Kapitel 33 – Der zweite Blick

Ein Schiff ohne Geschichte

Der Hangar roch nach frischem Metall, nach Farbe, die noch nicht ganz trocken war. Zwischen den massigen Frachtern wirkte der neue Lakon Type-8 fast elegant – kantig, aber kompakter als der T9, so als hätte jemand den Koloss in Form gebracht.

Geraldine blieb stehen, die Hände an der Hüfte, die Augen glänzend. Das also ist er. Wochenlang hatte sie die Ankündigungen verfolgt, die Datenblätter studiert, sich Builds überlegt. Jetzt stand er hier, greifbar.

Ein Techniker reichte ihr das Datenpad. „CMDR Cailloux-Delaurent? Ihre Maschine ist fertig konfiguriert. Glückwunsch zum ersten T8 im Sektor.“

Geraldine nahm das Pad kaum wahr. Ihr Blick klebte an den Linien des Schiffs, am glatten Rumpf, an der frischen Lackierung, die im Hangarlicht schimmerte. Der Puls ging schneller, als sie die Rampe hinaufstieg.

Die Rampe schloss sich hinter ihr mit einem sanften Zischen. Der Geruch von Kunststoff, Elektronik und dieser fast sterilen Frische eines fabrikneuen Schiffs schlug ihr entgegen.

Geraldine glitt in den Pilotensitz, legte die Hände über die glatten Steuerflächen und ließ die Anzeigen zum Leben erwachen. Alles war sauber, ohne Macken, kein Knopf abgenutzt, kein Display verkratzt. Ein Schiff ohne Geschichte – noch.

„Du wirst meine neue Tiffany,“ murmelte sie. Der Gedanke allein reichte, um ihr ein Grinsen ins Gesicht zu treiben.

Schon während die Systeme hochfuhren, begann sie im Kopf zu rechnen: Platz für Sammlerdrohnen, genug Frachtraum für längere Runs, vielleicht sogar ein zweiter Laderaum für Reserve. Der Type-8 versprach Wendigkeit, wo der T9 träge war, und trotzdem mehr Kapazität als jedes andere Schiff dieser Größe.

Das könnte mein perfektes Mining-Schiff werden.

Die Anzeigen sprangen grün, das Schiff summte im Leerlauf. Geraldine lehnte sich zurück, ließ das Gefühl einsickern. Ein neuer Anfang, ein neues Werkzeug, ein neues Kapitel.

Zurück auf der Citadel nahm Geraldine sich zwei volle Tage, um den T8 auf Mining zu trimmen. Module rein, Drohnenmagazine rauf und runter, Schildgenerator angepasst, Laser feinjustiert. Immer wieder sah sie auf die Zahlen, rechnete und grinste. Das könnte funktionieren.

Während sie noch überlegte, ob sie den Sammlerdrohnen eine zusätzliche Reserve gönnen sollte, knackte das Com. Amandas Stimme kam verzerrt durch die Reichweite, aber unverkennbar.

„Also, Cailloux-Delaurent, wie geht’s meiner FDL? Steht sie sich bei dir im Hangar die Flügel platt?“

Geraldine lachte, ohne aufzusehen. „Sie glänzt wie am ersten Tag. Ich poliere sie sogar manchmal, damit sie sich nicht vernachlässigt fühlt.“

„Dann pass bloß auf, dass sie nicht beleidigt ist, wenn ich zurückkomme. Sonst fliege ich wieder deine Corvette spazieren.“

„Vergiss es.“ Geraldine schüttelte den Kopf, während sie die nächste Konfiguration speicherte. „Die Corvette bleibt mein Revier. Deine Python macht dir doch gerade eh mehr Spaß.“

„Stimmt,“ kam es trocken zurück. „Aber frag nicht, wie viel Ärger man dafür in Kauf nimmt. Missionsketten, Credits, jeder will was.“

Für einen Moment herrschte nur das Summen der Systeme im Hintergrund. Dann Amanda wieder, leiser: „Zeig mir, was du aus dem T8 rausholst. Vielleicht überrascht er mich ja.“

„Warte nur,“ sagte Geraldine, fast trotzig. „Der wird alles ändern.“

Sie kappte die Verbindung, speicherte das Loadout und lehnte sich zurück. Vorfreude rauschte durch sie wie Strom.

Die Felsen im Asteroidenfeld glitzerten, als die ersten Sammlerdrohnen ausschwärmten. Geraldine steuerte den T8 präzise zwischen den Brocken hindurch, prüfte die Anzeigen, genoss die leichtfüßige Reaktion des Schiffs.

„Nicht schlecht,“ murmelte sie, als die ersten Ladungen ins Frachtraum-Interface flossen. Das Handling war angenehm, nicht so schwerfällig wie beim T9.

Doch nach einer Stunde war die Euphorie gedämpft. Der Laderaum füllte sich zu schnell. Immer wieder musste sie abbrechen, Drohnen einsammeln, neu sortieren. Jeder Run fühlte sich an wie ein Kompromiss: solide, aber nie genug.

Das ist es? fragte sie sich, während der Scanner den nächsten Brocken markierte. Das ist die große Neuerung?

Die Drohnen waren verstaut, die letzten Erze ausgeladen. Der Hangar wirkte still, als hätte der T8 selbst gespürt, dass er die Erwartungen nicht erfüllt hatte. Geraldine stand am Fuß der Rampe, Helm unterm Arm, und starrte auf die frisch lackierte Hülle. So viel Versprechen – und doch kein Funken Stolz.

Das Com knackte. Amanda. „Na, wie läuft’s? Schon die erste Million mit deinem Wundertier eingefahren?“

Geraldine antwortete knapp: „Solide.“ Das Wort schmeckte nach Asche.

Amanda schwieg kurz, dann lachte sie leise. „Solide klingt nach ‘nicht das, was du dir erhofft hast’.“

„Er macht seinen Job,“ wich Geraldine aus, setzte sich auf eine Kiste neben der Rampe. „Aber… verglichen mit Tiffany… es fühlt sich klein an. Immer muss ich abbrechen, immer sortieren. Ich wollte Leichtigkeit, und stattdessen… Routine.“

„Das klingt nach dir.“ Amanda klang auf einmal ernst, fast weich. „Du jagst den perfekten Wurf. Aber Schiffe sind keine Wunder, Geraldine. Sie sind Werkzeuge. Wenn du das vergisst, frisst dich jede Enttäuschung.“

Geraldine schwieg, sah auf den Boden. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte sie, dass Amanda näher war als die Distanz, die ihre Com-Verbindung vorgab.

Drei Tage lang versuchte Geraldine, den T8 schönzureden.
Sie checkte Module, verschob Frachträume, schrieb sich alternative Builds auf ein Pad. Einmal flog sie sogar eine kleine Frachtmission, nur um zu testen, ob er vielleicht im Alltag besser passte.

Aber jedes Mal endete es gleich: das Gefühl, zu wenig Raum, zu wenig Tragkraft, zu wenig mehr als Tiffany. Der T8 machte nichts falsch – aber auch nichts, das ihr Herz schneller schlagen ließ.

Am vierten Morgen stand sie wieder im Hangar. Der Rumpf glänzte, die Anzeigen waren tadellos. Und doch spürte sie, dass zwischen ihnen keine Geschichte entstehen würde.

Sie öffnete das Terminal, tippte die Bestätigung ein.
Schiff verkauft.

Das Pad blinkte grün, nüchtern, endgültig. Geraldine lehnte sich gegen die kalte Reling und atmete schwer aus.

„Schon wieder.“
Das Wort kam kaum über ihre Lippen, und doch hallte es in ihrem Kopf nach. Warum passierte ihr das immer wieder? Euphorie, Aufbau, Enttäuschung. Ein Muster, das sie nicht durchbrach.

Sie ließ den Blick über den leeren Platz im Hangar schweifen. Irgendwo in der Ferne vibrierte der Carrier gleichmäßig, gleichgültig.

Der T8 war weg – und mit ihm ein Stück der Hoffnung, dass diesmal alles anders laufen würde.

Zwischen den Sternen verloren

Die Tage nach dem Verkauf verschwammen. Geraldine verbrachte die meiste Zeit in ihrem Quartier. Das Pad lag unberührt auf dem Tisch, das Licht blieb gedimmt. Draußen summte der Carrier in seiner gewohnten Ordnung – Rosie kümmerte sich um die Frachten, Holland um das Tritium, die Brücke lief wie ein Uhrwerk. Sie wussten, was zu tun war. Geraldine musste nicht eingreifen.

Sie zog die Decke enger um sich, starrte aus dem Fenster und dachte an all die Male, die so geendet hatten: Euphorie, Enttäuschung, Abbruch. Warum immer wieder?

Das Com blinkte. Ein Ruf aus weiter Ferne, Amandas Kennung. Geraldine überlegte, nicht dranzugehen – aber dann glitt ihr Finger doch über das Symbol.

„Da bist du ja,“ kam Amandas Stimme, gedämpft durch die Entfernung. „Ich dachte schon, du lässt mich absichtlich hängen.“

Geraldine verzog kaum das Gesicht. „Bin beschäftigt.“

„Mit Grübeln, meinst du.“ Amanda schwieg einen Moment. Als sie weitersprach, war ihre Stimme anders – kein Spott, keine Schärfe. „Ich hab gehört, du hast den T8 wieder verkauft.“

Geraldine atmete durch die Nase aus. „Er war… nichts für mich.“

„Oder du hast zu viel erwartet,“ entgegnete Amanda leise. „Du jagst immer nach dem Schiff, das alles löst. Aber vielleicht liegt’s nicht an den Schiffen.“

Die Worte trafen tiefer, als Geraldine zugeben wollte. Sie schwieg, starrte auf die dunkle Wand ihres Quartiers.

„Soll ich zurückkommen?“ fragte Amanda. „Ich kann Aufträge absagen.“

„Nein.“ Geraldines Antwort war sofort, fast hart. „Bleib, wo du bist. Ich komm schon klar.“

„Bist du sicher?“

„Ja.“ Eine Pause, dann etwas weicher: „Danke trotzdem.“

Die Verbindung brach ab, ließ Stille zurück. Geraldine blieb noch eine Weile liegen, ehe sie die Decke zurückwarf.

Genug. Weglaufen brachte nichts. Wenn der Kopf nicht klar wurde, dann musste der Körper fliegen.

Geraldine ließ die Citadel im Orbit zurück, als sie die Cutter startete. Der Carrier blieb wo er war – stabil, verlässlich, fast wie ein Anker. Aber sie selbst brauchte Distanz.

Die Missionskonsole bot mehr Arbeit, als sie erwartet hatte: Botengänge, Kurieraufträge, Frachtlieferungen in Systeme, die am Rand der Bubble kaum einer beachtete. Geraldine nahm an, was kam, und flog los.

Die Cutter zog ihre Bahnen durch vergessene Regionen. Orbitalstationen mit flackernden Lichtern, planetare Settlements, deren Empfangshallen nach Metallstaub rochen, Dockarbeiter mit müden Gesichtern. Jeder Auftrag führte sie ein Stück weiter hinaus, jedes Abheben fühlte sich an, als ließe sie mehr von der Enttäuschung hinter sich.

Tage wurden zu Wochen.
Abends saß sie allein im Cockpit, die Sterne weit und klar vor den Sichtscheiben, nur das Summen der Triebwerke um sie herum. Die Stimmen der Crew hörte sie kaum – Rosie meldete gelegentlich Frachtumsätze, Holland Tritiumstände –, doch sie hielt den Abstand bewusst.

Die Cutter wurde ihr Rückzugsort, die Missionen ihr Mittel gegen das Grübeln. Nicht weil sie spannend waren, sondern weil sie halfen, den Kopf frei zu bekommen.

Und je weiter sie flog, desto deutlicher spürte sie: irgendwann würde sie an etwas stoßen, das nicht Routine war.

Ein Wanderstern kehrt zurück

Nach Wochen voller Sprünge und Landungen wählte Geraldine diesmal ein Ziel, das kaum in den Karten verzeichnet war: ein kleines Settlement auf der Oberfläche eines staubigen Planeten. Von oben sah es aus wie ein paar verstreute Lichter im endlosen Grau, kaum mehr als ein Dutzend Gebäude, ein kleiner Landebereich.

Mit der Cutter senkte sie sich durch die dünne Atmosphäre. Die Triebwerke warfen Staubfontänen auf, als die Landefüße den harten Boden berührten. Ein Pad am Rand des Settlements leuchtete grün auf – gerade groß genug für den wuchtigen Rumpf.

Das Settlement wirkte halb verlassen: rostige Frachter am Rand, eine Handvoll Techniker, die ihre Arbeit ohne Hast erledigten. Geraldine stieg die Rampe hinab. Staub wirbelte unter ihren Stiefeln auf, während sie auf die gedämpften Lichter des Settlements zuging.

Die Luftschleuse zischte, Druckanzeigen liefen grün. Erst als sich die innere Tür öffnete, nahm sie den Helm ab. Der Geruch von Metall, altem Kunststoff und Maschinenöl schlug ihr entgegen.

Die Lobby war spärlich beleuchtet, das Holo-Terminal flackerte. Geraldine wollte gerade die Missionsliste abrufen, als sie erstarrte.

Ein paar Meter vor ihr stand eine Gestalt, die sie sofort erkannte – verändert, aber unverkennbar. Echo, mit einer Mappe voller Daten in der Hand, gerade dabei, ihre Lieferung abzugeben.

Sie legte gerade das Datenpad auf das Terminal, als sie innehielt. Ein Zucken, dann drehte sie den Kopf. Ihr Blick traf Geraldine – und verharrte.

Sekundenlang sagten beide nichts. Nur das Surren der Geräte und das ferne Rattern einer Andockschleuse füllten den Raum.

„Du… hier?“ Echos Stimme war brüchig, mehr erstaunt als alles andere.

„Scheint so,“ erwiderte Geraldine und trat näher. „Ich hätte auch nicht gedacht, dich an so einem Ort zu treffen.“

Ein dünnes Lächeln huschte über Echos Gesicht, unsicher, aber echt. „Mich zieht es wohl immer an die Ränder.“

Geraldine musterte sie. Echo sah verändert aus – magerer, die Züge härter, die Augen wachsamer. Und doch war sie unverkennbar dieselbe.

„Wie lange ist es her?“ fragte Geraldine.

„Zu lange,“ antwortete Echo nach einer kurzen Pause. „Monate… vielleicht Jahre. Man verliert das Gefühl, wenn man draußen ist.“

„Ja,“ sagte Geraldine leise. „Manchmal verschwimmt alles.“

Sie hielten den Blickkontakt, ein stilles Einverständnis.
Geraldine räusperte sich. „Du wirkst, als hättest du mehr zu erzählen, als hier zwischen flackernden Konsolen Platz hat.“

Echo nickte langsam, das Pad noch immer in der Hand. „Vielleicht.“

„Dann lass uns einen ruhigeren Ort suchen,“ schlug Geraldine vor.

Nach kurzem Zögern: „In Ordnung.“

Sie verließen die Halle nebeneinander, schweigend, nur das Hallen ihrer Schritte im Korridor. Es war nicht nötig, etwas abzusprechen – der Weg führte sie wie von selbst in die kleine Kantine des Settlements.

Der Raum roch nach Metall, altem Fett und Kaffee, der zu lange auf der Platte gestanden hatte. Ein paar Dockarbeiter saßen an den hinteren Tischen, müde, in ihre Teller gebeugt.

Geraldine wählte einen Platz am Rand. „Hier stört uns keiner.“

Echo setzte sich gegenüber, legte ihr Datenpad neben sich ab. Ein Service-Droide rollte vorbei, stellte ihnen wortlos Becher mit dampfender Flüssigkeit hin und zwei Teller mit irgendetwas, das nach Eintopf aussah.

„Sieht nach Hausmannskost aus,“ murmelte Geraldine.

Echo zog die Augenbraue hoch. „Ich hab Schlimmeres gegessen.“

Ein winziges Lächeln huschte über Geraldines Gesicht, und zum ersten Mal seit ihrer Begegnung wirkte die Luft zwischen ihnen leichter.

Echo stocherte eine Weile im Eintopf herum, bevor sie das Pad zur Seite schob. Ihre Finger trommelten unruhig auf den Tisch, dann hörten sie auf.

„Die Ruine… war nicht mehr sicher.“
Die Worte kamen langsam, als müsse sie sie durch einen Filter pressen.

„Systeme sind ausgefallen. Erst die Klimakontrolle, dann die Energiepuffer. Nichts Dramatisches, dachte ich. Aber es wurde schlimmer. Türen, die nicht mehr reagierten. Schotts, die klemmen. Und irgendwann… Schiffe.“

Sie hielt inne, starrte auf einen unsichtbaren Punkt irgendwo hinter Geraldine. „Ich weiß nicht, wer sie waren. Aber sie kamen näher. Und ich wusste, wenn sie mich entdecken, bin ich verloren.“

Ihre Stimme bröckelte. „Also bin ich gegangen. Ohne Plan, ohne Ziel. Nur weg.“

Geraldine legte die Hände ineinander, hörte zu, ohne zu unterbrechen. Echo atmete tief durch, fuhr leiser fort:

„Ich wollte nicht mehr nur überleben. Dieses ständige Verstecken, Abwarten… es frisst dich auf. Also hab ich entschieden, etwas aufzubauen. Für mich. Ein Schiff, das mehr aushält. Aufträge, die mehr bringen. Keine Ruine mehr, kein Warten auf das Ende.“

Sie sah Geraldine an, zum ersten Mal direkt. In ihren Augen lag Müdigkeit, aber auch ein Glimmen, das man nicht übersehen konnte. „Ich will nicht mehr ausgeliefert sein.“

Geraldine spürte, wie ihr die Kehle eng wurde. Sie erinnerte sich zu gut an ihre eigenen Brüche, an all die Momente, in denen sie ebenfalls nur noch fliehen wollte.

„Echo…“ begann sie, aber mehr fiel ihr nicht ein.

Für einen Moment war da nur Stille zwischen ihnen, voller unausgesprochener Dinge.

Geraldine rückte ihren Becher ein Stück zur Seite, faltete die Hände auf dem Tisch. „Du brauchst kein Mitleid,“ sagte sie ruhig. „Du brauchst Optionen.“

Echo blinzelte, überrascht von der Klarheit der Worte.

„Ein größeres Schiff, ja,“ fuhr Geraldine fort. „Aber nicht irgendeins. Du musst wissen, worauf du dich einlässt. Ich hab Kontakte, kann dir Tipps geben. Vielleicht auch ein paar Module organisieren. Und wenn’s eng wird, ein paar Credits.“

Echo schüttelte den Kopf, fast heftig. „Ich will nichts geschenkt.“

„Sag ich auch nicht.“ Geraldine lehnte sich zurück, ihre Stimme blieb fest. „Nur, dass du nicht alleine gegen alles ankämpfen musst. Nimm, was du brauchen kannst, und lass den Rest liegen. Dein Kurs bleibt dein Kurs.“

Ein schwaches Lächeln zuckte über Echos Gesicht, vorsichtig, aber echt. „Du redest, als wüsstest du, wie das ist.“

„Weiß ich auch.“ Geraldines Blick wurde hart, doch in ihren Augen lag Wärme. „Mehr, als mir lieb ist.“

Für einen Moment war die Kantine nicht mehr stickig und grau. Es war, als hätten die beiden sich an einem Knotenpunkt gefunden – nicht als Crew, nicht als Fremde, sondern irgendwo dazwischen.

Echo schob den Teller beiseite. „Ich will ein Schiff, das nicht nur überlebt. Eines, mit dem ich Aufträge annehmen kann. Fracht, vielleicht auch riskantere Sachen. Ich will nicht mehr weglaufen.“

Geraldine nickte. „Genau das macht Amanda. Begleitschutz, Kampfeinsätze. Sie lebt davon, dass sie sich stellen kann, nicht davon, sich zu verstecken.“

„Amanda?“ Echo legte den Kopf leicht schief.

„Meine Partnerin,“ sagte Geraldine schlicht. „Sie fliegt eine Python, davor ihre FDL. Kämpferin durch und durch.“ Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Und dann gibt’s noch Kathleen – Forscherin. War eine Weile mit uns unterwegs. Ganz andere Welt, aber sie hat Spuren hinterlassen.“

Echo senkte den Blick, schwieg. Geraldine lehnte sich zurück, ließ die Stille einen Moment wirken, bevor sie fortfuhr: „Und dann gibt’s noch Kathleen. Eine Forscherin. Sie war eine Zeit lang bei uns – und ehrlich gesagt glaube ich, ihr beide würdet euch sofort verstehen.“

„Warum?“

„Weil ihr denselben Drang habt,“ sagte Geraldine ruhig. „Du suchst nach Wegen, frei zu sein. Sie sucht nach Antworten, die irgendwo im Staub der Sterne versteckt sind. Zwei verschiedene Ebenen – aber die gleiche Richtung.“

Echo atmete hörbar aus. In ihrem Blick lag plötzlich etwas Neues – kein Schmerz, sondern Nachdenken. „Vielleicht… sollte ich auch raus. Nicht nur von Station zu Station. Sondern wirklich hinaus. Sehen, was da draußen ist.“

Geraldine sah sie an und erkannte das Funkeln, das sie selbst kannte. Das war kein leerer Gedanke – das war eine Idee, die Wurzeln schlagen würde.

Echo spielte mit dem Rand ihres Bechers, die Finger leicht verkrampft. „Es ist seltsam,“ murmelte sie, „nach so langer Zeit wieder… normal zu reden. Ohne das Gefühl, gleich wegrennen zu müssen.“

Geraldine zog die Augenbrauen hoch. „Normal? Mit mir?“

Zum ersten Mal an diesem Abend lachte Echo leise, kaum mehr als ein Hauch, aber ehrlich. „Naja… so normal, wie es mit dir eben geht.“

Geraldine grinste. „Ich nehm das als Kompliment.“

Echo hob den Blick und sah ihr direkt in die Augen. „Vielleicht… ist es gut, dich wiederzutreffen. Vielleicht besser, als ich dachte.“

Geraldine erwiderte den Blick, ernst, ohne Witz. „Das geht mir genauso.“

Für einen Moment war das graue, stickige Settlement vergessen. Da saßen zwei Menschen, die mehr verband, als beide aussprechen konnten. Noch keine Freundschaft – aber der erste Stein dafür war gelegt.

Die Teller waren abgeräumt, die Stimmen der Dockarbeiter verklangen. Echo nahm ihr Pad wieder an sich, strich gedankenverloren über den Rand.

„Ich sollte weiter,“ sagte sie, leise, fast widerwillig. „Es gibt Aufträge da draußen. Und ich will sehen, wie weit ich komme.“

Geraldine nickte. „Mach das. Aber halt dich nicht zu sehr allein da draußen. Es frisst einen auf.“

Echo stand auf, blieb aber neben dem Tisch stehen. Ihre Finger zögerten, dann streckte sie die Hand aus.

Geraldine nahm sie ohne zu überlegen. Der Händedruck war fest, ehrlicher als jedes Wort. Kein Versprechen, keine Erklärung – nur das stille Einverständnis, dass ihre Wege sich nicht zufällig gekreuzt hatten.

„Bis irgendwann,“ murmelte Echo.

„Bis irgendwann,“ erwiderte Geraldine.

Dann gingen sie auseinander, jeder in eine andere Richtung des Korridors, beide mit dem Gefühl, etwas zurückgelassen – und zugleich etwas Neues gefunden zu haben.

Rückkehr ins Gewicht

Der Weg zurück fühlte sich anders an. Die Wochen draußen hatten Geraldine den Kopf geleert, das Treffen mit Echo hatte etwas in ihr verschoben. Als die Cutter im Hangar der Citadel landete, sah sie schon Amandas Silhouette warten – lässig an einen Container gelehnt, die Arme verschränkt.

„Da bist du ja,“ sagte Amanda, ohne sich vom Fleck zu rühren. „Und? Klarer Kopf?“

Geraldine grinste schief, griff nach dem Helm und ging die Rampe hinunter. „Klarer als vorher. Aber der T8… war ein Reinfall.“

„Das weiß ich,“ erwiderte Amanda trocken. „Du hast es mir ja in drei Varianten erzählt. Über Com, im Halbschlaf und mit viel Fluchen.“

Geraldine lachte leise. „Stimmt. Aus der Distanz klingt’s schon weniger dramatisch.“

Amanda musterte sie, der Blick weich, aber auch wachsam. „Vielleicht war das der Fehler: Du hast zu viel erwartet. Du wolltest, dass er Tiffany ersetzt – und das konnte er nie.“

Geraldine nickte langsam. „Ja. Ich hab ihn falsch gedacht.“

Amanda stieß sich vom Container ab und ging neben Geraldine her durch den Hangar. „Du hast ihn wie eine neue Tiffany gesehen. Ein zweiter T9, nur hübscher. Aber das ist er nicht.“

„Sondern?“ Geraldine zog die Augenbraue hoch.

„Ein Werkzeugkasten,“ antwortete Amanda ohne Zögern. „Mehr Drohnen als Philippa, mehr Frachtraum, trotzdem schneller. Perfekt für die ganzen Aufträge, die du sonst mit der Python machst – nur eben mit Platz für alles, was nervt.“

Geraldine schnaubte. „Du meinst: weniger Glamour, mehr Plackerei.“

„Genau.“ Amanda grinste schief. „Aber denk an den neuen SCÜ. Angeblich endlich ohne Kinderkrankheiten. Mit dem Ding könnte der T8 brillieren.“

Geraldine blieb stehen, überlegte. In ihrem Kopf begann das alte Rattern: Zahlen, Module, Szenarien. „Also kein Mining-König. Sondern ein Allrounder. Ein Schiff für die Lücken.“

Amanda legte den Kopf schräg, die Augen blitzten. „Und das ist genau das, was dir fehlt. Nicht noch ein Flaggschiff. Sondern ein Schiff, das den Alltag schluckt.“

Geraldine musste lachen. „Alltagsschiff. Klingt nicht gerade heroisch.“

„Muss es auch nicht.“ Amanda zuckte die Schultern. „Heroisch kannst du mit der Corvette spielen. Hier geht’s um Nerven sparen.“

Sie verließen den Hangar nebeneinander. Amanda schob die Hände in die Taschen, Geraldine trug das Pad locker an der Seite. Der Korridor war leer, nur das gedämpfte Brummen des Carriers begleitete sie.

„Weißt du, was dein Fehler war?“ fragte Amanda schließlich.

Geraldine sah sie schief an. „Einer?“

„Du hast den T8 wie eins deiner großen Schiffe gedacht,“ erwiderte Amanda. „Als Ersatz für irgendwas, das er nie sein sollte. Aber der Trick ist: ihn gar nicht erst vergleichen.“

Geraldine schwieg, überlegte. Amanda grinste. „Also komm. Ab ins Quartier, wir rechnen den neu. Ohne alte Maßstäbe.“

„Und du denkst, das klappt?“

„Ich weiß, dass es klappt,“ sagte Amanda trocken. „Und ich will den Gesichtsausdruck sehen, wenn du’s merkst.“

Geraldine musste lachen, und das Echo hallte durch den Gang, heller als in den letzten Wochen.

Das Quartier war nur schwach beleuchtet, das Terminal projizierte ein schimmerndes Modell des T8 in die Luft. Amanda hatte sich quer aufs Sofa geworfen, die Stiefel halb ausgezogen, während Geraldine mit verschränkten Armen davor stand.

„Da,“ sagte Amanda und tippte mit einem Finger durch die Holo-Menüs. „Zwei Sammlerdrohnen-Lafetten, großer Frachtraum. Easy.“

Geraldine schnaubte. „Easy ist langweilig. Damit kommst du höchstens bis zu Hollands Lagerlisten.“

„Sag die Frau, die den T8 beim ersten Anflug beleidigt und wieder vertickert hat.“ Amanda grinste schief, ohne den Blick vom Holo zu nehmen.

„Vielleicht, weil ich mehr erwartet habe als Einkaufswagen-Feeling.“ Geraldine drehte das Modell, zoomte in den Rumpf. „SRV-Hangar, mehr Drohnen, etwas Frachtkapazität. Multifunktion. So wird ein Schiff draus.“

Amanda lachte, rollte sich halb auf die Seite. „Klingt nach einem fliegenden Werkzeugkasten. Passt zu dir.“

Geraldine blinzelte gespielt empört. „Ich glänze wenigstens manchmal.“

„Nur, wenn du wütend bist.“ Amanda deutete auf das Holo, wo Geraldine den neuen SCÜ einsetzte. „Da. Wenn das Ding hält, könnte er sogar Spaß machen.“

Geraldine runzelte die Stirn, dann musste sie lachen. „Spaß mit einem T8. Das will ich sehen.“

Amanda griff nach dem Becher auf dem Tisch, trank und grinste. „Dann heb die Credits mal auf. Du wirst ihn dir eh nochmal holen.“

Geraldine ließ die Projektion laufen, sah das Modell still im Raum schweben. „Ja,“ murmelte sie, mehr zu sich selbst. „Diesmal aber anders gedacht.“

Neuer Ansatz
Zurück auf der Citadel – Amanda ist bereits da. Geraldine berichtet vom T8-Desaster. Amanda ist direkt, aber nicht verletzend: „Du hast das Schiff falsch gedacht. Zu viel erwartet.“ Gemeinsam tüfteln sie an einem Setup, das den T8 als Multifunktionsschiff taugt: mehr Drohnen, mehr Frachtraum, schnell, wendig, abgestimmt auf den neuen SCÜ. Lockerer, typischer Amanda-Geraldine-Dialog, voller Konter und Lachen. Am Ende steht fest: Geraldine versucht es nochmal – diesmal mit einer anderen Denkweise.

Amanda verschränkte die Arme, sah sich das finale Holo an. „Weißt du, so wie er jetzt aussieht, könnte er dir sogar Spaß machen.“

„Spaß,“ wiederholte Geraldine trocken. „Das hab ich bei Lakon-Schiffen bisher selten erlebt.“

„Dann wird’s Zeit.“ Amanda grinste schief. „Komm schon, gib’s zu – du willst ihn zurück.“

Geraldine zögerte keine Sekunde. „Ja. Aber nicht denselben. Der ist schon weiterverkauft.“

„Also ein neuer?“

„Ein neuer,“ bestätigte Geraldine, ihre Augen glänzten. „Mit der überarbeiteten Software. Vielleicht war’s ja Schicksal, dass ich den ersten zu schnell wieder losgeworden bin.“

Amanda stieß ein kurzes Lachen aus. „Schicksal, sagt sie. Du weißt schon, dass du gerade zum zweiten Mal in kurzer Zeit denselben Frachter kaufst?“

„Kein Frachter,“ korrigierte Geraldine. „Diesmal nicht. Diesmal ein Werkzeug, so wie du gesagt hast.“

Amanda hob die Hände, als hätte sie gewonnen. „Na also. Willkommen zurück in der Realität.“

Geraldine ließ das Holo erlöschen, lehnte sich zurück und sah Amanda direkt an. „Und weißt du was?“

„Na?“

„Ich hab schon einen Namen.“

Amanda blinzelte, überrascht, dann grinste sie breit. „Das ging schnell. Und?“

Geraldine schwieg einen Moment, ließ die Spannung stehen. „Den verrate ich dir, wenn er im Hangar steht.“

Amanda lachte, schüttelte den Kopf. „Du und deine Dramen.“

Doch in ihren Augen lag Wärme, die keine Worte brauchte.

Kapitel 34