
Neue Türen, alte Rätsel
Die Tage nach dem Mineneinsatz verliefen fast zu ruhig. Geraldine saß oft in der Lounge ihres Carriers, hörte die Stimmen der Crew über die Komms, sah Schiffe starten und landen, als hätte sich nichts verändert. Doch in ihr nagte etwas – das Gefühl, dass Stillstand gefährlicher war als jeder Kampf.
Amanda hatte sich auf den Sessel gegenüber gefläzt, die Stiefel auf der Tischkante, ein Glas in der Hand. „Du guckst schon wieder, als würdest du gleich den nächsten Wahnsinn lostreten,“ sagte sie, ohne aufzublicken.
„Vielleicht,“ erwiderte Geraldine und drehte ihren Becher zwischen den Händen.
„Na los. Raus mit der Liste.“
Geraldine schnaubte. „Es ist keine Liste.“ Sie lehnte sich zurück. „Es sind… Türen. Türen, die noch offenstehen. Ingenieure, die ich noch nicht kenne. Jeder von denen hat etwas, was die anderen nicht haben. Und wenn ich mehr von ihnen kenne, kann ich mehr erreichen.“
Amanda zog eine Braue hoch und sah sie zum ersten Mal direkt an. „Du sammelst diese Leute wie andere Briefmarken.“
„Vielleicht,“ gab Geraldine zu. „Aber ohne sie bleibe ich stehen.“
Ein Moment Stille. Draußen schob sich ein Transporter aus der Schleuse, die Positionslichter blinkten in kaltem Blau. Amanda nahm einen Schluck und grinste dann schief. „Und? Wer steht als nächstes auf deiner Sammelkarte?“
„Einige Namen. Terra Velasquez, Oden Geiger. Spezialisten.“ Geraldine zog das Pad aus der Tasche, rief die Daten auf. „Jeder von ihnen ist ein neues Stück vom Puzzle.“
Amanda lachte leise. „Du redest, als würdest du ein Kunstwerk bauen. Dabei sammelst du nur Leute, die mit Kabeln und Bolzen spielen.“
„Manchmal sind es genau die, die den Unterschied machen.“ Geraldine klappte das Pad zu, sah Amanda an. „Und es gibt noch etwas anderes. Guardian-Technologie.“
Amanda stieß hörbar die Luft aus, als hätte sie das Wort schon zu oft gehört. „Natürlich. Das nächste Wunderding. Was können die? Kaffee kochen?“
„Module. Starke. Dinge, die wir nicht mal ansatzweise nachbauen können.“ Geraldines Stimme war ruhig, fast nachdenklich. „Man sagt, sie können den Unterschied machen, wenn es hart auf hart kommt.“
Amanda verzog das Gesicht. „Und dafür willst du wieder halbe Galaxien abfliegen? In irgendwelchen Ruinen rumwühlen, in der Hoffnung, dass da noch nicht alle Aasgeier waren?“
„Vielleicht,“ antwortete Geraldine schlicht. „Aber irgendwas in mir sagt, dass es wichtig ist. Wichtiger als die Ränge, wichtiger als Titel.“
Amanda sah sie lange an. Dann zuckte sie mit den Schultern, legte die Stiefel wieder auf den Tisch und grinste. „Na gut. Dann weiß ich ja, was mich demnächst erwartet: du kniest im Staub alter Ruinen, und ich darf dir den Rücken freihalten. Klingt wie Urlaub.“
Geraldine erwiderte das Grinsen nur halb. Doch in ihrem Kopf war die Entscheidung längst gefallen. Neue Türen. Und diesmal nicht nur durch Menschen – sondern durch Geheimnisse, die viel älter waren.
Kronen ohne Glanz
Die Halle glänzte wie flüssiges Silber. Marmorböden, Imperiale Wappen an den Wänden, überall Uniformen, die in makellosen Falten fielen. Geraldine stand in der Mitte, die Hände locker hinter dem Rücken verschränkt, während eine Stimme den neuen Rang ausrief.
„Im Namen der Majestät, der Imperatorin Arissa Lavigny-Duval, wird Ihnen, Commander Callen, der Rang eines Prince verliehen.“
Ein schwacher Applaus brandete auf. Geraldine neigte den Kopf, nahm das Emblem entgegen, das man ihr reichte – kalt, schwer, makellos. Es fühlte sich an wie ein Stück Metall, nicht wie ein Titel.
Am Rand der Halle stand Amanda, in ihrem grauen Pilotenanzug, die Arme verschränkt. Sie grinste, als Geraldine auf sie zusteuerte. „Prince,“ sagte sie gedehnt. „Soll ich dich jetzt Hoheit nennen?“
„Probier’s, und ich erschieße dich,“ murmelte Geraldine.
Amanda lachte leise, folgte ihr hinaus aus der Halle in die stilleren Gänge der Station. „Also, wie fühlt es sich an? Ganz oben in der Kette. Noch ein paar Ränge, und sie sticken dir ein Krönchen ins Schiff.“
„Leer,“ antwortete Geraldine knapp. Sie hielt das Emblem hoch, drehte es im Licht. „Es glänzt, aber es bedeutet nichts.“
„Das Imperium liebt Glanz,“ spottete Amanda. „Und du? Du hasst ihn. Und trotzdem gehst du immer höher.“
Geraldine zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, weil höher Reichweite bringt. Zugang. Türen.“
Amanda zog die Braue hoch. „Du meinst die Kabelratten von neulich. Und deine Guardian-Spielzeuge.“
„Genau,“ nickte Geraldine. „Ich will Reichweite. Für die Anaconda. Wenn wir weiter rausgehen, will ich flexibel sein. Ich will, dass sie mehr schaffen als jetzt.“
„Und deshalb Guardian-Module.“ Amanda sah sie prüfend an. „Du setzt dein Vertrauen in alte Ruinen. Passt zu dir.“
Geraldine blieb stehen, lehnte sich gegen die glatte Wand. „Die Anaconda braucht noch einen Namen.“
Amanda grinste schief. „Na los, überrasche mich.“
„Die Anaconda nenne ich Ashley,“ sagte Geraldine ruhig. „Sie ist groß, störrisch, aber wenn sie läuft, bringt sie dich weiter als alles andere.“
„Ashley.“ Amanda schmeckte das Wort, nickte. „Passt. Klingt wie jemand, der zu viel Raum einnimmt, aber dem man trotzdem vertraut.“
Geraldine ließ das Emblem in die Tasche gleiten. Ihr Blick blieb kurz an den Sternkarten auf dem Wanddisplay hängen. „Wenn ich die Guardian-Module bekomme, wird Ashley weit hinaus können. Vielleicht so weit, dass selbst die Bubble klein wirkt.“
Amanda schnaubte. „Also ruinierst du dir demnächst die Stiefel in uralten Ruinen, nur damit dein fliegender Koloss noch ein paar Sprünge mehr schafft.“
„Wenn es uns flexibler macht – ja.“ Geraldine klang nüchtern, fast trotzig.
Amanda grinste, das alte Funkeln in den Augen zurück. „Na wunderbar. Ein „Prince“ im Taschenformat, ein Schiff namens Ashley und demnächst ein Friedhof voller Guardian-Geister. Dein Leben wird wirklich nie langweilig, Admiral.“
Geraldine erwiderte das Lächeln nur halb. Doch ihre Gedanken waren längst woanders – bei den Sternen, die sie noch nicht erreicht hatte.
Der Koloss
Die Werfthalle der Station roch nach frischem Lack und heißem Metall. Zwischen den Andockarmen hing er wie ein grauer Brocken, kantig, massig, ein Monument aus Stahl: der Type-10 Defender. Geraldine stand am Geländer der Besucherplattform und ließ den Blick über die Linien schweifen.
„Ein fliegender Ziegelstein,“ murmelte Amanda neben ihr.
„Ein Panzer,“ korrigierte Geraldine. „Ein Schiff, das alles aushält. Platz, Stärke, dicke Haut.“
„Und null Eleganz.“ Amanda verschränkte die Arme, grinste schief. „Aber wenn du meinst, dass du ein schwimmendes Hochhaus brauchst…“
Geraldine grinste zurück, doch ihre Augen blieben ernst. Irgendwas in ihr wollte Größe. Nach all den Wochen Handel und den Kämpfen mit Tiffany, Cynthia, Caitlyn – sie wollte noch etwas Massiveres. Etwas, das wie eine Antwort auf die Leere zwischen den Sternen wirkte.
Die ersten Flüge fühlten sich träge an. Der T-10 rollte nicht, er kippte wie ein Block, der sich weigerte, der Gravitation zu entkommen. Geraldine schob die Schubhebel bis an den Anschlag, doch die Beschleunigung kam mit Zeitverzug, wie ein müdes Tier.
„Du lenkst das Ding wie eine Station, nicht wie ein Schiff,“ kommentierte Amanda trocken aus ihrer FdL, die elegant neben ihr herflog.
„Es ist anders,“ knurrte Geraldine. „Man muss ihn fühlen.“
„Du meinst: hoffen, dass er irgendwann reagiert.“
Die Mining-Laser zischten, frästen sich in das Gestein. Drohnen sirrten aus dem Schacht, aber selbst im Abbau wirkte der T-10 unbeholfen. Zu viel Leerlauf, zu viele Winkel, die nicht passten. Geraldine drehte eine Runde, wechselte das Setup, versuchte Multikanonen, später dicke Schilde – nichts fühlte sich richtig an.
Amanda beobachtete sie, kommentierte nur hin und wieder. „Vielleicht ist er für Leute gebaut, die gern Kompromisse hassen.“
„Er ist mächtig,“ widersprach Geraldine, mehr zu sich selbst. Doch während Tiffany sie im Asteroidenfeld lebendig fühlen ließ, war hier nur Gewicht, nur Masseträgheit.
Später, zurück im Hangar, saß Geraldine auf der Rampe und starrte in den Bauch des Schiffes. Amanda kam dazu, zwei Becher in der Hand, setzte sich neben sie.
„Na?“ fragte sie, reichte ihr einen Becher.
Geraldine nahm ihn, trank einen Schluck. „Er passt nicht. Egal, welches Setup, egal welcher Einsatz – es fühlt sich nicht an.“
„Manchmal merkt man das sofort,“ sagte Amanda. „Manchmal dauert’s. Aber am Ende ist es immer das Gleiche: Entweder du fühlst es, oder du fühlst es nicht.“
„Ich wollte etwas Großes. Etwas, das alles kann.“ Geraldine starrte auf den Boden. „Aber es ist nur groß. Mehr nicht.“
Amanda schmunzelte, stieß sie leicht mit der Schulter an. „Dann schmeiß ihn weg. Du hängst dich sonst immer an deine Schiffe. Wenn du bei dem nichts fühlst, spar dir die Mühe.“
Geraldine nickte langsam. „Vielleicht hast du recht.“
Zwei Tage später war der T-10 verkauft. Keine Nostalgie, kein Zögern – nur ein leises Kopfschütteln, als sie den Kaufvertrag unterschrieb. Für einmal hatte ein Schiff keinen Abdruck in ihr hinterlassen.
Amanda kommentierte es nüchtern, als sie zusammen in der Lounge saßen: „Kein Name also.“
„Nein,“ sagte Geraldine. „Er hat keinen verdient.“
Sie prosteten sich zu, und damit war der Koloss nur noch eine Erinnerung.
Ein Schiff fürs Herz
Der Verkauf des T-10 war zwei Tage her, aber das Gewicht des Kolosses hing Geraldine noch in den Armen. In der Lounge saß sie mit Amanda am Fenster, das Dock darunter war ein Kaleidoskop aus Startlichtern und Schleppern. Auf dem Tisch lagen zwei Pads, auf einem blinkten Schiffslisten, auf dem anderen grobe Routenentwürfe.
„Ashley trägt dich überall hin,“ sagte Amanda und stocherte mit dem Finger in die Holo-Optionen. „Aber jedes Mal, wenn du mit ihr landest, sieht’s aus, als würdest du versuchen, eine Kathedrale in eine Garage zu parken.“
Geraldine verzog den Mund. „Sie ist zu groß für Kleinkram. Planetenanflüge, enge Pads, schnelle Scans… ich will was, das nicht gegen mich arbeitet. Etwas, das weit springen kann, aber nicht erst das halbe Dock räumen muss, bevor ich wieder hochkomme.“
„Ein Beiboot.“ Amanda hob eine Braue. „Nur ein bisschen größer.“
„Ein Schiff für Ausflüge,“ korrigierte Geraldine ruhig. „Nicht für Krieg, nicht für Massentransport. Für Strecken, die man fühlt. Für Ruinen. Für Orte, an denen man nicht mit einer Anaconda auftauchen will.“
Amanda scrollte. „Diamondback? Reichweite wie ein Gummiband, Cockpit wie ein Sarg.“
„Zu asketisch.“ Geraldine kippte ihr Pad, vergrößerte eine Silhouette. „Die hier.“
Die Asp Explorer füllte den Raum des Displays mit klaren Linien, keinem Schnickschnack. Ein Schiff, das mehr nach Weg aussah als nach Waffe.
„Asp…“ Amanda lehnte sich zurück, das Kinn in die Hand gestützt. „Alt, bewährt, unspektakulär.“
„Frei,“ sagte Geraldine. „Und leicht. Mit genug Platz, um länger draußen zu bleiben, ohne dass mir die Wände entgegenkommen.“
Amanda grinste schmal. „Gut. Dann schauen wir, ob dein Herz wirklich für unspektakulär schlägt.“
In der Werft war die Asp ein Versprechen auf Stelzen. Kein Pomp, keine Drohung. Geraldine umrundete den Rumpf, legte flüchtig die Hand an eine Paneelnaht, als könne sie spüren, ob das Metall ihren Puls erwiderte. Der Werftmeister redete etwas von Wartungsintervallen und Garantie, doch die Sätze glitten an ihr vorbei; sie hörte nur das leise Klicken der Triebwerksdüsen, als das Team einen Testlauf machte.
„Probeflug?“ fragte er schließlich.
Geraldine nickte.
Das Cockpit war ein Wintergarten. Glas über und neben ihr, die Anzeigen sauber, ohne zu schreien. Beim ersten Schub vibrierte die Asp wie ein Tier, das wach wurde – nicht mürrisch, nicht launisch, sondern aufmerksam. Sie hob vom Pad ab, schwebte einen Herzschlag lang, bevor sie auf die Slot-Achse drehte. Die Steuerdüsen griffen sofort, die Trägheit fühlte sich an wie ein Spielpartner, nicht wie ein Gegner.
„Na?“ Amandas Stimme kam über Funk, frei und hell. „Endlich ein Schiff, das nicht gegen dich arbeitet.“
Geraldine lachte, und das Lachen klang, als hätte sie unterwegs irgendwo Luft gefunden. „Sie hört zu.“
Draußen, im freien Raum, zog sie einen weiten Bogen, ließ die Asp kippen, rollen, steigen, fallen. Kein Gezeter, kein Nachziehen. Auf dem Rückweg an die Station ging sie absichtlich zu tief, korrigierte spät, nur um zu sehen, ob das Schiff die Frechheit annahm. Es tat es – und verzieh ihr mit einem sachten Nicken.
Zurück im Hangar schaltete sie die Systeme ab. Die Wärme der Triebwerke zog ihr über die Stiefel, als sie die Rampe hinunterstieg. Amanda wartete unten, Hände in den Taschen, das übliche Funkeln in den Augen – nur diesmal ohne Spott.
„Du wirkst, als hättest du gerade nach Wochen wieder geschlafen,“ sagte sie.
„Fühlt sich richtig an.“ Geraldine legte die Hand auf die Außenhaut, die noch warm war. „Nicht groß. Nicht schnell. Aber richtig.“
„Dann kauf sie,“ meinte Amanda, als sei es die harmloseste Entscheidung der Welt.
Geraldine kaufte.
Später standen sie nebeneinander im Halbdunkel des Hangars und sahen zu, wie die Wartung drohend langsam wirkte: Schläuche, Lichter, Menschen in Overalls, die taten, als wären sie wichtiger als der Moment. Geraldine blieb still, bis das Zischen verstummte. Dann sagte sie leise: „Sie braucht einen Namen.“
Amanda drehte den Kopf, wartete.
„Elena.“
Das Wort hing im Raum und veränderte die Luft. Amandas Haltung straffte sich, als hätte jemand unsichtbar an einer Saite gezogen. Das Lächeln wich aus ihrem Gesicht, nicht ruckartig, eher wie ein Schatten, der die Sonne findet.
„Amanda?“ Geraldines Stimme war vorsichtig, nicht tastend, nur offen.
Ein kurzes Räuspern, zu hart, zu schnell. „Nur… jemand von früher.“ Amandas Blick blieb an der Asp hängen, als läge die Erinnerung irgendwo in einer der Nieten. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich den Namen noch mal höre.“
„War sie wichtig?“
Amanda ließ die Luft durch die Zähne entweichen, als würde der Druck in ihr langsam weichen. „Ja. Wichtiger, als sie hätte sein dürfen.“ Es war kein Geständnis, eher eine Tatsache. Sie nahm einen Schluck aus dem Becher, stellte ihn ab, ohne hinzusehen. „Mach was Gutes aus dem Namen.“
Geraldine nickte. „Werde ich.“
Für einen Moment standen sie einfach da, die eine Hand auf dem Rumpf, die andere in den Taschen vergraben. Draußen blinkten die Positionslichter im ewigen Takt, drinnen knisterte die Wärme der Triebwerke nach.
Amanda brach die Stille mit einem dünnen Lächeln. „Also gut. Ashley für die großen Sprünge. Elena für die Wege dazwischen. Und irgendwo da draußen ein Haufen Steine, unter denen du Guardian-Spielzeug ausgräbst. Klingt nach Planung.“
„Nach Richtung,“ sagte Geraldine. „Und nach kleineren Landeflächen.“
„Gnade den Pads,“ murmelte Amanda. „Aber ehrlich? Elena steht dir besser als jeder Prince.“
Geraldine sah sie an, und es war dieser Blick zwischen ihnen, der sagte: Wir reden später. Nicht ausweichen. Nicht vergessen. Später.
„Morgen testen wir die Reichweite,“ sagte sie. „Und dann sehen wir, wohin sie uns zieht.“
„Ich bring den Kaffee,“ erwiderte Amanda. „Und den Sarkasmus.“
„Bring lieber Munition.“
„Ich bin der Sarkasmus. Die Munition hast du.“
Sie gingen, und hinter ihnen blieb ein Schiff zurück, das aussehen mochte wie alle Asp Explorer – aber für Geraldine war es ab diesem Moment nur noch eines: Elena. Ein Stück Freiheit in der Form, die sie brauchte. Und eine offene Tür, die irgendwo in Amandas Vergangenheit leise in den Angeln knarrte.
Spuren im Staub
Amanda war früh am Morgen gestartet. „Ein paar Missionen,“ hatte sie gesagt, den Helm schon halb geschlossen. „Ich brauch Bewegung. Und vielleicht… etwas Luft.“ Geraldine hatte nur genickt. Es gab Dinge, die man allein klärte, auch wenn man wusste, dass sie danach wieder nebeneinander fliegen würden.
Also bereitete sie Elena vor. Die Asp schnurrte unter ihren Händen, als hätte sie sich über Nacht an Geraldine gewöhnt: Checks sauber, Anzeigen ruhig, keine Zicke, kein Theater. Einmal quer über das Dock, ein kurzer Schub—die Triebwerke nahmen den Befehl an wie eine Antwort, nicht wie Widerrede. Beim Abheben vom kleinen Außenpad dachte Geraldine kurz an Ashley und daran, wie oft sie mit der großen Anaconda auf engsten Flächen den Atem angehalten hatte. Heute nicht. Heute brauchte sie Leichtigkeit.
Der Kurs lag im Pad wie eine Skizze: bekannte Guardian-Ruinen, längst kartiert, unzählige Male besucht, aber für sie persönlich noch ein leeres Feld. Nicht wegen Trophäen—sie wollte Module, Reichweite, Flexibilität. Wenn Elena und Ashley weiter hinaus sollten, musste irgendwo hier, im Staub und unter den Glyphen, der nächste Schritt liegen.
Die ersten Sprünge waren Routine. Das vertraute Zusammenziehen der Sterne, der Druck im Brustkorb, der sich wieder löste, wenn Elena in den Normalraum kippte. Sie hielt die Sprungkette knapp, ging in großem Bogen um Verkehr und Streit herum, bis das Zielsystem wie eine matte Perle im Glas hing. Ein Mond ohne Namen, mit einem Gürtel aus bröseligem Gestein und einem Himmel, der aussah, als hätte ihn jemand gezeichnet und dann wieder ausradiert.
Der Anflug zur bekannten Stätte war sachlich. Eine Schotterebene, in der die Strukturen der Guardian wie gefallene Bögen lagen, von Sand halb zugedeckt, von Wind poliert. Blaue Einschlüsse glommen in Ritzen; irgendwo tief drinnen knisterte es, als würde ein vergessener Generator schlafen. Geraldine setzte Elena zwischen zwei halb eingestürzten Pfeilern ab, drehte die Systeme runter und lauschte der Stille, bis nur noch das Ticken abkühlender Metallteile blieb.
Der Boden gab unter ihren Stiefeln ein trockenes Knirschen von sich. Sie tastete die Umrisse einer Reliefplatte nach, deren Zeichen im flachen Licht auftauchten und wieder verschwanden. Hier waren schon viele gewesen; man sah es an den glatten Kanten, an den fehlenden Platten, an den Spuren von Werkzeugen, die nicht zu den Ruinen gehörten. Trotzdem flackerte in den Schatten etwas, das älter war als jeder Besucher.
Sie lief die Bogenreihe ab, nahm Messwerte, fotografierte, hielt die Lampe schräg, um Rillen und kleine Vertiefungen sichtbar zu machen. Als der Helm ein leises Ping schickte—Energiespur minimal, nördlicher Sektor—hob sie den Kopf. Der Scanner auf dem Handgelenk ließ eine dünne Linie tanzen. Nichts, das man auf Karten fand, kein Marker, keine Notiz. Nur ein schwaches Echo. Sie musste grinsen, ohne dass jemand da war, der es sah. Amanda würde jetzt sagen: Na klar, du findest natürlich den einen Felsen, den noch keiner kennt.
Geraldine kehrte zu Elena zurück, gab den neuen Kurs ein, hob ab. Der Mond am Rand des Systems war dunkler, rauer, mit Narben, die sich zu Furchen zusammentaten. Aus der Umlaufbahn sah die Oberfläche aus wie zerbrochenes Porzellan. Die Signatur lag in einem Tal, das der Schatten fast ganz verschluckte. Kein offizielles Raster, kein Landekorridor. Gut so.
Der Mond am Rand des Systems war dunkler, rauer, mit Narben, die sich zu Furchen zusammentaten. Aus der Umlaufbahn wirkte die Oberfläche wie zerbrochenes Porzellan. Die Signatur lag in einem Tal, das der Schatten fast ganz verschluckte. Kein offizielles Raster, kein Landekorridor. Gut so.
Geraldine brachte Elena manuell hinunter. Das Schiff reagierte willig, legte sich in die Senke, als wäre es dafür gemacht. Staub stob auf, fiel träge zurück. Draußen: Stille. Absolute Abwesenheit von Luft.
Sie zog den Helm über, prüfte die Dichtungen, stieg aus. Die Schritte hinterließen scharfe Abdrücke im grauen Staub, die Lampe warf Kegel über Pfeiler und Bögen, die wie Zähne aus dem Boden ragten. Überall lag nur Schweigen.
Dann meldete ihr Scanner Ungewöhnliches: schwache Energiesignaturen, unter der Oberfläche. Geraldine folgte den Messwerten, ging tiefer in die Ruine hinein.
Und da änderte sich etwas.
Der Staub wirbelte leichter auf, als hätte er Gewicht. Ihr Anzug meldete steigenden Luftdruck, Spuren von Sauerstoff. Geraldine blieb stehen. Hier, mitten im zerbrochenen Bauwerk, liefen noch Systeme. Alt, aber aktiv. Die Guardian hatten diesem Ort Atem gegeben – und er tat es immer noch.
Zögernd löste sie die Versiegelung des Helms. Ein Zischen, dann kühlere Luft an ihrem Gesicht. Ein erster Atemzug – trocken, mineralisch, aber echt. Sie nahm den Helm ab und hakte ihn an den Gürtel. Ihr Herz schlug schneller. Das hier ist nicht tot.
Der Weg führte sie zwischen drei schräg stehenden Obelisken hindurch. Im Sand davor waren Spuren: gedrückte Flächen, zu gerade, um Wind zu sein. Schuhabdrücke. Metall. Jemand war hier.
Sie spannte den Blick nach vorn, die Hand näher am Riemen der Waffe.
Ein Schaben. Leise, kaum mehr als das Umverlagern von Gewicht.
Zwischen zwei Pfeilern löste sich ein Schatten.
Eine Gestalt trat ins Licht. Schlank, dunkle lange Haare, die linke Kopfhälfte kahl rasiert. Das Gesicht klar geschnitten, ernst, mit Augen, die wachsam und unerschütterlich wirkten. Die Kleidung war funktional, abgetragen, Staub an den Stiefeln, über der Schulter ein Mantel, der schon zu viel gesehen hatte. In der Hand eine Waffe – hochgezogen, selbstverständlich, als sei sie Teil ihres Körpers.
Die Mündung zeigte direkt auf Geraldine.
Kein Wort fiel.
Geraldine blieb stehen, die Hand knapp über dem Riemen, den Blick offen, ohne Herausforderung, ohne Bitte. Nur da.
Die Augen der Fremden waren dunkel und ruhig. Und sie machten klar: Das hier war kein Zufall. Sie hatte längst entschieden, noch bevor Geraldine gelandet war.
So standen sie sich gegenüber, zwischen uralten Steinen, in einem Raum, der eigentlich keiner mehr hätte sein dürfen.
Und Geraldine hielt den Atem an.