Echos Story

3300 – irgendwo in den Docks von Colonia Prime.
Die Kälte zwischen den Versorgungstanks war das kleinere Problem. Seryn zitterte nicht vor Frost, sondern vor dem, was hinter ihr lag. Ihr Bruder Kaelen war tot. Ihre Eltern? Schweigend. Eiskalt. Und Project Ashvail würde niemals in den offiziellen Archiven auftauchen. Dafür war es zu wichtig. Zu schmutzig.

Sie kroch durch eine seitlich verriegelte Wartungsluke – rein in ein Schiff, das gerade für den Langstreckenflug vorbereitet wurde. Kein großes Transporter-Ungetüm. Klein. Alt. Diamondback Scout, wie es aussah. Perfekt.

Sie roch Treibstoff. Staub. Elektronik. Und legte sich zwischen Rumpfplatten und Kabelkanäle. Keine Deckung, kein Plan. Nur ein Ziel: Weg von Colonia.

Die Warteluke

Der Hangar roch nach heißem Metall, Kühlmittel und einem Hauch von abgestandener Luft – wie überall in den unteren Docks von Colonia Prime. Es war spät, oder früh, je nachdem, wie man es sah. Schichtwechsel. Weniger Augen. Weniger Fragen.

Seryn schob sich lautlos zwischen die Versorgungsleitungen, ihr Atem flach, das Gesicht von Schatten durchzogen. Der Hoodie, den sie trug, war zu groß. Die Schuhe zu alt. Sie wirkte nicht wie jemand, der weglief. Sie wirkte wie jemand, der nie irgendwo gewesen war.

Die Plattform war kaum beleuchtet. Nur ein paar orangefarbene Warnlichter zuckten im Takt des Docksystems. Zwischen den abgestellten Schiffen wirkte die Diamondback Scout beinahe unscheinbar – kantig, gebraucht, keine militärische Markierung. Ein Schiff, das niemand beachtete. Genau das, was sie suchte.

Sie beobachtete. Kein Bewegungssensor am Seiteneinstieg. Die äußere Wartungsluke: entriegelt. Offen – nicht dumm, sondern eilig.

Sie kletterte leise hinein.

Dahinter: Enge. Eine Leitungskammer unter der Hauptenergiezufuhr. Kein Sichtschutz. Kein Platz. Aber auch keine Scanner. Nur Aluminiumplatten, Isolierungsrippen, ein kleiner Spalt mit Blick auf das Innere des Schiffs.

Sie zog die Knie an den Körper, presste sich gegen die Wand. Hörte Stimmen draußen. Eine. Männlich. Müde.
Dann Schritte. Metall auf Metall.
Ein dumpfer Schlag – die Luke schloss sich.

Sie war drin.
Und ab jetzt gab es kein Zurück mehr.

Die Stunden danach waren nichts.
Stille. Summen. Geräusche eines startenden Systems. Der Vibrationswechsel, als das Schiff abhob, war fast beruhigend. Fast.

Irgendwann zogen Stunden an ihr vorbei. Schlaf gab es nicht.
Hunger? Irrelevant.
Durst? Später.
Angst? Immer.

Sie hörte ihn – den Piloten – sprechen. Mit sich selbst. Technisches Kauderwelsch. Manchmal geflüsterte Flüche. Keine KI an Bord. Kein Co-Pilot. Nur er.

Sie fragte sich, wie lange sie bleiben könnte, bevor etwas auffiel.
Vielleicht bis zum nächsten Stopp. Vielleicht nur noch ein paar Stunden.

Dann… etwas veränderte sich.

Ein Geräusch. Kein normales Geräusch.
Direkt unter ihr.

Ein Zugriffspunkt wurde entriegelt.

Bevor sie reagieren konnte, klappte der Boden unter ihr auf – ein verstecktes Panel, manuell geführt.
Sie rutschte nach unten. Hart. Licht blendete. Ein Schatten tauchte über ihr auf.

Und dann sah sie ihn zum ersten Mal.

Nicht die ganze Gestalt. Nur die Augen.
Klar. Durchdringend.
Nicht erschrocken. Nicht wütend.
Einfach nur da.

Seine Stimme war ruhig.
„Du willst mir erklären, was du in meinem Schiff machst? Oder soll ich raten?“

Echo sagte nichts.

Sie atmete flach. Beobachtete.
Schätzte den Abstand zur nächsten Luke ab.

„Wenn du losrennst“, sagte er, „öffne ich dir nicht die Schleuse. Ich lasse dich durch sie laufen.“

Immer noch nichts. Kein Wort.

Sein Gesicht wurde klarer.
Etwa fünfzig. Erschöpft. Die Art von Erschöpfung, die nicht vom Fliegen kam.
Ein Mann, der viel wusste – und sich trotzdem nicht mehr sicher war, warum.

Er runzelte die Stirn.
„Du bist zu jung, um Piratin zu sein. Und zu ruhig, um dumm zu sein.“
Er sah sich kurz um. Dann wieder zu ihr.
„Wie heißt du?“

Sie antwortete nicht.

„Okay“, murmelte er. „Dann machen wir das langsam. Ich geb dir Wasser. Und du redest, wenn du willst. Aber du bleibst genau da, wo ich dich sehen kann.“

Und so begann es.
Nicht mit einem Blaster.
Nicht mit einem Namen.
Sondern mit Stille.

Erste Worte

Er ließ sie sitzen.

Kein Gefängnis. Kein Verhör. Nur eine Ecke des kleinen Maschinenraums, abgetrennt von der Cockpitsektion. Eine alte Wartungsbox als Sitzfläche. Ein Becher Wasser auf einem Feldtablett. Kein Essen. Noch nicht.

Seryn – noch war sie nicht Echo – bewegte sich kaum. Ihre Haltung war angespannt, aber nicht panisch. Wachsam, nicht unterwürfig.
Sie beobachtete ihn, während er arbeitete.
Keine Hektik in seinen Bewegungen. Keine Versuche, sie auszutricksen oder zu beeindrucken. Nur Routinen, die so wirkten, als wäre er sie leid – und auf sie angewiesen zugleich.

Sie hasste das.
Diese Ruhe.
Diese Normalität.

Nach einer Weile sagte er:
„Ich heiße Sorev. Nur damit du weißt, mit wem du gerade den Raum teilst.“

Er drehte sich nicht zu ihr.
Der Ton war neutral. Fast beiläufig.

Sie schwieg.

„Ich hab nichts, was du gebrauchen kannst. Keine Credits. Keine Medikamente. Keine Papiere, die jemand sucht.“

Stille.

„Und wenn du hier bist, um mich umzubringen, dann bist du zu spät. Das habe ich vor Jahren schon erledigt.“

Sie wusste nicht, ob das ein Witz war.
Und selbst wenn – sie lachte nicht.

Ein paar Stunden vergingen.
Das Schiff sprang. Keine große Route, nur ein Sprung aus dem Kernsektor.
Sie blieb in ihrer Ecke. Trank nichts. Fragte nichts. Beobachtete alles.

Später, als die Schiffssysteme in Standby gingen und er sich vom Pilotensitz löste, sprach er wieder.

„Ich hab deinen Rucksack gesehen. Nichts drin außer einem Datapad, einem halb aufgeladenen Cutter und einem Knick in der Ecke, der aussieht, als hättest du mit der Faust zugeschlagen.“
Kurze Pause.
„Ich werd dich nicht durchsuchen. Aber ich werd das Pad irgendwann lesen, wenn du nichts sagst. Also überleg dir, was dir lieber ist.“

Jetzt hob sie den Blick. Zum ersten Mal.

„Das Pad ist leer“, sagte sie.

Es war ihre erste Antwort.

Sorev sah sie an. Prüfend. Nicht überrascht.

„Dann hast du’s gut vorbereitet“, sagte er.
„Oder du willst, dass ich denke, du hast es gut vorbereitet.“

Wieder Stille.

Dann:

„Ich hab keinen Namen“, sagte sie.
Nicht aus Trotz. Eher, als würde sie ihn wegwerfen.

Er nickte.
„Okay. Dann nenn ich dich einfach ‚Nichts‘. Hat was Praktisches.“
Kurze Pause.
„Oder willst du dir was aussuchen?“

„Ich will gar nichts“, sagte sie.

Das war nicht trotzig.
Es war ehrlich.

Später, als das Schiff im freien Drift war, hörte sie ihn im Cockpit murmeln.
Irgendein altes Lied, kaum hörbar. Keine KI-Stimme. Kein Bordradio. Nur seine Stimme.
Und irgendwo im Hintergrund:
Ein Husten.
Leise. Alt.

Sie verstand:
Er war nicht gesund.
Und vermutlich nicht mehr lange auf der Suche nach einem Grund, gesund zu bleiben.

Aber für den Moment – blieb sie.

Und er ließ sie.

Kein Name ist auch ein Name

Sorev fluchte leise.

Irgendwas am sekundären Kühlkreislauf war unregelmäßig. Kein Notfall, aber das Schiff klang, als hätte es Zahnschmerzen – das summende, unregelmäßige Brummen vibrierte durch die Bodenplatten.

Seryn saß in ihrer Ecke, die Beine angezogen, die Stirn an die Knie gelehnt. Kein Blickkontakt. Kein Reden. Nur Hören.

Sorev schob sich halb unter eine Wartungseinheit, ein Multitool in der Hand, das surrte, knackte, wieder surrte. Dann ein lauter Knall.

„Verdammt.“

Ein kurzer Funkenregen. Etwas fraß sich durch die Isolation.
Ein schwerer metallischer Ton.
Dann: Stille.

Seryn hob den Kopf.

Sorev lag auf dem Rücken, hustete leise.
Er versuchte aufzustehen, doch kaum bewegte er sich, verzog er das Gesicht vor Schmerz und presste sich eine Hand an die Seite.
Ein satter Funkenstoß aus dem geöffneten Wartungsschacht erhellte kurz den Raum.

Seryn zuckte zusammen. Nicht aus Angst. Aus Instinkt. Dann blieb sie sitzen. Starr.
Sie beobachtete, wie er die Augen schloss und einen Moment lang einfach liegen blieb.
Kein Held. Kein Kommandoton. Einfach ein Mann, der gerade einen Fehler gemacht hatte.

Langsam bewegte sie sich. Stand auf. Ging näher.
Keine Eile. Kein Wort. Aber auch kein Zögern mehr.

Sorev öffnete ein Auge, als sie sich über die offene Konsole beugte.
„Wenn du mir jetzt noch sagst, dass du auch noch mit Technik umgehen kannst, dann fang ich an, an Schicksal zu glauben“, murmelte er.

Keine Antwort.

Sie sah sich das defekte Modul an. Berührte nichts. Blickte nur.
Dann:
„Kondensator hat auf Masse durchgeschlagen.“

Sorev starrte an die Decke.
„Natürlich hat er das.“

„Klingt logisch“, murmelte er.
„Und klingt, als würdest du wissen, wie man’s behebt.“

Sie griff nach dem Multitool.
Sah ihn an.
Kurz. Dann konzentrierte sie sich wieder auf das Modul.

Nach zwei Minuten war der Schaden isoliert.
Nach fünf Minuten: eine provisorische Lösung.

„Das wird halten“, sagte sie.
Er saß inzwischen wieder an der Wand, beobachtete sie.

„Das tut’s meistens, wenn man weiß, was man tut“, sagte er.

Sie reichte ihm das Werkzeug zurück, aber er nahm es nicht.

Stattdessen sagte er:
„Also. Wenn ich dich nicht weiter ‚Nichts‘ nennen soll, hast du vielleicht was anderes im Angebot?“

Sie zögerte.
Die Frage war nicht fordernd.
Nicht mal neugierig.
Nur… offen.

Nach einem Moment sagte sie:
„Echo.“

Er nickte langsam.
Kein Kommentar. Kein Lächeln.

Nur:
„Okay.“

Kurze Pause.
Dann, fast beiläufig:
„Passt irgendwie.“

Sie ging zurück in ihre Ecke.
Setzte sich.
Aber diesmal drehte sie ihm nicht den Rücken zu.

Der Name

Der Geruch von verschmortem Kunststoff hing noch in der Luft, als sie das Multitool zurück in den Halter legte.
Kein Wort. Kein Blick. Nur ein Nicken in seine Richtung.
Nicht Zustimmung. Nicht Stolz.
Nur: Ich bin noch hier.

Sorev kaute auf einer Notration, die nach Karton schmeckte, aber immerhin warm war.
Er sagte nichts. Das hatte er gelernt – reden hilft nur, wenn jemand zuhören will.
Sie saß wieder ein paar Schritte entfernt, die Knie angezogen, den Blick auf irgendeinen Punkt zwischen Konsole und Bodenplatte.

Er legte die Ration beiseite.
Trank einen Schluck Wasser.
Dann, nach einer langen, unaufdringlichen Pause:

„Echo…“
Nicht fragend. Nur als Satzanfang.
Dann:
„…ist nicht dein ursprünglicher Name, oder?“

Sie antwortete nicht sofort.

Dann, nach einer Weile:
„Nein.“

Er nickte.
„Und… darf ich wissen, wie du wirklich heißt?“

Ein Moment des Zögerns. Kein Widerstand, aber auch kein Bedürfnis, daraus ein Geständnis zu machen.

„Seryn.“

Einfach nur das.
Nicht mehr.
Nicht weniger.

Er nickte.

Nicht überrascht. Nicht bewegt.
Einfach: akzeptierend.

Dann lehnte er sich zurück, sah wieder auf den Bordbildschirm.
„Okay. Seryn.“

Ein letztes kurzes Innehalten.
Dann, leise, fast wie zu sich selbst:

„Aber für mich bleibst du Echo.“

Raum, nicht Stille

Der Raum war klein.
Nicht eng, aber gebaut für eine Person. Zwei, wenn man es musste. Drei, wenn man keinen Wert auf Bewegung legte.

Seryn saß auf dem Boden der Technikbucht, ein Bein ausgestreckt, das andere angezogen. Neben ihr lag ein geöffnetes Versorgungspanel – nicht weil es defekt war, sondern weil sie es geöffnet hatte. Einfach so.

Die Geräusche des Schiffs waren gedämpft. Standby-Modus. Trägheitsdrift.
Sie waren irgendwo im Nichts zwischen Colonia und „zu weit weg, um gefunden zu werden“.
Ein Punkt ohne Bedeutung – genau das, was sie beide suchten.

Sorev saß gegenüber. Nicht im Cockpit, nicht an den Kontrollen.
Einfach auf einer der Versorgungsboxen, die leer genug war, um als Sitz durchzugehen.
Vor ihm: ein dampfender Metallbecher mit dem, was als Kaffee bezeichnet wurde, wenn man nicht mehr anspruchsvoll war.

Er trank langsam. Kein Gesprächsangebot. Kein Versuch, die Stille zu füllen.
Sie war keine Bedrohung. Keine Verpflichtung. Sie war… Raum.

Seryn schloss die Klappe des Panels, verriegelte sie wieder. Ihre Bewegungen waren ruhig, präzise. Sie mochte Ordnung. Nicht, weil sie ihr Halt gab – sondern weil Chaos sie wütend machte.

Sorev sah sie nicht an, aber er bemerkte es.
Wie sie sich bewegte.
Wie sie nicht fragte.
Wie sie einfach wusste, was sie tat.

„Ich wusste nicht, dass du fliegen kannst“, sagte er schließlich.
Keine Prüfung, keine Ironie.
Nur ein Satz.

„Ich kann’s auch nicht“, sagte sie.

„Aber du kennst das Schiff.“

Kurze Pause.

„Ich kenn Systeme.“

Er nickte.
„Das merkt man.“

Mehr kam nicht.
Aber es reichte.

Etwas später stand er auf, ging wortlos an der kleinen Kombikapsel vorbei, zog eine zweite Tasse hervor. Füllte sie. Reichte sie ihr hin – nicht nah, nur weit genug, dass sie sie nehmen konnte, wenn sie wollte.

Sie tat es.
Roch daran.
Trank nicht.

Sorev sagte:
„Schmeckt wie Asche mit Schuldgefühlen.“

Sie zog minimal eine Augenbraue hoch.

„Du gewöhnst dich dran. Oder du gibst auf. Beides spart Energie.“

Sie trank.

Ein kleiner Schluck.

Er sah es nicht, aber sie wusste, dass er es bemerkte.

Sie saßen eine Weile so da.

Keine Fragen.
Keine Rückblicke.
Nur dieses fragile Einverständnis:
Du bleibst, solange du willst. Ich frage, wenn du willst.

Drift

Die Wochen danach verliefen ohne Plan – aber nicht ziellos.
Seryn und Sorev flogen, sprangen, drifteten.
Raus aus dem Einfluss Colonia Primes, rein in Sektoren, die auf keiner offiziellen Karte markiert waren.

An abgelegenen Außenposten – teils verfallen, teils zwielichtig geführt – tauschten sie, was sie konnten: Wartungsarbeiten gegen Nahrung. Filterreparaturen gegen Brennstoff. Diagnosen gegen Schweigen.
Seryn erwies sich dabei als stilles Ass im Ärmel.
Sie sprach wenig, stellte keine Fragen, erledigte Probleme, bevor jemand wusste, dass es welche gab.

Bei einer illegal betriebenen Recyclingstation ersetzte sie binnen Minuten einen durchgeschmorten Hochspannungsknoten.
Auf einem alten Orbitaldepot brachte sie eine marode Luftschleuse mit einem manipulierten Diagnosetool wieder unter Kontrolle – während die Station noch verhandelte, ob man sie überhaupt durchlassen sollte.

Sorev sprach nicht darüber.
Aber er begann, sich auf sie zu verlassen.
Nicht laut, nicht offiziell. Aber er prüfte nicht mehr, wenn sie sagte: „Das passt.“

Manchmal arbeiteten sie stundenlang nebeneinander.
Sie an Sensorik, er an Analysemodulen. Keine Musik. Kein Smalltalk.
Nur Werkzeuge, Systemmeldungen, das Summen des Reaktors.

Es war keine Freundschaft.
Aber etwas funktionierte.
Etwas hielt.

Und als sie irgendwann wieder sprangen – nichts Besonderes, kein Ziel, nur ein weiterer Drift –
begann etwas.
Still.
Unbemerkt.
Noch ohne Form.
Aber es war da.

Fragment

Die Geräusche des Schiffs waren immer dieselben.

Leises Sirren, vereinzelte Klacklaute der Trägheitsstabilisierung, das tiefe Pulsieren des Reaktors – wie ein Herzschlag, der nichts fühlte. Dazwischen: Systeme, die sich selbst prüften, Logbucheinträge, die niemand las, und Messreihen, die irgendwann in einer Ecke des Speichers verschwanden.

Seryn saß an der Sekundärkonsole der Sensorik – nicht weil sie musste, sondern weil sie es nicht lassen konnte.

Der Kalibrierprozess war eigentlich abgeschlossen. Das Schiff lief stabil.
Aber sie misstraute fertigen Dingen.
Fertiges war selten ehrlich.

Sie rief eine Nebenschleife der Langstreckenreichweite auf, prüfte das Rauschverhalten – aus Gewohnheit.
Dann stoppte sie.
Ein Ausschlag. Winzig.
Zu kurz, um messbar zu sein.
Zu präzise, um Zufall zu sein.

Sie runzelte die Stirn, ging zurück ins vorherige Scan-Cluster.
Dort war nichts.

Doch als sie das aktive Filterfenster veränderte – manuell, ohne die Standardprotokolle – war es wieder da.

Kein Echo. Kein Code.
Ein Impuls.
Knapp über Grundrauschen.
Und exakt alle 38,6 Sekunden.

„Sorev“, sagte sie, ohne aufzusehen.

Er war ein paar Meter entfernt, hatte gerade ein Isolationsmodul neu verkabelt.
„Hm?“

„Ich hab was.“

Er kam herüber, langsam, ohne Eile – wie jemand, der gelernt hat, dass 90 % der Dinge, die als „was“ bezeichnet werden, bedeutungslos sind.

Sie zeigte auf die Linie.
Er sah sie sich an.
Dann wiederholte er ihren Filterpfad – prüfte, ob es ein Sensorfehler war.
War es nicht.

Seine Stirn verzog sich leicht. Kein Erstaunen, eher ein wachsendes Unbehagen.
„Das liegt außerhalb der regulären Signalarchitektur.“

„Ich weiß.“

„Keine ID, kein Zielcode, kein Rückkanal.“

Sie nickte.
Er schwieg.

Dann:
„Wir fliegen weiter. Wenn es wichtig ist, kommt es wieder.“

„Oder nicht“, sagte sie.
Nicht trotzig. Nicht wütend. Einfach: festgestellt.

Er sah sie an.
Sie erwiderte den Blick. Ruhig.
Zum ersten Mal schien sie nicht zu warten, sondern bereits entschieden zu haben.

„Es ist nichts“, sagte er schließlich.
Aber er sah es sich noch einmal an.

Und kurz darauf änderte sie – ohne Befehl, ohne Absprache – den Kursvektor.
Nur minimal. Kaum spürbar.

Er ließ es zu.

Die Landung

Der Planet hatte keinen Namen.
Im Systemverzeichnis war er mit einer achtstelligen Kennung vermerkt, wie alle anderen, die nie jemand beansprucht hatte.
Keine Atmosphäre. Keine Gravitation, die Probleme machte. Keine Aussicht.

Perfekt.

Die Oberfläche war grau und gebrochen. Ausgedehnte Gräben, eingefallene Krater, überall Spuren von Wind, der nie geblasen hatte – aber Jahrtausende an Zeit.

Sorev führte das Schiff manuell runter. Kein Autolanding. Kein Risiko.

Seryn saß schweigend neben ihm, die Augen auf das Höhenprofil gerichtet.
Sie sagte nicht: „Wir sind da.“
Sie sagte: „Da ist etwas.“

Ein Schatten – zu regelmäßig. Eine Vertiefung, wo keine hätte sein dürfen.
Die Scanner zeigten nichts. Aber die Geometrie sagte alles.

„Bleib hier“, murmelte Sorev, als sie aufstanden.
Sie antwortete nicht – folgte ihm einfach.

Die Außentemperatur war niedrig, aber stabil. Keine Aktivität. Keine Bewegung.

Die Vertiefung entpuppte sich als Teil einer Struktur – halb von Sand überlagert, halb verschüttet, aber nicht kaputt.
Ein spitzer Winkel, der sich in den Boden senkte.
Ein metallischer Grat, den kein Mensch gebaut hatte.

Sorev fluchte leise.
Seryn stand nur da. Sah es an.
Dann:
„Das ist alt.“

„Das ist Guardian“, sagte er.

Der Eingang war verborgen – aber nicht verschlossen.
Es gab keinen Code, keine Kuppel, keine Energiesperre.
Nur eine Art Schwelle. Ein Spalt.
Ein Pulsieren in der Luft, das kaum zu spüren war, aber den inneren Gleichgewichtssinn irritierte.

Sorev schaltete die Sekundärlampe ein.
Seryn tat es nicht.

„Du kannst hierbleiben“, sagte er.
„Nein“, sagte sie.

Sie gingen hinein.

Der Gang war schmal, aber nicht beengt.
Die Wände: fremd. Nicht glatt, aber auch nicht organisch.
Strukturen, die sich keiner Funktion zuordneten.
Lichtreflexe, obwohl keine Lichtquelle sichtbar war.

Irgendwo weiter hinten flackerte etwas. Kein Strom. Aber Energie.

Nach zwanzig Metern stoppte Sorev.

„Spürst du das?“

„Ja.“

Sie atmeten flach.

Dann traten sie in die Halle.

Es war keine Halle.
Es war ein Raum, der sich nicht nach Raum anfühlte.
Zu hoch. Zu still. Zu… wach.

Und mittendrin:
Ein Panel.
Kein Display. Kein Interface.
Ein Steinsockel mit linienförmigen Markierungen – wie Kratzer. Wie Schrift.

Sorev trat näher. Langsam.
Er berührte nichts. Nahm nur Daten auf.
„Wir sind die Ersten hier.“

Seryn sagte nichts.
Aber in ihren Augen lag keine Überraschung.

Nur so etwas wie…
Rückkehr.

Etwas lebt

Die Luft in der Halle roch nicht.

Nicht nach Staub. Nicht nach Metall. Nicht nach Zeit.
Sie war da – messbar, atembar, kontrolliert – aber sie fühlte sich nicht „echt“ an.
Wie ein System, das nur aktiv war, weil es nicht wusste, dass es längst hätte versagen sollen.

Sorev ließ den Scanner langsam über die Konsole kreisen.
Keine typischen Signaturen. Keine Rückkopplungen.
Aber Konstanz.
Ein Wert, der sich nicht veränderte, obwohl keine Energiequelle sichtbar war.

„Hier läuft noch etwas“, murmelte er.

Seryn ging ein paar Schritte zur Seite.
Wände, die wie organische Datenmuster wirkten, aber keine Sprache zeigten.
Oder keine, die sie verstand.

Sie legte die Hand auf eine der eingelassenen Linien.
Nichts reagierte.
Aber ihre Fingerspitzen kribbelten.

Sorev warf ihr einen Blick zu.
„Funktionale Ladung. Keine Gefahr, aber… aktiv.“

Sie nickte nur.
Ging weiter.
Ein leichtes Flimmern in der Luft lag über der anderen Seite des Raumes – wie Hitze über Metall, obwohl es kalt war.

Seryn blieb stehen.
Vor ihr: eine Art Vertiefung.
Flach, kreisförmig.
Mit radialen Mustern, die an alte Zielscheiben erinnerten – oder an etwas, das keine Menschen je bauen würden.

„Das ist kein Bedienfeld“, sagte Sorev leise.

Seryn kniete sich hin.
Berührte es nicht.
Nur Beobachtung.

„Es reagiert auf Präsenz“, sagte sie.

„Auf Masse?“

„Nein. Auf… Absicht.“

Sorev sagte nichts.
Aber er sah sie jetzt nicht mehr nur an.
Er betrachtete sie.
Anders.

Nach einer Weile richtete sie sich auf.
Er ging zurück zum Scanner.
„Ich zieh mir die lokalen Parameter. Wenn die Werte stimmen, sind hier lebenserhaltende Systeme aktiv.“

„Langzeitfähig?“

„Unklar. Aber mehr als das, was unser Schiff in Standby schafft.“

Er sah sie an.
Er wusste, was sie dachte.

Sie sagte es trotzdem.
„Wir könnten hierbleiben.“

Die Entscheidung

Der Rückweg zum Schiff war still.
Nicht aus Vorsicht – sondern weil es nichts zu sagen gab.
Sorev trug den portablen Scanner unter dem Arm, Seryn hatte nichts in der Hand, aber eine ganze Struktur im Kopf.

Als sie durch die Schleuse der Diamondback traten, war es, als ob die Luft dort schwerer war.
Nicht schlechter – nur… realer.
Lebenserhaltung, Sauerstoffmischer, Kondenswasser.
All das, was funktionierte, aber nie besonders wirkte.
Dort unten war es anders.
Dort unten wirkte es wie Absicht.

Sorev ließ sich auf die untere Kante des Pilotensitzes fallen.
Schob die Scannerdaten auf den Screen.
Seryn setzte sich auf den Boden. Schräge Sitzhaltung. Die Jacke hatte Staub aufgenommen. Das störte sie nicht.

Nach einer Weile sagte er:
„Atmosphäre ist stabil. Temperatur oszilliert minimal. Strahlungsniveau liegt unter der Stationsnorm.“

Er wischte die Werte weg.
Startete die Energieprognose des eigenen Schiffs.
Dann lehnte er sich zurück.

Seryn sah ihn nicht an.
Aber sie wusste, dass er wartete.

„Wir könnten hierbleiben“, sagte sie.

Gleichmäßig. Nicht als Vorschlag.
Nicht als Hoffnung.
Nur als Möglichkeit, ausgesprochen.

Er schwieg.
Sie wartete nicht auf Zustimmung.
Sie wartete auf Widerstand.
Er kam nicht.

Stattdessen:
„Ich müsste die Lebenserhaltung doppeln. Wir bräuchten ein zweites Filtersystem.“
Er blickte sie an.
„Und wenn das Hauptmodul versagt, müssen wir zurück ins Schiff. Das kann Tage dauern.“

„Ich weiß.“

Pause.

„Die Daten allein reichen für ein Jahr Arbeit“, sagte er.
„Und das war nur der erste Raum.“

Sie nickte.

„Du willst hierbleiben?“, fragte er leise.

Sie sagte nichts.
Aber sie sah ihn an.
Und das reichte.

Sorev atmete durch.
Stand auf.
Streckte den Rücken, als hätte er eine Entscheidung getroffen, die mehr wiegte als sie war.
Dann ging er an ihr vorbei, öffnete die Werkzeugkammer.

„Wir fangen mit der Stromverteilung an.
Wenn wir das falsch machen, stirbt uns der Mist in der Nacht weg.“

Und so blieben sie.

Kein Vertrag. Kein Schwur.
Nur zwei Menschen,
eine Ruine
und das Wissen:
Hier ist gerade etwas passiert.

Der neue Alltag

Sie hatten keine Betten.
Nur Kisten, Isoliermatten, den Frachtraum ihres Schiffs und einen halb funktionierenden Nebenraum in der Ruine, dessen Lufttemperatur sich nie entschied, ob sie lebenserhaltend oder nur erträglich sein wollte.

Aber sie schliefen.
Mal dort, mal hier.
Nie gleichzeitig, aber immer abwechselnd.
Und irgendwann begannen sie, nicht mehr zu warten, bis der andere schlief.

Sorev arbeitete an einer modularen Stromverteilung – er zog Leitungen aus alten Thermokanälen und speiste sie in Guardian-Schächte, deren Logik ihn nachts nicht schlafen ließ.

Echo – inzwischen nur noch Echo, auch in seinem Kopf – kartografierte.
Nicht offiziell, nicht vollständig.
Nur für sich.
Sie beschriftete nichts. Nur Farben, Formen, Wege.
Und manchmal Linien, die niemand verstand – nicht mal sie.

Sie aßen nebeneinander, aber nicht zusammen.
Redeten wenig, aber nie falsch.
Manchmal fragte er:
„Wie lange willst du das machen?“
Und sie sagte:
„Bis ich was finde.“
Dann fragte er nicht weiter.

Einmal sagte er:
„Du bist nicht zufällig auf dieses Signal gestoßen, oder?“
Sie antwortete nicht.

Er akzeptierte das.

Die Tage vergingen.
Keine Uhr. Keine Standardzeit. Nur Lichtzyklen, die sie selbst definierten.
Sie wechselten zwischen Schiff und Ruine.
Nutzten das eine zum Leben, das andere zum Verstehen.

Irgendwann funktionierte ein Teil der Infrastruktur.
Eine Lichtreihe ging an, wenn sie den Raum betrat.
Ein Luftfiltersystem begann, sich selbst zu kalibrieren.
Ein Hologramm erschien. Einmal. Flackernd. Verschwand wieder.

Sie sagte:
„Es fängt an, sich zu erinnern.“
Er sagte:
„Oder es erkennt dich.“

Sie sah ihn an.
Dann drehte sie sich um.
Und ging tiefer in die Anlage.

Und während draußen die Sterne weiterzogen,
begannen zwei verlorene Namen,
etwas aufzubauen,
das vielleicht nie jemand verstehen würde –
außer ihnen.

Fragmente von Normal

Sie blieben.

Nicht nur in der Guardian-Struktur – auch im Raum zwischen Entscheidungen.
Die Ruine wurde zur Basis. Das Schiff blieb der Rückzugsort.
Dazwischen: Systeme, Außenposten, halb funktionierende Stationen
und der ständige Wechsel zwischen noch da und bald weg.

Es war kein Leben.
Aber es reichte, um weiterzumachen.

Sorev und Echo bauten sich keinen Alltag – sie bewegten sich durch ihn.
Vorräte, Filter, Austausch.
Meist durch Reparaturen, manchmal durch Tausch. Nie durch Bitten.

Ihre Routen führten sie in Randzonen, abseitige Systeme, vergessene Namen.
Die Guardian-Ruine blieb ihr Mittelpunkt.
Alles andere war Versorgung.
Und manchmal… auch ein Moment mehr.

Eine Station nannte sich Callidan-4 Gamma,
aber niemand dort sprach den Namen aus.
Sie dockten mittig, ohne Anmeldung. Kein Protest. Kein Begrüßungsprotokoll.

Im zentralen Modul roch es nach altem Isoliermaterial und etwas, das vielleicht mal Kaffee gewesen war.
Sorev verhandelte wortlos mit einem Händler,
während Echo in den hinteren Technikbereich verschwand.

Sie reparierte, was andere überbrückt hatten.
Nicht aus Pflicht. Aus Prinzip.
Ein Techniker sah sie – blieb stehen – und sagte nichts.

Als sie später zum Schiff zurückkehrten, sagte Sorev:
„Drei Tage Brennstoff, zwei neue Filter, und der Typ glaubt jetzt, sein Kühlsystem hätte sich selbst geheilt.“

Echo sagte nichts.
Aber als die Laderampe sich schloss, war ihr Blick nicht mehr auf das Display gerichtet –
sondern auf ihn.

Er sagte:
„Manchmal reicht das.“

Sie nickte.

Und sie meinten nicht nur den Handel.

Ein paar Systeme später dockten sie an einer alten Orbitalkapsel,
registriert als RS-197-AH.
Offiziell offline, technisch aktiv, aber längst vergessen.

Oben, in einer verlassenen Beobachtungskuppel mit Sicht auf ein Doppelsternsystem,
setzten sie sich hin.
Nicht nebeneinander.
Aber im selben Raum.

Zwei Sonnen zogen vorbei – eine in Gold, eine in Weiß.
Der Gasriese unter ihnen war zu groß, um schön zu sein.
Aber das Licht… war seltsam echt.

Sorev hielt einen Tee,
Echo einen Diagnosestecker,
keiner von beiden trank oder arbeitete.

Nach einer Weile sagte er leise:
„Wenn wir länger bleiben, friert uns die Dockdichtung ein.“

Sie antwortete nicht.
Aber sie blieb.

Er ging irgendwann.
Sie nicht sofort.

Aber sie kam zurück.

Es war kein Alltag.
Aber es war eine Art Gleichgewicht.
Und manchmal fühlte es sich an,
als wäre das der Anfang von etwas,
das nicht sofort einen Namen brauchte.

Das Vermächtnis

Die Tage in der Ruine begannen, ineinander zu verschwimmen. Kein Kalender, keine Stationszeit, nur die Abfolge aus kaltem Schiff, schwankender Luft in den Guardian-Gängen und der ständigen Frage, ob die Systeme sie noch einen weiteren Sonnenzyklus tragen würden.

Sorev bewegte sich langsamer. Am Anfang fiel es kaum auf – ein längerer Atemzug hier, ein Zittern der Hände dort. Aber je mehr Monate vergingen, desto deutlicher wurde es. Er gab weniger Befehle, ließ Echo öfter machen. Nicht aus Vertrauen, sondern weil er es musste.

„Gib mir das Multitool“, sagte er einmal, als sie gemeinsam eine Konsole neu verschalteten.
Sie reichte es ihm, wartete. Er setzte an, hielt inne – und ließ es wieder sinken.
„Mach du.“
Keine Erklärungen, keine Ausreden. Er wusste, dass sie es konnte. Und sie wusste, dass er es nicht mehr konnte.

Echo übernahm. Erst kleine Arbeiten, dann ganze Systeme. Sie hörte auf, zu fragen. Er hörte auf, zuzusehen.

Im Schiff lernte sie zu fliegen. Die Diamondback Scout war alt, aber ehrlich – jede Bewegung fühlte sich roh und direkt an, kein Bordcomputer, der Fehler versteckte. Sie flog hart, kantig, machte Fehler. Sorev kommentierte knapp, mit dieser müden Strenge, die keinen Widerspruch brauchte.
„Nicht kämpfen. Führen.“
„Sanfter.“
„Du zwingst das Schiff erst, wenn du’s vorher verstanden hast.“

Seine Stimme wurde mit der Zeit heiserer, die Anweisungen kürzer. Aber er war da. Immer, wenn sie flog, saß er neben ihr, ein Schatten am Rand des Cockpits, der nur noch das Nötigste sagte.

Irgendwann, nach Wochen, griff er nicht mehr ins Steuer ein. Er nickte nur, als sie den Sprungvektor stabil hielt.
„Das reicht“, murmelte er.
Es klang nicht nach Lob. Eher nach Abschied.

Es gab Nächte, in denen er gar nicht mehr schlief, sondern hustend in der Dunkelheit lag. Echo hörte es, auch wenn sie tat, als schliefe sie. Einmal fragte sie:
„Warum bleibst du?“
„Weil du’s bist.“
„Das ist keine Antwort.“
„Doch. Ist die einzige, die ich noch hab.“

Sie drehte den Kopf zu ihm. In seinen Augen lag kein Trotz, keine Sentimentalität. Nur Wahrheit.

Der Tag kam unspektakulär. Sie waren von einer kleinen Mission zurück – alte Module aus einer ausgebrannten Kapsel. Sorev hustete sich den Rückweg entlang. Als sie das Schiff erreichten, blieb er an der Rampe stehen.

„Echo“, sagte er, und diesmal war seine Stimme klarer als sonst.
„Hm?“
„Das Schiff ist jetzt deins.“

Sie starrte ihn an. Kein Staunen – sie wusste längst, was es war, wie es klang, wo es schwächelte. Aber jetzt, in diesem Moment, lag Gewicht in seinen Worten, das nichts mit Technik zu tun hatte.
„Du meinst es ernst?“
„Ernster wird’s nicht.“

Er legte ihr ein Datenmodul in die Hand – nüchtern, ohne Geste. Zugangscodes, Eigentumseintrag, alles, was zählte. Kein Ritual, keine Zeremonie. Nur Routine.
„Du weißt, wie man’s fliegt.“

Sie nickte. Aber diesmal war es kein Ja. Es war ein Schwur.

In der Nacht starb er. Kein Drama, kein letzter Satz, nur ein abgebrochener Atemzug, der klang, als hätte er noch fluchen wollen. Echo saß lange daneben, hörte zu, bis es still war.

Am Morgen – oder das, was sie für Morgen hielt – legte sie ihn in den Nebenraum der Ruine. Nicht im Schiff, nicht zwischen Kabeln und Stahl, sondern dort, wo die Linien der Guardian-Wände leise pulsierten. Sie sprach nichts. Sie schrieb nichts. Sie blieb einfach einen Moment, bis die Luft kälter wurde, und ging.

Zurück im Schiff setzte sie sich ins Cockpit. Zum ersten Mal allein. Die Sitze rochen nach Öl, Staub und einer Spur von ihm, die sie nicht wegbekam. Ihre Hände lagen auf den Steuerknüppeln.

„Echo“, sagte sie leise. Nicht zu sich, nicht zu ihm. Nur in den Raum hinein.

Dann startete sie die Sequenz.

Die Diamondback Scout hob ab. Langsam, schwerfällig. Aber sie flog.
Und diesmal flog sie allein.


Echo saß still im Cockpit, während das Schiff in die dünne Umlaufbahn stieg. Hinter ihr blieb die Ruine zurück – stumm, unbewegt, als hätte sie nie existiert. Doch im Frachtraum lag noch etwas, das schwerer wog als jede Struktur aus Stein und Metall.

Sorev.

Sie hätte ihn in der Anlage lassen können. Zwischen Linien, die älter waren als jedes menschliche Wort. Aber der Gedanke gefiel ihr nicht. Sorev hatte nicht zu den Wänden gehört, nicht zu den fremden Mustern. Er hatte zum All gehört. Zu Triebwerken, zu Stahl, zu Fehlern, die man mit einer Klinge im richtigen Kabel beheben konnte.

Also bereitete sie die Schleuse vor.

Keine Musik. Keine Worte. Nur das Summen der Pumpen, das Klicken der Anzeigen. Sie zog ihn mit den Gurten der Isomatte, auf der er gestorben war, in den Schacht. Er wirkte kleiner, als sie gedacht hatte.

Echo blieb einen Moment stehen. Hände auf den Knien, Stirn gesenkt. Sie suchte nach einem Satz – irgendeinem. Aber da war nichts. Keine Gebete, keine letzte Weisheit. Nur ein einziger Gedanke, der nicht nach Sprache klang: Danke.

Sie drückte die Sequenz.

Die Schleuse öffnete sich. Vakuum sog ihn hinaus, erst schwerelos, dann getragen vom Licht des Sterns, das die Scout gerade streifte. Für einen Atemzug sah sie, wie sein Körper im Glühen der Sonne aufleuchtete – wie Metall, das den Himmel zurückwarf. Dann verschwand er, klein und unscheinbar, in der Unendlichkeit.

Die Anzeigen meldeten „Schleuse geschlossen“. Echo rührte sich nicht. Ihre Finger lagen noch auf den Kontrollen, als könne sie die Luft selbst festhalten.

Er war weg.
Aber nicht verschwunden.

Sie setzte sich wieder in den Pilotensitz, legte die Hände auf die Steuerung. Ihr Blick glitt über die Sterne, kalt und unerreichbar. Doch diesmal fühlte sie kein Zittern, keine Unsicherheit.

„Echo“, sagte sie leise.
Und zum ersten Mal klang der Name nicht wie ein Schutz.
Sondern wie eine Entscheidung.

Das Schiff neigte sich, Triebwerke erwachten. Die Diamondback Scout nahm Kurs – hinaus, tiefer ins Nichts.
Und sie flog.

Ein Jahr, drei Monate, fünfzehn Tage

Echo saß im Cockpit, die Knie angezogen, den Blick auf die Sterne gerichtet. Der Bordcomputer zeigte eine Zahl, die sie nicht erwartet hatte: 1 Jahr, 3 Monate und 15 Tage. So lange war es her, seit sie und Sorev die Ruine betreten hatten. Ein Zeitraum, der sich anfühlte wie ein Atemzug und gleichzeitig wie ein halbes Leben.

Er war weg. Sie nicht.

Der Alltag hatte sich verändert. Es gab niemanden mehr, der hustend in der Ecke saß, niemanden, der kurze Kommentare abgab oder ihr das Multitool aus der Hand zog. Nur sie. Die Diamondback Scout summte wie eh und je, aber jetzt reagierte sie nur auf ihre Befehle. Keine zweite Stimme, die korrigierte oder nickte.

Echo strukturierte ihre Tage. Nicht, weil sie Ordnung brauchte – sondern weil die Leere sonst zu groß wurde.
Morgens – oder was sie dafür hielt – überprüfte sie Filter, Wasseraufbereitung, Brennstoffvorrat. Danach scannte sie Systeme abseits der bekannten Routen, suchte nach Bruchstellen in Stationen, nach Möglichkeiten zu handeln.

Einmal, im Schatten eines Gasriesen, versuchte eine kleine Piratenkapsel sie zu stellen. Sie hörte noch immer die Stimme des Anführers im Funk: rau, selbstsicher, gelangweilt. „Kleines Schiff, kleiner Pilot. Lass sehen, was du hast.“
Echo schaltete den Kanal stumm, kippte die Scout in eine harte Rolle und ließ die Laser sprechen. Es war kein schöner Kampf, kein taktischer Tanz – mehr ein Aufeinandertreffen von blanker Entschlossenheit und schlechter Vorbereitung. Am Ende trieb das Piratenschiff in Trümmern. Echo atmete flach, die Hände zitterten. Aber sie war am Leben. Und das zählte.

An einer heruntergekommenen Außenstation in den Randzonen tauschte sie Filterkerne gegen Lebensmittel. Der Techniker dort musterte sie zu lange, stellte Fragen, die er nicht stellen sollte. Echo beantwortete keine. Sie schraubte einen Sensorblock in seine Station, reparierte zwei Kontakte, und als er erneut ansetzen wollte, sah sie ihn nur an. Still, ohne Drohung – aber mit einer Kälte, die jede Neugier einfrieren ließ. Er schwieg. Sie bekam, was sie brauchte, und verschwand.

Die Ruine blieb ein Ankerpunkt. Echo kehrte immer wieder zurück, nicht weil sie musste, sondern weil der Ort sie festhielt. Sie begann, die Räume zu kartieren – nicht nur Linien und Muster, sondern auch ihre eigenen Spuren. In einem der kleineren Kammern hatte sie Sorev beigesetzt, nicht physisch, sondern im Gedächtnis: Sie legte dort sein altes Werkzeug ab, die Klinge stumpf, der Griff abgenutzt. Jedes Mal, wenn sie daran vorbeiging, blieb sie einen Atemzug länger stehen. Nie mehr. Nie weniger.

Die Monate vergingen. Sie zählte sie nicht, aber ihr Körper merkte es. Haare länger, Bewegungen sicherer, die Müdigkeit härter. Sie war kein Mädchen mehr, das floh. Sie war jemand, der blieb, weil es niemanden mehr gab, der ihr sagte, wohin.

Doch tief in ihr nagte der Gedanke: Sie konnte nicht ewig allein bleiben. Das Schiff war klein, die Vorräte begrenzt, die Gefahren wuchsen. Sie war gut, aber nicht unverwundbar.

In einer Nacht – oder einem, was sie dafür hielt – saß sie in der Scout, die Triebwerke still, und sah hinaus auf ein System mit zwei Sonnen. Ihr Spiegelbild im Cockpitglas wirkte fremd: schmal, bleich, die Augen tiefer als früher. „Echo“, sagte sie zu sich selbst. Zum ersten Mal hörte sie, wie jung sie noch klang. Und wie alt.

Ein Jahr, drei Monate, fünfzehn Tage.

Sie flog weiter. Noch ohne Ziel.
Aber irgendetwas in ihr wusste: Länger würde sie nicht allein bleiben.

Echo hatte gelernt, die Stille zu lesen. Seit Monaten war sie ihr einziger Begleiter gewesen – gleichmäßig, berechenbar, vertraut. Doch an diesem Tag war sie anders. Der Staub in der Luft wirbelte schwerer, die Bögen der Halle wirkten gespannt wie ein Atem, der angehalten wurde.

Sie spürte es, bevor der Scanner es tat. Etwas war hier. Jemand.

Das metallische Grollen eines Landestellwerks ließ keinen Zweifel. Kein Zufall, kein Geräusch der Ruine. Ein Schiff hatte sich gesetzt, dort draußen, wo seit über einem Jahr niemand außer ihr gelandet war.

Echo griff nach der Waffe. Nicht hastig – selbstverständlich. Sie bewegte sich durch die Schatten, leise, fast wie Teil der Struktur selbst.

Dann hörte sie Schritte. Nur eine Person. Entschlossen. Nicht suchend.
Sie wartete zwischen zwei Pfeilern, hob die Pistole.

Das Lichtkegel einer Lampe schnitt durch die Halle. Eine Gestalt trat ins Sichtfeld, Helm, Anzug, routinierte Haltung. Echo sah, wie die Fremde stehenblieb, den Helm abnahm – und einen ersten Atemzug tat.

Grüne Augen. Wach, offen.
Die Hand näher an der Waffe.

Echo spannte den Blick, hob die Mündung höher. Kein Zögern, keine Warnung.
Die Fremde sah zurück. Kein Betteln, kein Trotz. Nur ein offener, ruhiger Blick.

So standen sie da. Zwei Unbekannte, zwischen Steinen, die älter waren als beide zusammen.
Und Echo wusste: Das hier war kein Zufall.