Kapitel 27 – Sprünge ins Vertrauen

Tage mit Amanda

Die Feier lag schon Tage zurück, aber ein Rest von Wärme schwebte noch durch die Korridore des Carriers. Wo sonst nur der Rhythmus der Arbeit klang – Schritte, Ansagen, das Summen der Systeme – lag jetzt eine leichte Trägheit, als hätte die Crew beschlossen, für eine Weile langsamer zu atmen. Und mittendrin war Amanda.

Sie hatte ihre Kabine nicht sofort wieder verlassen, wie sonst, sondern blieb. Zunächst wirkte es wie ein Zwischenhalt – noch eine Nacht, noch ein Briefing, noch ein gemeinsames Frühstück. Doch aus dem „noch“ wurde ein Fluss von Tagen, und Geraldine ertappte sich dabei, wie sie begann, das als selbstverständlich zu empfinden.

Die Abende verbrachten sie oft in der Lounge, nicht mehr mit dröhnender Musik und Lachen, sondern mit Gläsern, die halb geleert auf dem Tisch standen, während die Gespräche immer tiefer gingen.

„Du wirst lachen,“ sagte Amanda einmal, die Hände locker ineinander verschränkt, „aber Kathleen… ich mag sie. Ich hätte nicht gedacht, dass sie jemand ist, den ich in meinem Orbit akzeptiere. Aber sie hat eine Ruhe, die mich überrascht.“

Geraldine zog eine Augenbraue hoch. „Das klingt fast wie ein Geständnis.“

„Ist es auch.“ Amanda lächelte schief. „Ich hoffe, ich treffe sie irgendwann. Nicht nur als Projektion. Wirklich, von Angesicht zu Angesicht.“

Geraldine nickte, und für einen Moment spürte sie, wie ungewöhnlich das war: Amanda, die sonst alles auf Abstand hielt, sprach von jemandem in ihrem Inneren mit einer Leichtigkeit, die fast verletzlich war.

Sie redeten über Alltag – wie Amanda ihre Checklisten perfektionierte, wie Geraldine das Chaos im Hangar eher mit Intuition bändigte. Über Ziele – Amanda wollte eine Einheit von Piloten aufbauen, keine Armee, aber eine Gruppe, die aufeinander schwor wie Familie. Geraldine sprach von Sternen, die sie noch nie gesehen hatte, und der Sehnsucht, nicht nur Spuren zu hinterlassen, sondern Heimaten.

Manchmal wurden sie still, saßen einfach nebeneinander. Dann reichte schon eine Berührung – ein kurzer Druck von Amandas Hand auf Geraldines Arm, ein Blick, der länger hielt, als nötig. Worte waren in diesen Momenten überflüssig, weil das Band zwischen ihnen greifbar geworden war, wie ein unsichtbares Seil, das jede Distanz spannte, ohne zu reißen.

Eines Morgens fanden sie sich in der Kommandozentrale wieder. Amanda stand vor den Sternkarten, ihr Gesicht im Licht der Projektionen, und ihre Stimme klang anders – heller, fast wie jemand, der eine Neuigkeit kaum zurückhalten kann.

„Es gibt Gerüchte,“ begann sie, „über neue Schiffe. Die Ingenieure arbeiten an einer Python Mk II. Verbesserte Systeme, modernisierte Struktur. Und etwas Neues: den SCÜ. Ein Antrieb, der dich innerhalb eines Systems katapultiert, als wären Entfernungen plötzlich nicht mehr von Bedeutung.“

Geraldine trat näher, verschränkte die Arme. „Ein Wunderantrieb? Klingt nach Marketing.“

„Vielleicht.“ Amanda zuckte die Schultern, aber in ihren Augen blitzte es. „Aber wenn das stimmt, wird es alles verändern. Keine ewigen Supercruise-Strecken mehr. Stell dir vor, wie schnell du reagieren kannst.“

Geraldine schwieg einen Moment. In ihr zog die alte Stimme: Noch ein Schiff? Wirklich? Aber gleichzeitig war da die andere, die leise flüsterte: Du hast Platz. Du hast Möglichkeiten.

Sie lächelte knapp. „Eigentlich habe ich schon genug Schiffe. Aber … der Carrier ist groß.“

Amanda lachte, kurz und warm, und es war einer dieser seltenen Töne, die Geraldine länger im Ohr blieben, als das Lachen selbst dauerte.

Echos Hilferuf

Der Carrier lag in gedämpftem Licht, wie ein Koloss, der seinen eigenen Atem hielt. Geraldine hatte sich in die Lounge zurückgezogen. Vor ihr glimmte das Display eines Terminals, die Sternkarte lief routiniert über den Schirm, aber ihre Gedanken waren längst woanders. Es war diese merkwürdige Zeit nach einer Feier: die Wärme hing noch in den Korridoren, und doch war der Alltag schon wieder da.

Dann knackte das Com. Kein schriller Alarm, eher ein leises, unsicheres Klopfen. Geraldine wandte den Kopf. Ein Signal – schwach, instabil, aber eindeutig. Echo.

„…Geraldine?“

Die Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber unverkennbar.

„Ich höre dich,“ sagte Geraldine und richtete sich auf.

Eine Pause, lang, als würde am anderen Ende jemand die Worte abwägen wie zu schwere Steine. „Mein Schiff ist hin. Reaktor durch, Antrieb tot. Ich stecke in der Ruine fest. Wollte Vorräte holen. Etwas ist hochgegangen. Nichts reagiert mehr.“ Ein hartes Einatmen. „Ich hasse es, das zu sagen… aber ich komme hier allein nicht raus.“

Geraldine stand schon, die Hände fest an der Lehne. „Ich bin unterwegs.“

„Du solltest nicht,“ kam es brüchig zurück. „Ich will keine Schulden bei dir. Schon gar nicht so.“

„Echo,“ entgegnete Geraldine ruhig, „du hast mich gerufen. Das reicht.“

Stille. Dann ein kaum hörbares: „…Danke.“

Im Hangar herrschte Routine, bis Geraldine erschien. Ein paar Köpfe drehten sich, als sie knapp befahl: „Ashley voll ausrüsten. Reparaturmodule, Schweißgeräte, Ersatzteile. Und packt Sauerstoffzellen ein – zur Sicherheit.“

Sie half selbst, die Kisten zu verriegeln, die Kabel zu sortieren. Jeder Griff war fest, präzise. Es war kein Vorbereiten auf Kampf. Es war die Art Vorbereitung, die keinen Zweifel zulässt.

Wenig später löste sich die Anaconda vom Carrier. Die Sterne streckten sich, das Cockpit vibrierte im Rhythmus der Sprünge. Geraldine hielt den Kurs, zielstrebig, ohne Umweg.

Stunde um Stunde glitt vorbei. Jeder Frameshift war gleich – Licht, Dehnung, Stille danach – und doch fühlte es sich anders an als sonst. Sie flog nicht einer Mission entgegen, keinem Auftrag, keiner Fracht. Sie flog einem Menschen entgegen, der sich ihr bisher immer entzogen hatte.

Zwischen den Sprüngen lehnte sie sich zurück, die Hände locker auf den Steuerkonsolen. Ihr Blick blieb auf der Leere vor ihr, doch in Gedanken hörte sie noch Echos Stimme. Dieses Bröckeln unter dem Stolz. Ein „Danke“, das mehr wog als viele andere Worte.

Manchmal griff sie nach dem Becher an der Seite, fand ihn leer, stellte ihn zurück. Kleine Routinen, die sie in der Stille festhielten. Sie dachte an Amanda, an die Gespräche der letzten Tage, und fragte sich, was Amanda gesagt hätte: Vorsicht. Berechnung. Risiko minimieren. Geraldine selbst aber konnte nur das spüren, was sie immer antrieb – dieser Instinkt, dass man nicht wegsehen darf, wenn jemand ruft.

Als der Bordcomputer nach fast einem Tag Flug die letzte Sequenz einleitete, spürte sie eine ungewohnte Schwere. Ein leiser Zweifel, ob Echo sie überhaupt hineinlassen würde – in ihr Schiff, in ihr Vertrauen. Doch Umkehren war keine Option mehr.

Die Ruine erschien wie ein Schatten im Grau des Planeten, die Türme ragten auf wie Knochen. Zwischen zwei zerbrochenen Bögen hing die Scout. Der Rumpf war vernarbt, schwarz verbrannt, ein Schiff, das aussah, als hätte es aufgegeben.

Geraldine setzte Ashley vorsichtig daneben, die Stützen senkten sich in den Staub. Sie zog den Werkzeugkoffer aus der Halterung und stieg durch die Schleuse in die drückende Stille der Ruine.

Echo wartete schon. Blass, Augenringe dunkel, aber sie stand aufrecht, die Schultern straff. „Es sieht schlimmer aus, als es ist,“ sagte sie, und ihre Stimme war eine Mischung aus Trotz und Müdigkeit.

„So klingt es nicht,“ entgegnete Geraldine. Sie stellte den Koffer ab, sah Echo an. „Was genau ist passiert?“

„Versorgungslauf,“ murmelte Echo, die Hände an den Hüften. „Ich wollte Vorräte sichern. Dann hat’s den Reaktor erwischt. Ein Knall, Rauch, und seitdem… nichts mehr. Hab’s versucht, aber allein…“ Sie brach ab, presste die Lippen zusammen.

Geraldine nickte nur, beugte sich an den Reaktorblock, der noch warm roch. Kabel, verschmorte Kontakte, nichts, was sich mit einem Handgriff beheben ließ.

„Du hättest mich früher rufen können,“ sagte sie leise.

„Ich rufe niemanden.“ Echo verschränkte die Arme. „Schon gar nicht dich.“

Geraldine sah auf, hielt ihrem Blick stand. „Und trotzdem hast du es getan.“

Ein Zucken in Echos Gesicht, fast wie Schmerz. „Ich hasse es, schwach zu wirken.“

„Schwach ist, wenn man aufgibt,“ erwiderte Geraldine. „Du kämpfst noch. Sonst hättest du geschwiegen.“

Sie arbeiteten schweigend nebeneinander. Geraldine schraubte, Echo reichte ihr Teile, mal zögerlich, mal fast widerwillig. Minuten vergingen. Schließlich brach Echo das Schweigen.

„Warum? Warum hilfst du mir überhaupt? Nach allem?“

Geraldine ließ das Werkzeug sinken. Atmete, lange, bevor sie sprach. „Weil ich weiß, was es heißt, fast zu verschwinden. Ich habe gerade meinen Namen zurückgeholt. Cailloux-Delaurent.“

Echo sah auf, überrascht. „Deinen Namen?“

„Er war gelöscht,“ sagte Geraldine, und ihre Stimme klang, als koste jedes Wort Kraft. „Als hätte es mich nie gegeben. Ich hätte damit leben können. Aber es hätte bedeutet, dass ich mich selbst aufgebe. Also habe ich gekämpft, alles durchgeboxt, bis er wieder da war. Nicht, weil es leicht war. Sondern weil ich es bin.“

Echo schwieg. Ihre Augen waren fest auf Geraldine gerichtet, doch dahinter arbeitete etwas. Eine Mauer, die nicht einstürzte, aber einen Riss bekam.

„Und du hast’s geschafft?“ fragte sie nach einer langen Pause, leise, fast ungläubig.

„Ja.“ Geraldine nickte. „Ich heiße wieder, wer ich bin.“

Echo sah weg, starrte auf den verbrannten Reaktor. Ihre Stimme war rau, aber nicht mehr kalt: „Vielleicht bin ich dümmer, als ich dachte. Weil ich’s dir fast nicht gegönnt hätte.“

Geraldine schloss die Abdeckung, legte das Werkzeug ab. „Dann gönn’s dir selbst. Jeder hat das Recht, wieder ganz zu werden.“

Ein kurzes Geräusch entwich Echo – kein Lachen, aber ein Atemzug, der in dieselbe Richtung ging. Sie sah Geraldine wieder an. Kein Dank, keine großen Worte. Nur ein Blick, der zum ersten Mal nicht voller Misstrauen war.

Und das war genug.

Reparatur und Entscheidung

Der Reaktor summte wieder, doch das Geräusch klang brüchig, wie ein Herz, das zu unregelmäßig schlägt. Geraldine zog den letzten Stecker aus der Prüfkonsole und schob das Panel zurück.

„Mehr kriege ich hier draußen nicht hin,“ sagte sie ruhig. „Du kannst starten, vielleicht auch springen. Aber für eine volle Wiederherstellung braucht es eine Werft.“

Echo stand neben ihr, die Arme verschränkt. „Das heißt übersetzt: Ich schaffe es vielleicht bis zum nächsten Stern, und dann zerreißt es mich.“

„So in etwa.“ Geraldine wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Es ist eine Notlösung. Mehr nicht.“

Ein langes Schweigen füllte den Raum. Echo starrte auf den Reaktorblock, als könnte sie ihn mit Willenskraft wieder heil machen.

„Und wie, verdammt, soll ich eine Werft bezahlen?“ Ihre Stimme war hart, aber der Unterton verriet etwas anderes: die nackte Ratlosigkeit. „Ich hab seit Monaten keinen Auftrag geflogen. Keine Credits. Nichts.“

Geraldine sah sie an. „Darum geht es nicht.“

Echo hob den Kopf, die Augen schmal. „Sondern?“

„Du kommst mit auf den Carrier.“

Echo lachte trocken, ohne Freude. „Natürlich. Erst bittest du mich um Vertrauen, und jetzt willst du, dass ich mir bei dir ein Plätzchen suche. Abhängig. Genau das, was ich nicht sein will.“

Echo trat einen Schritt zurück, als hätte Geraldines Vorschlag sie körperlich getroffen.

„Auf deinen Carrier?“ Ihre Stimme war scharf, fast ein Zischen. „Weißt du, wie das aussieht? Dass ich mich bei dir einniste, als wär ich… dein verdammtes Projekt?“

„So meine ich das nicht,“ erwiderte Geraldine ruhig.

„Doch, genau so klingt es. Du holst mich raus, stellst mich in dein schönes, großes Schiff, und ich darf dankbar nicken. Weißt du, wie viele sich schon an mir versucht haben? Jeder wollte mich irgendwo haben. Immer mit Bedingungen.“

Geraldine verschränkte die Arme. „Und was ist daran anders, wenn du hier bleibst? In einer kaputten Scout, gestrandet, ohne Chance?“

„Es ist meins!“ Echos Stimme brach kurz, lauter als der kleine Raum vertrug. „Meins, verdammt. Wenn ich hier untergehe, dann wenigstens auf meinen eigenen Füßen.“

Sie drehte sich halb weg, als wollte sie das Gespräch damit beenden. Die Schultern angespannt, die Hände zu Fäusten geballt.

Geraldine ließ die Stille stehen, atmete einmal tief, bevor sie antwortete. „Ich verlange nicht, dass du dankbar bist. Ich verlange nicht einmal, dass du bleibst. Aber du hast mich gerufen. Und das heißt, dass du leben willst. Alles andere können wir später ausdiskutieren.“

Echos Schultern zuckten, ein kleines, widerspenstiges Zittern. „Du verstehst nicht. Wenn ich einmal die Kontrolle abgebe, dann… bin ich weg.“

„Dann behalt die Kontrolle,“ sagte Geraldine. „Ich biete dir nur eine Option. Entscheiden musst du selbst.“

Echo hielt den Blick starr auf den Reaktor gerichtet, als könnte sie Geraldine ausblenden. Doch ihre Stimme war leiser, als sie wieder sprach.

„Du weißt nicht, wie das ist. Dein Carrier, deine Crew, deine Credits… du bist jemand. Ich hab nichts außer diesem Schrotthaufen.“

„Genau deshalb will ich dich nicht hierlassen,“ antwortete Geraldine. Sie stand mit verschränkten Armen da, aber ihre Stimme blieb ruhig, fast weich. „Es geht nicht um Credits. Es geht darum, dass du nicht in einer Ruine verstaubst, nur weil du zu stolz bist, Hilfe anzunehmen.“

Echo schnaubte. „Stolz ist das Einzige, was ich noch habe.“

„Nein,“ erwiderte Geraldine. „Du hast auch dich. Und das ist mehr wert als jedes Schiff.“

Ein langer Moment Stille. Nur das Surren der Hilfsdrohne füllte den Raum.

„Und wenn ich auf deinen Carrier gehe,“ fragte Echo schließlich, die Worte wie Gift im Mund, „wie lange bin ich dann dein Gast, bevor ich zur Last werde?“

Geraldine ließ sich Zeit mit der Antwort. „So lange, wie du willst. Ich schreibe dir keine Regeln vor. Ich zwinge dir nichts auf. Du bekommst ein Quartier. Dein Schiff wird repariert. Und wenn du wieder losfliegen willst, dann fliegst du.“

Echo wandte sich um, musterte sie. In ihrem Blick lag Zorn, aber darunter glomm etwas anderes – Misstrauen, das Risse bekam.

„Warum tust du das?“ flüsterte sie. „Ich hab dir nie einen Grund gegeben, mir zu vertrauen.“

Geraldine hielt stand. „Weil du mich gerufen hast. Und weil ich weiß, wie es ist, wenn man glaubt, niemand würde einen sehen.“

Echo presste die Lippen aufeinander, als wollte sie eine Antwort zurückhalten. Doch sie kam nicht. Stattdessen setzte sie sich schwer auf eine Kiste, die Arme auf die Knie gestützt, der Kopf gesenkt.

Sie rieb sich über die Stirn, die Finger hinterließen eine Spur aus Ruß. „Wenn ich dir das erlaube… verliere ich mehr, als ich gewinne.“

Geraldine kniete sich vor sie hin, so dass sie auf gleicher Höhe waren. „Du verlierst nichts. Du verschiebst nur, wo du reparierst.“

„Dein Carrier…“ Echo schüttelte den Kopf, als müsse sie allein vom Gedanken würgen. „Das ist wie ein Leuchtfeuer. Wenn jemand sehen will, wo ich bin, dann…“

„Deshalb stelle ich ihn nicht hierher.“ Geraldines Stimme war fest, aber ruhig. „Er bleibt weit um die 70 Lichtjahre weg. Niemand erfährt, dass du hier bist. Du springst zu ihm – wenn deine Scout es noch schafft. Und ich fliege neben dir. Falls du ausfällst, bin ich da.“

Echo hob langsam den Kopf. Ihre Augen waren gerötet, aber klar. „Siebzig Lichtjahre?“

„Siebzig.“ Geraldine nickte. „Genug, um dich zu schützen. Nah genug, dass du ankommst.“

Ein leises Lachen, brüchig wie Glas, entwich Echo. „Du hast für alles eine Antwort, hm?“

„Nein,“ sagte Geraldine. „Nur für das, was zählt.“

Die beiden sahen sich lange an. Keine Worte, nur das Summen der Scout, die notdürftig wieder Strom bekam. Schließlich atmete Echo tief aus.

„Wenn ich das mache… dann nur, weil du neben mir fliegst.“

„Genau deshalb biete ich es dir an.“

Ein Nicken, kaum sichtbar. Aber genug.

Geraldine griff zum Com, ihre Stimme sachlich, als ginge es um Routine.
„Citadel Geraldine, Kursänderung. Nächstes Ziel: Corvalis. Transfer sofort beginnen.“

Ein kurzes Bestätigungssignal flackerte über das Panel. Keine Nachfragen, kein Kommentar – für die Crew war es nur eine weitere Verlegung, nicht mehr.

Sie klappte das Gerät zu und sah Echo an. „Der Carrier wartet. Dein Schiff schafft das – und ich fliege neben dir.“

Echo nickte langsam, noch immer widerwillig, aber zum ersten Mal ohne Einwand.

„Dann los,“ sagte sie. „Wir holen dich nach Hause.“

Echo sah noch einmal zum Reaktorblock, als wollte sie sich von einem alten Gegner verabschieden. Dann stand sie auf. „Na gut. Aber nur dies eine Mal.“

„Das reicht,“ erwiderte Geraldine.

Echo saß angespannt im Pilotensitz ihrer Scout. Die Systeme zitterten bei jedem Schubstoß, als würden sie gleich wieder versagen. Geraldine hielt mit Ashley dicht daneben, die massige Silhouette der Anaconda wie ein schützender Schatten.

„Halt sie unter neunzig Prozent Schub,“ meldete Geraldine über Funk. „Sonst bricht dir die Steuerung weg.“

„Ich weiß, wie man fliegt,“ fauchte Echo zurück, doch der Schweiß glänzte auf ihrer Stirn. Der Stolz war da, aber er bekam Risse.

Sprung für Sprung arbeiteten sie sich voran, bis der nächste Frameshift ins Leere griff. Warnlichter flammten in Echos Cockpit auf.

„Verdammt. Kühlkreislauf bricht zusammen.“

„Zieh sie runter,“ befahl Geraldine sofort. „Da vorne – planetare Oberfläche, dünne Atmosphäre. Setz sie auf, bevor sie dir verreckt.“

Echo biss die Zähne zusammen, steuerte den Planeten an. Die Scout ächzte, Funken sprühten aus einem Seitenschild, doch sie schaffte den Eintritt. Mit einer harten Landung setzten sie auf einer grauen Ebene auf, Staubwolken stiegen wie Nebel auf.

Geraldine landete Ashley daneben. Minuten später stand sie in Echos Schiff, den Werkzeugkoffer wieder geöffnet.

„Noch ein bisschen, und du wärst nicht mehr runtergekommen,“ sagte sie, während sie die verschmorten Leitungen prüfte.

Echo stand an der Wand, die Arme verschränkt, doch ihre Stimme war leiser. „Ich hasse es, dass du recht hast.“

Geraldine blickte kurz auf, ein Schimmer von Lächeln im Gesicht. „Dann gewöhn dich dran.“

Sie arbeiteten schweigend, bis der Kühlkreislauf stabilisierte. Echo atmete hörbar aus, als die Anzeigen wieder ins Grüne sprangen.

„Das hält bis zum Carrier,“ sagte Geraldine, die Werkzeuge verstaute. „Aber keinen Schlenker mehr, verstanden?“

„Verstanden,“ murmelte Echo, und diesmal ohne Widerworte.

Gemeinsam hoben sie wieder ab, die Scout schwerfällig, aber funktionstüchtig, Ashley wie ein Schutzschild daneben. Vor ihnen lag noch ein letzter Sprung – und das Versprechen, dass am Ende nicht nur eine Reparatur, sondern ein neues Stück Vertrauen wartete.

Die letzten Lichtjahre vergingen quälend langsam. Jeder Sprung war eine Prüfung für die Scout, jeder Ausstieg ließ das Schiff erzittern, als wolle es aufgeben. Geraldine hielt mit Ashley dicht daneben, Augen und Sensoren ununterbrochen auf Echos Werte gerichtet.

Dann, im letzten System, öffnete sich der Raum – und dort wartete die Citadel Geraldine. Der Carrier schwebte majestätisch im Dunkel, ein Träger aus Stahl und Licht. Nicht laut, nicht protzend, sondern wie eine Festung, die einfach da war.

„Bei allen Sternen,“ murmelte Echo, als der gewaltige Rumpf in ihrem Sichtfeld auftauchte. „Das Ding ist… riesig.“

„Er ist Heimat,“ erwiderte Geraldine knapp.

Die Scout kämpfte sich in den Nahbereich. Anzeigen blinkten, der Reaktor stotterte, doch mit jeder Korrektur von Geraldine blieb das Schiff in der Spur. Schließlich griffen die Andocksysteme des Carriers, Magnetarme führten den kleinen Rumpf sanft ins Innere.

Echo atmete tief durch, als das Klicken der Dockklammern durch ihr Schiff hallte. „Geschafft.“

„Ich hab’s dir gesagt.“ Geraldine ließ Ashley neben ihr einschwenken, die beiden Schiffe verschwanden nacheinander in den gewaltigen Hangar.

Drinnen war alles erfüllt von Licht, Bewegung und Stimmen. Techniker eilten heran, Geräte wurden bereitgestellt. Die Scout wirkte winzig zwischen den massiven Schiffsrümpfen, doch für die Crew war sie jetzt das Zentrum der Aufmerksamkeit.

Echo stieg aus, blinzelte ins helle Licht. Für einen Moment stand sie nur da, unfähig, ein Wort zu sagen. Geraldine trat neben sie.

„Willkommen auf der Citadel Geraldine,“ sagte sie ruhig.

Echo sah zu ihr hinüber. In ihrem Blick lag immer noch Stolz, aber er war nicht mehr kalt. Eher eine Art vorsichtige Anerkennung. „Vielleicht… ist das doch besser, als in der Ruine zu verrotten.“

Geraldine nickte. „Vielleicht.“

Die Türen zum Hangar schlossen sich, der Lärm ebbte ab, und für einen kurzen Moment war da nur das Gefühl von Ankommen – und der Anfang von etwas, das Vertrauen werden konnte.

Aufenthalt und Abschied

Der Hangar der Citadel Geraldine vibrierte vor Leben. Lichter jagten über die gewaltige Halle, Werkzeuge kreischten, Stimmen hallten zwischen den Stahlträgern. Für Geraldines Crew war es Routine – ein weiterer Anflug, ein weiteres Schiff.

Für Echo war es etwas anderes.

Sie stand am Fuß ihrer Scout, die zwischen zwei Andockarmen hing wie ein verletztes Tier. Um sie herum drängten sich Techniker, prüften Schotts, warfen Datenpads weiter. Das alles wirkte so groß, so geordnet, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurückwich.

„Beeindruckend, hm?“ Geraldine war neben ihr getreten, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ihre Stimme war ruhig, aber in ihren Augen lag ein kleines Funkeln.

Echo verschränkte die Arme, der Blick wanderte über die Halle. „Beeindruckend ist ein Wort. Einschüchternd trifft es besser.“

„Dann gewöhn dich dran.“ Geraldine nickte zu der Scout hinüber. „Sie werden dein Schiff von Grund auf durchgehen. Nicht nur flicken. Richtig reparieren.“

Echo zog die Augenbrauen hoch. „Und was kostet mich das?“

„Nichts, außer dass du ihnen nicht im Weg stehst.“

Für einen Moment war Echo still, ihr Blick glitt über die Menschen, die ohne zu zögern Hand anlegten. Man behandelte ihre Scout nicht wie Schrott, sondern wie etwas, das wichtig war. Das irritierte sie mehr, als sie zugeben wollte.

„Ich weiß nicht, ob ich das hier kann,“ murmelte sie schließlich.

Geraldine legte ihr kurz die Hand auf die Schulter, ein fester, sachlicher Druck. „Probier’s aus. Der Rest kommt später.“

Ein Crewmitglied führte sie durch die langen Korridore der Citadel Geraldine. Türen glitten leise auf, Stimmen wehten aus Werkstätten, die Luft roch nach Metall und dem unverwechselbaren Hauch von Recyclinganlagen. Echo sagte nichts, ihre Augen huschten von einem Schott zum nächsten, als wolle sie sich jeden Fluchtweg einprägen.

Vor einer unscheinbaren Tür blieb die Begleitung stehen. „Ihr Quartier.“ Ein Handgriff am Panel, die Tür öffnete sich.

Echo trat ein – und blieb stehen.

Der Raum war nicht groß, aber sauber, klar, vollständig. Ein Bett, ein Schrank, ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. An der Wand ein Terminal, das still auf Eingaben wartete. Es war kein Luxus, nichts Übertriebenes. Aber es war ein Raum, der nur ihr gehörte.

Sie berührte die Tischkante mit den Fingerspitzen, als müsse sie prüfen, ob es echt war. „Und hier… soll ich wohnen?“

„So lange du willst,“ sagte Geraldine von der Tür aus.

Echo drehte sich um, die Stirn gerunzelt. „Warum?“

„Weil du ein Teil der Citadel bist, solange du hier bist.“ Geraldine zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Und weil jeder hier einen Platz braucht.“

Echo ließ den Blick noch einmal schweifen. Die Hände blieben auf der Tischkante liegen, fest, als hielten sie sich an dem Gedanken fest. Schließlich nickte sie knapp. „Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal eine Tür hinter mir schließen konnte.“

„Diesmal ist die Tür deine,“ erwiderte Geraldine.

Die ersten Tage auf der Citadel Geraldine vergingen mit Arbeit. Techniker zerlegten die Scout Schicht für Schicht, schoben ganze Module auf Schienen aus dem Rumpf, prüften jede Leitung, jedes Schott. Echo beobachtete das anfangs misstrauisch aus der Distanz, die Arme verschränkt, als erwarte sie, dass jemand ihr Schiff entweihe. Doch niemand behandelte es wie Schrott – jeder Griff war präzise, jeder Kommentar sachlich. Das nagte an ihrem Widerstand mehr als jede Rede.

Am Abend fanden sich Geraldine und Echo oft in der Lounge wieder. Kein offizielles Treffen, mehr ein stilles Ritual, das sich einstellte. Mal war es nur ein Glas Wasser zwischen ihnen, mal eine dampfende Tasse Kaffee.

Die Gespräche begannen flach. Über Technik, über den Lärm der Werkstatt, über das Essen an Bord. Doch mit jeder Nacht wurden sie tiefer.

„Deine Crew hört auf dich,“ sagte Echo eines Abends, die Beine locker über die Stuhlkante gelegt. „Nicht, weil sie müssen. Weil sie wollen. Das habe ich selten gesehen.“

Geraldine lehnte sich zurück, die Hände um den Becher. „Vielleicht, weil ich nie vergesse, dass sie Menschen sind. Nicht nur Funktionen.“

Echo schnaubte leise, aber ohne Spott. „Das klingt fast… menschlich.“

„Sollte es nicht genau das?“

Ein Schweigen, in dem sich Echos Blick auf dem Tisch verlor. „Ich habe zu lange so getan, als bräuchte ich niemanden. Aber wenn ich dir das sage, klingt es, als wäre ich schwach.“

„Schwach ist, wenn du lügst,“ entgegnete Geraldine. „Ehrlichkeit ist härter. Sie zwingt dich, dich selbst zu sehen.“

Echo hob den Kopf, und für einen Moment war in ihren Augen kein Trotz, sondern etwas anderes: Neugier.

„Und was siehst du, wenn du dich selbst ansiehst?“ fragte sie.

Geraldine hielt inne. „Jemanden, der gelernt hat, nicht aufzugeben. Auch wenn es leichter wäre.“

Echo lachte kurz, heiser, fast wie ein Husten. „Dann sind wir uns vielleicht ähnlicher, als ich dachte.“

Es war die vierte Nacht an Bord. Die Lounge war fast leer, nur das leise Summen der Systeme füllte den Raum. Geraldine saß am Rand der Sofabank, ein Notizpad in der Hand, auf dem sie Routinen überprüfte. Echo stand am Panoramafenster, die Arme verschränkt, die Stirn nah an der Scheibe.

„So viel Platz,“ murmelte sie, mehr zu sich selbst. „Ein Schiff, das ein ganzes Universum in sich tragen könnte. Und ich habe mich jahrelang in einer Scout vergraben.“

„Eine Scout kann genauso Heimat sein,“ sagte Geraldine ruhig. „Es hängt nicht vom Platz ab.“

Echo drehte sich zu ihr, die Augen schmal. „Du sagst das, während du auf einem fliegenden Palast sitzt.“

Geraldine legte das Pad beiseite. „Ich sage das, weil ich meinen Namen fast verloren hätte. Und damit das Einzige, was größer war als jedes Schiff.“

Es entstand eine Stille, die nicht unangenehm war, sondern schwer, wie eine Wahrheit, die sich hinsetzt. Echo löste die Arme, kam näher, ließ sich schließlich neben Geraldine nieder.

„Weißt du,“ begann sie leise, „ich hätte dich früher ausgelacht. Wegen solcher Sätze. Aber jetzt… klingt es anders. Echtes anders.“

Geraldine drehte den Kopf, suchte ihren Blick. „Weil es keine Geschichte ist. Es ist passiert. Und wenn du das durchmachst, begreifst du, was wirklich zählt.“

Echo nickte langsam. Ihre Hände ruhten auf den Knien, angespannt, aber sie ließ sie offen. „Vielleicht… vertraue ich dir mehr, als ich will.“

Geraldine lächelte schwach. „Dann fang klein an. Vertrauen wächst, genau wie alles andere.“

Zum ersten Mal wich Echo nicht sofort aus. Sie blieb sitzen, dicht neben ihr, und ließ die Stille für beide tragen.

Eine Woche später stand die Scout wieder im Hangar, frisch versiegelt, die Rumpfplatten glänzten wie neu. Es war noch immer dasselbe Schiff, und doch wirkte es anders – als hätte die Arbeit der Techniker nicht nur Metall, sondern auch den Glauben daran erneuert, dass es noch Zukunft hatte.

Echo ging langsam um den Rumpf herum. Sie strich mit der Hand über eine Naht, die kaum zu sehen war, verharrte einen Augenblick, als müsse sie begreifen, dass es wieder hielt.

„Sie haben mehr getan, als ich verdient habe,“ sagte sie schließlich.

„Sie haben getan, was nötig war,“ erwiderte Geraldine.

Echo blieb stehen, wandte sich ihr zu. Ihr Blick war ernst, ungewohnt klar. „Ich weiß nicht, wie ich das je zurückzahlen soll.“

„Du musst es nicht zurückzahlen,“ antwortete Geraldine. „Manchmal reicht es, wenn man es annimmt.“

Ein langer Moment, in dem Echo nichts sagte. Dann nickte sie, knapp, fast unmerklich. „Das fällt mir schwerer als alles andere.“

„Ich weiß.“

Die beiden sahen sich an, ohne Worte, bis das Summen der Systeme den Moment wieder einholte. Schließlich stieg Echo die Rampe hinauf, blieb aber noch einmal stehen.

„Danke, Geraldine.“ Zum ersten Mal klang das Wort nicht gepresst oder widerwillig, sondern frei.

Geraldine hob die Hand, ein kleines, nüchternes Zeichen. „Melde dich, wenn du angekommen bist.“

„Das tue ich.“

Die Scout hob wenig später ab, glitt durch den geöffneten Hangar hinaus ins All. Geraldine verfolgte den Punkt, bis er verschwunden war. Dann drehte sie sich ab, doch ihr Blick blieb schwer, als hätte er ein Stück mehr gesehen, als Worte fassen konnten.

Stunden später, im Quartier, blinkte das Com. Echo’s Stimme, kurz, klar: „Bin angekommen. Alles läuft. Und… ich meine es ernst: danke.“

Geraldine legte das Gerät zur Seite, lehnte sich zurück. Zum ersten Mal seit langem fühlte sich Vertrauen nicht wie ein Risiko an – sondern wie etwas, das man halten konnte.

Die Lounge lag still, nur das leise Surren der Projektoren erfüllte den Raum. Geraldine hatte sich mit einem Glas Wasser an den Tisch gesetzt, den Rücken gegen die Lehne gedrückt. Auf dem Holo flimmerte eine Nachrichtensendung, eine dieser endlosen Schleifen, die sie sonst kaum beachtete.

Sie hörte nur halb hin – Frachtrouten, Piratenüberfälle, Börsenkurse. Dann fiel ein Wort, das sie aus der Trägheit riss.

„…und nun offiziell bestätigt: Die Python Mk II geht ab sofort in die Auslieferung. Das Modell verfügt über erweiterte Modularität, verbesserte Triebwerksleistung und modernisierte Verteidigungssysteme. Erste Exemplare sind bereits in Shinrarta Dezhra verfügbar.“

Geraldine richtete sich auf. Ihr Blick blieb auf dem Holo hängen, während in ihr etwas aufleuchtete, das sie nicht kontrollieren wollte.

Rosie kam just in diesem Moment herein, ein Datenpad in der Hand. „Hast du das gehört?“

„Ja.“ Geraldine stellte das Glas ab. „Python Mk II.“

„Gerade freigegeben,“ bestätigte Rosie. „Zugang nur für Elite-Piloten.“

Geraldine nickte langsam, dann stand sie auf. Das Gewicht des letzten Tages, der Abschied von Echo, die Gespräche – all das blieb zurück. Vor ihr lag ein neuer Impuls, klar und unausweichlich.

„Brücke informieren,“ sagte sie ruhig. „Neuen Kurs setzen: Shinrarta Dezhra.“

Rosie hob die Augenbrauen, lächelte knapp und tippte auf ihr Pad. „Kurs wird berechnet.“

Geraldine trat ans Fenster, die Hände auf dem Geländer. Draußen streuten die Sterne ihr kaltes Licht, gleichgültig wie immer. Und doch fühlte es sich an, als hätten sie ihr gerade eine Richtung gegeben.

Kapitel 28