Kapitel 39 – Ein anderer Kosmos

Routine und Neubeginn

Nach allem, was hinter ihr lag, fühlte sich die Stille fast unnatürlich an. Keine Einsätze, keine Funkmeldungen, keine hektischen Reparaturen – nur das gedämpfte Brummen des Carriers, das durch die metallenen Gänge vibrierte. Geraldine saß im Beobachtungsdeck, die Füße auf dem Geländer, eine Kaffeetasse in der Hand. Draußen glitt die Sonne über den Rand eines Gasriesen, und zum ersten Mal seit Wochen verspürte sie so etwas wie Ruhe.

Sie hatte die letzten Tage damit verbracht, alte Checklisten abzuarbeiten, Berichte zu unterschreiben, Schäden zu inventarisieren. Routine – und genau das tat gut. Amanda war irgendwo im Einsatzgebiet unterwegs, Echo arbeitete an ihren neuen Projekten. Niemand brauchte sie gerade dringend, und das war selten genug.

Als sie den Blick wieder auf das Terminal richtete, blinkte eine alte Erinnerung im System auf: Zorgon Peterson Mandalay – verfügbar.

Geraldine lächelte leise. Sie hatte das Modell schon länger im Hinterkopf gehabt – ein Arbeitstier, stabil, verlässlich, aber bislang nie dringlich. Jetzt, in diesem ruhigen Moment, passte es plötzlich. Kein Symbol, keine Flucht, einfach ein neues Werkzeug. Etwas, das sie wieder in Bewegung brachte, ohne dass die Welt dabei brannte.

Sie nahm einen Schluck Kaffee, schloss kurz die Augen und flüsterte: „Warum eigentlich nicht.“

Der Hangar der Station roch nach kaltem Metall und Hydrauliköl – vertraut, fast beruhigend. Geraldine trat an das Terminal, ließ ihren Identcode scannen und rief die Schiffsdaten auf. Mandalay – verfügbar, Dock 23. Ein nüchternes Interface, keine Werbung, keine verführerischen Holo-Animationen. Genau so mochte sie es.

Sie scrollte durch die Spezifikationen, überflog Zahlen und Module, bis sie bei den Triebwerksdaten hängen blieb. Der Puls ging unwillkürlich etwas schneller. Effizienz 8.6 – Ansprechzeit 1.9 Sekunden.

Ein Kopfnicken. „Reicht mir.“

Sie autorisierte die Transaktion, setzte die digitale Signatur darunter und sah zu, wie das Terminal ihre Bestellung bestätigte. Kein Moment der Euphorie, kein Triumph – nur das leise Summen der Station, das sie schon ihr halbes Leben begleitete.

Als die Meldung „Transfer abgeschlossen“ aufleuchtete, lehnte sie sich leicht zurück, verschränkte die Arme und sah sich um. „Und wieder ein neuer Name auf der Liste,“ murmelte sie, halb zu sich selbst.

Über Funk knackte eine vertraute Stimme. „Sag mir nicht, du hast schon wieder ein Schiff gekauft, ohne mich?“

Geraldine grinste. „Ich hab’s versucht, aber du warst nicht da, Amanda. Irgendjemand muss ja den Laden hier am Laufen halten.“

„Du weißt, dass das so klingt, als hättest du dich selbst belohnt.“

„Vielleicht hab ich das.“

„Was ist es diesmal?“

„Die Mandalay. Schön, schlicht, keine Show.“

„Schön schlicht? Klingt verdächtig nach dir.“

Geraldine lachte leise. „Dann passt’s ja.“

Dock 23 lag in einem der ruhigeren Hangarsektoren, wo die Luft sauber roch und das Licht flach über die Landeflächen glitt. Geraldine blieb stehen, kaum drei Meter vor der Mandalay, und betrachtete sie in Ruhe.

Das Schiff war kein Koloss – eher ein Stück Präzision in Metall gegossen. Breit, flach, fast wie ein einziger Flügel. Die Linien liefen elegant nach hinten aus, geschmeidig und kontrolliert, kein überflüssiger Winkel. Es war ein Entwurf, der verstanden werden wollte.

Geraldine ging langsam um die Nase herum, ließ den Blick über die geschwungenen Kanten gleiten. „Schlanker als ich dachte,“ murmelte sie. „Und schneller, wenn sie klug gebaut ist.“

Über Funk knackte Amandas Stimme. „Das klingt, als hättest du dich schon verliebt.“

Geraldine schnaubte. „Ich sag nur: Design mit Verstand. Kein imperialer Schnörkel, keine Show. Nur Funktion.“

Sie ging die Rampe hinauf, und das Schiff öffnete sich lautlos, als hätte es auf sie gewartet. Drinnen roch es nach neuer Elektronik, frischem Dichtungsmaterial und einer Spur Ozongeruch – der Duft eines Schiffs, das noch nie richtig geatmet hatte.

Das Cockpit lag offen und hell vor ihr, die Sitze tief eingelassen, die Sicht beinahe perfekt. Die Steuerung war schlank, kein unnötiges Panel, kein Chaos aus Anzeigen. Sie setzte sich, lehnte sich in den Sitz und spürte sofort, wie ihr Körper in die Form sank, als hätte jemand sie vermessen, bevor er dieses Schiff gebaut hatte.

„Verdammt,“ flüsterte sie, kaum hörbar. „Das fühlt sich gut an.“

„Du sagst das bei jedem neuen Schiff,“ kam Amandas Stimme spöttisch zurück.

„Ja, und diesmal mein ich’s wieder.“

Sie lächelte – dieses leise, zufriedene Lächeln, das selten wurde, wenn sie sich sicher fühlte. Dann legte sie die Hände auf die Steuerung. „Na gut, Mandalay. Lass uns mal schauen, was du kannst.“

Geraldine löste die Verriegelung, und die Mandalay glitt lautlos aus dem Dock. Keine Vibration, kein Rucken – das Schiff hob ab, als wüsste es bereits, wie sie fliegt. Kaum im Freiraum, zog sie die Steuerung leicht nach oben, und die Hülle reagierte sofort: butterweich, präzise, als läge zwischen Gedanke und Bewegung keine Millisekunde.

„Nicht schlecht,“ murmelte sie. Der Ton war ruhig, aber in ihrem Innern vibrierte Begeisterung.

Sie aktivierte den Supercruise-Überlader (SCÜ). Die Triebwerke sangen tiefer, der Energiefluss stieg – normalerweise ein Moment, in dem andere Schiffe schon nachregeln mussten. Doch die Mandalay hielt stabil. Keine Überhitzung, kein Warnsignal. Der Energiekern summte gleichmäßig, als ob das alles genau so geplant war.

Geraldine grinste, schob die Leistung noch weiter hoch. Die Sterne zogen zu Linien, das System raste vorbei, und der SCÜ hielt – fast doppelt so lang, wie sie es gewohnt war. „Du meine Güte… du bist ein Biest.“

Sie lachte kurz, ein ehrliches, freies Lachen, das in der Kanzel verhallte. Dann brachte sie das Schiff zurück in Normalraum, rief die Navigationsdaten ab. Reichweite 63,4 Lichtjahre – im Rohzustand. Kein einziger Ingenieur hatte bisher Hand angelegt.

„Das ist krank,“ sagte sie leise, und in ihrer Stimme lag echter Respekt.

Nach einer Weile steuerte sie einen nahegelegenen Planeten an. Dünne Atmosphäre, flache Täler, der perfekte Ort für eine erste Landung. Die Mandalay glitt in den Sinkflug, und Geraldine spürte, wie das Schiff selbst kleine Turbulenzen ausglich, bevor sie sie überhaupt bemerkte. Keine Trägheit, kein Nachdrücken – es flog, als hätte es schon hundert Landungen hinter sich.

Die Oberfläche kam näher, Staub stieg auf, als sie die Schubdüsen fein dosierte. Das Fahrwerk setzte auf, kaum spürbar. Sie lehnte sich zurück, atmete tief ein und sah durch das Cockpitglas in die ferne Weite.

„Perfekt.“ Ein einziges Wort, das alles zusammenfasste.

Sie blieb einen Moment sitzen, lauschte dem Ticken der abkühlenden Systeme. Dann tippte sie auf den internen Recorder. „Mandalay – erste Eindrücke: leicht, stabil, überdurchschnittliche Reichweite. Flugverhalten…“ Sie stockte und lächelte. „…verdammt nah an makellos.“

Draußen färbte das Licht den Horizont gold. Für einen Augenblick fühlte sich alles ruhig an – kein Kampf, keine Entscheidung, nur sie und ein Schiff, das sofort zu ihr passte.

Als die Mandalay aus dem Frameshift fiel, lag die Citadel wie ein stiller Riese vor ihr. Der Anblick traf sie jedes Mal – dieses leuchtende Netz aus Docks, Lichtern und Schatten, das irgendwo zwischen Zuhause und Zuflucht lag. Geraldine meldete sich an, und die Hangartore öffneten sich mit einem vertrauten Summen.

„Citadel Geraldine, Landeerlaubnis bestätigt. Willkommen zurück,“ ertönte die automatische Stimme über Funk.

Sie lächelte. „Zu Hause.“

Die Mandalay setzte weich auf, die Dämpfer arbeiteten perfekt. Als sie die Triebwerke abschaltete, bemerkte sie eine Bewegung am unteren Rand des Hangars. Eine Gestalt kam ihr entgegen, roter Pilotenanzug, die blonde Mähne wie immer zu streng gebunden.

„Amanda,“ murmelte Geraldine, halb überrascht, halb erfreut.

Amanda grinste, als die Rampe sich senkte. „Ich hätte wetten können, du hältst’s keine zwei Wochen ohne ein neues Schiff aus.“

Geraldine lachte. „Ich hab’s versucht. Aber dann stand sie da. Und… na ja, sie hat mich angeguckt.“

„Ein Schiff hat dich angeguckt?“ Amanda hob die Brauen. „Das musst du mir irgendwann genauer erklären.“

„Ich erklär’s dir lieber beim Drink.“

Die beiden saßen wenig später in der Lounge der Citadel. Geraldine erzählte – vom Flug, der Stabilität, der Reichweite, der Landung. Je länger sie sprach, desto mehr leuchteten ihre Augen.

Amanda lehnte sich zurück, das Glas in der Hand, ein Schmunzeln auf den Lippen. „Ich glaub, ich hab dich noch nie so schwärmen hören. Nicht mal bei Caitlyn.“

Geraldine grinste, fast verlegen. „Sie fliegt einfach anders. Leichtfüßiger, präziser. Man denkt, sie fällt gleich auseinander, aber sie zieht einfach weiter. Und der SCÜ – du glaubst nicht, wie lange sie den hält.“

„Ich glaub’s dir schon,“ meinte Amanda trocken. „Du redest über sie, als wär’s eine Liebeserklärung.“

Geraldine zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist es das ja ein bisschen.“

Ein Moment Stille. Amanda nahm einen Schluck, dann fragte sie: „Und? Was wird sie? Handel? Erkundung? Kampfschiff?“

Geraldine schüttelte den Kopf, entschlossen, ohne Zögern. „Exploring. Dafür ist sie gemacht. Und diesmal will ich’s richtig angehen – mit Ruhe, mit Plan.“

Amanda nickte, musterte sie, und ihr Lächeln wurde weicher. „Klingt, als hättest du schon entschieden. Fehlt nur noch der Name.“

Geraldine antwortete sofort, ohne zu überlegen. „Madeleine.“

Amanda blinzelte überrascht. „Madeleine? Klingt… ungewohnt zart für dich.“

„Genau deswegen,“ erwiderte Geraldine leise. „Als ich da draußen flog, hat’s einfach gepasst. Ich hab’s gespürt. Sie ist Madeleine.“

Amanda hob das Glas. „Na dann – auf Madeleine. Und darauf, dass du diesmal länger als eine Woche wartest, bevor du wieder was kaufst.“

Geraldine grinste. „Ich geb mir Mühe.“

Sie stießen an, und das Klirren der Gläser hallte leise durch die Lounge – ein neuer Anfang, ruhig und ehrlich.

Ein leiser Schatten

Die Citadel war in diesen Stunden seltsam leise. Der Hangar döste unter gedimmtem Licht, irgendwo brummte eine Pumpe gleichmäßig, als wolle sie dem Rumpf eine Herzfrequenz schenken. Geraldine saß in der Lounge an der schmalen Fensterfront, Madeleine unten im Dock noch warm vom Flug. Ein offenes Notizpad lag neben der Tasse – halbfertige Listen, Gedankenfetzen, nichts, was nicht bis morgen warten konnte.

Das Terminal an der Wand meldete sich mit einem dezenten Aufblinken: Eingehende Holo – Kathleen.

Geraldine spürte, wie sich ihre Schultern unwillkürlich lockerten. „Spiel ab,“ sagte sie, und das Licht über dem Projektor sprang an.

Kathleen erschien als sauberer, brusthoher Hologramm-Ausschnitt über dem Tisch: zerzauste Ponypartie, ein weiches Schimmern in den Augen, der Kragen ihres Overalls halb offen, so wie immer, wenn sie zu lange an einem Terminal gesessen hatte. Im Hintergrund erkannte man das abgegriffene Gelb einer Colonia-Stationswand, darüber handgeschriebene Zettel – Formeln, Skizzen, Pfeile.

„Hey, Geraldine…“ Sie hob die Hand zum Gruß, ließ sie in der Bewegung hängen. „Ich hab die Meldungen gesehen. Das mit Vey. Euer Anflug, dann die Schlacht… und—“ Sie atmete hörbar durch, als hätte sie vergessen, wie das geht. „Geht’s euch gut? Dir und Amanda? Ich hab seit Tagen auf ein Lebenszeichen gewartet und mich nicht getraut, euch auf dem falschen Fuß zu erwischen.“

Ihre Mundwinkel zuckten, als versuche sie ein Lächeln zu erzwingen. „Ich weiß, ich weiß: ‘Wir sind nicht tot, sonst würden wir nicht antworten.’ Dein Standardspruch.“ Ein kurzer, gequälter Versuch von Humor. „Aber… war’s sehr schlimm?“

Eine kleine Pause. Dann, leiser: „Ich hab mir die Karte aufgezogen und mir vorgestellt, wo ihr wart. Wie das geklungen hat. Diese kurzen Funksätze, die immer so tun, als wäre alles unter Kontrolle.“ Sie blickte zur Seite, irgendwohin außerhalb des Bildes, sammelte sich. „Sag mir einfach, dass ihr heil seid. Und… falls ihr später Zeit habt: Ich würd gern hören, wie’s wirklich war. Nicht die Stationsversion.“

Kathleen hob den Blick wieder, und für einen Herzschlag sah sie aus wie immer – hell, neugierig, als stünde sie kurz davor, eine unverschämte Frage zu stellen. „Ich bin hier. Colonia rotiert, wie Colonia rotiert. Wenn du mich brauchst: Ich bin wach.“ Ein kurzes Zögern, ein Ansetzen, als hätte sie noch etwas, das sie nicht aussprechen wollte. Dann nur: „Meld dich. Bitte.“

Das Holo endete. Der Raum fiel zurück in die gedämpfte Stille, als hätte jemand die Luft neu sortiert.

Geraldine saß einen Moment reglos da, die Hand noch halb über dem Tisch, als könnte sie das Nachbild halten. Dann griff sie nach der Tasse, stellte sie wieder ab, ohne zu trinken, und sah auf den dunklen Projektor.

„Wir sind heil,“ sagte sie leise, zu niemandem. „Aber irgendwas an dir ist es nicht.“

Geraldine ließ die Projektion noch einmal laufen, diesmal ohne Ton. Nur das Bild, Kathleens Bewegungen, ihr Gesicht.

Sie hatte sie schon oft so gesehen – im Halbschatten eines Labors, die Haare halb ins Gesicht gefallen, die Hände unruhig, immer zwischen Denken und Reden gefangen. Aber diesmal war etwas anders.

Kathleen sprach mit diesen winzigen Verzögerungen, die sonst nicht da waren – als müsste sie jeden Satz erst durch einen Filter ziehen. Die sonst so lebhafte Mimik war gedämpft, und ihre Augen … sie suchten nicht, sie hielten stand.

Geraldine kannte das. Menschen, die zu lange funktionierten, bis sie sich selbst nicht mehr bemerkten.

„Du lächelst, weil du denkst, ich’s erwarte,“ murmelte sie leise, während sie das Holo stoppte.

Geraldine lehnte sich zurück, die Finger an die Stirn gelegt, und ließ den Blick ins Leere schweifen. Überall auf dem Carrier arbeitete jemand – Techniker, Wartungsteams, die Crew auf ihren Schichten. Amanda war vermutlich in ihrem Quartier, vielleicht dabei, den nächsten Einsatz vorzubereiten. Und trotzdem fühlte sich der Raum gerade leer an.

Kathleen hatte sonst immer einen Tonfall, der Leben in jedes Gespräch brachte – dieses ungeduldige Funkeln, wenn sie eine Idee hatte, oder dieses fast schon kindliche Kichern, wenn sie zu schnell redete und sich selbst überholte. Nichts davon war da. Nur diese sauberen, zu kontrollierten Sätze.

Geraldine tippte auf das Terminal, hielt kurz inne. Sie wusste, dass sie eigentlich antworten sollte – irgendetwas Beruhigendes, etwas, das sagte wir leben, alles gut. Aber ihr Instinkt ließ sie zögern.

Etwas in dieser Stimme hatte nach mehr gefragt als nach einem Statusbericht.

„Irgendwas stimmt nicht, Kleine,“ sagte sie leise. „Gar nichts ist gut da draußen, oder?“

Sie schloss die Augen, ließ sich in den Sitz sinken und spürte den Drang, sofort zurückzuschreiben – aber gleichzeitig das Gefühl, dass Kathleen vielleicht gar nicht antworten könnte, selbst wenn sie wollte.

Geraldine blieb noch eine Weile so sitzen, dann tippte sie das Interkom an. „Amanda, hast du kurz einen Moment?“

„Kommt drauf an, was du angestellt hast.“

„Noch nichts.“

Wenig später glitt die Tür auf. Amanda trat barfuß in die Lounge, Freizeitanzug, ein Handpad unter dem Arm. „Ich war gerade an Einsatzplänen. Was ist los?“

Geraldine nickte zum Projektor. „Kathleen hat eine Holo geschickt.“

Amanda hob die Braue. „Spiel ab.“

Das Bild flammte auf, Kathleens Stimme füllte den Raum. Amanda sagte nichts, bis die Projektion erlosch. Dann nur: „Mist.“

„Ja,“ antwortete Geraldine leise.

Amanda ließ sich in den Sessel fallen. „Der Ton. Zu glatt. Die Pausen. Sie versucht, ruhig zu klingen und verrät sich genau damit.“

„Hab ich auch gehört.“

„Ruf sie zurück,“ sagte Amanda nach einem Moment. „Live. Jetzt.“

Geraldine schüttelte den Kopf. „Nicht sofort. Wenn sie eine Holo schickt statt durchzuklingeln, will sie sich Luft lassen. Ich dränge sie nicht.“

Amanda musterte sie kurz, dann nickte sie knapp. „Gut. Aber bleib dran.“

„Bin ich.“

Amanda legte im Vorbeigehen kurz die Hand auf Geraldines Schulter. „Sag mir Bescheid, wenn sie sich meldet.“

„Mach ich.“

Amanda verließ die Lounge. Das schwache Nachglimmen des Projektors zeichnete noch einen Moment lang die Konturen von Kathleens Gesicht in die Luft. Geraldine sah in die Stelle, wo eben das Holo gestanden hatte, und sagte leise:

„Ich hab’s gehört, Kleine. Wenn du bereit bist: Ich bin da.“

Fernweh

Geraldine hatte keine Geduld mehr, zu warten. Zwei Stunden nach Amandas Besuch aktivierte sie den Holo-Kanal und wählte Kathleens Kennung.
Es dauerte ungewöhnlich lange, bis das Signal angenommen wurde. Dann flackerte das Bild auf – und da war sie.

Kathleen saß in ihrem kleinen Labor, die Ärmel hochgekrempelt, eine lose Strähne im Gesicht, die sie nicht wie sonst wegschnippte. Hinter ihr blinkten Terminals, der Bildschirm war mit Daten vollgeschrieben.

„Hey,“ sagte Geraldine ruhig. „Ich wollte nicht stören. Aber du klingst in deiner Nachricht nicht wie du selbst.“

Kathleen blinzelte, sichtbar überrascht. „Ich dachte, du antwortest gar nicht. Ich wollte keine Panik auslösen.“

„Panik? Ich hab schon Schiffe in Flammen gesehen, das hier macht mir keine Panik.“ Geraldine lächelte schmal. „Aber ich erkenne, wenn jemand nicht okay ist.“

Kathleen seufzte, schob den Stuhl zurück. „Ich… weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“

„Versuch’s einfach irgendwo.“

Ein Moment Schweigen. Dann kam es langsam, tastend. „Ich hab das Gefühl, festzustecken. Colonia war immer mein Zuhause, aber… alles hier ist klein geworden. Die Projekte, die Leute, selbst der Himmel da draußen. Ich arbeite, ich forsche, ich funktioniere – aber ich wachse nicht.“

Geraldine nickte kaum merklich. „Das klingt, als hättest du das Gefühl, du drehst dich im Kreis.“

„Genau.“ Kathleen lachte kurz, aber ohne Freude. „Und dann sehe ich, was ihr macht. Was du machst. Eure Reisen, diese unglaublichen Orte… und ich sitze hier, in meinem Labor, wo der aufregendste Moment der Woche ist, wenn ein Sensor nicht explodiert.“

„Immerhin explodiert er manchmal.“

Kathleen schnaubte leise. „Ja. Ganz selten. Dann fühl ich mich kurz lebendig.“ Sie hob den Blick, und in ihren Augen lag ein Funkeln, halb Sehnsucht, halb Verzweiflung. „Manchmal wünsch ich mir, ich wär näher bei euch. Bei dir. Aber das klingt absurd. Die Bubble ist… ein anderer Kosmos. Eine Welt, in der ich wahrscheinlich nicht mal zwei Tage überleben würde.“

„Unsinn,“ sagte Geraldine ruhig.

Kathleen lachte, diesmal ein bisschen wärmer. „Du lässt das klingen, als wär’s nur ein Sprung entfernt.“

„Ist es auch.“

„Nein, Geraldine. Für dich vielleicht. Für mich… das ist wie ein anderes Leben. Ich hab nie so groß gedacht. Und jetzt fühlt sich alles, was ich hier tue, an, als würde ich auf der Stelle treten.“

Geraldine schwieg kurz, ließ die Worte im Raum stehen. Dann lehnte sie sich leicht nach vorn, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. „Ich weiß, wie das ist. Du willst weiter, aber du weißt nicht, wie du loslassen sollst, weil du Angst hast, dass alles, was du warst, dabei verloren geht.“

Kathleen nickte, und zum ersten Mal war da kein Lächeln, kein Schutz mehr. „Ja. Genau das.“

„Dann fang nicht mit Angst an,“ sagte Geraldine leise. „Fang mit Neugier an. Die Angst kommt sowieso mit. Aber die Neugier führt weiter.“

Kathleen schwieg, und in der Stille hörte man das Summen ihrer Terminals. Schließlich sagte sie: „Ich wünschte, ich könnte das so einfach sehen wie du.“

„Ich seh’s nicht einfach,“ erwiderte Geraldine. „Ich seh’s nur klar.“

Kathleen lächelte, schwach, aber ehrlich. „Du hörst dich an, als wäre der Weg schon da.“

„Ist er auch. Du musst nur irgendwann drauf treten.“

Sie hielten den Blickkontakt, ein Moment stiller Verbindung zwischen zwei Punkten in der Galaxis. Dann flackerte das Holo leicht – Signalstörung, Colonia war weit.

„Ich sollte… zurück an die Arbeit,“ murmelte Kathleen. „Aber danke, dass du angerufen hast.“

„Ich hab nicht angerufen,“ sagte Geraldine und grinste. „Ich hab dich gefunden.“

Kathleen lachte – leise, aber echt – und das war genug, um Geraldine zu beruhigen.

Als das Holo erlosch, blieb das Lächeln noch eine Weile in der Luft. Geraldine lehnte sich zurück und atmete durch.

„Ein anderer Kosmos, hm?“ murmelte sie. „Dann sieh dich besser um, Kleine. Vielleicht ist der Kosmos schon auf dem Weg zu dir.“

Magnetfelder

Der Projektor war längst dunkel, aber Geraldine starrte immer noch auf die leere Fläche, als würde sich das Bild gleich wieder formen. Die Lounge war gedämpft, nur das Summen der Reaktoren war zu hören – ein beruhigender, mechanischer Herzschlag.

Kathleens Worte hingen ihr nach, dieses tastende „Ich wachse nicht mehr“. Geraldine kannte den Klang von Menschen, die innerlich gegen eine Wand liefen. Sie hatte ihn oft genug selbst gehört – bei anderen, in sich.

Sie schob die Hände in die Taschen und stand auf, ging ein paar Schritte durchs Quartier. Draußen an der Panoramascheibe funkelten Sterne, endlos und gleichgültig. Ein anderer Kosmos, hatte Kathleen gesagt. Für Geraldine war er längst Alltag – und doch verstand sie plötzlich, wie weit weg das für andere war.

„Unmöglich,“ murmelte sie, „ist nur ein Wort für ‚noch nicht versucht‘.“

Die Tür glitt leise auf, kaum hörbar über das Summen der Systeme hinweg. Amanda trat ein, ein Glas Wasser in der Hand, barfuß, das Haar offen – ein seltener Anblick. Geraldine sah sie im Reflex, sagte aber nichts.

„Du starrst seit Minuten auf eine Wand,“ stellte Amanda trocken fest und stellte ihr Glas auf den Tisch. „Entweder hast du mit ihr gestritten oder du bist kurz davor, ihr einen Namen zu geben.“

Geraldine drehte sich halb zu ihr, ein müdes Lächeln. „Nur nachgedacht.“

„Über Kathleen.“ Es war keine Frage.

Geraldine nickte.

Amanda ließ sich in den gegenüberliegenden Sessel fallen, verschränkte die Beine. „Na los, erzähl. Ich kenn diesen Blick – der ‚ich sollte eigentlich schlafen, aber mein Kopf ist lauter als der Reaktor‘-Blick.“

Geraldine schnaubte. „Du kennst mich zu gut.“

„Berufskrankheit.“ Amanda nahm einen Schluck, lehnte sich zurück. „Also?“

Geraldine ging zum Fenster, ließ den Blick nach draußen wandern, wo das Licht der Sterne an der Schiffshülle glitt. „Ich hab sie vorhin erreicht. Sie hat’s zugegeben – dass sie sich festgefahren fühlt. Colonia ist zu klein geworden. Alles dreht sich dort im Kreis.“

„Das überrascht mich nicht.“

„Mich auch nicht. Aber sie klingt, als würde sie glauben, dass sie dort bleiben muss. Als wäre sie zu schwach, um loszufliegen.“

Amanda hob die Brauen. „Klingt, als würd sie nur jemanden brauchen, der ihr sagt, dass sie’s darf.“

„Vielleicht. Aber das muss sie selbst tun. Ich will sie nicht drängen.“

Amanda beobachtete sie einen Moment lang, dann legte den Kopf schräg. „Das tust du aber längst. Nur stiller.“

Geraldine sah sie an. „Wie meinst du das?“

„Du bist wie ein Magnet. Du ziehst Leute an, ohne es zu wollen. Erst Echo, jetzt Kathleen. Die kommen nicht, weil du’s befiehlst – sie kommen, weil du da bist.“

Geraldine schnaubte leise, halb verlegen, halb belustigt. „Das ist Unsinn. Ich bin kein Magnet, ich bin ein verdammter Knoten im Raum-Zeit-Geflecht.“

„Genau. Und jeder, der sich einmal verfängt, bleibt hängen.“

Amanda grinste, aber in ihren Augen lag ein Funken Zuneigung. Sie stand auf, trat neben Geraldine ans Fenster. Einen Moment sahen beide hinaus, die Sterne spiegelten sich in der Glasfläche.

„Sie wird kommen,“ sagte Amanda schließlich leise. „Früher oder später. Du weißt das.“

Geraldine nickte kaum merklich. „Ich weiß.“

Amanda legte ihr kurz eine Hand auf den Rücken. „Dann geh jetzt schlafen. Du kannst sie nicht mit Gedanken rüberziehen.“

„Aber ich kann’s versuchen,“ murmelte Geraldine.

Amanda lachte leise. „Ich wusste, du sagst das.“

Sie ging zur Tür, blieb kurz stehen. „Und wenn sie wirklich rüberkommt… dann hoffentlich, bevor du das nächste Schiff kaufst.“

„Unwahrscheinlich,“ sagte Geraldine, ohne sich umzudrehen.

Die Tür glitt zu, und die Lounge fiel zurück in ihre Stille. Geraldine blieb am Fenster stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Der Blick blieb an den Sternen hängen, irgendwo dort draußen, wo Colonia lag – weit, aber nicht unerreichbar.

Als Amanda gegangen war, blieb Geraldine noch lange am Fenster stehen. Der Sternenhimmel hing unbewegt da draußen, träge und fern, wie ein riesiges Archiv aus Möglichkeiten.

Sie wird kommen, hatte Amanda gesagt. Und das Gefühl ließ sich nicht abschütteln.

Geraldine wusste, dass Kathleen gebunden war – Ausbildung, Verpflichtungen, die letzten Stufen ihres Studiums. Sie konnte nicht einfach ihre Sachen packen und in die Bubble ziehen. So funktionierte die Welt nicht. Aber irgendwann würde dieser Moment kommen, an dem sie etwas anderes brauchte als Pflichtgefühl.

Sie verschränkte die Arme, der Blick verlor sich in der Reflexion des Glasfensters. Wenn sie wirklich loswill, braucht sie keinen neuen Himmel – sie braucht einen Ort, der sie aufnimmt.

In Gedanken ging sie die Stationen durch, die sie kannte. Forschungsoutposts, Institute, kleine zivile Kolonien, die nach Nachwuchs suchten. Es müsste ein Platz sein, wo sie sich nicht wie eine Fremde fühlt, dachte sie. Irgendwo, wo sie weiterlernen kann. Wo sie wachsen kann.

Ein leises Lächeln glitt über ihr Gesicht. Vielleicht gibt’s diesen Ort ja noch gar nicht, dachte sie. Dann muss ich ihn eben finden.

Sie schüttelte den Kopf über sich selbst, atmete tief durch und ließ den Blick wieder in Richtung der fernen Sterne wandern – dort, wo Colonia lag.

„Wenn’s so weit ist,“ sagte sie leise, „dann soll sie wissen, dass hier jemand auf sie wartet.“

Dann löschte sie das Licht, und die Lounge fiel zurück in die Stille der Citadel.

Epilog

Ein Tag verging, ohne dass Geraldine viel sprach.
Die Citadel lief wie von selbst – Routen, Wartung, Routine. Amanda hatte sich in Missionsvorbereitung vergraben, und Geraldine selbst fand Zuflucht in der Arbeit: Checklisten, kleine Kalibrierungen an Madeleine, die sie mit geduldiger Gründlichkeit erledigte.

Trotzdem ließ sie das Gespräch mit Kathleen nicht los. Immer wieder tauchten Sätze auf, Fragmente. „Die Bubble ist ein anderer Kosmos.“ Sie hörte diese Worte noch, wenn sie eigentlich längst über etwas anderes nachdachte.

In Momenten wie diesen half nur Bewegung.
Also ging sie in den Hangar. Madeleine stand dort im hellen Docklicht, frisch gereinigt, die Schilde auf Bereitschaft. Geraldine überprüfte die Energieverteilung – nicht, weil es nötig war, sondern weil sie etwas tun musste, das still war.

Und genau da hörte sie die Stimme über Funk:
„Citadel Geraldine, hier Explorer Echo, Anfrage auf Hangarlandung.“

Ein unwillkürliches Lächeln. „Na bitte,“ murmelte sie. „Manchmal hört das Universum ja doch zu.“

Die Hangartore öffneten sich, und das blaue Licht des anfliegenden Schiffs fiel wie eine Antwort über die glänzende Hülle der Mandalay.

Eine Bewegung im Augenwinkel ließ sie aufsehen. Eine schlanke Gestalt stieg die Rampe eines hell lackierten Explorers hinab — das kühle Blau der Schiffslichter zeichnete Echos Gesicht, ruhiger als früher, aber mit dem alten, konzentrierten Blick.

„Du kommst immer dann vorbei, wenn’s leise wird,“ sagte Geraldine und klappte das Wartungspanel zu.

„Weil ich weiß, dass du dann zuhörst,“ erwiderte Echo mit einem kleinen, kaum merklichen Lächeln.

Sie kamen einander entgegen, ein kurzer, fester Händedruck. Keine Umarmung diesmal – nur das Verständnis zweier Menschen, die das gleiche Vakuum gesehen hatten.

„Ich bleib nicht lang,“ sagte Echo. „Ich hab neue Aufträge bekommen – Forschungsmissionen im Randgebiet, Materialanalysen, irgendwas mit subspatialen Signaturen. Klingt nach Staub und Schlafmangel.“

„Klingt nach dir,“ entgegnete Geraldine.

Echo grinste. „Ich dachte, ich schau vorbei, bevor ich wieder für Wochen verschwinde. Und um sicherzugehen, dass du noch funktionierst.“

Geraldine zog eine Augenbraue hoch. „Ich funktioniere immer.“

„Das sagst du, bis du’s wieder riskierst.“

„Ich nenne das Leben.“

Sie lachten leise, und für einen Moment fühlte sich der Hangar weniger nach Metall an.

„Pass auf dich auf da draußen,“ sagte Geraldine schließlich.

„Du auch,“ erwiderte Echo, schon auf dem Rückweg zur Rampe. „Und sag Amanda, sie schuldet mir noch ein Getränk. Ich komm’s mir irgendwann holen.“

Dann schloss sich die Luke ihres Schiffs, das Triebwerk erwachte, und wenige Sekunden später verschwand Echo in einem Schub aus blauem Licht.

Geraldine sah ihr nach, bis das Echo – im wahrsten Sinne – im Raum verklungen war.

Die Tage flossen träge dahin. Routine hatte wieder das Kommando auf der Citadel übernommen. Geraldine erledigte Berichte, ließ Madeleine durchchecken, plante still an Verbesserungen, während draußen Frachter kamen und gingen. Echo war längst weitergezogen, irgendwo zwischen Nebeln und Analysedaten verschwunden, und Kathleen … nun, sie schwebte als Gedanke im Hintergrund, leise, aber beständig.

Als Amanda zurückkam, war es Abend. Die Schleuse öffnete sich, und sie trat aus der Fer-de-Lance – Helm unter dem Arm, Haare feucht vom Schweiß, das Gesicht müde, aber zufrieden.

„Na, überlebt?“ fragte Geraldine mit einem schmalen Lächeln.

Amanda streifte die Handschuhe ab. „Zwei Piraten weniger, drei Wodka mehr. Zählt das als Sieg?“

„Wenn du noch reden kannst, ja.“

Sie grinsten, und Amanda trat näher, stieß leicht mit der Schulter gegen Geraldine. „Hab dich vermisst, Citadel. Auch dich, Chefin.“

Geraldine schnaubte. „Ich wusste gar nicht, dass du vermissen kannst.“

„Nur dich. Und Kaffee.“

Ein Moment blieb hängen – still, warm, vertraut. Nicht laut, nicht aufgeladen, sondern echt. Ein Funkeln, das keiner benennen musste. Geraldine wich dem Blick keine Sekunde aus, und Amanda tat das gleiche – bis sie schließlich beide gleichzeitig lachten, einfach so, um die Spannung zu brechen.

„Komm,“ sagte Geraldine. „Essen. Bevor du hier umkippst.“

Die Offiziersmesse war fast leer, nur das gedämpfte Summen der Systeme füllte den Raum. Jemand hatte Jazz aus dem Stationsarchiv aufgelegt – leise, schwebend, fast so, als würde die Musik selbst schlafen.

Geraldine und Amanda saßen am Rand der langen Panoramascheibe, zwei Teller zwischen sich, die Wärme des Essens beschlug kurz das Glas.

„Also,“ begann Amanda und schob ihr Besteck beiseite, „wie läuft’s mit deiner neuen Flamme?“

Geraldine hob eine Braue. „Madeleine ist kein Flirt, sie ist ein Konzept.“

„Ein Konzept, hm?“ Amanda grinste. „Du redest über sie wie über eine Person. Ich fang langsam an, eifersüchtig zu werden.“

„Dann hast du zu viel Zeit.“ Geraldine nahm einen Bissen, lehnte sich zurück. „Sie fliegt fantastisch. Ruhig, ausbalanciert, präzise. Und die Reichweite ist fast absurd. Aber das Beste ist – sie reagiert auf alles, als wüsste sie schon, was ich vorhabe.“

„Klingt, als hättest du endlich dein Traumschiff gefunden.“

„Vielleicht.“ Geraldine sah nachdenklich hinaus auf die Sterne. „Aber es gibt Arbeit. Der Run zu den Ingenieuren steht wieder an. Ich hab den Build schon geplant – neue Antriebe, Energieoptimierung, Leichtbaurahmen. Ich will wissen, was sie wirklich kann.“

Amanda nickte, trank einen Schluck Wasser. „Natürlich hast du schon einen Build. Du kannst nicht einfach fliegen, du musst alles verbessern.“

„Das nennt man Präzision.“

„Ich nenne es Zwangsstörung.“

Geraldine grinste. „Ich nenne es Zukunft.“

„Ich weiß,“ sagte Amanda ruhig. „Und genau deswegen bewundere ich dich manchmal. Du siehst ein Schiff und siehst sofort, was es sein könnte.“

„Und du siehst, wann ich zu weit gehe.“

„Einer muss ja den Notaus kennen.“

Sie sahen sich an, ein stilles Lächeln zwischen ihnen. Die Sterne zogen als helle Streifen am Fenster vorbei, und für einen Moment war da dieses Gefühl – dass alles, was sie beide aufgebaut hatten, sich genau jetzt richtig anfühlte.

Amanda legte das Besteck beiseite. „Weißt du, Geraldine… egal, wohin dich dieser Run führt – behalt ein bisschen Ruhe. Du musst nicht immer alles schneller, höher, perfekter machen.“

Geraldine nickte. „Ich weiß. Aber manchmal ist Perfektion das Einzige, was mich still kriegt.“

„Dann wünsch ich dir viele perfekte Flüge,“ sagte Amanda leise.

„Und dir ein paar unperfekte – sonst wird’s langweilig.“

Sie lachten, und das Geräusch mischte sich mit dem Summen der Citadel, weich, vertraut, wie eine Melodie, die nur die beiden kannten.

Der Weg zurück ins Quartier war kurz. Die Gänge der Citadel lagen still, nur das tiefe Brummen der Reaktoren begleitete sie. Amanda gähnte, streckte sich und murmelte: „Ich schwör, die nächste Woche schlaf ich durch.“

„Das sagst du jedes Mal,“ erwiderte Geraldine, als sich die Tür zu ihrem Quartier öffnete.

„Und jedes Mal meine ich’s.“

Sie lachten leise, traten ein. Das Licht im Raum war gedämpft, warm – der Anblick vertraut wie ein alter Gedanke. Amanda legte ihren Pilotenanzug über den Stuhl, schüttelte die Haare aus und warf Geraldine einen Blick zu. „Ich geh kurz duschen. Versuch in der Zeit, nicht noch ein Schiff zu kaufen.“

„Ich geb mir Mühe.“

Die Tür zum Bad glitt zu, das leise Rauschen von Wasser mischte sich mit dem Summen der Lüftung. Geraldine blieb einen Moment stehen, sah in den Halbschatten des Raums, dann ließ sie sich aufs Bett fallen.

Die Stille legte sich über sie, schwer, aber friedlich. Madeleine stand irgendwo unter ihnen im Hangar und irgendwo in Colonia saß Kathleen vielleicht an einem Terminal und tat so, als würde sie lernen – während sie wahrscheinlich auch nur in den Himmel starrte.

Geraldine drehte sich auf die Seite, den Arm unter dem Kopf. Ihr Blick fiel auf den kleinen Datenchip, den sie achtlos auf dem Nachttisch abgelegt hatte – Notizen, Koordinaten, ein paar Stationen, an die sie sich erinnern wollte. Vielleicht wäre einer davon ein guter Platz für Kathleen, dachte sie. Ein Ort, der nicht zu groß, nicht zu laut ist.

Sie schloss die Augen, hörte das Wasser im Nebenzimmer, und in der Ferne das leise Pochen der Citadel, das beruhigende Geräusch eines funktionierenden Universums.

Die Tür öffnete sich, und Amanda kam zurück – barfuß, das Haar feucht, ein Handtuch um die Schultern. Sie warf einen kurzen Blick auf Geraldine, die schon halb in den Kissen versunken war.

„Schon wieder nachgedacht?“ fragte Amanda leise.

„Nur ein bisschen.“

Amanda lächelte müde, zog das Licht herunter und legte sich neben sie. Die Matratze gab leise nach, zwei Körper, ein gemeinsamer Atemrhythmus.

„Dann denk morgen weiter,“ murmelte sie.

„Vielleicht.“

Die Citadel schwebte lautlos im All, und für eine Weile war alles still. Kein Funk, keine Pläne, kein Lärm – nur Ruhe, Sterne und zwei Menschen, die endlich schlafen konnten.

Kapitel 40