
Zwischen Zahlen
Die Datenbank wirkte nüchtern wie ein Buchhalter, dem man keine Geschichten erzählen konnte. Geraldine stand am Terminal der Pilotenvereinigung, während auf den Holo-Displays Balken hochschnellten, Zahlen rollten und Tonnen von gesammelten Daten den Speicher füllten. Wochen von Sprüngen, Scans, Aufzeichnungen – alles, was sie seit Colonia gesammelt hatte, floss jetzt in die Register der Bürokraten.
„Das sind… beeindruckende Mengen, Commander,“ murmelte der Offizier, der das Terminal überwachte. Er trug die Uniform eines Mannes, der zu viele Jahre hinter einem Schreibtisch verbracht hatte, und seine Stimme klang, als wolle er möglichst wenig Begeisterung zeigen. „Ich hoffe, Ihnen ist bewusst, was das bedeutet?“
Geraldine verschränkte die Arme. „Erleuchten Sie mich.“
Der Offizier tippte ein paar Befehle ein, dann projizierte das Display die Meldung, nüchtern wie alles in dieser Behörde:
Rangaufstieg bestätigt: Exploration – Elite. Exploration – Elite I.
Darunter folgten weitere Zeilen:
Exobiologie – Kompiliererin. Exobiologie – Sammlerin. Exobiologie – Katalogisiererin.
Geraldine starrte einen Moment auf die Symbole. Der Offizier wirkte, als erwarte er einen Ausruf, ein Lächeln, irgendeine Regung. Stattdessen nickte sie nur und trat zurück. „Wenigstens haben die Wochen was gebracht.“
Neben ihr verschränkte Amanda die Arme, das provokante Lächeln auf den Lippen. „Herzlichen Glückwunsch, Admiral. Jetzt bist du nicht nur gefährlich, sondern auch offiziell unvernünftig genug, deine Zeit mit Sternenkarten zu verschwenden.“
Geraldine schnaubte. „Und trotzdem fliegst du mit mir.“
„Weil ich sehen will, wie weit du das noch treibst.“ Amanda nahm ihr das Pad aus der Hand, überflog die Zahlen und schüttelte den Kopf. „Elite, Elite I, Kompiliererin, Sammlerin, Katalogisiererin… Klingt eher wie eine Einkaufsliste als wie Ruhm.“
„Man kann’s auch einfach als Fortschritt sehen.“ Geraldine nahm ihr das Pad zurück, steckte es ein. „Und Fortschritt ist mehr, als du jemals zugeben würdest.“
Amanda grinste breit. „Na, dann sammel weiter. Irgendwann musst du dir einen Schrank für all die Abzeichen bauen.“
Geraldine wandte sich ab, ließ das Summen der Terminals hinter sich. Draußen im Dock hallte das Stimmengewirr, Triebwerke brüllten, Frachtcontainer ratterten. All die Zahlen und Titel bedeuteten wenig im Vergleich zu den Kosten, die sie in den letzten Monaten getragen hatte.
Und sie wusste: Es würde nicht reichen. Nicht, wenn die Zukunft noch größer werden sollte, als sie es sich eingestand.
Polster
Die Zahlen vom Terminal hingen Geraldine noch in den Knochen, als sie mit Amanda an der Kartentafel des Carriers stand. Holland hatte die Verbrauchslisten für den letzten Monat herübergeschoben – Tritium, Reparaturen, Ersatzteile, Landegebühren – und irgendwo zwischen den Zeilen steckte die schlichte Wahrheit: Colonia und der Weg zurück hatten ein Loch gerissen, groß genug, um darin ein mittleres Schiff zu parken.
„Also Handel,“ sagte Amanda und ließ den Blick über die Routenlinien wandern, die wie Adern durch die Bubble pulsierten. „Du und dein romantischer Feldzug gegen rote Zahlen.“
Geraldine nickte. „Nicht romantisch. Notwendig.“
„Das sagst du immer, kurz bevor du die halbe Galaxis umräumst.“
Rosie Wilkinson steckte den Kopf zur Tafel herein, die Uniform etwas schief, die Augen hellwach. „Hab’ was Gutes: Agrarbedarf raus nach einem Industriecluster, zurück Hochtechnologie und Meds. Wenn du die Cutter vollmachst, lohnt sich jeder Turn.“
„Risiko?“ fragte Geraldine.
„Moderate Piratenaktivität, aber nichts, was dich nervös machen müsste. Amanda fliegt ja mit.“ Rosie zwinkerte, verschwand, noch bevor Geraldine etwas erwidern konnte.
Die Cutter füllte den Hangar, als hätte man ein Raubtier in eine Kiste gesperrt. Geraldine mochte ihre Geschwindigkeit, vertraute ihren Schilden – und hasste jede Landung damit. Trotzdem: Für Fracht war sie unschlagbar. Die Ladelisten klickten durch, Greifer zurrten Container fest, Zahlen liefen. Amanda stand auf der Galerie, lehnte am Geländer, das Visier ihres Helmes offen, der graue Pilotenanzug glatt wie eine Rüstung.
„Du weißt, dass ich im Notfall nicht zwischen dich und einen Container springe?“
„Du weißt, dass ich im Notfall auch ohne dich lande?“
„Das möchte ich sehen.“ Amanda grinste.
Sie hoben als Formation ab: Cutter vorn, Fer-de-Lance an der Flanke, wie ein Schatten, der wusste, wann er aus dem Licht bleiben musste. Der Verkehr schlug ihnen entgegen – Händlerkolonnen, Patrouillen, die fröhlich korrekte Vektoren diktierten – und doch war es, sobald der FSD griff, wieder nur das schmale Band zwischen Stern und Stern, das ihnen gehörte.
Die ersten Runden liefen glatt. Landwirtschaftliche Medikamente raus in die lärmenden Randsektoren, zurück Superleiter und Progenitorzellen, später noch Thermische Kühler und Prozessoreinheiten – die Art von Gütern, über die niemand Gedichte schreibt, die aber jeden Hafen am Leben halten. Geraldine kam in den Takt: Andocken, entladen, signieren, wieder raus. Die Hände fanden ihre Wege über die Schalter, die Augen über die Anzeigen. Das Schiff wurde schwer, dann leicht, dann wieder schwer.
Zwischendurch, auf einem ruhigen Vektor zwischen zwei Stationen, löste sich eine Meldung auf ihrem HUD, so nüchtern wie ein Formular:
Rangfortschritt: Handel – Elite III.
Amanda pfeifte leise über Funk. „Und wieder ein Abzeichen, Admiral. Muss ich dich jetzt salutieren?“
„Versuch’s und du verlierst den Arm.“
„Jetzt klingt’s wieder nach dir.“
Sie lachten – kurz, leicht, so, wie man lacht, wenn man weiß, dass gerade alles in der Spur ist.
Nicht jeder Turn war sauber. Einmal schälte sich aus einem Asteroidengürtel eine Bande von drei Schiffen, zu schlecht organisiert, um gefährlich zu sein, aber hartnäckig genug, um zu nerven. Amanda brauchte zwei Minuten, vielleicht drei, um die Sache zu klären. Danach glitt sie wieder an Geraldines Seite, ohne Kommentar, nur mit diesem zufriedenen Funkrauschen, das sie manchmal hinterließ, wenn alles genau so gelaufen war, wie sie es geplant hatte.
Ein anderes Mal zwang eine überfüllte Station sie in Warteschleifen, an denen Geraldines Geduld zerschellte. Die Cutter vibrierte unwillig, während die Docking-Kontrolle stoisch die Reihenfolge herunterbetete. Amanda meldete sich trocken: „Ich geh schon mal vor und schreibe denen eine Beschwerde. In Großbuchstaben.“
„Tu das. Und frag nach besseren Teppichen im Empfang.“
„Ich trag’ es als kritische Sicherheitsmaßnahme vor.“
Nacht folgte auf Tag, künstlich und austauschbar, aber fühlbar. Die Crew bekam einen Rhythmus, der Honig in die Nerven goss: arbeiten, landen, zählen, schlafen. Holland murmelte Zahlen; Rosie jonglierte Kontakte, die ihr irgendwo zwischen Kantine und Frachthof zufielen; und Geraldine sah zu, wie der Creditstapel wuchs, erst langsam, dann mit dem befriedigenden Ruck, wenn eine Serie gut lief.
Zwischen zwei Lieferungen saßen sie in der Carrier-Lounge, die Stiefel abgestreift, Gläser am Rand beschlagen. Amanda drückte den Rücken gegen die Lehne, die Augen halb geschlossen. „Du kaufst dir gerade Luft.“
„Ein Polster,“ korrigierte Geraldine.
„Nenn es, wie du willst. Wofür?“
Geraldine überlegte. Die richtige Antwort lag nicht in Zahlen. „Für das, was kommt. Ich weiß nicht, was es ist. Aber wenn es da ist, will ich nicht reden müssen, ob ich’s mir leisten kann.“
Amanda öffnete ein Auge. „Klingt wie du. Planlos entschlossen.“
„Du bevorzugst planlos planlos?“
„Ich bevorzuge…“ Amanda ließ den Satz hängen, ein Lächeln spielte um ihren Mund. „…dass du weitermachst. Ich hab’ Spaß.“
Sie stießen an, ohne Pathos.
Die Route änderte sich, weil sich alles ändert, was zu lange gut läuft. Ein Cluster erhöhte die Importabgaben, anderswo drehte eine Fraktion den Bonus runter; Rosie war die Erste, die es roch, und schickte sie auf eine Seitenspur: seltene Komponenten, die nur in einem halbdunklen Fabriksystem zu bekommen waren – schlecht beleuchtete Docks, roher Metallgeruch, Arbeiter, die nicht fragten, solange die Kreditspur sauber blieb. Geraldine mochte solche Häfen: ehrlich in ihrer Hässlichkeit.
Der nächste Rang sprang in einem dieser Docktunnel auf, während der Frachter am Schlauch hing und die Pumpen Luft füllten:
Rangfortschritt: Handel – Elite IV.
Amanda stand daneben, eine Hand locker an der Halterung, und stieß sie mit der Schulter an. „Wahnsinn,“ sagte sie, ohne Ironie.
„Nur Zahlen.“
„Nur.“ Amanda nickte Richtung Fenster, wo Konturen von Schiffen durchs Schmuddellicht glitten. „Und all das hier, damit deine Zahlen größer werden.“
Geraldine hob den Mundwinkel. „Manchmal braucht man Zahlen, damit man später nicht zählen muss.“
„Philosophin jetzt?“
„Pragmatisch.“
„Schon besser.“
Später, im Anflug auf den Carrier, saßen sie in Formation, die Cutter schwer voran, Amandas Fer-de-Lance an der Seite. Der Dockmaster gab die Bahn frei, die Schotten zogen sich auf, und die große Halle nahm sie auf wie ein Atemzug. Man hörte das Grollen der Triebwerke im Bauch, spürte die Hitze in den Wänden. Ein Team stand schon bereit, die Luken sprangen, Greifer griffen, Menschen riefen einander zu. Es war das Geräusch einer Maschine, die lief – und Geraldine spürte, wie ein Stück Anspannung aus ihr fiel.
„Polster genug?“ fragte Amanda, als sie später an der Galerie standen und nach unten sahen, auf das orchestrierte Chaos aus Fracht, Werkzeugen und Stimmen.
Geraldine überlegte, zählte im Kopf und merkte, wie unsinnig es sich anfühlte. „Für heute.“
„Morgen kaufst du dir mehr.“
„Vielleicht.“
„Oder du gibst es aus.“ Amanda hob eine Braue. „Wer weiß, was die Zukunft bringt.“
Geraldine sah nicht zu ihr, sondern hinaus, dorthin, wo die Routenlinien im Holo die Bubble wie ein Spinnennetz überzogen. „Genau deshalb.“
Amanda schwieg – nicht, weil ihr nichts einfiel, sondern weil es der Moment war, in dem Schweigen besser war als jede Pointe. Unten rief jemand nach Holland, irgendwo lachte Rosie, und im Hintergrund sang der Carrier seinen tiefen, gleichmäßigen Ton. Das Polster war nicht nur Credits. Es war Raum. Luft zum Atmen. Eine Option, wenn der nächste große Schritt sich zeigte.
Und er würde sich zeigen. Früher oder später tat er das immer.
Cynthia und Tiffany
Die letzten Wochen hatten ihren Rhythmus gefunden. Handelsroute um Handelsroute, volle Laderäume, leere Laderäume, Zahlen, die erst wie Tropfen wirkten und sich dann wie ein Strom anfühlten. Geraldine hatte gelernt, die Cutter zu zwingen, sich ihrem Willen zu fügen: den schweren Rumpf sanft über die Andockbuchten zu drücken, die Triebwerke in den engen Slots zu bändigen.
„Du redest mit ihr,“ hatte Amanda einmal trocken bemerkt, als sie Geraldine dabei zusah, wie sie die Steuerdüsen mit einer fast zärtlichen Präzision regulierte.
„Vielleicht hört sie ja zu,“ hatte Geraldine geantwortet, ohne den Blick von den Anzeigen zu nehmen.
Später, nach einer besonders langen Tour, saßen sie nebeneinander in der Lounge. Amanda hatte die Stiefel auf die Tischkante gelegt, ein Glas halb geleert, während Geraldine noch immer ihre Hände fühlte, als würden sie über die Triebwerkshebel rutschen.
„Sie verdient einen Namen,“ murmelte Geraldine.
Amanda zog eine Braue hoch. „Die Cutter?“
„Ja.“
„Und wie nennst du ein Schiff, das aussieht, als hätte jemand ein halbes Handelszentrum auf Triebwerke geschnallt?“
Geraldine dachte kurz nach, das Glas drehte sich in ihren Fingern. „Cynthia.“
Amanda lachte leise, ein ehrliches Lachen. „Cynthia. Klingt wie eine dieser Frauen, die man unterschätzt, bis sie dir das Haus leergeräumt hat. Passt.“
Von da an war es keine Cutter mehr. Es war Cynthia.
Ein paar Tage später traf Geraldine in einer Bar auf einen alten Bekannten. Die Station war überfüllt, der Lärm wie ein Schlag ins Gesicht, doch die Stimme, die sie rief, schnitt sich klar hindurch.
„Callen!“
Sie drehte sich um und sah Harlan, ein abgerissener Pilot, den sie zuletzt vor Jahren getroffen hatte. Das Gesicht voller Falten, die Uniform ohne Rang, aber in den Augen dieses Funkeln, das sie sofort wiedererkannte: jemand, der immer einen Tipp auf Lager hatte, und sei er noch so riskant.
„Du lebst noch,“ sagte Geraldine und ließ sich gegenüber an den Tisch fallen.
„Mehr schlecht als recht.“ Harlan grinste schief, bestellte zwei Drinks, von denen einer sofort in Geraldines Richtung geschoben wurde. „Aber ich habe was, das dich interessieren dürfte. Ein Hotspot. Platin. Kein Gerücht, kein halbleeres Feld – ich war selbst da. Die Vorkommen sind irre.“
Geraldine lehnte sich zurück, musterte ihn. „Und wieso erzählst du mir das?“
„Weil ich da keine Cutter reinjagen kann. Ich hab nur Schrott. Aber du?“ Harlan deutete auf sie, als sei die Sache klar. „Du hast Schiffe, du hast Crew, und du hast den Mumm. Klar, da treiben sich Piraten rum, aber wenn einer da durchkommt, dann du.“
Amanda hatte das Gespräch von der Bar aus beobachtet. Sie trat näher, verschränkte die Arme. „Piraten also. Klingt wie ein Todesurteil in Geschenkpapier.“
„Oder wie ein Vermögen,“ erwiderte Geraldine ruhig.
Amanda schnaubte, aber ihr Blick blieb wach. „Du willst das wirklich versuchen.“
„Ja,“ sagte Geraldine. „Aber nicht mit Cynthia. Für sowas brauche ich Tiffany.“
Amanda runzelte die Stirn. „Tiffany?“
Geraldine nickte, als hätte der Name schon immer dazugehört. „Die T9. Zickig, störrisch, aber sie hält durch. Es wird Zeit, dass sie einen Namen trägt.“
Amanda lachte trocken. „Eine Diva im Schlammbad. Perfekt.“
Geraldine griff nach ihrem Glas, leerte es in einem Zug und stellte es ab. „Dann ist es entschieden. Cynthia für die Routen. Tiffany für die Schürfarbeit. Und wir beide passen auf, dass sie heil zurückkommen.“
Amanda grinste schmal, aber diesmal ohne Spott. „Dann hoffe ich, Tiffany ist so zäh, wie du glaubst. Denn das hier klingt nach Ärger.“
Staub und Farben
Der Ring war ein Meer aus Scherben. Milliarden von Brocken, die im Licht des Sterns glitzerten wie Splitter aus Glas. Tiffany dröhnte schwerfällig zwischen den Gesteinskolossen hindurch, ihre Triebwerke stöhnten bei jedem Kurswechsel, während die Mining-Laser in rhythmischen Pulsen das Gestein aufbrachen.
Geraldine saß tief im Pilotensitz, die Hände an den Kontrollen, den Blick konzentriert auf die Anzeigen. Staub legte sich wie ein grauer Schleier über die Scheibe, das Zischen der Schmelzlaser vibrierte durch die ganze Zelle. Jedes Mal, wenn ein Brocken aufplatzte, flutete eine Wolke goldenen Glimmers das Cockpit. Platin. Mehr, als Harlan versprochen hatte.
„Na, Admiral?“ Amandas Stimme im Funk, spitz wie immer. „Du hast dir mal wieder das größte Vieh geschnappt und stellst es zwischen Glasscherben. Ich frage mich, wie lange Tiffany das Spiel mitmacht.“
Geraldine grinste schmal. „Sie mag schwerfällig sein, aber sie ist zäh. Das passt zu uns beiden.“
„Zäh reicht nicht, wenn hier gleich alles wimmelt.“ Amanda flog mit ihrer Fer-de-Lance einen engen Kreis um die T9, die Flügel aufblitzend im Sonnenlicht. „Scanner melden Bewegung. Und zwar nicht wenig.“
Die ersten Schatten tauchten zwischen den Felsen auf. Piratensignaturen, schnell, unruhig, gierig. Zuerst waren es drei, dann fünf, dann ein ganzes Dutzend, die sich wie Geier näherten.
„Na wunderbar,“ murmelte Geraldine. Sie schob Tiffany tiefer zwischen zwei Monolithen, die wie Säulen im All standen. Die Frachtrampe ächzte, während die Drohnen die ersten Brocken einholten.
Amanda funkte, die Stimme hart. „Zwei Vultures auf Abfangkurs. Ich nehme die vordere. Du halt die Schildblase stabil, so gut es geht.“
„Schon dabei.“ Geraldine zog die Schilde hoch, das Brummen legte sich wie eine zweite Haut über die T9. Ein Einschlag ließ das ganze Schiff erzittern, Schotts klirrten, Anzeigen flackerten.
„Das reicht nicht,“ presste Amanda. Ihre FdL flog blitzschnell einen Bogen, jagte den ersten Angreifer in Stücke, während ein zweiter sich an Tiffanys Triebwerke heftete. „Es sind zu viele!“
Die nächsten Minuten waren ein Rausch aus Staub, Blitzen und Funksprüchen. Amanda kämpfte wie eine Furie, schnitt Jäger um Jäger auseinander, doch immer wieder schoben sich neue Signaturen ins Feld. Geraldine sah die Warnmeldungen, sah, wie die Schilde einknickten, wie der Frachtraum schon jetzt überfüllt war.
Dann ein Donnern, das nicht von Tiffany kam.
Der Funk explodierte mit geordneten Stimmen. „Staffel Delta im Anflug. Imperiale Ordnung sichern.“
Plötzlich war der Ring voller Licht. Imperiale Clipper und Couriers schossen in Formation durch das Asteroidenfeld, Waffenblitze rissen Schneisen ins Dunkel. Die Piraten brachen auseinander wie ein Schwarm erschrockener Vögel. Innerhalb von Sekunden war die Übermacht gekippt.
Auf Geraldines Scanner leuchtete ein Rufzeichen: CMDR Varin, Prätorianer der Aisling-Duval-Garde.
„Ungewöhnlicher Ort für eine T9 voller Platin, Commander Callen,“ kam die Stimme ruhig, fast elegant. „Aber wir kennen uns, nicht wahr?“
Geraldine erstarrte, die Hände klamm an den Kontrollen. „Wir?“
„Ich erinnere mich gut,“ fuhr Varin fort. „Damals, als Sie noch bei uns waren. Die Sache mit der Eagle… es gab Diskussionen in der Garde. Manche nannten es Leichtsinn. Manche Verrat. Ich nenne es – ein Fehler, den Sie sich erlaubt haben.“
Amanda funkte dazwischen, ihre Stimme scharf. „Wenn ihr hier fertig philosophiert, wir hätten da noch eine T9, die halb zerlegt wird!“
Varin lachte leise. „Für heute ist sie sicher. Wir haben die Zone gesäubert. Aber ich frage mich, Commander Callen – wie lange wollen Sie noch ohne Banner fliegen? Aisling könnte Sie brauchen. Mehr als je zuvor.“
Geraldine schluckte. Draußen zogen die letzten Piraten ab, ließen Trümmer zurück. Tiffany brummte erschöpft, die Hülle voller Kratzer, der Frachtraum bis an die Kante gefüllt.
„Ich fliege, wo ich will,“ antwortete sie schließlich, die Stimme fester, als sie sich fühlte.
„Natürlich,“ erwiderte Varin kühl. „Aber manchmal holt einen die Vergangenheit ein, ob man will oder nicht.“ Dann brach das Signal ab, die imperialen Schiffe zogen sich in Formation zurück, so schnell wie sie gekommen waren.
Geraldine atmete schwer, die Hände noch immer fest um die Kontrollen. Amanda meldete sich, leiser als sonst. „Admiral?“
„Ja.“
„Das war knapp. Und es war mehr als nur ein Gefecht.“
Geraldine sah hinaus auf die Trümmer, auf das zerbeulte Spiegelbild von Tiffany im Glas. Sie sagte nichts. Aber sie wusste, Amanda hatte recht.
Offene Rechnungen
Die Lounge war halbdunkel, nur die Anzeigen der Panoramascheibe warfen kaltes Licht über den Tisch. Geraldine ließ sich schwer auf die Bank sinken, der Stoff ihrer Jacke noch nach Rauch und Staub riechend. Amanda kam kurz darauf herein, zwei Gläser in der Hand. Sie stellte eins wortlos vor Geraldine ab, setzte sich und lehnte sich zurück, als gehöre ihr der ganze Raum.
Eine Weile redeten beide nicht. Nur das Summen der Systeme, das ferne Dröhnen der Reparaturdrohnen am Rumpf.
Amanda brach das Schweigen. „Also. Varin.“
Geraldine hob den Blick. „Er wusste sofort, wer ich bin.“
„Natürlich wusste er das. Du warst bei Aisling, Admiral. Solche Leute vergessen keine Gesichter. Und schon gar nicht keine, die einfach verschwinden.“
Geraldine drehte das Glas in den Händen. „Ich bin gegangen, Amanda. Aus eigenem Willen. Nach der Sache mit der Eagle hatte ich einfach keinen Bock mehr.“
Amanda nickte knapp. „Das weiß ich. Aber er sieht nicht den Grund. Er sieht nur: Eine, die mal bei ihnen war, und jetzt wieder hier draußen mit leeren Farben herumfliegt.“
„Leere Farben…“ Geraldine schnaubte leise. „Er hat mir nicht vorgeworfen, dass ich gegangen bin. Er hat mich daran erinnert, dass ich es tat. Und das reicht schon.“
Amanda nahm einen Schluck, musterte sie über den Glasrand hinweg. „Also, was macht das mit dir? Sitzt du hier und denkst: gut, dass ich damals ausgestiegen bin? Oder denkst du, es war ein Fehler?“
Geraldine schwieg. Ihre Finger trommelten unruhig auf den Rand des Glases. Schließlich sagte sie leise: „Damals musste ich gehen. Aber jetzt… jetzt weiß ich nicht, ob es Flucht war. Vielleicht habe ich mir nur eingeredet, dass ich Prinzipien hatte. Vielleicht war ich einfach nicht stark genug.“
Amanda lehnte sich vor, der Blick scharf, aber nicht kalt. „Hör auf. Du warst stark genug, deinen eigenen Kopf durchzuziehen. Du hast nicht getan, was man dir gesagt hat, nur weil eine Prinzessin in einem weißen Kleid es hübsch verpackt hat. Das war kein Fehler.“
„Und trotzdem…“ Geraldine sah hinaus auf die flackernden Routen der Bubble. „Als Varin kam, als er sagte, Aisling könne mich brauchen… ich habe gemerkt, dass etwas in mir antworten wollte. Nicht für sie. Für mich. Weil ich es satt habe, vor diesem Teil von mir davonzulaufen.“
Amanda stellte ihr Glas ab, das Klirren hart im Raum. „Also willst du zurück?“
Geraldine nickte langsam. „Ja. Ich will zurück. Aber diesmal nicht blind, nicht als Anhängerin, die glaubt, Aisling sei makellos. Ich will zurück, weil es meine offene Rechnung ist. Weil ich gehen will, wenn ich es sage – nicht, weil ein Schock mich dazu zwingt.“
Eine lange Pause. Amanda musterte sie, und zum ersten Mal war da kein Spott, keine Provokation. Nur ein stilles Prüfen. „Dann tu’s,“ sagte sie schließlich. „Aber geh nicht wieder rein, wenn du nicht bereit bist, dir die Hände schmutzig zu machen. Denn diesmal gibt dir niemand den Luxus, wegzulaufen.“
Geraldine atmete tief. „Ich weiß.“
Amanda lehnte sich zurück, schloss kurz die Augen, als wäre es damit erledigt. Dann grinste sie dünn. „Na schön. Dann steh ich eben wieder neben dir, wenn du dich in dieses Theater stürzt. Jemand muss ja die Spuren verwischen, wenn du wieder auffällst.“
Geraldine lachte heiser, ein Laut, der fast brach. „Danke.“
Amanda hob das Glas, als sei es ein Schwur. „Auf offene Rechnungen.“
Geraldine stieß an, spürte das Vibrieren im Glas und im ganzen Körper. „Auf offene Rechnungen.“
Draußen vor der Scheibe schob sich ein Schiff vorbei, die blauen Lichter des Imperiums blinkten im Rhythmus. Geraldine sah ihnen nach. Und diesmal fühlte es sich nicht wie Flucht an, sondern wie ein Weg, den sie selbst gewählt hatte.