
Ausfall
Der Tag begann ruhig, fast zu ruhig. Keine Funksprüche, kein Werkstattlärm – bis Rosie sich meldete.
„Commander, du solltest in den Hangar kommen. Es geht um Cynthia.“
Das klang nicht nach Routine.
Geraldine nahm den nächsten Lift und trat Minuten später durch das Schott. Der Geruch von verbranntem Metall hing noch immer in der Luft. Unter dem Hallenlicht lag Cynthia – die mächtige Cutter – wie ein aufgeschlitzter Wal. Der rechte Schubblock war ausgebaut, Streben offen, Leitungen freigelegt.
Holland stand auf der Plattform darüber, Helm unter dem Arm, Gesicht versteinert.
„Das wird länger dauern, als wir dachten.“
Geraldine verschränkte die Arme. „Wie lange?“
„Wenn alles glattläuft? Drei Wochen. Wahrscheinlicher vier.“
„Was genau?“
„Trägerschaden am Sekundärring. Der Schlag hat uns nicht nur die Außenhaut verzogen – die ganze Struktur sitzt schief. Wir müssen das halbe Antriebsgerüst rausnehmen und neu einpassen.“
Geraldine sah schweigend auf die zerrissene Hülle. Es gab keine Abkürzung, keinen Trick. Cutter-Rahmen waren stabil – und gnadenlos, wenn sie einmal verzogen waren.
„Also Grounding,“ sagte sie leise.
„Komplett.“
Sie nickte. „Gut. Dann wissen wir’s wenigstens.“
Ein kurzer Moment Stille. Dann:
„Rosie, was fehlt uns noch an Material?“
Rosie stand schon mit dem Tablet bereit, als Geraldine sich zu ihr umdrehte.
„Rund fünfhundert Tonnen fehlen noch,“ sagte sie. „Baustahl, Composite-Paneele, Energieverteiler. Nichts Exotisches, aber sperrig. Ohne die Cutter wird’s eng.“
Geraldine nickte langsam. „Wie viele Systeme kommen in Frage?“
„Drei, vielleicht vier. Alles im Sprungbereich, aber verstreut. Keines davon hat genug Material allein.“
Sie fuhr sich mit dem Daumen über die Unterlippe. „Also drei Systeme, mehrere Flüge. Keine Cutter, kein Großfrachter …“
„Tiffany?“ warf Rosie vorsichtig ein.
Geraldine seufzte. „Die T9 läuft noch, ja. Aber ohne SCÜ ist das Ding tot im Raum. Wir müssten sie komplett umbauen – Triebwerke, Energieverteiler, Navigation. Wochenarbeit, und das Risiko, dass uns die Struktur auseinanderfällt.“
Rosie blätterte auf ihrem Display. „Dann bleibt uns nichts, was die Menge schafft.“
Geraldine schwieg einen Moment. In ihrem Kopf lief eine Liste durch – Schiffe, Routen, Zeiten, Kompromisse. Schließlich sagte sie:
„Vielleicht doch. Der T8.“
Rosie hob den Kopf. „Das neue Modell? Der mittlere Frachter?“
„Genau der. Nicht groß, aber modern. Leicht umzurüsten und kann auf mittleren Pads landen. Das spart uns Transfers.“
„Zu wenig Kapazität?“
„Vielleicht. Aber er ist schnell verfügbar. Und wartungsfreundlich. Wenn wir ihn voll ausbauen und die Trägerstruktur anpassen, kommen wir auf etwa dreihundertfünfzig Tonnen. Schilde bleiben drauf – ich flieg keine nackten Rümpfe mehr.“
Rosie nickte langsam, die Gedanken schon bei Logistik und Terminals. „Das könnte reichen – zwei Touren, wenn alles glattläuft.“
„Es muss reichen,“ sagte Geraldine. „Cynthia steht, Tiffany kann’s nicht. Wir brauchen Bewegung.“
Hinter ihnen öffnete sich das Hangartor mit einem leisen Zischen. Amanda trat ein, die Hände in den Taschen, den Blick direkt auf die demolierte Cutter gerichtet.
„Ich geh mal davon aus, das ist keine neue Dekoration?“
„Nein,“ antwortete Geraldine trocken. „Das ist Stillstand auf vier Triebwerken.“
„Sieht nach einem richtig guten Tag aus.“ Amanda grinste schief, kam näher. „Was ist der Plan?“
„Ein T8. Provisorisch.“
Amanda hob eine Augenbraue. „Das fliegende Kühlregal?“
„Wenn’s fliegt und trägt, reicht mir das.“
Amanda lachte leise. „Du bist echt unverbesserlich.“
„Oder konsequent.“
Die beiden sahen einen Moment schweigend auf Cynthia. Dann sagte Geraldine leise:
„Solange sie steht, fliegen wir weiter. Irgendwie.“
Geraldine blieb noch stehen, während Rosie und Amanda sich über mögliche Bezugsquellen beugten. Ihr Blick wanderte unwillkürlich zu dem zweiten Hangarabschnitt – dort, halb verdeckt von Versorgungskisten, ruhte Tiffany.
Die T9 war ein vertrauter Anblick: groß, stoisch, mit dieser Würde alter Maschinen, die alles schon gesehen hatten.
Sie ging langsam hinüber, legte eine Hand auf die Hülle. Die Oberfläche war stumpf geworden, vom Staub der Jahre matt poliert.
„Du warst nie das schnellste Schiff,“ murmelte sie, „aber du hast uns nie hängen lassen.“
Die alte Mining-Ausrüstung war noch montiert – halb deaktiviert, aber vollständig.
Funktional, nicht modern.
Und ohne SCÜ.
Geraldine blieb einen Moment stehen, sah auf die schweren Verbindungsplatten am Rumpf.
Vielleicht, dachte sie, wird es Zeit, dich aufzurüsten. Nicht jetzt – aber bald.
Mit neuen Triebwerken, einem modernen Energieverteiler und einem Supercruise-System könnte Tiffany wieder das werden, was sie einmal war – zuverlässig, stark, ihr Fundament. Aber dafür brauchte sie Zeit. Zeit, die sie im Moment nicht hatte.
„Commander?“ Rosie stand hinter ihr, das Tablet an die Brust gedrückt.
„Ja?“
„Die Daten der umliegenden Systeme sind auf dem Laufwerk. Wenn du dich für den T8 entscheidest, kann ich die Handelsverbindungen vorbereiten.“
Geraldine drehte sich um – und erst jetzt fiel ihr Blick auf die hintere Hangarsektion.
Zwischen den Andockarmen, unscheinbar wie ein übersehener Werkzeugkasten, stand der T8.
Neu, gelb, kompakt – und bereit.
Sie lächelte kaum merklich. „Ich hab mich schon entschieden.“
Rosie folgte ihrem Blick, nickte langsam. „Er steht also schon hier.“
„Sieht so aus.“
Geraldine trat näher, legte eine Hand an die Außenhaut. Das Metall war kühl, sauber, fast zu perfekt.
„Dann ist das jetzt unser Frachter.“
Amanda trat neben sie. „Du weißt schon, dass das Ding aussieht, als wär’s aus einem Möbelkatalog?“
„Solange es fliegt und trägt, darf’s auch aus Sperrholz sein,“ erwiderte Geraldine.
Sie drehte sich zu Rosie. „Mach die Daten fertig. Wir fliegen morgen.“
„Verstanden.“
Geraldine sah noch einmal zu Tiffany, dann zu Cynthia. Zwei Veteraninnen, beide außer Gefecht.
Und dazwischen der Neue – effizient, funktional, kompromisslos.
„Na schön,“ sagte sie leise. „Dann zeigen wir der Galaxis, was Improvisation bedeutet.“
Grundstein
Theresa hing träge im Raum, die Laderäume halbvoll, der Bordcomputer maulte über die Trägheit der Navigationsdaten. Geraldine verdrehte die Augen.
„Ja, ja, ich weiß,“ murmelte sie. „Wenn du schneller rechnen würdest, wären wir schon da.“
„Zielsystem bestätigt. Bitte bestätigen Sie den Kurs.“
„Ich bestätige, dass ich gleich durchdreh, wenn du noch mal fragst.“
Sie aktivierte den Frameshift, lehnte sich zurück und ließ das Summen des Antriebs in ihren Brustkorb sinken. Nach Jahren in übermotorisierten Brocken fühlte sich Theresa fast zivilisiert an – klein, wendig, brav. Fast zu brav.
„Ankunft in: 17 Sekunden.“
„Perfekt. Zeit genug, um mich über dich zu ärgern.“
Der Sprung fiel ab, der Stern dehnte sich in grellem Licht. Geraldine aktivierte die Scanner und seufzte, als sich die Handelsliste aufbaute.
„Na, mal sehen, was uns diesmal erwartet: überteuerte Composite, minderwertige Polymere und ein Docking Officer mit zu viel Ego.“
Sie schaltete auf Funk.
„Hier Theresa, Anfrage auf Andockfreigabe.“
„Identifikation bestätigt. Bitte beachten Sie: Docking Bay 4 ist derzeit in Wartung, Bay 7 steht für mittelgroße Schiffe zur Verfügung.“
„Ich hab ein mittelgroßes Ego, zählt das?“
„Wiederholen Sie?“
„Nichts, alles gut.“
Sie grinste schief und brachte Theresa in Position.
Das Schiff reagierte leichtfüßig, fast überempfindlich – als wollte es beweisen, dass es alles besser konnte als die Cutter.
„Du bist kein Ersatz, Mädel,“ sagte sie leise. „Nur der Beweis, dass Improvisation funktioniert.“
Der Andockvorgang lief glatt, diesmal ohne Kratzer, ohne Kollision, ohne Panikmeldungen aus der Werkstatt. Ein kleines Wunder.
Über Interkom meldete sich Rosie von der Citadel:
„Telemetrie sauber. Ich seh’ dich im System. Schon was Brauchbares gefunden?“
„Ein paar Paletten Baustahl, zehn Tonnen Energieverteiler und einen Typen, der glaubt, ‚Commander‘ sei ein Vorname.“
Rosie lachte. „Klingt nach Routine.“
„Routine wär, wenn mal keiner mit mir flirten oder mich anbrüllen würde.“
„Das wäre langweilig.“
„Sag das nicht – ich würd’s riskieren.“
Sie landete, parkte sauber, die Ladeluken öffneten sich. Draußen war nur das übliche Dock-Chaos – Laderoboter, Schweißfunken, hektische Menschen. Alles funktionierte, keiner hatte Zeit für Pathos.
Geraldine mochte das.
Theresa schob sich mit ruhigem Schub zurück in den Hangar. Kaum waren die Triebwerke verstummt, hallte das metallische Klacken der Laderampen durch den Raum.
Geraldine stieg aus, zog die Handschuhe aus und blickte zu Rosie, die bereits mit dem Tablet in der Hand auf sie wartete.
„350 Tonnen geliefert,“ sagte Rosie, „alles erfasst und verbucht.“
„Und?“ fragte Geraldine.
„Bleiben noch hundertfünfzig. Neunzig Tonnen Verbundpaneele, sechzig Energieverteiler.“
Geraldine nickte knapp. „Quellen?“
„Zwei Systeme. Hami Q1 hat die Paneele, LHS 4317 die Verteiler. Beide im Sprungbereich, kein Piratenverkehr, stabile Märkte.“
„Klingt, als wär das mal unkompliziert,“ sagte Geraldine und griff nach ihrem Helm.
„Ich mag’s, wenn du das sagst,“ murmelte Rosie und notierte bereits die Handelsaufträge.
Geraldine ging die Checkliste auf ihrem Pad durch. „Sobald ich raus bin, prüf bitte den Anflugkorridor zur Baustelle. Ich will diesmal keine Überraschungen.“
„Verstanden. Hangar öffnet in drei… zwei…“
Das Tor schwang auf, und Theresa glitt hinaus – fast lautlos, als hätte das Schiff gelernt, dass sie keine Nerven mehr für Drama hatte.
Die erste Station, Hami Q1, empfing sie mit effizienter Gleichgültigkeit. Docking-Protokoll, Bezahlung, Beladung – keine Verzögerung. Drei Paletten Verbundpaneele, jede geprüft, jede plombiert.
„Das nenn ich Service,“ murmelte sie, während der letzte Container verriegelt wurde. „Vielleicht sollte ich öfter hierher.“
Zwei Sprünge weiter: LHS 4317. Gleiche Routine.
Sechzig Tonnen Energieverteiler, sauber verladen, kein Smalltalk, keine Zwischenfälle.
Als der letzte Container einrastete, blieb Geraldine einen Moment im Frachtraum stehen. Nur das Summen der Trägheitsdämpfer und der Geruch von Metall.
Sie legte eine Hand an die kalte Innenwand, sah auf die Frachtanzeige: 150 t / Kapazität erreicht.
„Das war’s,“ sagte sie leise.
Sie ging zurück ins Cockpit, schloss die Ladeluken und sah hinaus ins Schwarz.
Zwei Systeme, kein Ärger, kein Schaden – fast unheimlich.
„Frameshift bereit. Ziel: Outpost-Baustelle, Synuefe NZ-V b48-3.“
„Bestätigt,“ sagte sie. „Letzte Runde.“
Theresa richtete sich auf Kurs.
Der Antrieb zündete, die Sterne streckten sich zu Linien – ein vertrauter Anblick, diesmal ohne Druck, ohne Eile.
Geraldine lehnte sich zurück, ließ die Hände vom Steuer und spürte, wie die Spannung langsam abfiel.
Das war der letzte Lauf. Danach stand der Außenposten.
„Outpost Geraldine,“ murmelte sie. „Klingt noch immer verrückt.“
Das Schiff summte gleichmäßig. Kein Widerspruch. Kein Kommentar. Nur Zustimmung.
Der letzte Sprung fiel weich ab.
Das Licht des Systems flutete durch das Cockpit, hell, klar, fast freundlich.
Vor ihr schwebte die Baustelle – ein Netz aus Stahl, Modulen, Energiekanälen, das inzwischen nicht mehr wie ein Rohbau aussah. Es war etwas anderes geworden. Etwas, das Form hatte.
Geraldine drosselte den Schub.
„Baustelle Synuefe NZ-V b48-3, Frachter Theresa. Frachtlieferung gemäß Bauphase: Abschlusslieferung.“
„Theresa, Anflug genehmigt. Willkommen zurück, Commander.“
Die Stimme war ruhig, sachlich, aber sie hörte, dass selbst der Funkoffizier grinste.
Langsam brachte sie das Schiff in Position.
Im Sichtfeld glitten die Strukturen unter ihr vorbei – fertig montierte Module, blinkende Korridore, leuchtende Dockringe.
Die Station atmete, langsam, gleichmäßig, fast wie ein Lebewesen.
Rosies Stimme kam über den Kanal.
„Scans bestätigen: Alle Bauabschnitte stehen. Energieversorgung bei 98 Prozent, Lebenssysteme im Testlauf. Du bringst den letzten Teil, Commander.“
Geraldine nickte, obwohl niemand sie sah.
„Dann machen wir das rund.“
Theresa schwebte in den Dockkorridor. Magnetgreifer packten die Container, entluden sie mit der Präzision eines Uhrwerks. Jeder Schlag des Andocksystems hallte durch das Cockpit – gedämpft, rhythmisch, endgültig.
Eine Anzeige blinkte auf.
Frachtübertragung abgeschlossen – Material vollständig – Bauphase abgeschlossen
Geraldine starrte einen Moment auf die Zeile.
Sie hatte sie hundertmal gelesen in Simulationen, Entwürfen, Plänen. Aber diesmal war sie echt.
„Sag’s mir, Rosie,“ sagte sie leise.
Rosies Stimme war fast feierlich, aber ruhig.
„Bestätigung eingegangen. Outpost Geraldine offiziell registriert und betriebsbereit. Wir haben’s geschafft.“
Geraldine lehnte sich im Sitz zurück, legte die Hände auf die Konsole.
Der Puls in ihren Schläfen pochte leise, gleichmäßig.
Kein Triumphschrei. Kein Applaus.
Nur Stille.
Und dieses Gefühl, als hätte sich irgendwo tief in ihr etwas gelöst.
Der Rückflug war ruhig.
Geraldine ließ Theresa fast treiben, als sie sich der Citadel näherte. Der Frachter vibrierte sanft, die Systeme liefen stabil, der Bordcomputer meldete nichts. Ein ungewohntes Gefühl – keine Fehler, keine Warnungen, kein Druck.
„Outpost Geraldine…“, murmelte sie, „…steht.“
Das klang noch fremd. Wie ein Gedanke, der erst Wurzeln schlagen musste.
Die Citadel tauchte im Licht des Sterns auf, gewaltig und vertraut. Als die Hangartore sich öffneten, stand Rosie bereits unten mit verschränkten Armen, Holland daneben, Ölspuren auf den Händen. Beide lächelten – erschöpft, aber zufrieden.
„Letzte Lieferung durch,“ sagte Geraldine, als sie ausstieg.
„Ich hab’s gesehen,“ antwortete Rosie. „Registrierung ist offiziell. Glückwunsch, Commander.“
„Noch kein Grund zum Feiern,“ meinte Geraldine, „die Station läuft erst im Teilbetrieb. Energie, Lebenserhaltung und Strukturrahmen sind online – der Rest braucht noch Wochen Feinarbeit.“
„Trotzdem,“ sagte Holland, „wir haben’s geschafft. Von null auf eine funktionierende Station – das ist nicht ‚teilweise‘, das ist Wahnsinn.“
Geraldine lächelte schmal. „Dann ist Wahnsinn wohl unser Standard.“
Ein leises Klirren hinter ihr. Amanda kam die Rampe herunter, die Flugjacke halb geöffnet, ein undefinierbares Getränk in der Hand.
„Na, hab ich’s verpasst? Oder läuft das Ding schon?“
„Noch nicht,“ sagte Geraldine. „Sie steht, aber sie atmet noch nicht.“
„Das ist die poetischste Ausrede, die ich seit Monaten gehört hab.“ Amanda grinste, sah sie prüfend an. „Kann man schon rüberfliegen?“
„Nur, wenn du kalte Luft und defekte Türen magst.“
„Also: Dienstagabend auf der Citadel.“
Rosie lachte, Holland schnaubte, und Geraldine schüttelte leicht den Kopf. „Ich sag’s dir, Amanda – du wärst der Albtraum jeder Bauaufsicht.“
„Und du wärst ihr Lieblingskunde,“ konterte Amanda. „Immer pünktlich, immer still, nie zufrieden.“
„Das nennt man Zielstrebigkeit.“
„Ich nenn’s Therapiebedarf.“
Geraldine grinste, aber es blieb kurz still danach – dieses Schweigen, in dem alle wussten, dass sie gerade etwas Bedeutendes hinter sich hatten.
Rosie hob ihr Glas – irgendwer hatte es offenbar geschafft, echten Alkohol aufzutreiben.
„Auf Outpost Geraldine,“ sagte sie. „Und auf dich, Commander.“
Geraldine sah sie nacheinander an – Rosie, Holland, Amanda, die Crew im Hintergrund.
Menschen, die längst mehr waren als Personal.
Sie nahm das Glas, zögerte kurz und nickte.
„Auf euch,“ sagte sie leise. „Ohne euch gäb’s das hier nicht.“
Ein leises Klirren, gedämpft durch den Hangarhall.
Keine große Rede, kein Toast mit Musik – nur ehrliches Lächeln, müde Augen und der Geruch von Metall und Kaffee.
Für einen Moment war alles still.
Dann nickte Geraldine – mehr zu sich selbst als zu irgendwem sonst.
„Das war’s also,“ sagte sie. „Der Anfang ist geschafft.“
Ankunft
Zwei Wochen waren vergangen.
Die Citadel lief wieder im Routinebetrieb, die Baustellenberichte kamen inzwischen regelmäßig, nüchtern, fast langweilig. Geraldine sah sie sich trotzdem jeden Tag an.
An diesem Morgen war es Rosie, die aufblickte und sagte:
„Commander – neue Meldung vom Outpost. Du solltest das sehen.“
Geraldine kam näher. Auf dem Hauptschirm öffnete sich ein Statusfenster, unscheinbar, aber mit einer Zeile, die hängen blieb:
OUTPOST GERALDINE – STATUS: BEGEHBAR
Rosie grinste. „Atmosphäre stabil, Stromversorgung läuft, Zugangskorridore freigegeben. Noch kein Vollbetrieb, aber du kannst drauf landen.“
Geraldine sah kurz auf das Display, dann zu Rosie.
„Das heißt, sie steht wirklich.“
„Das heißt,“ erwiderte Rosie, „du darfst endlich hin.“
Geraldine nickte langsam. „Dann mach Theresa startklar. Ich will’s mit eigenen Augen sehen.“
Rosie bestätigte nur kurz, schon im Funkkanal. „Wird erledigt. Ich geb Holland Bescheid.“
Geraldine blieb noch einen Moment vor dem Bildschirm stehen, die Hände in den Taschen.
Schlicht, unspektakulär, aber sie wusste, was diese Zeile bedeutete.
Begehbar.
Ihr Außenposten war kein Bauprojekt mehr.
Er war ein Ort.
Geraldine kam in den Hangar, als die ersten Lichter über der Theresa aufglimmten.
Rosie hatte Wort gehalten: Triebwerke vorgewärmt, Systeme hochgefahren, die Ladekontrollen liefen bereits.
Ein sauberer, leiser Start. Genau so, wie Geraldine es wollte.
Sie blieb kurz stehen, sah zu, wie die Anzeigen an der Bordwand durchliefen, und atmete einmal tief durch.
Ein Flug. Kein Auftrag, kein Druck. Nur sie und der Außenposten.
Dann vibrierte der Boden. Ein grollendes Dröhnen hallte durch den Hangar, begleitet von aufblitzenden Positionslichtern.
Geraldine drehte sich um – und da kam sie hereingeschwebt: Amandas Python, elegant wie immer, viel zu nah an der Deckenkonstruktion, natürlich mit eingeschalteten Scheinwerfern.
„Ernsthaft?“ sagte Geraldine trocken, während sie sich die Hände in die Hüften stemmte.
Die Python drehte leicht, Triebwerke drosselten, ein letzter Zischlaut – dann fuhr die Rampe aus.
Amanda kam heraus, den Helm unterm Arm, das Grinsen schon fertig im Gesicht.
„Ich dachte, du wartest wenigstens, bis ich gelandet bin, bevor du abhauen willst.“
„Ich hau nicht ab,“ erwiderte Geraldine. „Ich flieg.“
„Klingt nach Haarspalterei.“ Amanda sah sich um, blieb vor der Theresa stehen. „Aha. Also das ist sie, die berühmte Übergangslösung.“
„Sie fliegt. Das reicht.“
Amanda klopfte gegen die Außenhülle, als würde sie ein Pferd prüfen. „Macht immerhin Geräusche. Nimmst du mich mit?“
„Das ist kein Ausflugsschiff.“
„Und trotzdem frag ich.“
Geraldine seufzte. „Was ist mit deiner Python?“
„Wird betankt. Ich hab zwei Stunden Leerlauf und Langeweile – eine gefährliche Kombination.“
Sie grinste, und Geraldine wusste, dass sie bereits verloren hatte.
„Na schön,“ sagte sie schließlich. „Aber du sitzt ruhig, und du fasst nichts an.“
„Ich verspreche nichts, was ich nicht halten kann.“
Geraldine verdrehte die Augen, ging zur Einstiegsrampe und deutete auf die Luke. „Dann komm. Aber wehe, du kommentierst mein Andocken.“
„Ich sag nur was, wenn du’s versaust.“
„Dann wird’s ein stiller Flug.“
Amanda grinste, folgte ihr ins Schiff.
Die Luke schloss sich, das Summen der Systeme wurde lauter – und während die Anzeigen nacheinander grün aufleuchteten, dachte Geraldine nur: Na toll. Ich hätte’s wissen müssen.
Theresa glitt lautlos durch den Supercruise.
Vor ihnen spannte sich das matte Licht des Systems, die Sonne lag tief und ließ die Schatten der Ringe wie Linien auf der Dunkelheit liegen.
Amanda saß auf dem Copilotensitz, die Füße lässig untergeschlagen, und starrte auf die Anzeigen.
„Sag mal ehrlich,“ begann sie, „du hättest auch einfach Urlaub machen können.“
„Hab ich versucht,“ erwiderte Geraldine ruhig. „War langweilig.“
Amanda schnaubte leise. „Dann baust du halt eine Station. Logisch.“
Geraldine grinste kaum merklich. „Jeder braucht ein Hobby.“
„Ziel in Reichweite. Distanz: 3200 Kilometer.“
Das Navigationsdisplay zoomte heran. Ein unscheinbarer Punkt, dann eine Silhouette – die typische, sechseckige Struktur eines Außenpostens. Funktional. Gleichförmig.
Aber während sie näher kamen, veränderte sich etwas.
Lichtkaskaden glitten über die Hülle.
Dockringe, noch ohne Farbe, glänzten roh im Sonnenlicht. Zwei Versorgungsträger arbeiteten an den äußeren Panels. Die Station war belebt – halb fertig, aber eindeutig lebendig.
Amanda lehnte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt.
„Sieht aus wie jede andere. Nur mit weniger Farbe.“
„Ja,“ sagte Geraldine leise. „Nur dass jede andere irgendwem gehört. Diese hier… gehört mir.“
Amanda blickte kurz zu ihr, sah die Ruhe in ihrem Gesicht und sagte nach einem Moment:
„Respekt.“
„Wofür?“
„Dafür, dass du’s wirklich gemacht hast.“
Geraldine antwortete nicht.
Das Display zeigte den Andockkorridor. Outpost Geraldine – der Name stand dort, nüchtern, in grauen Lettern.
Sie beobachtete, wie sich die Struktur langsam drehte, perfekt ausbalanciert, wie eine Antwort auf all die Sprünge, Kämpfe, Entscheidungen.
„Anflug genehmigt. Dock 3 freigegeben.“
„Na dann,“ sagte Geraldine leise. „Willkommen zu Hause.“
Amanda nickte nur.
Geraldine reduzierte den Schub, glitt in die Annäherung.
Das Dockfeld öffnete sich – kaltes Licht, frischer Stahl, der noch nie echten Betrieb gesehen hatte.
Kein Willkommen, kein Banner. Nur ein Ort, der bereit war, zu leben.
Das Andockfeld war hell erleuchtet, aber steril. Kein Schild, kein offizieller Empfang – nur das metallische Echo von Werkzeugen und die Bewegung von Arbeitern in grauen Overalls.
Gerüste standen entlang der Wände, Kabelbündel hingen von der Decke, vereinzelt zischten Schweißgeräte.
Geraldine und Amanda traten aus der Schleuse.
Ein Trupp Techniker wandte sich kurz um, nickte knapp und arbeitete weiter. Es roch nach Schmieröl und frischem Metall – nach einer Station, die gerade erst zu atmen lernte.
„Sieht ja gemütlich aus,“ meinte Amanda und trat über ein loses Kabel.
„Gib ihr Zeit,“ erwiderte Geraldine ruhig. „Sie ist noch halbfertig.“
„Halbfertig? Sieht eher aus, als hätte jemand vergessen, die Wände zu bestellen.“
Geraldine lächelte schmal. „Das nennt man Rohbau.“
„Ich nenn’s optimistisch.“
Eine Stimme kam von hinten. „Commander Cailloux-Delaurent?“
Ein Mann in orangefarbener Weste kam auf sie zu – Bauleiter, Mitte vierzig, mit einem Pad in der Hand und Metallstaub auf der Stirn.
„Willkommen auf Ihrem Außenposten. Noch etwas chaotisch, aber stabil. Energie, Schwerkraft und Atmosphäre laufen. Der Rest ist … in Arbeit.“
„Das seh ich,“ sagte Geraldine.
„Wenn Sie wollen, zeig ich Ihnen Ihre privaten Bereiche. Wir haben den Kernflügel fertiggestellt, aber der Innenausbau ist noch nicht abgeschlossen.“
Amanda grinste. „Ich komm mit. Ich will sehen, wie die Chefin wohnt.“
Geraldine hob eine Augenbraue. „Ich bin sicher, du findest was zum Kommentieren.“
„Garantiert.“
Sie folgten dem Bauleiter durch einen breiten, noch unfertigen Korridor.
Überall standen Kisten, Gerüste, offene Paneele. Der Boden war bereits versiegelt, glänzend grau, mit vereinzelten Markierungen für spätere Leitungen.
Hinter einer Sicherheitstür öffnete sich ein weiterer Abschnitt – ruhiger, sauberer, weniger Baustelle, mehr Struktur.
„Das ist der private Flügel,“ erklärte der Bauleiter. „Nur autorisierte Zugänge. Hier befinden sich das Quartier der Kommandantin, ein kleiner Konferenzraum und der Aussichtsbalkon.“
„Aussichtsbalkon,“ wiederholte Amanda. „Klingt teuer.“
„Klingt nach Planung,“ korrigierte Geraldine.
Der Mann öffnete die Tür zu Geraldines Quartier.
Der Raum war groß, aber noch leer, ein paar Bauleuchten warfen gelbes Licht über die unfertigen Paneele.
Doch trotz allem – man sah, was es werden würde: breite Sichtfenster zum Stern hin, eingelassene Konsolen, abgetrennte Bereiche für Ruhe, Arbeit und Privatsphäre.
Amanda trat langsam hinein, sah sich um.
„Nicht schlecht,“ sagte sie. „Wenn man’s sich vorstellen kann.“
„Ich kann,“ erwiderte Geraldine ruhig. Sie ging zum Fenster, blickte hinaus. Der Stern des Systems stand tief, tauchte die halbfertigen Strukturen in warmes Licht.
„Das wird mein Platz,“ sagte sie leise.
Amanda nickte. „Passt zu dir. Ordentlich, kontrolliert, mit Aussicht.“
Geraldine drehte sich halb zu ihr. „Heißt das, du findest’s gut?“
„Ich sag nur, ich würd hier auch wohnen – wenn’s eine Bar gäbe.“
Der Bauleiter grinste verlegen. „Die Bar ist im hinteren Segment. Noch geschlossen, aber in einer Woche sollte sie laufen.“
„Dann komm ich wieder,“ sagte Amanda trocken.
Geraldine schüttelte den Kopf. „Ich wusste, das war der einzige Grund, warum du mitgeflogen bist.“
„Natürlich. Ich wollt sichergehen, dass du dir keine nüchterne Station baust.“
„Keine Sorge,“ erwiderte Geraldine, während sie sich umdrehte und den Raum noch einmal musterte. „Hier wird’s laut genug.“
Der Bauleiter nickte höflich. „Wenn Sie möchten, Commander, kann ich Ihnen die restlichen Installationen im Technikbereich zeigen.“
„Später,“ sagte Geraldine. „Wir sehen uns um und fliegen dann zurück.“
„Verstanden. Willkommen zu Hause – zumindest fast.“
Geraldine blieb einen Moment in der Tür stehen, sah noch einmal in den Raum.
Dann nickte sie leicht.
„Fast reicht fürs Erste.“
Der Rückflug verlief wortlos.
Geraldine steuerte Theresa ruhig, fast mechanisch. Kein Musikkanal, kein Funkverkehr, keine Kommentare. Nur das tiefe, gleichmäßige Summen des Antriebs.
Sie sah kaum auf die Anzeigen. Alles lief von selbst – wie ein Atemzug.
Amanda saß neben ihr, den Blick nach vorn gerichtet, still. Keine Ironie, kein Spott. Sie wusste, dass das kein Moment für Worte war.
Das System glitt an ihnen vorbei, die Sterne zogen sich zurück, und in diesem lautlosen Zwischenraum begriff Geraldine langsam, was sie gerade gesehen hatte.
Etwas, das sie selbst erschaffen hatte.
Etwas, das bleiben würde, wenn sie längst weitergeflogen war.
Als Theresa die Citadel erreichte, stand Rosie bereits auf der Brücke, Holland kam von der Werft herüber.
Kein Empfang, keine Feier – nur Gesichter, die wussten, was passiert war.
Geraldine zeigte ihnen die Aufnahmen.
Die unfertigen Korridore, die Lichtstreifen an den Wänden, ihr Quartier mit Blick auf den Stern.
Rosie lächelte, Holland nickte langsam, und für einen Moment sprach keiner.
„Sie steht wirklich,“ sagte Rosie schließlich leise.
Geraldine nickte. „Ja.“
Amanda blieb etwas im Hintergrund, die Arme verschränkt, das Gesicht neutral – aber ihr Blick war weich geworden.
„Das war ein großer Tag,“ meinte sie.
„Vielleicht,“ erwiderte Geraldine. „Aber fühlt sich noch nicht so an.“
„Wird’s,“ sagte Amanda. „Nur nicht heute.“
Geraldine nickte, sah kurz zu ihr und dann wieder hinaus zum Stern.
„Ich wollt immer etwas bauen, das bleibt,“ sagte sie leise. „Etwas, das da ist, auch wenn ich nicht mehr bin.“
Niemand antwortete.
Die Stille reichte.
Sie lehnte sich zurück, die Bilder des Außenpostens noch immer auf dem Holo vor ihr, das matte Licht des Sterns darauf reflektiert.
Und in dieser Stille, zwischen Routine und Bedeutung, begriff sie es endlich:
Sie hatte aus dem Nichts einen Ort geschaffen.
Etwas, das größer war als sie selbst.
Ausbau
Drei Tage nach der Rückkehr war die Begeisterung abgeklungen – geblieben war Arbeit.
Geraldine stand in der Kommandozentrale der Citadel, ein Holo des Systems über dem Tisch.
Sie zoomte hinein, markierte Planeten, Orbits, Ressourcenpunkte.
„Outpost Geraldine ist stabil,“ sagte sie. „Jetzt müssen wir das System absichern.“
Rosie lehnte sich gegen die Konsole, die Arme verschränkt. „Ich hab die letzten Wochenberichte ausgewertet. Energieversorgung läuft, keine Systemfehler. Aber wir sind isoliert – keine Comms, keine Relays, keine Frühwarnsensoren.“
„Dann fangen wir damit an,“ erwiderte Geraldine. „Kommunikation zuerst, Sicherheit danach. Wir brauchen Reichweite und Überblick.“
Holland blätterte durch technische Daten. „Ich schlag Satellitencluster vor – drei Stück in elliptischer Bahn, plus eine Relaisstation. Gibt uns Netzabdeckung und einen Kommunikationspfad zur Citadel.“
„Mach’s,“ sagte Geraldine. „Ich will sie innerhalb des nächsten Monats oben haben.“
Rosie grinste leicht. „Dann kann ich wohl den Schichtplan vergessen.“
„Der Kaffee bleibt trotzdem rationiert,“ konterte Geraldine.
„Grausam.“
„Effizient,“ sagte sie trocken und sah wieder auf das Holo. Die Punkte formten ein Muster, das noch leer wirkte – aber nicht mehr lange.
„Das hier,“ murmelte sie, „ist erst der Anfang.“
Die folgenden Monate liefen ineinander wie ein einziger langer Flug.
Tage auf der Citadel, Nächte in den Bauprotokollen. Sprünge zwischen Systemen, endlose Materiallisten, Startsequenzen, Andockvorgänge.
Was anfangs ein einzelner Außenposten gewesen war, wuchs zu einem Netzwerk aus Aktivität.
Frachtkapseln kamen und gingen, Schiffe wechselten zwischen den Baustellen.
Manchmal war Geraldine mittendrin, manchmal beobachtete sie nur, wie das System arbeitete, das sie geschaffen hatte.
Zwischen den Wochen gab es keine klare Grenze mehr.
Der Carrier sprang, lagerte Material zwischen, neue Module wurden abgesetzt, alte erweitert.
Fünf Baustellen liefen gleichzeitig, jede mit eigenem Zeitplan, eigenem Chaos.
Und doch: nichts geriet außer Kontrolle.
Rosie koordinierte die Materialströme, Holland sorgte für Sicherheit und Wartung, und Geraldine – sie hielt das Ganze zusammen.
Jede Entscheidung, jedes Docking, jeder Sprung lief über ihren Tisch.
Im Holo über der Zentrale wuchs ein Muster: kleine Punkte, Linien, Signale.
Kommunikation, Sicherheit, Versorgung – Bausteine eines Systems, das allmählich mehr wurde als ein Projekt.
An manchen Abenden blieb Geraldine auf der Brücke, sah hinaus ins Dunkel.
Die Sterne waren dieselben, aber sie wirkten anders – nicht mehr wie etwas, durch das sie flog, sondern wie etwas, das ihr gehörte.
Mit dem ersten ruhigen Quartalsbericht kam die Stille zurück.
Keine Fehlermeldungen, keine Engpässe.
Die Satelliten standen, die Versorgung lief stabil, die Kommunikation reichte weit über den Orbit hinaus.
Geraldine lehnte sich auf der Brücke der Citadel gegen das Holo-Geländer, während sich das System vor ihr drehte – Synuefe NZ-V b48-3, ihr System.
Stabil. Berechenbar.
Zum ersten Mal seit Monaten musste sie nichts korrigieren, keine Listen abarbeiten, keine Lücken stopfen.
„Das Grundgerüst hält,“ meldete Rosie. „Sicherheitsnetze grün, Energie im Soll. Wir haben ein funktionierendes System, Commander.“
Geraldine nickte. „Dann fangen wir an, es zu füllen.“
Sie nahm ein neues Datenmodul, warf es ins Holo.
Planeten erschienen, Orbitlinien, potenzielle Standorte.
„Wir brauchen Märkte,“ sagte sie. „Abbau, Raffinerien, Industrie. Alles, was sich gegenseitig stützt.“
„Damit wir handeln können?“
„Damit wir leben können,“ korrigierte Geraldine ruhig.
Die nächsten Tage verbrachte sie nicht an der Konsole, sondern im Cockpit.
Sie flog selbst – von Orbit zu Orbit, über Oberflächen, durch atmosphärische Schleier.
Jeder Planet ein neuer Gedanke, jede Landung eine Entscheidung.
Auf einem der metallreichen Monde blieb sie länger, schwebte mit gedrosseltem Schub über den zerklüfteten Ebenen.
Das Gelände war ruhig, mineralisch reich, ideal für spätere Abbauzonen.
„Hier könnte die erste Raffinerie stehen,“ murmelte sie.
Sie markierte die Koordinaten und flog weiter.
In den nördlichen Regionen eines Eisplaneten stieß sie auf eine ungewöhnlich stabile Magnetfeldzone.
Rosie analysierte die Daten und schickte sie kommentarlos zurück.
Potenzial für Forschungsstation vorhanden – noch keine ausreichende Bodeninfrastruktur.
Geraldine sah auf die Werte und seufzte. „Also später.“
Es war klar: die Forschung musste warten.
Noch fehlte die Grundlage – Straßen, Energie, Lieferketten, Transport.
Ein System konnte nicht forschen, bevor es produzierte.
Sie blickte aus dem Cockpitfenster, über den hellblauen Horizont des Planeten hinweg.
„Erst Erde, dann Himmel,“ sagte sie leise.
Der Satz blieb im Funk hängen.
Rosie meldete sich kurz darauf. „Wie meinst du das?“
„Wir müssen unten anfangen,“ erwiderte Geraldine. „Bevor wir oben weiterkommen.“
Die nächsten Monate vergingen in einem gleichmäßigen Rhythmus aus Planung, Flügen und Bauphasen.
Geraldine hatte gelernt, in Etappen zu denken – in Versorgungsketten, Orbitlinien und Produktionszyklen.
Der Outpost war längst mehr als ein einsamer Außenposten: Versorgung, Sicherheit, Kommunikation – alles griff ineinander.
Immer wieder sprang die Citadel in nahegelegene Systeme, brachte Material, Vorräte, Ausrüstung.
Die Frachträume wurden zu Sammelpunkten für Rohstoffe, die über den Orbit verteilt abgesetzt wurden.
Langsam wuchsen auf den Planeten erste Anlagen: Abbauzonen, kleine Raffinerien, Industriebasen.
Es war kein Spektakel, nur Fortschritt – präzise, methodisch, fast leise.
Eines Abends saß Geraldine allein auf der Brücke, die Lichter der Citadel gedimmt, während das Holo über dem Tisch ihr System zeigte.
Punkte, Linien, Stationen – ein Netz, das zu leben begann.
Rosie hatte die letzten Berichte übermittelt: Energieversorgung stabil, Produktionslinien aktiv, Verkehr in den Routen.
Zum ersten Mal seit Monaten gab es keine dringende Baustelle mehr, keine Unterbrechung.
Das System funktionierte.
Geraldine zoomte in das Holo, auf den dritten Planeten – den, über dem sie einst stundenlang geschwebt hatte.
Ruhige Magnetfelder, stabile Oberfläche, Zugang zu natürlichen Energiequellen.
Der perfekte Ort.
Sie öffnete einen neuen Marker, tippte Koordinaten ein, verknüpfte sie mit einem alten Vermerk: „Langzeitprojekt: Forschungseinrichtung.“
Einen Moment blieb sie still. Dann schrieb sie darunter einen Namen.
Für Kathleen.
Sie lehnte sich zurück, betrachtete die kleine Markierung, kaum sichtbar zwischen all den Linien.
Doch für sie war das der Beginn von etwas Neuem.
Nicht mehr nur Infrastruktur, nicht mehr nur Planung.
Ein Ziel.
Und irgendwo in der Stille des Schiffs lächelte sie – kaum merklich, aber echt.
„Das hier,“ sagte sie leise, „ist erst der Anfang.“