere kostet Eintritt.“

Geraldine schnaubte. „Und der Preis ist hoch.“

Das brachte das Gespräch wieder ins Rollen – diesmal noch lauter, noch ungestümer.

Das Gespräch nahm Fahrt auf. Kathleen erzählte von Colonia, von einem Praktikum, das in einem Schiffswrack endete, weil sie zu neugierig war. Geraldine steuerte trocken bei: „Klingt wie mein Dienstag.“ Amanda konterte sofort: „Dienstag ist dein offizieller Chaos-Tag.“

Kathleen versuchte, zwischen den beiden ernsthaft über Datenmodelle zu reden, aber Geraldine zog sie mit sarkastischen Kommentaren auf, Amanda setzte noch eine Schippe Ironie drauf, und bald war das Gespräch ein einziger Strudel aus Lachen, Wortwitz und halben Anekdoten.

Das Lachen wurde so laut, dass sich die Tür zur Lounge öffnete. Zwei Crewmitglieder spähten neugierig herein. Rosie stand im Türrahmen, ein Datenpad in der Hand, und schüttelte den Kopf. „Bei allen Sternen – ich dachte, hier brennt was ab.“

„Tut es auch,“ keuchte Amanda zwischen zwei Lachanfällen. „Die Synapsen.“

Rosie verdrehte die Augen, aber sie grinste. „Solange es nur das ist.“ Dann zog sie sich wieder zurück, die Tür glitt zu, und das Gelächter schwappte noch einmal hoch, bis die Stimmen fast heiser wurden.

Zurück ins Cockpit

Das Gelächter hielt noch eine Weile an, bis selbst Kathleen mit tränenden Augen durchs Holo grinste. Irgendwann schüttelte sie den Kopf. „Wenn ihr zwei so weitermacht, werde ich meine Zeit in Sol nicht im Labor verbringen, sondern nur bei euch auf dem Carrier.“

„Das klingt nach einem Plan,“ meinte Geraldine trocken.

Amanda hob beschwichtigend die Hände. „Du hast noch drei Monate, um dir das gut zu überlegen.“

„Dann heben wir uns den Rest für später auf,“ sagte Kathleen. „Ich melde mich wieder, bevor ich starte. Bis dahin: bleibt heil.“

Das Holo erlosch, die Lounge wurde wieder still. Nur das leise Summen der Systeme blieb. Amanda atmete tief durch, streckte sich und stand auf.

„Drei Wochen…“ murmelte sie, mehr zu sich selbst. „Vielleicht wird’s Zeit, dass ich’s versuche.“

Geraldine sah sie an. „Was?“

„Meine Fer-de-Lance,“ antwortete Amanda. „Ich bin lang genug raus. Wenn ich noch länger hier rumliege, verrost’ ich.“

Amanda stand im Hangar, die Hände an die Hüfte gestützt, während die Rampe der Fer-de-Lance sich absenkte. Das Schiff glänzte im Licht der Strahler – vertraut, ein Teil von ihr. Drei Wochen lang hatte sie es nur aus der Ferne gesehen. Jetzt zog es sie wieder hinein, wie ein Magnet.

„Sicher, dass du das schon kannst?“ fragte Geraldine, die ein paar Schritte hinter ihr stehen geblieben war.

Amanda warf ihr einen Blick zu. „Ich bin nicht aus Glas. Außerdem muss ich wissen, ob’s wieder geht.“

Sie stieg die Rampe hoch. Jeder Schritt fühlte sich schwerer an, als sie sich eingestehen wollte, doch sie zwang sich dazu, nicht zu stocken. Das Cockpit begrüßte sie mit vertrautem Summen. Sie sank in den Sitz, startete die Systeme, hörte das Hochfahren der Anzeigen.

Die ersten Minuten waren leicht. Anzeigen, Checks, die Finger über die Schalter – alles saß noch. Aber als die FDL abhob und sich vom Boden löste, wurde der Druck spürbar. Amanda biss die Zähne zusammen, ihre Muskeln brannten, die Konzentration fiel schwerer, als sie erwartet hatte.

Ein Schweißfilm legte sich auf ihre Stirn. Die Hände hielten die Steuerung zu fest, jeder Schubimpuls kostete Kraft. Die elegante Präzision, mit der sie sonst flog, war verschwunden.

„Amanda,“ meldete sich Geraldines Stimme über Com, ruhig, aber fest. „Setz sie wieder runter.“

„Nein,“ knurrte Amanda. „Ich hab das im Griff.“

Doch die FDL schwankte leicht, eine Korrektur zu spät, und die Anzeigen blinkten warnend auf. Amanda drückte den Schub zurück, hart atmend, der Puls raste. Schließlich brachte sie das Schiff wieder auf die Plattform, die Magnetklammern packten.

Sie lehnte sich zurück, atmete schwer. Das Cockpit, das sonst wie eine Verlängerung ihres Körpers war, fühlte sich plötzlich wie ein Käfig an.

Die Rampe senkte sich, und Geraldine war schon da, bevor Amanda die Gurte gelöst hatte. „Du bist zu früh,“ sagte sie schlicht.

Amanda starrte auf die Anzeigen, die langsam dunkel wurden. „Verdammt… ich dachte, ich kann’s. Aber ich bin schwach.“

„Du bist verletzt,“ korrigierte Geraldine. „Das ist ein Unterschied.“

Amanda lachte bitter auf, stand auf, wankte leicht, fing sich an der Seitenkonsole. „Ich hab mein ganzes Leben so getan, als wär ich unverwundbar. Und jetzt? Schon der eigene Schub reißt mir fast den Arm aus.“

Geraldine trat näher, legte eine Hand auf ihre Schulter. „Stärke heißt nicht, keine Brüche zu haben. Stärke heißt, wieder aufzustehen – auch wenn es dauert.“

Amanda schloss kurz die Augen, die Kiefermuskeln angespannt. „Aber was bin ich wert, wenn ich nicht fliegen kann?“

„Du bist Amanda,“ antwortete Geraldine leise. „Mehr als ein Cockpit. Mehr als ein Schiff. Und wenn du willst, bleib ich so lange neben dir sitzen, bis du das wieder glaubst.“

Amanda öffnete die Augen, sah sie an, die Härte in ihrem Blick gebrochen. Ein Zittern huschte über ihre Lippen, dann nickte sie langsam. „Vielleicht… muss ich mir das wirklich sagen lassen.“

Geraldine drückte leicht ihre Schulter. „Dann fang heute damit an.“

Sie ließ ihre Hand noch einen Moment auf Amandas Schulter liegen, bevor sie sich zurückzog. „Weißt du was?“ sagte sie schließlich. „Vergiss die Fer-de-Lance für den Moment. Wir brauchen keinen Wettkampf, wir brauchen frische Sterne.“

Amanda sah sie skeptisch an. „Frische Sterne?“

„Einfach rausfliegen. Ohne Druck, ohne Mission, ohne irgendwas. Nur wir zwei.“ Geraldine deutete in Richtung Hangar. „Ashley wartet.“

Amanda zögerte, schloss die Augen, atmete tief durch. „Die Anaconda,“ murmelte sie. „Deine fliegende Festung.“

„Genau die,“ bestätigte Geraldine. „Und diesmal teilen wir uns das Cockpit.“

Ein kurzes Zucken lief über Amandas Gesicht – zwischen Widerstand und Neugier. Schließlich nickte sie. „Na gut. Aber wenn wir das machen, dann will ich auch ans Steuer.“

„Abgemacht,“ sagte Geraldine und grinste.

Die ersten Tage übernahm Geraldine das Fliegen allein. Amanda saß daneben, meist mit verschränkten Armen, die Augen halb geschlossen. Sie tat so, als würde sie nur beobachten, aber Geraldine sah, wie mühsam es für sie war, wach und konzentriert zu bleiben.

Am zweiten Abend zog Amanda sich den Sicherheitsgurt enger, brummte leise und meinte: „Eine Decke wäre nicht schlecht gewesen.“

Geraldine zuckte mit den Schultern, ohne den Blick von den Anzeigen zu nehmen. „Hättest du Nein sagen können, als ich dich mitgeschleppt habe.“

Amanda schnaubte schwach. „Als ob ich dich jemals davon abgehalten hätte.“

„Eben,“ erwiderte Geraldine, ein Anflug von Lächeln in den Mundwinkeln.

Die ersten Sprünge verbrachte Amanda still, oft nickte sie weg, den Kopf an die Scheibe gelehnt. Doch mit jedem Tag wurde sie wacher. Am dritten begann sie, Fragen zu stellen – über Reichweite, Kühlung, Treibstoffverbrauch. Am vierten tippte sie selbst kleine Berechnungen ins Navigationssystem, wenn Geraldine sie ließ. Und am fünften war ihr Sarkasmus zurück.

„Weißt du,“ sagte sie, während Geraldine eine Route durch ein Nebelfeld plante, „ich hätte nie gedacht, dass die Anaconda so… gemütlich ist. Fast wie ein fliegendes Wohnzimmer.“

„Sag das nicht zu laut,“ erwiderte Geraldine. „Sie hört mit.“

„Ach, dann hab ich ja endlich Gesellschaft, wenn du schweigst.“

Geraldine warf ihr einen Seitenblick. „Du bist noch nicht stark genug, um frech zu sein.“

„Dann erklär mir, warum ich gerade lachend durchs All schwebe.“

Es stimmte. Amanda wirkte jeden Tag kräftiger, die Blässe wich, und ihre Bewegungen wurden sicherer. Am siebten Tag, als sie in der Umlaufbahn eines kleinen Wasserplaneten trieben, lag sie mit den Händen hinter dem Kopf zurückgelehnt im Sitz und sah auf die endlose blaue Kugel hinab.

„Ich hatte vergessen, wie sich das anfühlt,“ murmelte sie.

„Was?“ fragte Geraldine.

„Zu fliegen, ohne dass etwas auf dem Spiel steht. Einfach nur da sein.“

Geraldine nickte langsam. „Genau deshalb sind wir hier.“

Amanda drehte den Kopf und sah sie an. „Vielleicht… bin ich doch bald wieder soweit.“

Am achten Tag hatte Amanda genug Energie gesammelt, um nicht nur nebenher zu sitzen. Sie folgte den Anzeigen, kommentierte Sprünge, und einmal ertappte Geraldine sie sogar dabei, wie sie leise den Antriebsrhythmus mitklopfte.

„Siehst du?“ meinte Geraldine, als sie den nächsten Kurs eingab. „Du bist wieder drin. Zeit für den nächsten Schritt.“

Amanda hob eine Braue. „Was für einen Schritt?“

Geraldine löste den Gurt und stand auf. „Pilotensitz.“

„Du spinnst,“ wehrte Amanda sofort ab. „Ich bin noch nicht—“

„Doch,“ unterbrach Geraldine ruhig. „Sonst würdest du nicht schon seit zwei Tagen mit den Anzeigen reden.“

Amanda schnaubte, aber ihre Augen funkelten. Schließlich schob sie sich auf den Platz, setzte die Hände auf die Steuerung. Die Anaconda brummte tief, schwer, als würde sie die neue Pilotin prüfen wollen.

Die ersten Manöver waren vorsichtig. Ein Schub nach vorn, eine sanfte Kurve. Amanda biss sich auf die Lippe, korrigierte etwas zu hart, fing das Schiff aber sauber wieder ein.

„Siehste,“ sagte Geraldine von der Seite. „Alles da.“

Ein kurzes Lachen entwich Amanda, noch brüchig, aber echt. „Verdammt, das Ding ist ein Wal. Aber er hört zu.“

Sie flogen ein paar Stunden so, Amanda mit wachsender Sicherheit, Geraldine immer bereit einzugreifen, aber nie gezwungen. Schließlich wagte Amanda den Satz: „Weißt du was? Ich will landen.“

„Meinst du das ernst?“

„Absolut.“

Sie suchten sich einen kleinen Felsplaneten. Amanda führte die Anaconda in den Sinkflug, zu steil anfangs, die Anzeigen schrillten. Geraldine wollte schon einschreiten, doch Amanda fing das Schiff ab, korrigierte, und setzte es mit einem kräftigen Ruck auf die Oberfläche. Staubwolken hüllten die Sicht ein.

Stille. Dann lachte Amanda laut auf. „Holprig – aber meins.“

Geraldine lachte mit, schüttelte den Kopf. „Nicht schlecht. Ich hab mal fast die ganze Hülle zerschreddert, als ich mich mit der Schwerkraft verrechnet habe. Drei Module kaputt, zwei Tage Reparatur.“

Amanda hielt sich den Bauch. „Und du wagst es, mich holprig zu nennen?“

Geraldine grinste breit. „Das war damals. Heute kann ich drüber lachen.“

Amanda schüttelte den Kopf, noch immer lachend, und ließ die Hände über die Steuerung gleiten. „Weißt du was? Ich glaube, ich könnte mich dran gewöhnen.“

Der Rückweg

Der Abend war still. Die Anaconda lag in der Umlaufbahn eines kleinen Eisplaneten, das Cockpit nur schwach beleuchtet vom Glimmen der Anzeigen. Amanda hatte die Stiefel auf das Armaturenbrett gelegt, Geraldine saß schräg daneben, beide in dieser entspannten Stille, die man nur nach einem langen Flug findet.

Dann knackte das Com. Ein Signal, vertraut, ohne Verzögerung.

Geraldine richtete sich sofort auf. „Kathleen?“

Die Projektion baute sich auf, ihr Gesicht hell, ein wenig erschöpft, aber mit diesem unverkennbaren Leuchten in den Augen. „Da seid ihr ja. Ich wollte euch nur Bescheid geben: Es ist offiziell. In fünf Tagen bin ich in Sol. Forschungsstation Hesperides.“

Amanda richtete sich so abrupt auf, dass ihre Stiefel vom Panel rutschten. „Fünf Tage?“

„Genau,“ bestätigte Kathleen. „Die Transporter sind gebucht, meine Unterlagen durch. Ich wollte es euch zuerst sagen.“

Geraldine spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Ein kurzer Blick auf Amanda verriet ihr, dass es ihr nicht anders ging.

„Wir sind noch draußen,“ sagte Geraldine. „Ein paar tausend Lichtjahre. Aber wir schaffen es rechtzeitig zurück.“

Kathleen grinste. „Ich hab nichts anderes erwartet.“

Sie begannen sofort zu rechnen. Routen, Sprungreichweiten, Treibstofffenster. Geraldine setzte Marker in die Karte, Amanda ordnete die Filter: neutrale Sterne an, Braune Zwerge aus, Neutronen bevorzugt. Auf dem Holo zog sich eine dünne, schnelle Linie durch den Himmel.

„Wenn wir die Neutronenstraße erwischen, sind wir locker einen Tag früher da,“ murmelte Amanda, die Stirn in Falten.

„Locker ist kein Fachbegriff,“ gab Geraldine zurück, ohne aufzusehen. „Aber ja. Wir holen uns die Schubkegel.“

Ashley spannte sich in den Frameshift und schoss los. Die ersten Systeme liefen glatt. An den Scoops holte Geraldine den Treibstoff sauber rein, Amanda überwachte Heat und Generatorlast.

„Drei Grad runter mit dem Powerplant,“ sagte Amanda. „Du fährst sie zu heiß.“

„Ich fahre sie genau richtig,“ entgegnete Geraldine. „Ich mag es, wenn Maschinen Respekt haben.“

„Respekt ist, wenn sie nicht anfangen zu piepen.“ Amanda deutete auf eine gelbe Warnung. „Sie piepen.“

„Das ist ihr Hallo.“

Sie grinsten beide. Der Rhythmus saß. Checklisten, Vorhaltewinkel, Sprung. Noch einer. Sprung. Der Himmel wurde zu einer Abfolge aus Tunnel, Weiß, Schwarz.

Am dritten Neutronenstern wurde es hakelig. Der Stern lag schief im System, sein Jet flatterte wie ein beschädigtes Banner. Geraldine nahm den Anflug. „Kegel bei fünfzehn Grad. Wir gehen langsam rein.“

„Langsam ist gut,“ nickte Amanda. „Trimmung minimal, Schub im Leerlauf, Heat bei vierundfünfzig.“

Sie tasteten sich in den Strahl. Die Anzeigen begannen zu singen. FSD lädt sich auf. 25 Prozent. 40. 60.

„Noch ein Stück,“ flüsterte Amanda, als wär’s ein Lebewesen. „Nicht gierig werden.“

„Ich werde nie gierig,“ sagte Geraldine und schob um einen Millimeter nach.

Genau der Millimeter war zu viel. Der Jet zuckte, das Schiff kippte, das Heck drehte leicht aus dem Kegel. Ein Warngewitter ging los. FSD oszilliert. Heat 68… 72… 77.

„Rechtsruder minimal! Gegenhalten!“ Amanda war schon über der Trimmung. „Schub bleibt null, bleib im Kegel, bleib im Kegel.“

Ashley ruckte, ließ sich dann fangen. 85 Prozent Ladung. 92. Ein letzter Zucken, der Jet wollte sie ausspucken.

„Jetzt!“ rief Amanda.

Geraldine drückte, drehte, brachte die Nase exakt in den Ausflugvektor und zog sie aus dem Strahl, bevor der Wärmealarm rot wurde. Das Schiff fiel in stabilen Normalraum.

Ein Atemzug Stille. Beide sahen sich an.

„Locker,“ sagte Amanda heiser.

„Locker ist kein Fachbegriff,“ parierte Geraldine, grinste und wischte sich die Stirn. „Aber ja.“

Sie lachten, erst kurz, dann länger, dieses Lachen, das Anspannung aus dem Körper spült. Dann sprang Ashley mit Superladung quer über neunzig Lichtjahre, als hätte jemand den Himmel ein Stück näher gezogen.

Die Stunden danach liefen wie am Schnürchen. Kleine Reibereien gehörten dazu. Einmal kippte der Scoop zu hohen Treibstoff rein, Heat stieg, Amanda drosselte wortlos die Innenlasten, nahm den Lebensunterhalt kurz auf Spar, ließ die Kühlkörper knacken. Ein anderes Mal zickte das Verteiler-Modul; Geraldine nahm zwei Türme vom Netz, legte Prioritäten neu und flüsterte der Elektrik gut zu, als wäre sie ein nervöses Tier.

„Du redest mit dem Schiff,“ stellte Amanda fest.

„Es hört zu.“

„Wenn ich mich bei dir bedanke, redest du dann auch mit mir so nett?“

„Kommt drauf an, wie deine Generatorlast ist.“

Die gemeinsamen Sprüche wurden zum Takt. Sie kannten die Pausen des anderen, die halben Sätze, die Blicke. Wenn Amanda „Achterkurs“ murmelte, hatte Geraldine den Vektor bereits eingedreht. Wenn Geraldine „wird ruppig“ sagte, hielt Amanda die Trimmung so fein, dass der Massenschatten kaum spürbar war.

Ein kleiner Zwischenfall erwischte sie an einem A-Stern mit nerviger Navigationsbake. Das Signal legte sich quer, riss die Route aus dem Buffer.

„Wir verlieren die Kette,“ sagte Amanda.

„Ich hab die Zwischenziele im Kopf,“ antwortete Geraldine, tippte drei Marker neu. „Halte mir die Bake vom Leib.“

„Mit bloßen Händen?“

„Mit Charme.“

„Dann sind wir verloren.“

Sie kamen trotzdem durch. Später, in einer Hülle aus Goldstaub eines Ringsystems, gönnten sie sich zehn Minuten Stille. Amanda starrte auf die Partikel, die wie langsamer Regen an der Scheibe vorbeizogen.

„Das hier ist mein neues Rehabilitationsprogramm,“ sagte sie leise. „Sternen gucken und schlechte Witze.“

„Der medizinische Standard der Citadel,“ bestätigte Geraldine.

„Ich sehe eine Marktlücke.“

„Wehe, du schreibst ein Paper.“

Beim nächsten Neutronenkegel übernahm Amanda, nur für den Anflug. Geraldine blieb dicht daneben, Hände knapp über den Eingaben. Amanda atmete durch, ließ das Schiff in den Jet gleiten, exakt, geduldig, und zog es wieder heraus, als die Ladung voll war.

„Gut,“ sagte Geraldine. „Sehr gut.“

„Ich will keinen Orden,“ murmelte Amanda, doch ihr Mundwinkel verriet sie. „Vielleicht eine Suppe.“

„Suppe genehmigt.“

Die Sprünge frassen Lichtjahre. Zwischendurch fiel ein kleiner Sensor aus und kam nach einem Reboot wieder. Ein Mikrometeor schrammte die Schildblase und hinterließ ein kurzes Flirren. Ein Navigationsstern zeigte sich als Doppel, was sie zu einer weiten Schleife zwang. Nichts davon war dramatisch. Alles davon war Arbeit, bei der man spürt, dass man ein Team ist.

„Weißt du, was anders ist?“ fragte Amanda irgendwann, als der Frameshift wieder sang.

„Sag’s mir.“

„Früher hätte ich dich angeschnauzt, wenn du in den Jet zu weit reingezogen hättest. Heute hab ich nur gehalten, bis du wieder drin warst.“ Sie sah zur Seite. „Ist das Vertrauen? Oder Müdigkeit?“

„Ein bisschen von beidem,“ sagte Geraldine. „Und die Gewissheit, dass wir uns fangen.“

„Klingt, als hättest du’s einstudiert.“

„Hab ich.“

„Show abgenommen.“

Am dritten Tag der Rückreise tauchte die Bubble wie ein vertrauter Geruch in den Anzeigen auf: mehr Verkehr, mehr Meldungen, mehr alles. Sie waren beide zu müde, um es groß zu feiern. An der letzten Scoopeinlassung legte Geraldine den Kopf an die Lehne, Amanda summte den Ton des FSD, exakt im Takt, wie ein leiser Anker.

„Noch zwei Sprünge,“ sagte Geraldine.

„Noch einer, wenn du schummelst,“ korrigierte Amanda und zeigte auf einen T-Stern, dessen Schwerkraftfeld die Route abkürzte. „Und diesmal piept nichts.“

„Versprechen sind gefährlich.“

„Dann nenn es Absicht.“

Sie schafften es in einem. Ashley fiel aus dem Tunnel, und da lag er: der dunkle, gewaltige Körper der Citadel Geraldine, mit den glühenden Linien und dem vertrauten Rufzeichen. Der Hangar meldete Freigabe, die Leitlichter gingen auf, und die Anaconda glitt hinein wie ein Wal in eine Bucht.

Als die Magnetklammern einrasteten, lehnte Amanda den Kopf zur Seite. „Ich bin fertig,“ murmelte sie.

„Ich auch,“ sagte Geraldine. „Aber zufrieden.“

Die Rampe senkte sich, warme Hangarluft roch nach Öl und Staub und Heimat. Zwei Techniker winkten, Rosie schickte nur ein kurzes Daumenhoch über die interne Leitung. Alles an Bord wirkte, als hätte es auf genau diesen Moment gewartet.

Später, in der Lounge, saßen sie mit dampfenden Schalen auf dem Tisch und zu schweren Lidern. Draußen drehte sich die Bubble wieder um ihre Sorgen. Drinnen war es still.

„Morgen kommt sie,“ sagte Amanda, und da war keine Müdigkeit in der Stimme, nur Vorfreude. „Ich will am Dock stehen, wenn sie aus dem Transporter steigt.“

„Du wirst da sein,“ antwortete Geraldine. „Wir beide.“

Amanda sah sie an und nickte. „Dann schlaf jetzt. Ich will dich nicht mit Augenringen an Kathleen übergeben.“

„Frech.“

„Professionell.“

Sie standen auf. Bevor sie sich trennten, blieb Amanda stehen, legte die Hand an den Rahmen der Tür und drehte sich noch einmal um. „Der Jet vorhin,“ sagte sie. „Guter Millimeter.“

„Ein schlechter Millimeter,“ korrigierte Geraldine. „Gerade gut gegangen.“

„Dann nenn ich’s einen glücklichen Millimeter.“ Amanda lächelte. „Davon hätte ich gern noch ein paar.“

„Morgen,“ sagte Geraldine. „Morgen nehmen wir zwei mit.“

Sie lachten müde. Dann gingen sie, jede in ihr Quartier, und der Carrier summte, als hielte er den Atem an für das, was als Nächstes kam: Sol, Hesperides, ein Wiedersehen ohne Delay.

Kapitel 30