Kapitel 40 – Der Entschluss

Madeleine

Der Morgen war still. Kein Funkverkehr, kein Alarm, nur das rhythmische Summen der Reaktoren, das durch die Triebwerksverkleidung vibrierte. Geraldine saß in Madeleines Cockpit, der Blick auf die heranrückende Werkstattstation.
Die riesigen Hangartore standen offen wie der Schlund eines Tiers, das schon alles gesehen hatte – Schiffe, Träume, Fehlschläge.

„Dock 14, hier Mandalay Madeleine. Anflug auf Wartungsbucht, Genehmigung liegt vor,“ meldete sie ruhig.

„Verstanden, Madeleine. Willkommen zurück bei uns. Hangar fünf ist frei. Wir haben den Kaffee schon durchlaufen lassen,“ kam die knisternde Antwort.

Geraldine lächelte. „Dann mach ich wohl alles richtig.“

Madeleine glitt sanft hinein. Der metallene Boden schimmerte unter grellem Licht, Servicemechs summten, Leitungen fauchten. Der Geruch von erhitztem Schmierstoff lag in der Luft – vertraut, fast beruhigend.

Sie löste den Gurt, stieg aus und spürte, wie ihr die trockene Wärme der Halle entgegenschlug.
Felicity Farseers Crew arbeitete schweigend, effizient. Kein Gerede, keine Show – nur Hände, die wussten, was sie taten.

Geraldine blieb kurz stehen, ließ den Blick über Madeleine gleiten. „Na gut, Mädel,“ murmelte sie, „jetzt zeigen wir, was in dir steckt.“

Die erste Stunde verging in einem vertrauten Rhythmus aus metallischem Klicken, dem Surren von Werkzeugarmen und dem dumpfen Schlag, wenn ein Modul eingerastet wurde. Geraldine stand neben der Konsole und überblickte die Liste: Energieverteiler, Rahmenverstärkung, Sprungantrieb, Schildoptimierung. Alles Routine – und doch fühlte sich diesmal jeder Schritt anders an.

„Wir haben die neuen Spulen eingesetzt,“ meldete ein Techniker, die Hände tief in der Verkleidung. „Willst du die Kalibrierung selbst fahren?“

„Natürlich,“ sagte Geraldine, ohne aufzusehen.

Sie trat ans Terminal, legte die Hand auf das Display und sah zu, wie die Werte über den Schirm liefen. Leistung, Temperatur, Ausstoß – alles in makellosen Grenzen. Madeleine reagierte sofort auf jede Eingabe, als wäre sie schon synchronisiert.

„Sie hört zu,“ murmelte sie.

Der Techniker warf ihr einen fragenden Blick zu, grinste dann. „Wie alle guten Schiffe.“

Geraldine nickte nur.

Über Funk knackte eine vertraute Stimme. „Na, läuft’s?“

Geraldine verzog kaum die Lippen. „Amanda. Ich dachte, du schläfst noch.“

„Ich hab gespürt, dass du irgendwo wieder Schrauben quälst.“

„Schrauben ja. Mich – nein. Madeleine bekommt ihr Tuning.“

„Schon wieder ein Tuning? Die Frau mit den unvollendeten Schiffen.“

„Das nenn ich Entwicklung.“

„Ich nenn’s eine teure Therapieform.“

Geraldine lachte leise. „Dann heil ich mich wenigstens selbst.“

Sie überprüfte die Energielinien, sah, wie die neue Verteilung perfekt griff. Kein Flackern, kein Verlust. Madeleine summte mit einer fast organischen Ruhe.

„Weißt du, Amanda,“ sagte sie ins Funkgerät, „die meisten Schiffe muss man zähmen. Aber sie hier… sie will einfach nur laufen.“

„Dann lass sie laufen,“ erwiderte Amanda. „Und schick mir einen Sprungbericht. Ich will Zahlen sehen, nicht Gefühle.“

„Du bekommst beides.“

„Genau das befürchte ich.“

Das Funkrauschen verebbte, und Geraldine lächelte kurz. Sie wusste, dass Amanda das alles nur halb scherzhaft meinte.

„Alles bereit für den Test,“ rief der Techniker.

Geraldine legte die Hand auf die Konsole. „Dann bringen wir sie heim.“

Der Hangar öffnete sich in gleißendem Weiß, und Madeleine glitt hinaus wie ein lautloser Gedanke. Geraldine saß ruhig im Cockpit, die Finger über den Steuerflächen, alle Anzeigen im grünen Bereich. Keine Vibration, kein Zögern – nur dieses saubere, vertrauenerweckende Summen.

„Systeme stabil,“ murmelte sie. „Temperatur nominal. Energiefluss bei achtundneunzig Prozent.“

Der Techniker bestätigte über Funk. „Bereit, wenn Sie’s sind.“

Geraldine lächelte. „Ich warte schon seit Tagen darauf.“

Mit einem leichten Zug am Schubregler zündete der Antrieb, und Madeleine beschleunigte wie ein Schatten, der gelernt hatte zu fliegen. Die Sterne dehnten sich, der Raum vibrierte – dann stürzte alles in das weite Blau des Frameshift-Tunnels.

Das Triebwerksgeräusch war tiefer als bei anderen Schiffen, fast ein Ton, kein Brüllen. Geraldine lehnte sich zurück, spürte, wie der Druck der Beschleunigung über sie hinwegrollte, und sah zu, wie die Sprunganzeige aufblinkte: Distanz – 85,2 Lichtjahre.

Ein kurzer Moment, dann Lächeln. Kein Jubel, kein Ausruf – nur ein stilles, ehrliches Staunen.

„Verdammt, Madeleine… du bist schneller, als ich gedacht hab.“

Sie öffnete den Kommunikationskanal. „Amanda, du sitzt?“

„Gerade noch. Sag mir, dass du übertreibst.“

„Fünfundachtzig Komma zwei. Und sie läuft noch unter Normtemperatur.“

Ein kurzes Schweigen am anderen Ende, dann ein trockenes: „Na toll. Jetzt muss ich mir wieder was Neues einfallen lassen, um mitzuhalten.“

Geraldine grinste. „Dann bleib dran. Ich flieg noch eine Runde.“

Sie brachte Madeleine zurück in Normalraum, prüfte Energie- und Massensignaturen, alles makellos. Der Planet unter ihr war wolkenlos, die Oberfläche glitzerte wie Metallstaub. Sie atmete tief durch, lehnte sich im Sitz zurück – das hier war der Grund, warum sie flog. Präzision, Stille, Freiheit.

Doch während sie Madeleines Systeme herunterfuhr, tauchte ein Gedanke auf, leise, beharrlich wie ein Geräusch am Rand des Bewusstseins: Ashley.

Die alte Anaconda, die einst das Maß aller Dinge gewesen war. Das Schiff, mit dem sie die Ferne gesehen, Sterne getauft und Stürme überstanden hatte.

„Du warst nie dafür gebaut, schnell zu sein,“ murmelte sie leise, „aber du warst immer da.“

Auf dem Display blinkte der Sprungzähler noch nach – nüchtern, kalt, perfekt.
Geraldine sah hinaus in das tiefe Blau, das langsam in Schwarz überging, und plötzlich fühlte sich dieser neue Rekord weniger wie ein Triumph an, sondern mehr wie eine Erinnerung.

Fortschritt bedeutete nicht nur, weiter zu kommen – manchmal hieß es, etwas zurückzulassen, das man geliebt hatte.

Sie sah auf die Anzeige, atmete durch und flüsterte:
„Mach’s mir nicht übel, Ashley. Aber sie gehört jetzt zu uns.“

Dann richtete sie sich auf, setzte den Rücksprung zur Citadel. Madeleine antwortete mit einem satten Brummen, als hätte sie verstanden.

Madeleine fiel aus dem Sprungraum, und die Citadel erschien im Sichtfeld – groß, vertraut, leuchtend wie eine Konstante im Chaos der Galaxis. Geraldine atmete leise aus, als das Dock-Feld aufblinkte.

„Citadel Geraldine, Anflug auf Hangar neun. Bitte bestätigen.“

„Bestätigt, Madeleine. Willkommen zurück,“ kam die Stimme aus der Kontrolle.

Sie lächelte. „Zu Hause.“

Die Triebwerke drosselten, das Schiff glitt hinein. Madeleine setzte butterweich auf, das metallische Klicken der Landedämpfer klang fast wie ein leises Aufatmen. Geraldine blieb einen Moment im Cockpit sitzen, bevor sie die Systeme herunterfuhr.
„Gut gemacht,“ murmelte sie.

Die Rampe senkte sich, und die vertraute Hitze des Hangars schlug ihr entgegen. Zwischen den Landepodesten und Versorgungslinien tauchte Amanda auf – verschränkt die Arme, ein verschmitztes Grinsen im Gesicht.

„Na?“ fragte sie. „Wie war der Spaziergang durchs Universum?“

„Angenehm schnell,“ erwiderte Geraldine und stieg die Rampe hinab. „Fünfundachtzig Komma zwei. Stabil. Kein einziger Fehlwert.“

Amanda pfiff leise durch die Zähne. „Madeleine macht dir Konkurrenz. Ashley wird beleidigt sein.“

Geraldine blieb kurz stehen, sah sie an. „Ashley war nie beleidigt. Nur geduldig.“

„Du redest von ihr, als wär sie ein Mensch.“

„Sie war einer. Ein Teil von mir jedenfalls.“

Amanda nickte langsam, und das Grinsen wurde weicher. „Und jetzt? Zufrieden?“

Geraldine schüttelte den Kopf. „Nie ganz. Aber ich bin näher dran.“

„Näher dran an was?“

„Zu wissen, wohin ich gehöre.“

Ein Moment Stille. Dann legte Amanda ihr eine Hand auf die Schulter. „Du gehörst dahin, wo du grad bist. Der Rest ergibt sich.“

Geraldine sah sie an, dieses kurze, wortlose Einverständnis zwischen zwei Menschen, die keine Erklärungen mehr brauchten.

„Komm,“ sagte Amanda schließlich. „Ich spendier dir was. Vielleicht ’nen Kaffee. Oder was Stärkeres, wenn du’s nötig hast.“

„Kaffee reicht. Für den Moment.“

Sie gingen nebeneinander durch den Hangar, das Licht spiegelte sich auf Madeleines Rumpf, der noch warm vom Flug war. Geraldine warf einen letzten Blick über die Schulter.

„Fünfundachtzig Komma zwei,“ murmelte sie, fast zu sich selbst. „Aber es fühlt sich weiter an.“

Amanda grinste. „Dann war’s ein guter Sprung.“

Und während die Citadel wieder in den Dunkelraum driftete, schloss sich die Hangartür lautlos hinter ihnen – zwei Silhouetten, ein gemeinsamer Rhythmus, und irgendwo tief unten im Schiff das sanfte Summen eines Antriebs, der wusste, dass er gerade Geschichte geschrieben hatte.

Die Erkundung

Zwei Tage nach Madeleines Testflug war der Hangar wieder voller Aktivität.
Geraldine hatte kaum geschlafen – zu viele Ideen, zu viele Möglichkeiten. Madeleine war jetzt mehr als ein Schiff; sie war ein Werkzeug, ein Versprechen.

Amanda fand sie am Terminal, umgeben von Holo-Karten, Koordinaten, Datenströmen. „Ich wusste, dass du’s keine Woche aushältst, ohne ihr die Sporen zu geben.“

Geraldine sah kurz auf, ein Schatten eines Lächelns. „Ich will sehen, wie sie sich draußen schlägt – nicht nur auf dem Prüfstand.“

„‚Draußen‘ klingt, als hättest du wieder einen dieser Flüge im Kopf, bei denen man vergessen kann, wie Sonne aussieht.“

„Nur ein kleiner Run. Systeme am Rand, Handelsrouten, vielleicht ein paar Messungen. Madeleine braucht Bewegung. Und ich brauch frische Luft.“

Amanda grinste. „Dann nehm ich das als Einladung.“

„Ich hatte gehofft, du sagst das.“

Später, beim Abflug, standen sie nebeneinander im Cockpit. Amanda in ihrem üblichen grauen Pilotenanzug, die Beine locker überkreuzt, Geraldine konzentriert über den Anzeigen. Das Licht der Citadel verblasste, als Madeleine in den Supercruise ging.

„Weißt du,“ sagte Amanda, „es ist schon fast unheimlich, wie stabil sie läuft. Ich hab Schiffe geflogen, die nach zwei Sprüngen klingen, als wollten sie auseinanderfallen.“

„Sie ist neu. Und sie will gefallen.“

„Wie du?“

Geraldine schnaubte. „Ich funktioniere nur.“

„Dann tut ihr euch gut.“

Sie lachten leise, und draußen glitten Sterne vorbei wie langsame Gedanken.

Der Kurs führte sie Richtung Westen der Bubble, in Gebiete, die sie bisher nur aus Karten kannten. Madeleine flog sanft, reagierte präzise, kein Zittern, keine Hitze. Selbst Amanda, die selten lobte, sah sich irgendwann um und nickte anerkennend.

„Nicht schlecht, Madeleine. Komfort, Platz, Aussicht – fast wie Urlaub.“

„Fast,“ sagte Geraldine. „Aber ich will wissen, wie sie sich planetenseitig verhält. Eine Nacht auf Boden wird’s zeigen.“

Amanda streckte sich im Sitz. „Sag bitte, dass du diesmal nicht auf ’nem Lavaplaneten landen willst.“

„Nein,“ sagte Geraldine ruhig. „Diesmal auf was Ruhigem.“

„Zielplanet bestätigt,“ sagte Amanda und beugte sich vor. „Vierhunderttausend Lichtsekunden. Na wunderbar.“

Geraldine grinste, ohne den Blick von der Navigation zu nehmen. „Perfekte Testdistanz.“

„Das ist eine Ewigkeit.“

„Früher, ja. Jetzt sind’s vielleicht fünf Minuten.“

Amanda schnaubte, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Wenn du recht hast, lad ich dich später zum Essen ein.“

„Dann bestell schon mal.“

Madeleine beschleunigte. Das Schiff zog lautlos an, kaum merklich drückte die Beschleunigung gegen die Sitze. Der Timer zählte, das Licht der Sterne zog sich zu Linien.

Nach zweieinhalb Minuten lag die Sonne schon weit hinter ihnen. Kein Überhitzen, keine Warnung, nur das tiefe, kontrollierte Brummen des Antriebs. Amanda starrte auf die Werte.

„Wie machst du das?“

„Ich gar nicht. Sie.“ Geraldine tippte gegen die Konsole. „Optimierung des Rahmens. Leichter, kühler, sauberer Energiefluss.“

„Meine Python würde nach der Hälfte anfangen zu hecheln.“

„Deine Python ist temperamentvoll. Madeleine ist geduldig.“

„Wie du.“

„Ich? Ich hab Geduld nur erfunden, um sie nicht zu brauchen.“

Amanda lachte leise, aber der Blick blieb nachdenklich auf den Anzeigen. „Ich muss zugeben, das ist beeindruckend. Das hier … ist Geschwindigkeit ohne Stress.“

„Genau das war die Idee.“

Nach vier Minuten sprang der Zielplanet ins Blickfeld – eine matte, ockerfarbene Kugel mit feinen Nebelschleiern über der Oberfläche. Geraldine senkte die Nase, die Atmosphäre glitt an ihnen vorbei, der Himmel färbte sich silbriggrau.

„Landung eingeleitet,“ sagte sie ruhig.

„Weißt du, was ich an dir mag?“ fragte Amanda.

„Ich ahne Schlimmes.“

„Du reagierst auf ein 85-Lichtjahre-Sprungwunder mit demselben Tonfall wie auf einen Einkauf.“

„Berufsroutine.“

„Nein. Kontrolle.“

Geraldine grinste. „Manchmal ist das dasselbe.“

Madeleine setzte auf, kaum spürbar, als würde sie sich selbst bremsen. Der Staub wirbelte, legte sich wieder, und plötzlich war alles still.

Die Sonne hing tief, ein blasses Band Licht am Horizont. Amanda löste den Gurt, stand auf, streckte sich. „Das war … verdammt elegant.“

„Danke.“

„Ich meinte Madeleine.“

Geraldine lachte. „Ich weiß.“

Später, in der Kabine, brannte gedämpftes Licht. Amanda hatte die Stiefel ausgezogen, saß mit einer Tasse Synth-Kaffee auf der Kante der Liege. Geraldine stand am Fenster, sah hinaus auf den staubigen Boden und die feinen Linien der Dämmerung.

„Weißt du,“ sagte Amanda nach einer Weile, „früher war Fliegen für mich immer Flucht. Weg von irgendwas. Heute fühlt es sich an, als würden wir zu etwas hinfliegen.“

Geraldine drehte sich um, ihr Blick ruhig, weich. „Vielleicht, weil wir das Ziel selbst bauen.“

„Und wenn’s nie fertig wird?“

„Dann fliegen wir weiter. Nicht jeder Weg braucht ein Ende.“

Amanda nickte, nahm einen Schluck und ließ sich nach hinten fallen. „Manchmal hasse ich’s, wenn du recht hast.“

„Ich gewöhn mich dran.“

Sie lachten leise, und draußen glomm das Licht der untergehenden Sonne über den Schwingen der Mandalay.

Der Morgen roch nach Metall und warmem Staub.
Madeleine stand still auf dem leeren Boden, das Schiff glänzte matt im Dämmerlicht. Amanda streckte sich, gähnte und zog ihre Jacke über.

„Du bist schon wach?“
Geraldine drehte sich halb zu ihr. „Ich wollte sehen, wie der Morgen aussieht, bevor er mich überrascht.“

„Lass mich raten: du hast die ganze Nacht Berechnungen gemacht.“

„Flugprotokolle. Energiefluss. Ein bisschen Trimmkorrektur.“

„Das klingt nicht nach Schlaf.“

„War auch keiner nötig.“

Amanda schüttelte den Kopf, grinste und ließ sich auf den Copilotensitz fallen. „Dann bring uns heim, bevor du anfängst, mit ihr zu reden.“

„Ich hab schon mit ihr geredet.“

„Eben das meinte ich.“

Madeleine startete geräuschlos. Der Staub am Boden wirbelte auf, als das Schiff abhob, stieg in die dünne Atmosphäre, und das matte Ocker wich langsam dem Schwarz des Alls.

Die Sonne brach über die Kante des Planeten, gleißend und still, und Geraldine fühlte, wie der Antrieb ansprang – weich, präzise, als hätte Madeleine ein eigenes Timing.

„Schön, oder?“ fragte Amanda leise.

„Mehr als das,“ antwortete Geraldine. „Sie fliegt wie Musik.“

„Dann tanz nicht zu sehr rein. Sonst fällst du raus, wenn der Takt sich ändert.“

Geraldine lächelte, sagte aber nichts. Sie wusste, dass Amanda recht hatte – und dass sie sich trotzdem nicht zurückhalten konnte.

Der Rückflug zur Citadel dauerte keine halbe Stunde. Madeleine lief perfekt, jeder Sprung makellos. Als sie im Hangar aufsetzten, spürte Geraldine einen fast kindlichen Stolz. Sie hatte schon viele Schiffe geflogen – aber noch nie eines, das so stimmig war.

„Zuhause,“ murmelte Amanda, als sich die Landehydraulik senkte.

„Ja,“ sagte Geraldine. „Das fühlt sich richtig an.“

Doch als sie ausstieg, traf sie der Anblick wie ein kurzer Stich.
Am gegenüberliegenden Dock stand Ashley.
Staubschicht über der goldenen Hülle, die Lichter aus, die Außenhaut stumpf von den Wochen der Inaktivität.

Geraldine blieb stehen. Amanda folgte ihrem Blick, sagte aber nichts.

„Sie sieht aus, als wär sie vergessen worden,“ sagte Geraldine schließlich.

„Schiffe vergessen nicht,“ meinte Amanda ruhig. „Nur Piloten.“

Geraldine trat näher. Das Schiff ragte über ihr auf, groß, vertraut, und plötzlich fühlte sich der Stolz über Madeleine kleiner an, als sie gedacht hatte.

Verrat, dachte sie. Nicht gegenüber Ashley, sondern gegenüber der Zeit, die sie mit ihr gelebt hatte. Die Sprünge, die Stille, die Einsamkeit, in der sie sich selbst wiedergefunden hatte.

„Ich stell sie nicht einfach ab,“ sagte sie leise.

Amanda hob die Brauen. „Hast du vor, sie zu reaktivieren?“

„Vielleicht. Nicht sofort. Aber sie verdient mehr als Staub.“

Amanda nickte langsam. „Dann lass uns was finden, das ihr gerecht wird.“

Geraldine sah sie an, kurz, dankbar. Dann wandte sie sich wieder Ashley zu – der alten, treuen Anaconda, die wie ein stiller Zeuge ihrer Vergangenheit dalag.

„Du bleibst hier,“ flüsterte sie. „Aber nicht, weil du alt bist. Sondern, weil du Geschichte bist.“

Ein letztes Mal legte sie die Hand auf den Rumpf, bevor sie sich umdrehte und mit Amanda Richtung Ausgang ging.

Madeleine war Zukunft.
Ashley war Erinnerung.
Und beides gehörte zu ihr.

Die Nachricht

Madeleine glitt lautlos durch den Supercruise, auf Autopilot.
Geraldine saß halb seitlich im Sitz, die Füße auf der Armstütze, ein Datenpad in der Hand. Routinearbeit. Märkte prüfen, Systeme kartieren, Frachtrouten für die Citadel notieren – der übliche Überblick, bevor Amanda mit neuer Beute zurückkehren würde.

Auf dem dritten Kanal lief das GalNet-Feed – gedämpft, wie immer. Meist belangloses Rauschen aus Politik, Handel, Piratenüberfällen. Sie überflog die Schlagzeilen, kaum wirklich bei der Sache.

„Imperiale Administration bestätigt: Kolonisation ab sofort möglich.“

Der Satz stand einfach da. Kein großes Drama, kein Banner, kein Aufmacher. Nur eine Meldung zwischen vielen – sachlich, fast gleichgültig.

Geraldine scrollte weiter. Dann wieder zurück.
Die Überschrift änderte sich nicht.

„Kolonisation…“ murmelte sie. „Für wen?“

Ein Fingertipp öffnete das Protokoll. Text. Paragraphen. Verweise.
Keine Einschränkung. Kein Fraktionszwang. Nur eine Liste an Bedingungen: Infrastruktur, Kapital, Schiffsunterstützung. Dinge, die für sie längst Routine waren.

Langsam richtete sie sich im Sitz auf. Das Herz schlug schneller, nicht vor Aufregung, sondern vor diesem seltenen Gefühl, wenn man etwas liest, das Folgen hat.

Ein System. Eigenes Territorium. Strukturen, Handel, Leben.
Nicht mieten. Nicht leihen. Besitzen.

Sie öffnete den Kartendienst. Die Galaxis spannte sich vor ihr auf – Millionen Lichtpunkte, kalt, schön, endlos.
Einer davon könnte ihr gehören.

„Das ist…“ Sie suchte nach Worten, fand keine.
Madeleine summte leise, als hätte sie verstanden, dass irgendetwas passiert war.

Geraldine atmete tief durch. Dann sagte sie, kaum hörbar:
„Verdammt. Jetzt wird’s ernst.“

Geraldine blieb im Sitz, die Madeleine glitt weiter auf Autopilot.
Sie scrollte, zoomte, las. Je tiefer sie in die Texte eintauchte, desto deutlicher wurde das Bild.

Kein Eigentum, stand dort. Kein Besitzanspruch auf Sternensysteme.
Stattdessen: Beteiligung. Aufbau. Gestaltung.

Jeder, der über die Mittel verfügte – Schiffe, Material, Personal, Kapital –, konnte jetzt eine Kolonie errichten. Keine bloße Station, sondern ein Netzwerk aus Leben.
Es ging nicht um Eroberung, sondern um Entwurf.

Geraldine stützte das Kinn auf die Hand. „Also kein eigenes System… aber ein Stempel drauf.“
Das gefiel ihr. Eigentum hatte sie nie interessiert, Kontrolle schon eher.

Sie las weiter:
Der Architekt legt die Richtung fest – Wirtschaft, Forschung, Bergbau, Tourismus. Infrastruktur, Energieversorgung, Verteidigung. Der Rest wächst organisch durch Bevölkerung und Handel.

Sie scrollte tiefer. Unterpunkt: Privater Sektor.
Kolonisten erhalten persönliche Räume, Labore, Quartiere. Architekten dürfen eigene Wohnbereiche gestalten – unabhängig vom öffentlichen Betrieb.

Geraldine lehnte sich zurück. „Ein Zuhause auf jeder Station, die ich baue.“
Sie sagte es halblaut, als müsse sie das Gewicht der Worte prüfen.

Eigener Raum.
Eigene Handschrift.
Kein Eigentum, aber Einfluss.
Kein Titel, aber Bedeutung.

Sie öffnete die 3D-Projektion – ein holografisches Beispiel einer entstehenden Kolonie: Landeplattformen, Habitatkuppeln, Gewächshäuser, Transportlinien, Lichtpunkte, die pulsierend das Leben simulierten.

„Verdammt,“ murmelte sie. „Das ist kein Außenposten. Das ist eine Stadt.“

Sie sah sich das Bild an, bis die Linien verschwammen.
Ein Stück von ihr wollte schon wieder Pläne zeichnen, Prioritäten festlegen, Materialien beschaffen.
Der andere Teil war einfach still.

Weil sie begriff, was das bedeutete.

All die Jahre, all die Systeme, die sie durchflogen hatte – nichts davon war geblieben. Nur Spuren, Logbücher, Namen. Jetzt zum ersten Mal gab es eine Möglichkeit, etwas zu hinterlassen.

„Architekt,“ wiederholte sie leise. Das Wort gefiel ihr.
Kein Kommandotitel, kein Rang. Etwas mit Substanz.

Sie sah hinaus. Draußen zogen Sterne vorbei, langsam und gleichmäßig, als wüssten sie, dass sie gerade in ihr eigenes Schicksal hineinflog.

Die Mandalay drehte ruhig aus dem Orbit. Der Planet, den sie hinterließ, war nur noch ein grauer Kreis im Dunkel. Geraldine legte den Kurs zur Citadel fest, die Triebwerke zündeten mit einem sanften, tiefen Ton.

Das Cockpit lag im Halbdunkel, nur die Anzeigen warfen ein kühles, bläuliches Licht auf ihr Gesicht. Sie hatte das GalNet-Feed geschlossen, aber die Worte aus der Meldung gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Architekt.
Kolonie.
Eigenes Gebiet.

Die Gedanken kreisten, verschoben sich, nahmen Form an.
Es war kein Projekt. Es war eine Idee mit Wurzeln.

Ein System, das sie selbst wählte. Eine Station, die sie selbst entwarf.
Nicht, um sie zu besitzen – sondern um sie wachsen zu sehen.
Ein Ort, der mehr bedeutete als Zwischenstopps, wo Menschen blieben, weil sie wollten.

„Eine Kolonie…“ Sie sprach es kaum hörbar aus, als würde sie das Wort erst abtasten müssen.
Es schmeckte nicht nach Macht. Eher nach Verantwortung. Nach Heimat.

Madeleine glitt in den Frameshift, und die Sterne zogen sich zu feinen Linien. Geraldine starrte hinaus, ohne wirklich zu sehen.
Wenn sie es wollte, könnte sie es tun. Die Mittel waren da. Der Carrier, die Schiffe, die Crew. Alles war bereit – sie musste es nur beschließen.

Und dann, wie ein leiser Funke, tauchte der Gedanke auf.
Kathleen.

Die junge Forscherin aus Colonia, festgefahren zwischen Ausbildung und Sehnsucht, neugierig und zu klug für Stillstand.
Geraldine richtete sich unwillkürlich auf.
Was, wenn sie eine Forschungsstation bauen würde? Einen Ort, an dem Kathleen weitermachen konnte – offiziell, gefördert, aber frei.
Sie sah es förmlich vor sich: eine kleine Anlage, ausgerichtet auf Datenanalyse, Planetologie, vielleicht mit einem Laborflügel für Materialstudien.
Kathleen würde dort arbeiten, lernen, forschen.
Sie selbst würde die Strukturen liefern – den Schutz, die Versorgung, die Richtung.

Geraldine schüttelte langsam den Kopf, ein Lächeln auf den Lippen.
„Verrückt,“ murmelte sie. „Aber möglich.“

Der Sprungantrieb kühlte ab, das Licht im Cockpit dimmte, und Madeleine glitt zurück in Normalraum.
In der Ferne leuchtete die Citadel – vertraut, konstant, aber plötzlich nicht mehr das Ende aller Reisen.

Geraldine sah auf den Bildschirm, dann in die Sterne.
„Vielleicht fängt alles hier erst an,“ sagte sie leise.

Dann leitete sie den Landeanflug ein.

Gespräche und Entscheidungen

Die Citadel lag ruhig im Orbit eines unscheinbaren Gasriesen, als Geraldine das Hauptdeck betrat. Der Konferenzraum war klein, funktional, eine ovale Scheibe aus Stahl und Licht. Rosie, Holland und zwei leitende Offiziere warteten bereits, jeder mit seinem Pad, die Gesichter erwartungsvoll.

Geraldine blieb am Kopf des Tisches stehen, legte die Hände auf die Oberfläche, das Licht spiegelte sich auf ihrer Uniform.

„Ich hab eine Nachricht für euch,“ begann sie, ruhig, aber mit diesem Tonfall, der sofort alle Aufmerksamkeit auf sich zog. „Die Administration hat die Kolonisation freigegeben. Jeder, der die Mittel hat, kann ein System besiedeln. Und wir haben die Mittel.“

Ein kurzes Schweigen. Rosie war die Erste, die reagierte.
„Das heißt… wir könnten eine eigene Station bauen?“

„Mehr als das,“ sagte Geraldine. „Ein Netzwerk. Outposts, Settlements, Forschungsbasen – mit unserem Namen, unserer Struktur. Keine Übernahme, keine Enteignung. Wir gestalten. Wir entscheiden.“

Holland ließ sich in den Stuhl zurückfallen, leise pfeifend. „Verdammt. Das wäre… das nächste Level.“

„Das wird Arbeit,“ fügte Rosie hinzu. „Material, Personal, Logistik. Aber wir haben’s schon mal schwerer gehabt.“

Geraldine nickte. „Ich will kein Imperium. Nur einen Ort, der bleibt. Ein System, das funktioniert, weil wir’s richtig machen.“

„Dann sollten wir anfangen, Daten zu sammeln,“ meinte Rosie. „Standorte, Rohstoffe, Bevölkerungsdaten.“

„Genau das.“ Geraldine tippte auf ihr Pad, ließ die Holoanzeige über dem Tisch erscheinen: ein schematisches Raster aus Punkten und Linien, erste Entwürfe.

„Ich will, dass ihr alle Abteilungen prüft, welche Ressourcen wir brauchen, um einen ersten Außenposten zu bauen. Infrastruktur, Energie, Sicherheit, Habitat. Das hier ist kein Traum – das ist ein Projekt.“

Die Crew tauschte Blicke, ein stilles Einverständnis.
Rosie grinste. „Dann lasst uns Geschichte schreiben.“

Geraldine nickte knapp. „Genau das.“

Das Meeting löste sich langsam auf, Stimmen hallten leise nach, Schritte verhallten. Geraldine blieb noch einen Moment allein am Tisch zurück. Auf dem Holo-Display schwebte das Schema einer Kolonie – noch namenlos, aber greifbar.

„Outpost Geraldine,“ murmelte sie. „Das wird funktionieren.“

Die Schleuse öffnete sich mit einem Zischen, und Amanda trat ein – Helm unterm Arm, den Anzug halb geöffnet, Schweiß auf der Stirn und diesen Ausdruck im Gesicht, der immer irgendwo zwischen Erschöpfung und Stolz lag.

„Bin wieder da,“ rief sie, noch bevor sie richtig im Hangar stand.

Geraldine drehte sich um, stand an der Reling über dem Dock und musterte sie von oben. „Ich seh’s. Der Boden hat gezittert.“

„Das war ich nicht. Das war dein Frachter, der mich fast über den Haufen gefunkt hat.“

„Dann bist du wenigstens wach.“

Amanda grinste, ging die Treppe hoch und streifte die Handschuhe ab. „Und du? Schon wieder ein neues Projekt angefangen, während ich draußen war?“

Geraldine wich ihrem Blick nicht aus. „Vielleicht.“

„Das klingt nach Ärger.“

„Nach Fortschritt.“

„Genau das meine ich.“

Amanda lachte, warf den Helm auf den Tisch und ließ sich in einen der Sessel fallen. „Also? Raus mit der Wahrheit. Was hast du diesmal vor?“

Geraldine sah sie einen Moment an, dann schloss sie das Pad in der Hand, legte es beiseite und sagte ruhig:
„Ich wollte warten, bis du zurück bist. Es ist besser, wenn du das persönlich hörst.“

Amanda lehnte sich zurück, die Stirn leicht in Falten. „Na großartig. Wenn du sowas sagst, wird’s immer teuer.“

Geraldine schmunzelte. „Diesmal nicht. Aber es wird groß.“

Amanda sah Geraldine prüfend an. „Na los, jetzt sag schon. Was hast du diesmal ausgeheckt?“

„Etwas, das größer werden könnte, als alles, was wir bisher gemacht haben,“ erwiderte Geraldine.

„Das sagst du jedes Mal kurz bevor irgendwas explodiert.“

„Nicht diesmal.“ Geraldine setzte sich ihr gegenüber, faltete die Hände. „Es geht um etwas Neues. Die Administration hat’s freigegeben – Kolonisation. Jeder mit genug Ressourcen kann jetzt Systeme besiedeln.“

Amanda hob eine Braue. „Besiedeln? Im Ernst? Ich dachte, das wäre noch Jahre weg.“

„Ist jetzt live. Keine Enklaven, kein politisches Theater. Jeder kann Strukturen aufbauen – Stationen, Siedlungen, Infrastruktur. Mit eigenem Einflussbereich.“

Amanda schnaubte. „Und ich wette, du hast schon angefangen, Pläne zu zeichnen.“

„Noch keine. Aber ich weiß, wie es aussehen könnte.“

„Geraldine, du kannst nicht mal ’nen Kaffee trinken, ohne daraus ein Projekt zu machen.“

„Nenn’s Vision.“

„Ich nenn’s Selbstgefährdung mit Excel-Tabelle.“

Geraldine lachte kurz. „Vielleicht. Aber diesmal geht’s nicht um Credits oder Prestige. Es geht um etwas, das bleibt.“

„Bleibt?“

„Ein Ort, der funktioniert, weil wir ihn richtig aufbauen. Keine Besitzfrage, kein Machtspiel. Nur… ein Zuhause, das wächst.“

Amanda starrte sie an, das Grinsen schmolz zu echtem Interesse. „Du meinst das ernst.“

„Mehr als alles andere in letzter Zeit.“

Amanda lehnte sich zurück, langsam. „Ich schwör’s, du bist mein persönlicher Herzstillstand in Menschengestalt.“

„Und trotzdem bleibst du hier.“

„Weil du’s jedes Mal hinkriegst, mich mit reinzuziehen.“

Amanda lehnte sich nach vorne, die Ellenbogen auf die Knie gestützt.
„Du redest, als wäre das ein gemütliches Wochenendprojekt. Wir reden hier von Versorgung, Personal, Energie, Logistik, Sicherheit – du willst eine Kolonie bauen, kein Gartenhaus.“

„Ich weiß, was das bedeutet,“ erwiderte Geraldine ruhig.

„Weißt du das wirklich?“ Amanda schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wie ein Carrier. Du kannst da nicht einfach abdocken, wenn’s dir zu viel wird. Wenn du eine Kolonie startest, stehst du mitten in einem System, das dich braucht. Tag und Nacht. Und wenn’s schiefläuft, gibt’s keinen Notaus.“

Geraldine ließ sie reden. Sie wusste, dass diese Welle kommen würde.

„Was ist, wenn der Markt einbricht? Wenn du Ressourcen verlierst? Wenn du das Personal nicht zusammenhältst?“

„Dann reparier ich’s.“

Amanda hob die Stimme. „Du kannst nicht alles reparieren, Geraldine!“

Einen Moment herrschte Stille. Nur das Summen der Lüftung war zu hören.

Geraldine sah sie ruhig an. „Ich weiß. Aber ich kann’s versuchen. Und diesmal geht’s nicht nur um mich.“

Amanda starrte sie an, die Stirn gerunzelt. „Das sagst du immer, wenn du dich rechtfertigst. ‚Es geht nicht um mich‘ – und am Ende stehst du doch wieder vorne.“

„Vielleicht, weil vorne niemand sonst steht.“

„Oder weil du niemanden lassen willst.“

Geraldine grinste schmal. „Beides.“

Amanda schnaubte. „Du bist unmöglich.“

„Ich weiß.“

Sie sahen sich einen Moment an – Amanda wütend, Geraldine unerschütterlich. Dann fiel die Spannung langsam ab, wie nach einem Sturm. Amanda atmete hörbar aus, ihre Stimme wurde leiser.

„Also… warum diesmal? Was ist anders an dieser Idee?“

Geraldine schwieg kurz. Ihr Blick glitt über die Oberfläche des Pads, als würde sie dort etwas suchen. Dann hob sie den Kopf.

„Kathleen.“

„Kathleen?“ wiederholte Amanda, leiser jetzt.

Geraldine nickte. „Ich hab an sie gedacht, als ich die Meldung gelesen hab. Sie steckt in Colonia fest, kommt nicht weiter. Und ich… ich hab überlegt, ob ich etwas schaffen kann, das sie herholen würde.“

Amanda schwieg einen Moment, dann ließ sie sich langsam in den Sessel zurücksinken.
„Eine Kolonie. Für sie.“

„Nicht nur für sie. Aber mit ihr als Teil davon. Eine Forschungsstation vielleicht. Etwas, wo sie ihr Wissen einbringen kann. Und gleichzeitig etwas, das wächst. Das bleibt.“

Amanda sah sie lange an. Die Härte in ihrem Blick war weg. „Das klingt nicht nach Größenwahn. Das klingt nach… Fürsorge.“

Geraldine zuckte leicht mit den Schultern. „Nenn’s, wie du willst. Ich nenne es Notwendigkeit.“

„Weil du sie magst?“

„Weil sie dazugehört. Sie ist jung, klug, aber sie wird dort drüben stillstehen. Und ich weiß, wie sich das anfühlt.“

Amanda nickte langsam. „Du willst ihr einen Weg öffnen.“

„Einen Ort.“

Wieder Stille. Dann sagte Amanda leise: „Verdammt, Geraldine. Du meinst das wirklich ernst.“

„Ich hab’s mir nicht ausgesucht. Aber ja.“

Amanda grinste müde, aber mit diesem ehrlichen Funkeln in den Augen. „Dann sag wenigstens Bescheid, bevor du wieder ein halbes Sonnensystem kaufst.“

„Ich meld mich, wenn’s so weit ist.“

„Mach das. Und…“ Sie hielt kurz inne. „Ich helf dir. Wenn du das wirklich durchziehst, steh ich hinter dir.“

Geraldine lächelte, und es war kein Siegeslächeln, sondern eines von Ruhe.
„Das weiß ich.“

Amanda stand auf, ging zur Tür, drehte sich noch einmal um.
„Aber wehe, du nennst das Ding nach dir.“

„Zu spät,“ sagte Geraldine. „Outpost Geraldine klingt schon zu gut.“

Amanda lachte kopfschüttelnd und verschwand im Korridor.

Geraldine blieb zurück, allein mit der leuchtenden Projektion auf dem Pad – ein leeres Raster aus Punkten und Linien, das darauf wartete, Form zu bekommen.

Sie legte die Hand darauf. „Dann fangen wir an,“ murmelte sie.

Der Start

Der Konferenzraum der Citadel war bis auf den letzten Platz besetzt. Holo-Projektionen schwebten über dem Tisch, Diagramme wechselten im Takt der Stimmen. Geraldine saß am Kopfende, die Hände gefaltet, während Rosie sprach.

„Also, das sind die offiziellen Bedingungen,“ begann Rosie. „Der Claim kostet fünfundzwanzig Millionen Credits – das ist Kleingeld. Danach hast du vierundzwanzig Stunden, um die Sondenboje zu platzieren. Sobald sie aktiv ist, gilt das System als in deinem Einflussbereich.“

Geraldine nickte langsam. „Und dann?“

„Dann läuft der Countdown. Vier Wochen, um eine erste Station zu bauen. Danach verfällt der Anspruch.“

„Vier Wochen.“ Geraldine wiederholte es leise, fast prüfend.

Holland scrollte durch eine Tabelle. „Wir haben uns die Baupläne angesehen. Ein Außenposten braucht rund zwanzigtausend Tonnen Material – Stahl, Verbundstoffe, Stromleitungen, Frachtmodule. Eine Coriolis liegt bei fünfzigtausend. Ein Starport über zweihunderttausend.“

„Zweihunderttausend?“ Geraldine hob die Brauen. „Das ist absurd.“

„Für uns ja,“ meinte Rosie ruhig. „Für ein Konsortium Routine. Aber du wolltest ja kein Konsortium.“

„Ich wollte Kontrolle,“ erwiderte Geraldine. „Aber das hier klingt nach Selbstmord auf Zeitplan.“

Holland grinste schief. „Willkommen in der Realität der Pioniere.“

Sie atmete durch, lehnte sich zurück. „Okay. Cutter-Kapazität?“

Rosie tippte auf ihr Pad. „784 Tonnen, wenn du das Schildmodul rausnimmst. Sonst 720.“

Geraldine schüttelte den Kopf. „Das sind fast dreißig Flüge, nur um den Grundbau zu schaffen.“

„Eher fünfundzwanzig,“ warf Holland ein.

„Und das in vier Wochen.“

Sie starrte auf das Holo-Display, die Werte tanzten vor ihren Augen: Zahlen, Zeiten, Massen. Zum ersten Mal wirkte die Idee nicht mehr wie ein Traum, sondern wie ein Berg.

Geraldine sah auf die Zahlen. Rohstoffmengen, Bauzeiten, Energiebedarf – alles logisch, alles machbar. Und doch fühlte es sich an, als würde sie auf ein Uhrwerk starren, das nie stillsteht.

„Vier Wochen,“ murmelte sie. „Das klingt nach viel, bis man anfängt zu rechnen.“

Rosie nickte. „Wir haben durchgespielt, was das heißt. Ressourcenbeschaffung, Transport, Produktionsketten, Materialpuffer – das ist keine Frachtoperation. Das ist eine Dauerrotation.“

„Eben,“ sagte Geraldine leise. „Selbst wenn alles perfekt läuft, reicht eine Verzögerung an irgendeinem Punkt, und der ganze Zeitplan fällt zusammen.“

„Das ist Pionierarbeit,“ warf Holland ein. „Da läuft nie alles perfekt.“

„Ich weiß. Aber das hier ist kein Testlauf. Wenn wir die Boje setzen, läuft der Countdown. Vier Wochen, kein Aufschub.“

Sie lehnte sich gegen den Tisch, sah auf die leuchtenden Symbole im Holo. Es war faszinierend – und gleichzeitig erdrückend.
„Das ist nicht nur eine Baustelle. Das ist eine komplette Lieferkette im All.“

Einen Moment sagte niemand etwas. Man hörte nur das Summen der Projektoren, das Atmen der Anwesenden.

„Oder,“ sagte Rosie plötzlich, „wir denken kleiner.“

Geraldine hob den Blick. „Wie meinst du das?“

„Ein Außenposten,“ antwortete sie. „Wir sichern den Claim, bauen das Grundgerüst – minimal, aber solide. Sobald der steht, fällt das Zeitlimit weg. Dann können wir die Kolonie in unserem Tempo erweitern.“

Holland nickte zustimmend. „Das wäre machbar. Kein riesiger Kraftakt, sondern ein Startpunkt.“

Geraldine schwieg, dann schob sie langsam das Pad beiseite.
„Ein Außenposten,“ wiederholte sie. „Das reicht fürs Erste.“

Rosie grinste. „Wenn du so klingst, wissen wir, dass du’s schon beschlossen hast.“

Geraldine atmete tief durch. „Ja.“ Sie sah in die Runde. „Dann fangen wir an. Boje, Standort, Materiallisten. Wir machen das.“

Ein kurzes Nicken ging durch den Raum.
Kein Jubel, kein Pathos – nur dieses stille Einverständnis, das auf der Citadel immer dann herrschte, wenn aus einem Gedanken ein Auftrag wurde.

Als sich die Crew auflöste und das Licht im Raum gedimmt wurde, blieb Geraldine allein zurück.
Vor ihr schwebte die Projektion des noch namenlosen Systems, kalt und klar – eine Handvoll Lichtpunkte, die auf sie warteten.
Sie lächelte leise.
Zum ersten Mal seit Langem fühlte sich Zukunft nicht mehr wie Entfernung an, sondern wie Arbeit, die gleich beginnen würde.

Kapitel 41