
Richtung Unbekannt
Geraldine saß im Cockpit ihrer frisch umgebauten Anaconda und sah dabei zu, wie sich die neuen Systemanzeigen synchronisierten. Die Lichtleisten hatten jetzt diesen warmen Kupferton, wie bei alten Frachtern. Alles fühlte sich langsamer an – nicht wegen Fehlern, sondern weil das Schiff sich Zeit nahm. Jedes Modul, jede Bewegung hatte Gewicht.
„Sie darf träge sein“, murmelte sie.
„Weil sie weit kommt.“
Sie hatte den Frameshift-Treiber auf maximale Reichweite optimiert, zusätzliche Treibstofftanks eingebaut, den Fahrzeughangar eingerastet – alles ohne Hast. Die Anaconda war kein Kampfschiff mehr. Sie war eine Entscheidung.
Das Missionsboard blinkte. Neue Einladungen von Ingenieuren.
Mel Brandon. Ram Tah. Etwas von einer Guardian-Verschlüsselung.
Und dann: Etienne Dorn – Colonia.
Sie stutzte. Colonia. Tausende Lichtjahre entfernt. Früher hätte sie den Namen weggewischt wie lästigen Werbemüll. Jetzt blieb ihr Finger über dem Eintrag hängen.
Sie klappte die Karte auf.
Ein Hohlraum zwischen Spiralarmen. Isoliert. Fern.
Sie wusste nicht viel über Colonia – nur, dass es existierte.
Amanda trat ohne Ankündigung ins Cockpit. In der Hand ein halboffener Riegel, in der Stimme der übliche Spott.
„Du nennst das noch Navigation? Sieht eher aus wie Eskapismus mit Karte.“
Geraldine grinste. „Colonia.“
Amanda kaute, schwieg, dann:
„Weit.“
„Sehr.“
Stille. Nur das Brummen der internen Systeme.
„Ich überlege“, sagte Geraldine leise.
Amanda setzte sich auf die Konsole gegenüber, ließ die Beine baumeln. „Ich nicht.“
„Warum?“
„Zu lang. Zu viel Enge. Ich kenn mich. Ich wär spätestens nach zwei Tagen unerträglich.“
Geraldine nickte. Keine Enttäuschung, kein Streit. Nur Klarheit.
„Aber du… du würdest das hinkriegen“, fügte Amanda hinzu. „Du bist dafür gebaut.“
„Weil ich so schön still bin?“
„Weil du Dinge durchziehst, auch wenn’s keinen Applaus gibt.“
Sie schauten beide auf das Hologramm der Karte.
Colonia lag da wie ein Gedanke, den man nicht mehr loswird.
Erste Schritte, erste Krater
Der Planet war nichts als Stein, Wind und endlose Weite.
Ein graubraunes Nichts, überzogen von bröseligen Ausläufern und gelegentlichen Kraterfeldern, die im Streiflicht der nahen Sonne wie schlafende Narben wirkten. Geraldine ließ die Anaconda langsam sinken, manuell – die Automatik hatte den Landeplatz bereits dreimal abgebrochen.
„Willst du die Oberfläche vielleicht vorher fragen, ob sie bereit ist?“ Amandas Stimme aus dem Kopflautsprecher war gewohnt trocken.
„Wenn du hier landen willst, dann bitte. Ich geb dir gleich die Steuerung.“
„Nee danke. Ich spring mit dem SRV runter und fang dich auf.“
Geraldine zischte leise und konzentrierte sich. Der Horizont wackelte, die Scanner piepsten wegen unebener Fläche. Dann endlich: Kontakt. Die Anaconda senkte sich ächzend auf eine halbwegs stabile Senke.
Sie atmete aus.
„So viel zur Idee, große Schiffe sind gute Plattformen für alles„, murmelte sie, während die Rampen ausfuhren. Die Temperaturanzeigen stiegen träge in den gelb-orangefarbenen Bereich. Außen: minus 112 Grad. Innen: plus 25. Komfortzone nur im Cockpit.
Amanda wartete unten bereits neben ihrem SRV. Geraldine stieg in ihren eigenen, den sie seit Monaten unangetastet im Hangar verstaut hatte. Das Chassis war verstaubt, das HUD träge. Sie setzte sich, zündete den Start – und rollte direkt gegen eine Ladeplattform.
„Wow. Du hast ja richtig Talent.“
„Ich hab das Ding nicht mal kalibriert. Und wer fährt auch sowas freiwillig?“
„Die, die überleben wollen, wenn die Mission sagt: Zugang nur am Boden.“
Sie lachten. Dann fuhren sie los.
Die Mission war simpel – ein Signalpunkt lokalisieren, Daten extrahieren, zurück zur Landefläche. Kein Feindkontakt. Angeblich.
Aber als sie nach zehn Minuten den Zielsektor erreichten, flackerte das Radar.
„Das ist neu“, murmelte Amanda. „War nicht in der Missionsbeschreibung.“
Geraldine schaltete durch die Anzeige. Zwei Kontakte. Keine IDs.
Dann: Waffenfeuer – hell, gezackt, nah.
„Zwei Drohnen. Wachsystem. Automatisch.“
Amanda war schneller. Sie riss das SRV herum, feuerte aus voller Bewegung. Geraldine versuchte, das Ziel zu erfassen, doch ihre Steuerung zögerte. Die Plasmaschüsse der Drohnen streiften ihren Schild, das Display warnte.
„Ich hab den linken!“ Amanda brüllte förmlich.
Geraldine versuchte auszuweichen, rutschte seitlich weg, bekam einen Treffer ins Vorderrad.
„Ich hab null Kontrolle über das Fahrwerk!“
„Fahr rückwärts, dann springen!“
Sie tat es. Der Wagen holperte über Geröll, das Cockpit vibrierte. Dann sprang sie – zu flach, zu spät, zu hart. Das SRV landete auf der Seite.
„Ich… bin umgekippt.“
Stille. Dann Amandas Stimme, tonlos:
„Ich… seh’s.“
Geraldine schloss die Augen.
„Ich rette dich jetzt nicht mit ’nem Traktorstrahl, okay? Du rollst das Ding selbst wieder gerade. Das gehört dazu.“
„Toll.“
Zwei Minuten später stand das SRV wieder – wacklig, aber aufrecht.
Amanda hatte die Drohnen inzwischen erledigt. Die Luft roch nach ionisiertem Metall.
„So. Das war der einfache Teil“, sagte sie und grinste.
Zurück an der Anaconda schob Geraldine den SRV mühsam auf die Rampe.
„Das war die beschissenste Idee seit… seit ich dachte, ich könnte mit dem Federal Dropship kämpfen.“
„Hey, das war ein historisches Desaster.“
„Danke.“
Amanda legte den Arm auf den Rand des SRV, lehnte sich vor.
„Weißt du, was du brauchst? Ein Schiff, das dafür gemacht ist. Kein fliegendes Apartment mit Panoramakuppel.“
„Hast du eins im Sinn?“
„Klar. Was Kleines, Schnelles. Mit genug Laderaum und Platz für’n SRV.
Dolphin vielleicht.“
Geraldine sah sie an.
„Die Dolphin? Ernsthaft?“
„Ich hab gesehen, wie du neulich beim Rückwärtsparken geflucht hast. Du brauchst was Wendiges.“
Sie dachte nach.
Und nickte dann.
Geraldine stand später in der Werft und sah zu, wie Techniker das letzte Modul in die Seitenwand der Dolphin einsetzten. Die Fahrzeugbucht war eingebaut, der Sprungantrieb feinjustiert, die Leitungen frisch verlegt. Kein unnötiger Ballast. Keine Waffen. Nur Funktionalität.
Die Dolphin wirkte unscheinbar, fast dezent – ein Schiff, das man leicht unterschätzte.
Aber sie war wendig. Effizient. Und: Sie konnte landen, wo die Anaconda sich nur entschuldigte.
Geraldine betrat das Cockpit, fuhr die Systeme hoch.
Die Anzeigen wirkten kleiner, das Licht kälter, das Panel weniger protzig – aber das fühlte sich… richtig an.
Draußen stand Amanda vor dem Hangartor, mit überkreuzten Armen und schiefem Grinsen.
Sie hob den Daumen.
„Jetzt bring das Ding wenigstens ohne Kratzer zurück.“
Kein Lack, nur Wahrheit
Die Bar roch nach Metall, heißem Alkohol und müden Söldnern. Geraldine saß am Tresen, die Uniformjacke halb geöffnet, die Haare ungebändigt – wie das Gefühl, das sich nach der letzten Mission in ihrem Brustkorb festgesetzt hatte. Der Matsch war noch an den Stiefeln, der Sand in den Kniekehlen. Die Dolphin hatte gelandet, aber ihre Gedanken noch nicht.
Sie nippte an etwas, das sich „Whiskey“ nannte, aber vermutlich ein Ethanol-Zwilling war. Im Hintergrund lief irgendwas Altmodisches, mit Bass und Betonung auf die erste Zählzeit. Ein Schild flackerte. Irgendwo streiteten zwei Typen über Waffenpreise.
Dann flog sie ein.
Langsam, ruhig. Keine große Show.
Eine Python – schwarz, dezent glänzend, wie aus der Dunkelheit ausgeschnitten.
Geraldine verfolgte die Bewegung automatisch mit den Augen. Die Silhouette. Die Haltung.
Sie sah aus wie eine kleinere Anaconda, die gelernt hatte zu tanzen.
„Du magst das Schiff, hm?“
Die Stimme kam von rechts. Geraldine drehte den Kopf.
Die Frau neben ihr war jung, aber nicht unerfahren. Schwarzes Haar, kurz geschnitten, ein schmales Gesicht mit einer kühlen Ruhe darin. Kein Make-up, keine Symbole. Nur Präsenz. Und ein leerer Becher.
„Es sieht einfach… richtig aus“, sagte Geraldine.
„Fühlt sich auch so an“, erwiderte die andere. „Meine Python fliegt seit Jahren mit mir. Keine Modenschau, kein Statussymbol. Einfach: verlässlich.“
Geraldine nickte.
„Ich hatte nie eine. Ich glaub, ich hab sie immer unterschätzt.“
„Klassiker“, sagte die Frau. „Manche denken, größer ist besser. Ich sag: passender ist besser.“
Sie prosteten sich zu, ohne Namen zu tauschen.
Nach einer Weile fragte Geraldine: „Was fliegst du sonst noch?“
„Gar nichts. Nur sie. Wenn man einmal was hat, das sich wie Zuhause anfühlt, bleibt man.“
„Auch kein Bock auf Imperialen Kram?“ Geraldine grinste.
Die andere verzog den Mund.
„Geflogen? Ja. Gemocht? Nein.“
„Warum?“
„Zu viel Lack. Zu wenig Wahrheit.“
Geraldine schnaubte leise. „Aisling passt also nicht auf dein Mousepad.“
Die Frau lachte.
„Blaues Haar, große Versprechen, keine Substanz. Ich glaub an viele Dinge, aber nicht an Leute, die besser geschminkt sind als ihre PR-Abteilung.“
Geraldine schwieg.
„Du?“ fragte die Frau.
Kurzes Zögern. Dann:
„War mal… eine Phase.“
„Hat jeder.“
Sie tranken. Die Musik wechselte.
Geraldine blickte erneut zum Hangar.
„Wie fliegt sie sich wirklich?“
„Leise. Präzise. Und verdammt ehrlich.“
Sie reichte Geraldine die Hand.
„Liora.“
„Geraldine.“
„Willst du’s wissen – oder nur sehen?“
„Was meinst du?“
„Willst du mitfliegen? Kurze Runde. Ich zeig dir, wie sie atmet.“
Geraldine sah sie an. Dann auf ihr Glas. Dann auf die Python.
„Ich will das.“
Späte Wahrheit
Später, zurück auf dem Carrier, war Amanda gerade dabei, sich eine Tasse aufzuwärmen, die sich nur noch lose als Kaffee bezeichnen ließ. Geraldine trat ein, legte den Helm auf den Tisch und streckte sich.
Amanda sah sie an, ohne zu fragen.
Geraldine hob nur eine Augenbraue.
„Ich hab’s getan.“
„Python?“
„Python.“
Amanda grinste und schlürfte.
„Du wirst langsam langweilig.“
„Sagt die Frau, die seit fünf Jahren in der gleichen Fer-de-Lance wohnt.“
„Korrekt. Und ich bin sehr zufrieden mit meiner Langweile.“
Beide lachten.
Ein paar Sekunden Stille. Dann drehte Amanda sich halb zur Seite und sah sie an – dieses Mal ohne Grinsen.
„Du weißt, was das eigentlich bedeutet? Dass du jetzt drei Schiffe hast, in denen du dich wohlfühlst?“
Geraldine zuckte mit den Schultern. „Was denn?“
Amanda nahm einen Schluck, verzog das Gesicht. „Dass du’s ernst meinst.“
„Mit was?“
„Mit dir. Mit dem, was du willst. Mit dem, was du brauchst. Und das ist nicht nix“
Geraldine wollte kontern. Wollte einen Spruch raushauen. Aber es kam keiner.
Amanda stand auf, griff ihre Jacke vom Stuhl.
„Mach keinen Fehler draus, okay? Nur weil’s ruhig ist, ist es nicht falsch.“
„Bleibst du?“ fragte Geraldine – halb flapsig, halb echt.
Amanda sah sie an, lange. Dann zuckte sie mit einem Mundwinkel.
„Nicht heute. Aber ich komm wieder. Vielleicht.“
Sie ging zur Tür, blieb einen Moment stehen, ohne sich umzudrehen.
„Und Geraldine?“
„Ja?“
„Hör auf, dich an Schiffen festzuhalten. Du bist kein Hangardeck. Du darfst dich verändern.“
Dann war sie weg.
Geraldine sah ihr nicht nach. Stattdessen blickte sie auf die neue Schiffserkennung, die gerade durch den internen Funk lief.
„Dock 4 – Python, unbenannt.“
Sie lehnte sich zurück, ließ den Satz in sich wirken.
Und wusste:
Das Ding hatte noch keinen Namen.
Aber es hatte schon einen Platz.