
Sackgassen
Die Projektionen auf dem Kartentisch glühten wie ein Netz ohne Ausweg. Sprungvektoren, Routen, Codes. Geraldine lehnte sich mit beiden Händen auf die Konsole, während Mariam mit zusammengekniffenen Augen neue Varianten aufrief.
„Jeder dieser Frachter ist registriert,“ murmelte Mariam. „Die Kennungen sind öffentlich. Die Bande weiß sofort, dass es deins ist.“
Geraldine nickte, fühlte die Ungeduld in den Fingerspitzen. „Also kein glaubwürdiger Köder.“
„Nicht, solange wir deine Schiffe einsetzen.“ Mariam tippte ein Muster an, das sofort wieder in sich zusammenfiel. „Alles, was unter deiner Kennung läuft, riecht nach Falle.“
Amanda stand am Rand des Raumes, verschränkt, schweigend. Nur ihr Blick glitt über die Hologramme, kühl, abwartend.
„Wir brauchen etwas, das niemand mit mir verbindet,“ sagte Geraldine schließlich. „Einen Frachter, der unauffällig wirkt. Nur… woher nehmen?“
Mariam schüttelte den Kopf. „Das ist die falsche Frage. Die richtige ist: Wen?“
Ein Moment Stille. Geraldine hörte ihr eigenes Herz schlagen, spürte, wie Amandas Blick sich in sie bohrte.
Geraldine löste die Hände von der Konsole, rieb sich über die Stirn. „Es ist zum Verrücktwerden. Ein Plan ist nur so gut wie der Köder – und wir haben keinen.“
„Wir haben viele,“ korrigierte Mariam ruhig. „Aber keinen, den sie schlucken.“
Amanda stieß sich von der Wand ab, ging langsam um den Tisch. „Vielleicht weil sie nicht dumm sind. Ihr redet über Vey, nicht über irgendeine Feldpiratenbande. Wenn er auch nur einen Hauch Verdacht hat, geht er nicht in die Falle. Er ist alt genug im Geschäft, um alle Tricks zu kennen.“
„Dann brauchen wir einen neuen,“ erwiderte Geraldine scharf.
Amanda blieb stehen, die Hände in den Hüften. „Und wo soll der herkommen? Willst du dir ein Schiff aus dem Nichts zaubern?“
„Wenn’s sein muss.“
Mariam hob eine Braue, sah abwechselnd zwischen beiden hin und her. „Ich mag Ehrgeiz. Aber selbst du kannst keine Transponder erfinden, Commander. Es braucht eine glaubwürdige Geschichte. Ein Schiff, das schon existiert. Einen Piloten, den man kennt – aber nicht mit dir verknüpft.“
Stille. Nur das Summen der Projektoren. Geraldine fühlte, wie Amanda sie ansah, wachsam, fast lauernd.
„Also?“ fragte Mariam. „Wen?“
Die Nacht brachte keine Ruhe. Geraldine saß stundenlang im Quartier, ein kalter Becher Kaffee auf dem Tisch, die Augen auf das Dunkel des Fensters gerichtet. Immer wieder drehte sich der Gedanke: Ein Köder, dem sie glauben. Ein Pilot, den sie nicht mit mir verbinden.
Aber jedes Mal prallte sie an derselben Wand ab: Vertrauen. Sie konnte Schiffe lesen wie andere Menschen Bücher, konnte Maschinen blind vertrauen – aber Menschen? Nur eine Handvoll. Amanda, ja. Ein paar ihrer Crew. Und sonst?
Der Rest war Leere.
Am Morgen trafen sie sich im Offiziersraum, der Geruch von frischem Brot und scharfem Kaffee hing in der Luft. Amanda blätterte durch ein Pad, Mariam scrollte über eine Karte. Geraldine starrte in ihre Tasse – bis der Gedanke einschlug wie ein Blitz.
„Echo,“ sagte sie laut.
Amanda hob den Kopf, als hätte jemand sie geohrfeigt. „Bitte was?“
„Echo,“ wiederholte Geraldine. „Ihr T7 ist unauffällig, ihre Kennung nicht mit mir verknüpft. Sie könnte den Frachter spielen, den Vey jagt.“
„Kommt nicht in Frage,“ fauchte Amanda sofort. „Du weißt, wie sie ist. Du weißt, was sie schon durchgemacht hat. Und du willst sie in das hier reinziehen?“
Geraldine hielt ihrem Blick stand. „Genau deswegen. Weil sie weiß, wie dreckig es wird. Weil sie mit einer grauen Zone umgehen kann, in der andere untergehen würden.“
Mariam lehnte sich zurück, die Finger ineinander verschränkt. „Strategisch gesehen… hat sie recht. Echo wäre glaubwürdig. Unbekannt genug, um zu funktionieren. Und erfahren genug, um nicht sofort panisch zu werden.“
Amanda schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Strategisch? Das hier ist kein Strategiespiel! Wenn’s schiefgeht, reißt es sie in Stücke.“
„Und wenn wir’s nicht tun,“ erwiderte Geraldine ruhig, „reißt es dich in Stücke. Oder mich. Oder alle, die Vey für verwundbar hält.“
Ein langer Moment Stille. Amanda starrte sie an, als wolle sie Worte finden, die stärker waren als Wut. Fand sie nicht. Sie schüttelte nur den Kopf und sah weg.
„Du überschätzt sie,“ fuhr Amanda auf. „Echo ist kein Köder, sie ist ein Risiko.“
„Wir alle sind Risiken,“ gab Geraldine zurück. „Du, ich, jeder, der auf der Citadel lebt.“
„Das ist nicht dasselbe!“ Amanda schlug die Hand auf den Tisch, dass die Tassen klirrten. „Sie schuldet dir nichts, sie schuldet niemandem was. Und du willst sie vor Veys Flotte stellen, nur weil uns die Ideen ausgehen?“
„Nicht nur deswegen,“ sagte Geraldine ruhig, fast eisig. „Sondern weil ich ihr vertraue.“
Amanda lachte scharf, ohne Freude. „Vertrauen? An dem Tag, an dem du Menschen so vertraust wie deinen Schiffen, bau ich mir ’ne Gedenktafel.“
„Dann fang schon mal an zu meißeln,“ erwiderte Geraldine, und der Blick zwischen ihnen war ein hartes Messer, das keiner losließ.
Mariam sah zwischen beiden hin und her, hob die Hände. „Wir drehen uns im Kreis. Wir brauchen eine Entscheidung. Entweder ihr findet eine andere Option – oder Echo ist die beste, die wir haben.“
Amanda wandte sich ab, atmete tief, aber die Spannung vibrierte noch immer in ihrer Stimme. „Mach, was du willst. Aber erwarte nicht, dass ich zusehe, wie du sie ins Messer laufen lässt.“
Geraldine erwiderte nichts mehr. Stattdessen nahm sie ihr Pad, öffnete den verschlüsselten Kanal und ließ die Verbindung aufbauen. Das Summen der Frequenz füllte den Raum, bis eine vertraute Stimme antwortete.
„Geraldine?“
Geraldine hielt den Blick fest auf das Display, ihre Stimme ruhig und klar.
„Echo, ich brauche deine Hilfe.“
Abgelegene Koordinaten
Das Display flackerte, dann erschien Echos Gesicht. Schärfer geschnitten als früher, die Haare kürzer, der Blick wacher. Hinter ihr vibrierte leise das Cockpitlicht ihres T7.
„Geraldine? Das ist … überraschend.“
„Es ist auch nicht leicht, dich anzurufen,“ erwiderte Geraldine. „Ich… brauche deine Hilfe.“
Echo zog eine Braue hoch, das Grinsen lauerte schon im Hintergrund. „Hört sich ernst an.“
„Das ist es. Aber nicht für jetzt, nicht hier. Ich will das persönlich erklären.“ Geraldine sah kurz über die Schulter, als könne Amanda im Raum stehen. „Es geht um etwas, das dich mitten reinziehen würde. Extrem gefährlich.“
„Klingt nach meinem Alltag,“ meinte Echo trocken, aber ihre Augen funkelten. „Wo?“
Geraldine zögerte. Sie wusste, dass Amanda im nächsten Moment explodieren würde, wenn sie das Gespräch hörte. Doch sie sprach trotzdem: „Nicht in der Bubble. Abseits, wo niemand Fragen stellt. Ich sende dir Koordinaten.“
Echo nickte ohne lange Pause. „Dann sehen wir uns dort. Und Geraldine…? Ich freu mich.“
Die Verbindung brach ab.
Geraldine blieb einen Moment stumm, starrte auf das leere Display. Dann atmete sie tief durch, rief das Shuttle-Deck an und reservierte den Flug. Sie wusste, dass Amanda es hassen würde. Aber das hier musste sie durchziehen.
Ashley glitt aus dem Supercruise und blieb hoch über einem blassen Gasriesen stehen, weit außerhalb der üblichen Korridore. Geraldine ließ die Triebwerke in den Leerlauf fallen und deaktivierte alles, was nicht gebraucht wurde. Kein Sprung, keine Route, nur Leere. Genau das wollte sie: Abstand zwischen sich und dem, was gleich begann.
Der Apex-Flug war keine stilvolle Lösung, aber eine saubere. Eigensinnige Schiffe hatten Charakter, Apex-Shuttles hatten Anonymität. Ihre Transponder wechselten täglich die Ziffernfolgen, die Flugdaten verschwanden in Sammelprotokollen, und die Piloten stellten keine Fragen, solange die Kredite pünktlich durchliefen. Vor allem aber würde niemand den Treffpunkt mit Ashley verknüpfen. Veys Leute kannten ihre Kennungen, ihre Handschrift, sogar die Art, wie sie in eine Station einflog. Ein Shuttle war ein gesichtsloser Punkt im Rauschen.
Sie buchte den Flug vom Bordterminal aus, gab als Ziel nur eine Zahlenfolge an – die Koordinaten eines vergessenen Siedlungsflecks am Rand eines Staubgürtels. Kein offizieller Name, keine aktive Verwaltung, nur ein Eintrag in alten Vermessungsdaten. Zwischen Ashley und dem Treffpunkt ließ sie bewusst ein paar Lichtminuten Luft. Wenn irgendwer ihre Ankunft sah, würde er ein Shuttle gesehen haben. Nicht sie.
Beim Andocken legte Ashley die Flansche wie eine schlafende Kreatur an den Rumpf des Shuttles. Ein leises Zucken durchlief den Rumpf, dann öffnete sich die Schleuse. Der Apex-Pilot nickte knapp, neutral, in der Art von Menschen, die gelernt haben, ihre Neugier wegzuschließen.
Geraldine nahm nur das Nötigste mit: ein Pad, ein dünnes Case mit Karten und Codes, ein schmaler Riemen um das Handgelenk, in dem mehr Zugriff steckte als in manchem Terminal. Sie warf einen letzten Blick auf Ashleys Konsolen. Das Schiff war ein offenes Buch für sie – und sie hasste es, es hier allein zu lassen. Aber genau deshalb flogen sie jetzt getrennt. Vertrauen in Metall war leicht. Vertrauen in Menschen war Arbeit.
Der Shuttleflug verlief wortlos. Der Pilot sprach das Ritual der Startfreigaben wie ein Gebet, führte das Schiff in einen flachen Sinkflug und ließ die Triebwerke so sanft modulieren, dass nur ein leises Summen übrig blieb. Geraldine sah aus dem kleinen Panoramafenster: Felsen, Staubfahnen, das Funkeln von altem Eis. Ein Planet, der mal Hoffnung versprochen hatte und dann von ihr vergessen worden war. Ein guter Ort, um keine Spuren zu hinterlassen.
Sie ging im Kopf den Plan durch, tastete ihn auf Schwachstellen ab. Amanda hatte recht: Echo hier hineinzuziehen war ein Risiko. Aber jedes andere Gesicht wäre ein größeres. Echos neuer T7 war nicht prunkvoll, nicht schnell, nicht beeindruckend – genau deshalb glaubwürdig. Ein Frachter, den man übersah, bis er voll mit Monazit war. Und Echo selbst? Sie hatte gelernt, sich in Grauzonen zu bewegen, ohne daran zu zerbrechen. Das musste reichen. Es musste.
Das Settlement lag wie eine Handvoll Metallknochen in einer weiten, staubigen Ebene. Ein alter Landevektor blinkte noch stoisch, als wüsste er nichts von der Abmeldung vor Jahren. Ein Hangartor stand schief, der Rest der Gebäude hockte dicht beieinander, windschief, von Sand angeschliffen. Orte wie dieser bewahrten Geheimnisse aus reiner Trägheit.
Der Apex setzte auf, eine staublose Federberührung. „Fünfzehn Minuten Standzeit,“ sagte der Pilot, als würde er das Wetter melden. „Verlängerung kostet extra.“
„Wird reichen,“ antwortete Geraldine.
Die Luft draußen roch nach kaltem Metall und altem Öl. Ihre Schritte hallten zwischen den Containern, und mit jedem Tritt fiel eine Entscheidung in ihr ein Stück fester an ihren Platz. Sie wollte Echo nicht in eine Geschichte ziehen, die Vey schrieb. Aber sie würde Echo auch nicht die Wahl abnehmen.
Am Ende des Hauptkorridors öffnete sich die Ebene, und da stand er: ein T7 mit matten Seiten, an denen die vergangenen Monate als Kratzer und stumpfe Flächen klebten. Vor der Rampe lehnte eine Gestalt, Arme verschränkt, Kinn hoch, die Silhouette scharf gegen den fahlen Himmel.
Echo.
Geraldine blieb einen Herzschlag lang stehen. Dann ging sie weiter, Schritt für Schritt, bis sie nah genug war, dass Worte Gewicht bekamen. Echo löste sich von der Rampe, und das alte, schnelle Grinsen zuckte über ihr Gesicht, als hätte der Wind es dort festgenagelt.
„Geraldine,“ sagte sie. „Du siehst aus, als hättest du Ärger mitgebracht.“
Geraldine atmete einmal tief durch. „Ich hab dir eine Wahl mitgebracht.“
Echo zog die Augenbrauen hoch, das Grinsen schief. „So fängst du an? Klingt verdächtig.“
Geraldine verschränkte die Arme. „Sag mir lieber, wie’s dir geht. Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, ist einiges passiert.“
Echo grinste kurz und nickte zum T7. „Der da ist mein Lebensretter. Transport, Materialruns, manchmal Geleitschutz. Kein Ruhm, keine Credits im Überfluss, aber ich hab mein eigenes Ding. Jeder Kratzer an dem Schiff gehört mir, und das fühlt sich verdammt richtig an.“
„Scheint, als wärst du nicht untergegangen.“
„Ich schlag mich durch,“ sagte Echo. „Aber du bist nicht hier, um Lob zu verteilen. Was ist los?“
Geraldine sah sie einen Moment lang an, dann legte sie die Karten auf den Tisch. „Amanda wird erpresst. Jemand zwingt sie zu Aufträgen, droht ihr und allen, die ihr nahestehen. Er wird nicht aufhören, bis er bekommt, was er will.“
Echo wurde ernst. „Wer?“
„Darion Vey. Früher nur ein Name in den Schatten, jetzt Kopf einer Bande.“
Echo sog scharf die Luft ein. „Vey… den Namen hab ich gehört. Damals, auf der Station. Einer von den Typen, die immer alles im Griff hatten, auch wenn’s um dreckige Deals ging. Zum Glück hab ich nie direkt mit ihm zu tun gehabt.“ Sie schnaubte. „Aber dass er jetzt Leute erpresst, wundert mich nicht.“
Geraldine nickte. „Wir brauchen einen Köder. Etwas, das er schluckt. Alle meine Schiffe sind verbrannt, zu bekannt. Deswegen hab ich an dich gedacht. Aber es ist extrem gefährlich. Wenn du Nein sagst, akzeptiere ich das.“
Echo richtete sich auf, das alte Funkeln in den Augen. „Gefährlich? Klar. Aber wenn wir so einen Bastard kaltstellen können, bin ich dabei. Solche Leute leben davon, dass alle wegsehen. Nicht diesmal.“
Geraldine blinzelte, als könnte sie Echos Worte nicht einordnen. „Du bist sofort dabei? Ohne nachzudenken?“
Echo grinste schief. „Ich hab drüber nachgedacht. Genau drei Sekunden. So was kann man nicht ignorieren.“
Geraldine schüttelte den Kopf. „Du bist verrückt. Ich hab erwartet, dass du mir was an den Kopf wirfst. Oder mich abweist. Aber sofort zusagen… das heißt, du schuldest mir jetzt gar nichts mehr. Eher ich dir.“
„Blödsinn,“ winkte Echo ab. „Wir stehen beide auf der falschen Seite von genug Leuten. Da passt es, wenn man ab und zu dieselbe Richtung einschlägt.“
Geraldine verschränkte die Arme, ihre Stimme leiser. „Ich hab Angst, dass dir was passiert. Das hier ist kein kleiner Auftrag, das ist Veys Bande. Wenn sie dich erwischen…“
„…dann erwischen sie mich,“ fiel Echo ihr ins Wort. „Das Risiko kenn ich. Ich hab’s mein ganzes Leben getragen. Der Unterschied ist: diesmal ist es für was, das zählt.“
Für einen Moment sagten beide nichts. Nur der Wind strich Staubfahnen über den Boden, das Metall des T7 knarrte im Kühlen der Nacht.
Geraldine nickte schließlich, schwer, aber klar. „Gut. Dann bereiten wir’s vor. Ich melde mich, wenn alles steht.“
Echo zog die Augenbrauen hoch, ein kurzes Funkeln in den Augen. „Mach das. Und Geraldine? Versuch nicht, alles allein zu tragen. Wir beide wissen, dass das schiefgeht.“
Geraldine hielt ihrem Blick stand, bis sie spürte, dass die Worte hängenblieben. Dann drehte sie sich um, die Stiefel hallten über den staubigen Boden zurück zum Shuttle.
Als sich die Türen schlossen und das Apex abhob, spürte sie das Gewicht in ihrer Brust. Echo war dabei – freiwillig, sogar begeistert. Und genau das machte ihr mehr Angst als alles andere.
Feuerprobe im Quartier
Das Apex hob ab, ließ das verlassene Settlement im Staub zurück. Geraldine lehnte im Sitz, sah hinaus auf den grauen Horizont, der langsam im Schwarz der Umlaufbahn verschwand.
Sie spürte das Gewicht der Entscheidung in jeder Faser. Echo war jetzt Teil des Plans. Aus freien Stücken, ja – doch das machte es nicht leichter. Geraldine fragte sich, ob sie sie in eine Falle gezogen hatte, deren Ausgang niemand vorhersagen konnte.
Ein Teil von ihr wollte umdrehen, die Nachricht zurücknehmen, alles ungeschehen machen. Aber dann sah sie Amandas Gesicht vor sich: die Müdigkeit, die Härte, die Angst, die sie nie laut aussprach. Amanda, die immer tat, als hätte sie alles im Griff, und doch unter Veys Drohung zerriss.
Ich lass dich da nicht allein durch, dachte Geraldine. Und wenn ich die ganze Galaxis in Brand setzen muss.
Das Shuttle dockte an Ashley an, der vertraute Rumpf des Schiffs empfing sie wie ein stilles Versprechen. Geraldine nahm den Korridor zurück zum Quartier, spürte die Müdigkeit in den Knochen – und wusste, dass die schwerste Auseinandersetzung erst noch bevorstand.
Die Türen zum Quartier glitten auf. Amanda saß schon da, auf der Kante des Tisches, Arme verschränkt, das Gesicht im Halbdunkel hart wie Stein.
„Du warst weg,“ sagte sie ohne jede Begrüßung. „Stundenlang. Kein Wort, kein Signal.“
Geraldine zog die Jacke aus, hängte sie über die Lehne. „Ich musste etwas klären.“
„Etwas klären?“ Amanda sprang vom Tisch, kam zwei Schritte näher. „Du verschwindest einfach – und ich soll das schlucken? Seit wann machen wir das?“
Geraldine hielt ihrem Blick stand, der Kiefer angespannt. „Seit es Dinge gibt, die sich nicht über Comlinks regeln lassen.“
„Also was?“ Amandas Stimme war scharf, fast ein Befehl. „Sag es mir.“
Geraldine atmete tief durch. „Ich habe Echo getroffen.“
Stille. Ein Atemzug, der ewig dauerte.
„Echo?“ Amanda blinzelte, als hätte sie sich verhört. „Du hast dich mit ihr getroffen – ohne mir was zu sagen?“
„Ja.“ Geraldine blieb ruhig. „Weil sie Teil des Plans sein muss. Es gibt keinen besseren Köder.“
Amanda starrte sie an, die Hände zu Fäusten geballt. „Und du entscheidest das einfach? Allein?“
„Ich entscheide, weil ich weiß, dass Vey dich fertig macht, wenn wir nichts tun,“ erwiderte Geraldine, ihre Stimme leiser, aber fester. „Und ich tu das, weil ich dich schützen will. Um jeden Preis.“
Amanda schüttelte den Kopf, atmete hart, als kämpfte sie mit den Worten. „Du hättest es mir sagen sollen.“
„Vielleicht,“ gab Geraldine zu. „Aber wir beide wissen: du hättest Nein gesagt. Und wir hätten gestritten, statt eine Lösung zu finden.. Amanda – ich vertraue Echo. Und diesmal musst du mir vertrauen.“
Lange Stille. Dann ließ Amanda die Schultern sinken, die Fäuste lösten sich langsam. „Verdammt, Geraldine… du treibst mich in den Wahnsinn.“
„Das Gefühl kenn ich,“ murmelte Geraldine.
Amanda presste die Lippen zusammen, dann nickte sie knapp. „Also gut. Echo bleibt drin. Aber wenn ihr was passiert… das geht auf uns beide.“
Geraldine erwiderte den Blick, unbeirrbar. „Auf uns beide.“
Der Plan
Der Besprechungsraum der Citadel war voll, die Projektionen schwebten wie helle Netze über dem Tisch. Geraldine hatte Amanda, Echo, Mariam und zwei der Brückenoffiziere zusammengerufen. Holland war nicht da – Treibstofffragen drängten anderswo – aber Rosie hatte sich an die hintere Wand gelehnt, Block in der Hand.
Mariam stand am Tisch, die Hände flach auf die Konsole gedrückt. Mit einem kurzen Tippen rief sie die ersten Daten auf: Sprungvektoren, Schiffslisten, alte Routen.
„Also,“ begann sie, ihre Stimme nüchtern, „wir wissen, dass Vey mit zwanzig Schiffen operiert. Schweres Material in der Mitte, leichte Hüllen außenrum. Sie brauchen ein Ziel, das lukrativ genug wirkt, damit sie das Risiko eingehen. Ein Frachter. Unauffällig, aber angeblich voll mit Monazit. Der Rest ist Timing.“
Die Linien im Holo formten Muster, verschoben sich, zeigten rote Markierungen für mögliche Orte.
Geraldine lehnte sich zurück, verschränkte die Arme. Sie ließ die Worte auf sich wirken, hörte das leise Summen der Projektoren. Amanda starrte auf die Daten, Echo auf die Tischkante.
„Wir brauchen ein System,“ fuhr Mariam fort. „Abseits genug, dass niemand Fragen stellt. Aber nah genug an einer imperialen Garnison, dass wir im Ernstfall Verstärkung anfordern können. Ich habe drei Optionen herausgefiltert.“
Mit einem Wischen blieben drei Punkte im Holo übrig, sie glühten schwach.
Mariam tippte auf die Projektion, die drei Punkte zoomten heran.
„Option eins: Luyten 145-141. Abgelegen, schwache Verkehrsknoten, kaum Zivilisten. Risiko: lange Nachschubwege.“
Sie wischte weiter. „Option zwei: Cartnehl. Früher Bergbau, jetzt halb leer. Gute Topografie für Fallen, aber ein paar Fraktionen treiben dort noch Handel. Könnte politisch unschön werden.“
Der letzte Punkt leuchtete auf. „Option drei: Orisus. Offiziell kaum besiedelt, aber eine Garnison des Imperiums liegt im Sprungbereich. Wer dort in Schwierigkeiten gerät, hat schnelle Verstärkung.“
Geraldine verzog den Mund. „Eine imperiale Garnison.“ Sie ließ das Wort wie eine Zumutung klingen.
„Taktisch gesehen das Beste,“ entgegnete Mariam trocken.
Amanda beugte sich über den Tisch. „Imperiale Schiffe im Nacken – nicht meine Lieblingsidee.“
Geraldine grinste schief. „Meine auch nicht. Aber…“ Sie tippte mit dem Finger genau auf Orisus. „Die Aisling-Jünger schulden mir noch was, nach dem ganzen PR-Zirkus, das sie mir aufgehalst haben. Vielleicht ist das die Stunde, mal eine Schuld einzulösen.“
Amanda hob die Augenbraue. „Du willst wirklich die Heiligen aus Cubeo als Joker ziehen?“
„Heilige?“ Geraldine lachte kurz, kalt. „Eher Fanclub mit besseren Uniformen. Aber wenn sie uns in dem Kaff den Rücken freihalten – mir soll’s recht sein.“
Geraldine blieb noch einen Moment auf das Holo gestützt, die drei Punkte glommen zwischen ihnen. Dann zog sie den Finger langsam zurück und ließ ihn genau über Orisus kreisen.
„Das ist es,“ sagte sie knapp.
Amanda runzelte die Stirn. „Du meinst das ernst?“
„Todernst.“ Geraldine richtete sich auf. „Wir locken sie dorthin. Offiziell, weil es eine lukrative Route für Monazit ist. Inoffiziell, weil ich die Engel im Rücken will. Wenn’s schiefgeht, reißen wir sie mit.“
Mariam nickte, notierte schon Parameter. „Dann leg ich alles auf Orisus aus. Transponder-Feeds, falsche Handelsrouten, Frachtlisten. Wenn Vey anbeißt, dann dort.“
Geraldine zog ihr Pad hervor, die Finger flogen über die Oberfläche. Ein alter Kontakt blinkte auf – ein General im Aisling-Netzwerk, der sie damals zur Rückkehr gedrängt hatte.
„Wem schreibst du?“ fragte Amanda scharf.
„Nur einer alten Bekanntschaft,“ erwiderte Geraldine und tippte die Nachricht.
Orisus könnte bald Besuch bekommen. Ich hörte von Plänen, die nach Überfall riechen. Vielleicht interessiert das die richtigen Leute.
Keine Namen. Keine Andeutungen, dass sie selbst den Köder legen würde. Nur ein kleiner Funke in einem trockenen Feld.
Sie lehnte sich zurück, ein schiefes Grinsen im Gesicht. „So. Wenn die Aisling-Jünger schon einen Fanclub spielen, können sie diesmal wenigstens für Stimmung sorgen.“
Amanda verdrehte die Augen, aber sie sagte nichts mehr.
Die Vorbereitungen
Amanda saß am Rand ihres Konsolentisches, ein schmaler Stapel physischer Notizen vor ihr – alte Funk-IDs, ein paar Namen, bei denen das Wort „Vey“ wie eine Zunderlaube wirken würde. Sie faltete die Liste auseinander, strich eine Zeile nach der anderen an, kurz, präzise. Keine Sentimentalität. Nur Effizienz.
Sie wählte die Kontakte mit der gleichen Kaltblütigkeit, mit der sie früher Gefechte geplant hatte: ein Schmuggler in Cartnehl, der für ein gutes Extra-Geld immer Gerüchte streute; eine alte Informantin aus dem Tiefenring, die Stimmen und Gerüchte sammelte; zwei Trader, die ihre Ohren an den Handelslinien hatten. Amanda wusste genau, wer gierig genug war, um auf „ein schwer beladenes Frachtschiff“ hereinzufallen — und wer misstrauisch genug war, um eine Falle zu wittern.
Sie schrieb kein Manifest. Stattdessen notierte sie schlichte Stichworte, dann formte sie daraus mehrere Versionen einer Nachricht — je eine für jeden Kanal, leicht unterschiedlich, damit die Quelle nicht zurückverfolgbar werden konnte. Kurze, saftige Happen:
– „Monazit-Ladung, Route Orisus — lukrativ.“
– „Hochwertige Ladung, Einzeltransporter, schwacher Eskortenschutz angeblich.“
– „Gerüchte: Monazit-Fracht in ‚unscheinbarem‘ Frachter auf geheimem Kurs.“
Amanda murmelte jeden Satz, testete den Klang. Keine Worte, die auf Echo oder Geraldine zeigten. Keine Namen. Nur Saft.
Sie begann mit der langsamsten, aber sichersten Methode: alte Fäden ziehen. Eine Nachricht an die Informantin – persönlich, kurz: „Hör mal in Orisus-Richtung. Frag nach Frachtern mit ungewöhnlicher Deckung. Zahlt gut.“
Dann der Schmuggler in Cartnehl, eine Textsequenz, die eher einen Tipp als eine Quelle vorgab: „Gerücht: Monazit-Run über Orisus. Wer’s legal machen kann, wird reich.“
Schließlich zwei subtile Signale in den Handelskanälen, geschickt genug getaktet, um von den richtigen Augen und Ohren aufgenommen zu werden, zu vibrieren und weiterzugeben. Keine Verlinkung, nur Dampf im Draht.
Während sie die Botschaften losschickte, spürte Amanda das kleine Ziehen im Magen – kein Zweifel daran, dass es nötig war, aber ein Ziehen, das mit Verantwortung zu tun hatte. Jeder, der auf ein Gerücht anspringt, setzt sich in Bewegung. Leute, Mechaniker, Piloten – Namen, die sie kannte. Namen, die sie nicht riskieren wollte. Und doch: dies war der Weg, Vey dorthin zu locken, wo die Karten zu ihren Gunsten lagen.
Sie wartete, hörte, wie Signale zurückkamen: kurze Bestätigungen, ein „verstanden“ vom Schmuggler, ein skeptisches „ich guck’s mir an“ von der Informantin. Nicht viel – genau richtig. Es sollte genug Hype erzeugen, um Neugier zu schüren, aber nicht so laut, dass Vey misstrauisch wurde.
Amanda klappte ihr Pad zu. Sie hatte getan, was sie tun musste. Jetzt blieb nur noch, zuzusehen, wie die Köderfäden vibrierten – und zu hoffen, dass niemand mehr hineintrat, als nötig.
Zwei Tage später saßen sie wieder im Besprechungsraum, das Holo mit flackernden Daten vor ihnen. Mariam scrollte durch einen Strom abgefangener Nachrichten, die sie aus den Schattenkanälen gezogen hatte.
„Da.“ Sie hielt inne, zoomte auf eine Frequenz. „Cartnehl-Kontakt. Rede von einer Monazit-Ladung, angeblich schlecht eskortiert.“
Amanda schnaubte. „Das ist einer meiner Happen. Und schon klingt’s, als wär’s eine halbe Legende.“
„Legenden funktionieren,“ entgegnete Mariam trocken. Sie wischte weiter. „Noch einer. Schmugglerknoten im Tiefenring. Fragt gezielt nach Frachtlisten aus Orisus. Das ist mehr als Neugier.“
Echo, die an der Wand lehnte, pfiff leise durch die Zähne. „Die Fische schnuppern schon am Köder.“
Amanda verschränkte die Arme. „Schnuppern heißt noch lange nicht, dass sie zubeißen. Vey ist vorsichtig.“
Geraldine grinste schief. „Sollen sie schnuppern. Wenn die Aisling-Jünger auch nur halb so aufmerksam sind wie ihre Propagandisten, dann haben wir bald eine ganze Parade im Rücken.“
Mariam legte das Pad ab. „Noch sind es nur Wellen, keine Flut. Aber die Richtung stimmt. Wenn Vey jemanden schickt, werden wir es hören.“
Amanda sah zu Geraldine, ihr Blick hart, aber mit einem Anflug von Resignation. „Dann hoffen wir, dass du recht hast. Und dass wir nicht mehr eingeladen haben, als wir verkraften können.“
Geraldine lehnte sich zurück, verschränkte die Arme. „Wenn wir schon Karten austeilen, dann spiele ich, bis der Tisch leer ist.“
Die Besprechung löste sich langsam auf. Mariam sammelte ihre Daten, Echo verschwand wortlos Richtung Hangar, Rosie kritzelte noch ein paar Notizen und nickte Geraldine knapp zu, bevor sie ging. Einer nach dem anderen verließ den Raum, bis nur noch das Summen der Projektoren blieb.
Geraldine deaktivierte das Holo; die roten Punkte von Orisus glommen kurz nach, dann erloschen sie. Zurück blieb Dunkelheit. Amanda stand neben der Tür, die Arme verschränkt, den Blick fest auf sie gerichtet.
„Komm,“ sagte Geraldine schließlich. Ihre Stimme war müde, aber fest. Gemeinsam verließen sie den Besprechungsraum und gingen wortlos durch die Gänge zur Kabine.
Das Quartier war still, nur das gedämpfte Summen der Systeme begleitete sie. Geraldine ließ sich in den Sessel sinken, Amanda blieb noch stehen, als wüsste sie nicht, ob sie näher kommen oder Abstand halten sollte.
„Es wird ernst,“ sagte Amanda schließlich, leise.
„War’s die ganze Zeit.“ Geraldine massierte ihre Schläfen, dann sah sie hoch. „Aber jetzt spüren wir’s.“
Amanda kam näher, setzte sich auf die Bettkante, die Hände ineinander verkrampft. „Ich hasse es, dass Echo da mit drin ist. Dass du sie reingeholt hast. Dass wir so viele Leute mit in meinen Dreck ziehen.“
Geraldine schwieg einen Moment, dann stand sie auf und stellte sich vor sie. „Das ist nicht nur dein Dreck, Amanda. Es ist unser Kampf. Versteh das endlich.“
Amanda hob den Kopf, ihre Augen glänzten im Halbdunkel. „Und wenn ich dich dadurch verliere?“
Geraldine legte die Hände an ihre Schultern, fest, unbeweglich. „Dann hab ich gekämpft, bis zuletzt. Aber ich werd mich nicht von einem Geist aus deiner Vergangenheit vertreiben lassen. Er kriegt uns nicht.“
Amanda atmete scharf aus, fast ein Zittern. „Du klingst so überzeugt.“
„Bin ich,“ erwiderte Geraldine, ihre Stimme hart und zugleich weich. „Weil ich weiß, dass ich dich um keinen Preis verlieren will. Dafür geh ich bis zum Ende.“
Eine lange Stille hing zwischen ihnen, dann legte Amanda die Stirn gegen Geraldines Brust. „Du machst mir Angst, weißt du das?“
Geraldine schloss die Augen, hielt sie fest. „Ich mir selber auch.“