Kapitel 32 – Zwischen Abschied und Aufbruch

Ein Abend, drei Welten

Die Citadel Geraldine entzog sich dem Sprunglicht wie ein dunkel polierter Zahn im All. Aus der Luftschleuse fiel warmes Licht, das in dichten Bahnen durchs Hangardeck glitt, und irgendwo im Hintergrund summte der Tritium-Kern in einem Rhythmus, der sich anfühlte wie Herzschlag. Geraldine Cailloux-Delaurent schwebte förmlich den Gang entlang, den Helm locker an der Hüfte, Elena neben ihr in der Rampe stehend — ein vertrauter, abgearbeiteter Blick in ihrem Gesicht, als wäre sie heimgekehrt und hätte dennoch ein paar Kapitel im Gepäck, die sich noch nicht sortiert hatten.

Kathleen trat zuerst aus der Luftschleuse. Sie roch nach Staub und Kältemittel, die Hände von feinem Glitzersand getupft; ihre Stimme war noch weich vom langen Schweigen zwischen den Systemen. „Das ist er also,“ sagte sie leise und ließ den Blick über die Größe des Carriers gleiten, als sähe sie zum ersten Mal ein Gebirge.

„Unser Gebirge,“ antwortete Geraldine und gab Kathleen einen schnellen, festen Armgriff. „Willkommen an Bord. Rosie hat schon das Quartier vorbereitet.“

Rosie wartete am Rand des Gangwegs, die Arme verschränkt, ein Tablet in der Hand und diese Mischung aus Dienstbereitschaft und leisem Vergnügen im Blick, die man nur bei Leuten findet, die mehr Herz für ihre Arbeit haben als für Regeln. Holland tauchte hinter ihr auf, trug einen Kanister wie ein Geschenk und nickte kurz. „Treibstoff ist gut. Du siehst aus, als hättest du Kristalle gegessen und die noch nicht verdaut.“

Kathleen lachte; es war ein kleines Geräusch, das sofort die Schwere löcherte. „So in etwa. Sie glitzern im Dunkeln.“

Am Abend sammelte sich die kleine Gruppe in Geraldines Quartier. Das private Wohnzimmer des Carriers war weder opulent noch karg — genau der Ort, an dem man sich aufhielt, wenn man lange Strecken überleben wollte: tiefe Sitze, ein Rundfenster mit Blick auf ruhige Sterne, ein altes Jazz-Archiv, das Geraldine aus irgendeinem verplanten Kauf gerettet hatte. Geraldine stellte Getränke auf den Tisch — nichts Dekadentes, eher etwas, das gut auf die Kehle ging nach Staub und Sprüngen — und die drei setzten sich so, als gehörten sie zusammen, was sich inzwischen fast wie eine Tatsache anfühlte.

„Erzähl,“ forderte Amanda Lyvierre, die kurz danach hereingeschlüpft war, die Jacke halb offen, das Lächeln schief wie immer. Sie lehnte mit dem Rücken an der Tür, die Augen wie polierte Steine. Ein Kratzer über der Augenbraue erinnerte daran, dass sie kürzlich noch anderswo gewesen war. „Was habt ihr in den Kristallen gefunden? Nicht nur Glitzer, hoffentlich.“

Kathleen begann zu erzählen, langsam und mit diesen kleinen Instrumen­tierungen, die Forscherinnen haben: Messwerte, Farben, das ungewohnte Summen in den Proben. Geraldine hörte zu, die Hände verschränkt, die Kinnpartie angespannt — nicht weil sie etwas dagegen hatte, sondern weil ihr der Ausdruck von Kathleen gefiel: dieses Staunen, das sie weckte, als wäre etwas Lebendiges in die Technik gesickert.

Amanda unterbrach ein-, zweimal mit einer spitzen Bemerkung, die wie ein Stein auf dem Wasser klaffte und alle zum Lachen brachte. „Hübsch sieht sie übrigens aus, Kathleen,“ warf sie ein, halb schämend, halb stolz, als wollte sie das nicht aussprechen, aber dann doch. Kathleen errötete kaum merklich und wandte den Blick ab – ein kurzer, echter Moment, der mehr sagte als jede Beschreibung.

Die Gespräche schlängelten sich: über kleine Siege (Amandas erste echte Jagd in der Python), über Ernüchterungen (Geraldines Sorge wegen Materialmangel), über schlichte Alltagsdinge (Rosies neueste Anekdote über den Community-Trading-Ausfall). Es ging um die Dinge, die eine Crew zusammenhalten: geteilte Zuneigung, geteilte Wut, das Wissen, dass jemand den nächsten Tag mit dir plant –  oder ihn dir wegnimmt.

Amanda erzählte von Begleitschutz-Aufträgen, die sich zu lohnen begannen; sie sprach mit dieser knappen, technischen Sprache, die man von Menschen erwartet, die Gefahr in Stunden rechnen. „Die Python läuft sauber. Ich hab gedacht, zwei Schiffe wären Luxus, aber…“ Sie machte eine kleine Pause, die mehr sagte als ein Marktbericht. „…es gibt eine Freiheit darin. Wenn man nicht alles in eine Kiste packt, fühlt sich das Konto nicht so leer an.“

Geraldine nickte. „Freiheit kostet Credits. Aber sie kostet auch Zeit. Und ich hab beides zu wenig manchmal.“

Kathleen beobachtete die beiden, als würde sie versuchen, ihr eigenes Bild dazwischen zu falten. „Ihr seid komisch vernetzt,“ sagte sie dann, und alle lachten, weil es stimmte: Amanda, die Klinge; Geraldine, der Mast; Kathleen, der Kompass. Drei verschiedene Richtungen, ein gemeinsamer Kurs.

Später, als die Gespräche leiser wurden, legte Geraldine ein altes Lied auf. Das Soundarchiv des Carriers war eine Mischung aus behelfsmäßiger Nostalgie und ehrlicher Geschmacklosigkeit –  genau richtig, um die Stille, die sich abzeichnete, zu brechen. Sie teilten Erinnerungen an abenteuerliche Landeanflüge, an missglückte Versuche, an kleine Momente der Verlegenheit, die in Freundschaft sanken wie Kiesel in See.

Kathleen ließ sich auf dem Sofa zurückfallen, streckte die Beine aus. „Ich bleibe nur eine Nacht,“ sagte sie, als würde sie damit ein Versprechen geben, das sie selber nicht ganz glaubte. „Dann geht’s zurück nach Colonia, die Messreihen warten.“

„Eine Nacht reicht manchmal für ein ganzes Leben,“ murmelte Amanda, und Geraldine konnte in ihren Augen sehen, wie schnell sie diese Worte mit dem Gewicht belegte, das Abschied haben konnte.

Als die Lampe gedimmt wurde, zogen sich die Gespräche in leise Winkel zurück. Rosie kam kurz vorbei, um zu kontrollieren, dass alles in Ordnung war; Holland schob noch ein paar Vorräte vorbei und grinste: „Wenn ihr weint, macht ihr das leise. Die Ferne hört mit.“

Sie lachten; es war eine gezwungene, wohltuende Geste gegen die Zartheit, die sich in den Knöcheln des Abends festgesetzt hatte.

Bevor Kathleen zur Schlafkabine ging, umarmte sie Geraldine. Es war keine lange Umarmung, eher ein Austausch von Atemzügen und Wärme. Amanda beobachtete sie, die Faust an die Brust gelegt, als würde sie ein kleines, brennbares Objekt gegen das Hemd drücken wollen — vielleicht das Bedürfnis, etwas zu schützen.

„Gute Nacht,“ flüsterte Geraldine.

„Gute Nacht,“ sagte Kathleen, und die Stimme klang, als würde sie einen Funken mitnehmen, der später Feuer sein könnte.

Die Tür fiel leise ins Schloss. Geraldine ließ sich zurück in den Sessel sinken und sah auf das Rundfenster. Draußen spannten sich die Sterne wie eine Karte von dem, was noch zu tun war: Routen, die man noch nicht geplant hatte; Verpflichtungen, die aufeinander trafen; Menschen, die man nicht verlieren wollte.

Amanda trat an das Fenster, die Silhouette scharf gegen das Licht. „Morgen früh?“ fragte sie, mehr Feststellung als Frage.

„Ich bringe sie zur Forschungsstation zurück,“ antwortete Geraldine. „Wie immer.“

Amanda nickte. „Dann bis morgen. Und Geraldine – danke.“ Sie drehte sich um, das Lächeln war kurz, aber echt. „Für die Nachtschicht.“

Geraldine erwiderte das Lächeln. „Für die Crew.“

Als die Lichter im Quartier gedimmt wurden, blieb nur noch das leise Surren des Carriers und ein Gefühl, das sich wie ein Band um die drei zog: gespannt, nicht zerreißbar, warm im Leerraum. Draußen, zwischen den Kristallsystemen und jener unendlichen Leere, hatten sie sich eine kleine Insel gebaut. Morgen würde der Abschied kommen; heute jedoch gehörten sie einander.

Zeiten im Schatten

Die Forschungsstation wirkte nach der Woche an Bord der Citadel wie eine andere Welt. Kein gedämpftes Summen von Triebwerken, kein endloses Sternenfenster. Stattdessen sterile Korridore, der Geruch nach Desinfektionsmittel, Stimmen voller Zahlen und Messreihen.

Geraldine brachte Kathleen bis an die Luftschleuse. „Dein Revier,“ sagte sie knapp, als sich die Schleuse öffnete und das Licht der Station sie blendete.

Kathleen atmete tief ein, fast so, als müsse sie den Rhythmus des Ortes erst wieder aufnehmen. „Ja… mein Revier.“ Ein winziges Lächeln huschte über ihr Gesicht, halb stolz, halb wehmütig.

Drinnen warteten schon Kollegen mit Fragen: Proben, Auswertungen, Berichte. Geraldine sah, wie Kathleen die Schultern straffte, wie sie wieder in ihre Rolle glitt – die neugierige Forscherin, die in Daten badete, bis das Staunen zwischen den Zahlen aufblitzte.

Sie wandte sich noch einmal um, bevor die Tür sich schloss. „Danke für die Reise,“ sagte sie leise. „Es war mehr, als ich gehofft hatte.“

Geraldine nickte nur. Worte hätten das nicht besser machen können.

Der Rückflug zur Forschungsstation dauerte nur wenige Sprünge. Kathleen hatte sich gewünscht, die letzte Etappe mit der Dolphin zu fliegen. „So ein schönes Schiff,“ hatte sie gesagt, als sie durch die kleine Kabine strich, die Fenster fast zu groß für die schlanke Hülle.

Geraldine steuerte sie ruhig ins Dock, ließ Kathleen am Stationspier aussteigen. Ein kurzer Blick, ein Lächeln, ein paar Worte zum Abschied – und schon schluckten die Schleusentore sie wieder.

Der Heimweg zur Citadel fühlte sich still an. In der Dolphin waren die Geräusche weicher, die Anzeigen weniger fordernd als im T9 oder der Corvette. Geraldine schloss die Augen, ließ die Sprünge fast mechanisch ablaufen, bis das vertraute Riesenprofil des Carriers im Raum auftauchte.

Amanda wartete schon im Hangar. Ihr grauer Pilotenanzug wirkte gebraucht, am Kragen dunkle Spuren von Schweiß und Schmauch. „Du hast sie also heil zurückgebracht.“ Kein Vorwurf, nur Feststellung.

„War ja nicht das erste Mal.“ Geraldine löste den Helm, ließ ihn auf der Rampe liegen. „Und bei dir?“

Amanda zuckte die Schultern, dieses kleine, kontrollierte Zucken, das mehr erzählte als jede Statistik. „Begleitschutz. Credits rollen. Piraten fliegen uns gerade in Scharen vor die Kanonen.“

Gemeinsam gingen sie den Korridor entlang. Der Carrier vibrierte leise, als hätte er die Erschöpfung seiner Besatzung übernommen. Geraldine dachte an die Kristalle, Amanda sprach von Kopfgeldlisten – zwei Welten, die sich trotzdem in der Mitte trafen.

Später, allein in ihrem Quartier, öffnete Geraldine die Materialübersicht. Vorräte fast leer. Das nächste Ziel würde wieder draußen liegen, irgendwo im Staub der Sterne. Doch heute ließ sie die Karte schwarz und atmete nur.

Von der Citadel aus konnte Geraldine fast täglich den Funkverkehr der Station verfolgen. Meist nur kurze Nachrichten, nüchtern und sachlich, aber sie trugen Kathleens Stimme.

„Wir haben eine Probe unter UV zerlegt – sie strahlt, als hätte sie ein Eigenlicht.“
Geraldine hörte die Begeisterung hinter den Worten, auch wenn sie in Fachsprache verpackt war.

Ein anderes Mal: „Die Messreihen sind stabil, endlich. Ich hab dir ein Bild in den Kanal gelegt.“

Geraldine sah es sich in ihrer Kabine an: kristalline Strukturen, filigran wie eingefrorene Wellen. Für Kathleen waren es Datenpunkte, für Geraldine sahen sie aus wie ein Fenster in ein fremdes Märchen.

Als Geraldine sie ein paar Tage später kurz auf der Station besuchte, stand Kathleen im Laboranzug, Haare unter einer Kappe, die Stirn von Staub gezeichnet. Sie winkte durch die Scheibe, bevor sie wieder in Zahlen und Diagramme eintauchte.

„Sie lebt dafür,“ dachte Geraldine, als sie die Station wieder verließ. Amanda kommentierte später nur trocken: „Manche Menschen suchen Schlachten. Andere suchen Antworten.“

Die Wochen schoben sich ineinander wie unscheinbare Zahnräder: Funkmeldungen von Kathleen aus der Station, Routineflüge für die Citadel, kurze Abende mit Amanda in der Messe. Nichts Besonderes – bis zu dem Auftrag, der sie beide in denselben Einsatz führte.

Ein Konvoi durch ein umkämpftes System, ein halbes Dutzend Piratenkontakte wahrscheinlich. Geraldine startete mit der Corvette, träge wie eine Festung, bereit, das Feuer zu ziehen.

Doch kaum waren die ersten Signale auf dem Scanner, schoss Amandas Python voraus.
Das Schiff drehte, stach, brach aus wie ein Tänzer, der jede Bewegung des Partners vorwegnahm. Laserstrahlen rissen rote Schnitte ins Schwarz, Raketen lösten sich in kurzen Fächern – nichts davon wirkte gehetzt. Es war, als hätte Amanda die Schlacht vorher in Musik geschrieben.

„Du übernimmst ja alles,“ murmelte Geraldine ins Funkgerät, während die Corvette langsam die Schilde des schwersten Gegners zermürbte.

„Nichts übernimmt sich von allein,“ kam Amandas Antwort, trocken, fast lachend. „Man muss nur wissen, wann man die Töne setzt.“

Geraldine beobachtete die Python, wie sie zwischen Wracks hindurchglitt, die Schilde aufflammen ließ, nur um im nächsten Augenblick verschwunden zu sein. Und da wusste sie, dass sie ihre eigene Python, die noch immer als Allzweckschiff konfiguriert war, eines Tages ebenso scharf schleifen musste.

Doch als sie nach dem Einsatz die Listen durchsah – Materialvorräte, Aufträge, Pläne für den Carrier –, war klar: das „eines Tages“ würde nicht morgen sein. Und vielleicht auch nicht nächste Woche.

Einmal schickte Kathleen eine Probeaufnahme aus dem Labor: ein Holo, kaum größer als eine Handfläche. Die Kristalle, unter Mikrowellenbestrahlung, begannen zu glimmen – erst schwach, dann wie winzige Sterne, die im Glas gefangen waren.

Geraldine betrachtete das Bild minutenlang, auch nachdem die Nachricht längst verstummt war. Neben ihr lag Amandas Jacke, die Python draußen frisch repariert. Zwei Welten, die nicht widersprüchlich waren, sondern wie Gegensätze, die sich im gleichen Raum trafen.

„Schau mal,“ murmelte Geraldine, als Amanda hereinkam. „Kathleen nennt sie ‚Staublichter‘.“
Amanda warf nur einen Blick auf das Holo, dann auf Geraldine. „Nett. Aber sie bringen dich im Gefecht nicht weiter.“
„Vielleicht nicht,“ sagte Geraldine und ließ das Bild ausblenden. „Aber manchmal erinnern sie mich daran, wofür man überhaupt kämpft.“

Abschied unter Sternen

Fast vier Monate waren vergangen, seit Kathleen in Sol angekommen war. Vier Monate, die sich wie ein Atemzug angefühlt hatten, gefüllt mit kurzen Besuchen auf der Forschungsstation, gemeinsamen Abenden auf der Citadel und Einsätzen, in denen Amanda und Geraldine Seite an Seite kämpften.

Doch die Zeit war unerbittlich weitergelaufen. Colonia rief nach Kathleen, ihre Projekte dort warteten, und der Tag des Abschieds ließ sich nicht länger aufschieben.

An Bord der Citadel herrschte eine gedämpfte Stimmung, als Geraldine und Amanda die Vorbereitungen für Kathleens letzten Abend trafen. Es sollte kein offizielles Protokoll geben, kein kühler Händedruck am Dock. Stattdessen wollten sie ihr das Gefühl geben, dass sie nicht nur Kollegin, sondern Teil einer Familie geworden war.

Die Crew hatte an diesem Tag keinen regulären Dienstplan. Holland kümmerte sich um das Tritium, Rosie um die Handelslisten – aber alles lief im Hintergrund, leiser als sonst. Es war, als hätte die Citadel verstanden, dass dieser Abend nicht der Arbeit gehörte.

Geraldine hatte in ihrem Quartier ein paar alte Lampen aus dem Lager geholt, warmes Licht, das den Raum weicher machte. Auf dem Tisch standen zwei Flaschen – nichts Besonderes, aber genug, um es wie einen Anlass wirken zu lassen. Amanda brachte einen kleinen Lautsprecher, auf dem sie eine Playlist abgespeichert hatte: gemischte Stücke, alte Jazznummern, ein paar kämpferische Rhythmen, die an ihre Einsätze erinnerten.

„Es ist nicht viel,“ sagte Amanda und rückte eine der Lampen zurecht. „Aber sie soll wissen, dass es uns wichtig ist.“

Geraldine nickte. „Genau darum geht’s.“

Geraldine hatte für den Abend ein Shuttle organisiert. Kein prunkvoller Transporter, sondern eines dieser unscheinbaren Fährschiffe, die täglich zwischen Stationen und Carriern pendelten. Kathleen stieg mit einer kleinen Tasche ein, mehr brauchte sie nicht für eine Nacht.

Durch die Fenster sah sie, wie die Citadel langsam größer wurde – ein schwarzer Koloss mit leuchtenden Linien, der sich wie ein eigener Kontinent in der Dunkelheit abzeichnete. Für einen Moment spürte sie das Ziehen im Bauch: Heimat war das nicht, aber vertraut genug, um es fast so nennen zu können.

Amanda empfing sie im Hangar mit einem knappen Gruß und diesem leicht provokanten Lächeln, das nie ganz verschwand. Geraldine wartete daneben, verschränkte die Arme und meinte: „Komm. Es gibt was zu trinken.“

Kathleen lachte leise. „Ihr habt euch was ausgedacht, oder?“

Erst dann führte Geraldine sie ins Quartier, wo Lampen, Musik und improvisierte Gemütlichkeit schon warteten.

Das Quartier wirkte anders als sonst. Die gedimmten Lampen warfen weiche Schatten, die Musik legte sich wie ein Teppich unter die Stimmen. Auf dem Tisch standen drei Gläser, zwei schon gefüllt.

„Setz dich,“ sagte Geraldine, zog einen Stuhl heran und reichte Kathleen das Glas. „Wir stoßen an – auf vier Monate, die sich angefühlt haben wie vier Wochen.“

„Und auf die Nerven, die du uns gekostet hast,“ fügte Amanda mit einem Grinsen hinzu. Sie hob ihr Glas, und die drei stießen an. Das Klirren hallte leiser nach, als es hätte sein sollen, fast zögerlich.

Die Gespräche begannen harmlos: kleine Anekdoten aus Einsätzen, Stationstratsch, Gerüchte über die nächsten Handelsrouten. Amanda erzählte von einem Piraten, der behauptet hatte, ihre Python sei „unterbewaffnet“. „Drei Minuten später wusste er es besser,“ kommentierte sie trocken, und alle lachten.

Kathleen konterte mit einem Bericht aus dem Labor: wie ein Kollege versehentlich eine Probe überhitzt hatte, sodass der halbe Raum in glitzernden Funken stand. „Wir haben drei Tage gebraucht, bis wir die Sensoren wieder sauber hatten.“

„Ihr Wissenschaftler und wir Piloten,“ meinte Geraldine, „am Ende sind wir alle nur am Aufräumen.“

Das Lachen, das darauf folgte, war herzlich, fast befreiend. Für einen Moment vergaßen sie, dass dies der letzte gemeinsame Abend sein würde.

Die Gläser waren schon zweimal nachgefüllt, als die Gespräche ruhiger wurden. Die Witze versiegten, die Musik im Hintergrund schien plötzlich lauter zu klingen, obwohl sie gleich geblieben war.

Kathleen drehte ihr Glas langsam in den Händen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier… so etwas finde. Auf einer Forschungsstation bist du eine Nummer. Auf einem Carrier bist du… naja, Teil von etwas Größerem.“ Sie lächelte unsicher. „Ich weiß nicht, wie ich das morgen wieder loslassen soll.“

Amanda sah sie lange an, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. „Das lässt du nicht los. Es bleibt, ob du willst oder nicht.“ Ihre Stimme war erstaunlich weich, fast ohne die übliche Schärfe.

Geraldine nickte langsam. „Familie sucht man sich nicht aus. Sie passiert einem. Und manchmal… mitten zwischen Sprüngen, Kristallen und Kanonen.“

Für einen Moment war niemand fähig zu reden. Nur das Summen des Carriers, das durch die Wände drang, füllte den Raum. Kathleen atmete hörbar aus, als hätte sie etwas lange zurückgehalten. „Ich werde euch vermissen.“

Amanda legte ihr die Hand auf den Unterarm, fest, nicht tröstend, sondern bekräftigend. „Wir dich auch. Aber Colonia braucht dich. Und wir bleiben hier.“

Geraldine hob ihr Glas ein letztes Mal. „Dann stoßen wir darauf an, dass Entfernungen keine Brüche sind.“

Sie tranken, ohne anzustoßen, jeder für sich – und trotzdem gemeinsam.

Der Morgen kam leiser, als er sollte. Keine Wecksignale, keine Durchsagen. Nur das gedämpfte Brummen der Systeme, das durch die Kabinenwände kroch. Kathleen trat in den Hangar, die kleine Tasche in der Hand. Sie sah nicht aus wie eine Forscherin auf dem Weg zu neuen Projekten, sondern wie jemand, der einen Teil von sich zurücklassen musste.

Geraldine stand schon dort, die Hände tief in den Taschen, Amanda direkt neben ihr. Beide hatten sich nicht abgesprochen, und doch waren sie früh wach gewesen – zu unruhig, um noch länger in ihren Quartieren zu bleiben.

Das Shuttle wartete mit geöffneter Luke. Ein alltäglicher Anblick, und doch lag in diesem Moment ein Gewicht darin, als könnte das kleine Schiff eine Brücke abbrechen.

„Also… das war’s,“ sagte Kathleen leise. Ihre Stimme schwankte, wie ein Signal mit Störungen. „Vier Monate. Es fühlt sich… nach mehr an.“

Amanda trat einen Schritt näher, legte die Hände auf Kathleens Schultern. „Du warst hier mehr als nur Besuch. Das ändert sich nicht. Auch nicht, wenn du wieder in Colonia sitzt.“

Kathleen biss sich auf die Lippe. Ihre Augen glänzten, und plötzlich liefen die Tränen, als hätten sie nur auf dieses Signal gewartet. „Ich wollte nicht…“ Sie schüttelte den Kopf, doch die Stimme brach. „Verdammt, ich werde euch vermissen.“

Geraldine zog sie wortlos in eine Umarmung, fest, warm, ohne Raum für Abstand. Amanda legte ihre Arme dazu, und für einen Moment standen sie zu dritt eng aneinandergedrückt, als könnten sie den Riss mit bloßer Nähe schließen.

Niemand sprach. Tränen liefen auf allen Seiten.

Erst als das Shuttle-Bordpersonal vorsichtig räusperte, lösten sie sich. Kathleen wischte sich übers Gesicht, versuchte zu lächeln. „Ich melde mich. Versprochen.“

„Und wir sind da, wenn du zurückkommst,“ sagte Geraldine, die Stimme rau.

Amanda nickte nur, aber in ihrem Blick lag etwas, das fester war als Worte.

Kathleen stieg die Rampe hinauf. Ein letzter Blick zurück, ein kurzes Zögern – dann schloss sich die Luke.

Das Shuttle hob ab, schob sich vom Hangar fort, bis es nur noch ein kleiner Punkt war.

Geraldine blieb stehen, lange nachdem es verschwunden war. Amanda trat neben sie, leise, fast unhörbar. „Sie ist wie eine kleine Schwester.“

Geraldine atmete schwer, nickte. „Ja. Und es fühlt sich an, als hätte ich sie gerade verloren.“

Amanda legte den Arm um sie, zog sie ein Stück näher. „Nicht verloren. Nur weit weg.“

Gemeinsam gingen sie den Hangar entlang zurück in den Carrier – zwei Silhouetten, eine Lücke zwischen ihnen, die sich nicht schließen ließ, aber auch nicht trennte.

Nachklang

Der Hangar war leer, als Geraldine und Amanda zurückgingen. Nur das Echo ihrer Schritte hallte von den Metallwänden wider, sonst nichts.

„Vier Monate,“ sagte Geraldine leise, als sie in den Korridor abbogen. „Es ist verrückt, wie schnell das vorbeigeht.“

Amanda nickte, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. „Und wie sehr man sich daran gewöhnt, dass jemand einfach… da ist.“

Sie blieben vor dem Schott zu Geraldines Quartier stehen. Keiner rührte sich, beide schauten an die geschlossene Tür, als könnte sich dort noch ein Schatten von Kathleen abzeichnen.

„Sie hat Recht gehabt,“ murmelte Geraldine. „Familie sucht man sich nicht aus. Und trotzdem fühlt es sich so an.“

Amanda legte den Kopf leicht schief. „Du meinst, du hast plötzlich zwei Schwestern? Eine zum Streiten und eine zum Staunen?“

Amanda hatte noch den Scherz auf den Lippen, doch Geraldine drehte sich zu ihr und sah sie ernst an.

„Kathleen ist wie eine Schwester,“ sagte sie, die Stimme ruhig, fast sachlich. „Aber du nicht. Du bist alles für mich.“

Die Worte hingen im Raum wie ein Schockwellenstoß. Amanda blinzelte, als hätte sie einen Treffer abbekommen, für den sie keinen Schild vorbereitet hatte. Ihr sonst so sicheres, provokantes Lächeln zerfiel – übrig blieb nur ein Ausdruck, den Geraldine selten gesehen hatte: völlige Sprachlosigkeit.

Ein paar Sekunden zu lang sagte Amanda nichts. Dann schob sie einen Atemzug durch die Zähne, schüttelte leicht den Kopf und setzte sich langsam auf die Kante des Sofas. „Verdammt, Geraldine…“ Mehr brachte sie nicht heraus.

Geraldine ließ sich neben sie fallen, ohne das Gewicht von Worten weiter zu tragen. Ihre Hand suchte Amandas, und in der Stille des Quartiers war das Zusammenspiel von zwei Atemzügen lauter als alles andere.

Die nächsten Tage liefen wie jeder andere – Missionen, Wartung, Sprünge im Carrier. Und doch war etwas anders.

Amanda kam öfter in Geraldines Quartier vorbei, ohne Vorwand. Manchmal setzte sie sich einfach mit einem Pad auf das Sofa, während Geraldine Berichte durchsah. Keine Worte nötig, nur das stille Nebeneinander.

Einmal brachte Amanda zwei Becher Kaffee mit, stellte sie auf den Tisch und sagte nichts dazu. Geraldine grinste nur und zog den Becher näher. Kleine Gesten, unscheinbar – und doch war in ihnen mehr Zuneigung als in manchem langen Gespräch.

Wenn sie sich auf der Brücke begegneten, fiel Geraldine auf, dass Amanda sie länger ansah, als nötig war. Kein provokantes Lächeln, kein Spruch – nur ein Blick, der sie an den Satz erinnerte, den Geraldine ausgesprochen hatte. „Du bist alles für mich.“

Geraldine wusste, dass Amanda so etwas nicht leicht annahm. Aber sie sah, wie es in ihr arbeitete, wie es eine Schicht durchbrochen hatte, die sonst unantastbar schien.

Sie saßen wieder nebeneinander im Quartier, Geraldine mit einem Pad, Amanda mit verschränkten Armen und halb geschlossenen Augen. Ein Abend wie viele in den letzten Tagen – ruhig, vertraut, fast schwerelos.

Dann blinkte das Terminal auf. Eine kurze Systemnachricht, nüchtern formuliert, ohne Trommelwirbel:

„GalNet-Meldung: In einer Woche wird der neue Lakon Type-8 Transporter auf dem Markt verfügbar sein.“

Geraldine richtete sich auf, als hätte jemand ein neues Sternensystem in die Karten gezeichnet. „Der T8…“ murmelte sie, und in ihrem Blick lag dieses Glitzern, das Amanda nur zu gut kannte.

„Na toll,“ sagte Amanda trocken, rieb sich über die Stirn. „Da ist er wieder, dein Blick. Ich wette, du willst schon wissen, wie viele Tonnen das Ding frisst.“

Geraldine grinste breit. „Natürlich. Und ob er Tiffany Konkurrenz macht.“

Amanda schnaubte, konnte sich ein Lächeln aber nicht verkneifen. „Du bist unverbesserlich.“

„Nein,“ entgegnete Geraldine, legte das Pad beiseite und sah sie an. „Ich bin einfach neugierig.“

Für einen Moment sahen sie sich nur an. Draußen zogen die Sterne stumm vorbei, während der Carrier seinen Kurs hielt. Kathleen war fort, doch etwas Neues wartete schon – irgendwo zwischen Erinnerung, Zukunftsplänen und dem unausgesprochenen Band zwischen ihnen.

Kapitel 33