
Das große Ja
Der Moment war stiller, als sie erwartet hatte.
Kein Countdown. Kein Launch. Kein Puls.
Nur ein Bestätigungston.
Und dann – nichts.
Geraldine saß im Cockpit ihrer Corvette. Amanda auf dem Co-Pilotensitz, ein Bein locker übergeschlagen, die Arme verschränkt, wie immer halb gelangweilt, halb bereit für alles.
Vor ihnen: nichts. Schwarzes All. Nur Leere. Und irgendwo – etwas Großes.
„Da“, sagte Amanda.
Geraldine zoomte das Display heran.
Und da war es.
Erst wie ein Schatten. Dann wie ein Koloss.
Plattformen, Träger, Module, die sich langsam um ein zentrales Skelett herum formierten. Schlepper, Werftdrohnen, Konstruktionsringe. Es sah nicht nach Besitz aus.
Es sah nach Respekt aus.
Ein Fleet Carrier. Ihr Fleet Carrier.
Gerade noch ein Button auf einem Bildschirm. Jetzt: Realität.
„Ich hab keine Worte dafür“, sagte Geraldine.
Amanda grinste. „Ich schon. Wahnsinn.“
„Komm schon. Sag irgendwas Sarkastisches.“
„Wozu? Du hast’s geschafft. Und da draußen steht dein verdammtes Monument.“
Ein Ping.
Carrier ID bestätigt. Transponder aktiv.
Ein Rufzeichen. Eine Kennung. Ein Name.
Geraldine tippte ihn selbst ein.
CNS Valiant Nomad
Eigentümerin: Cmdr Geraldine Callen
Sie flogen eine langsame Runde um das Konstrukt.
Noch war es leer. Kein Personal. Kein Leben.
Nur: Möglichkeit.
„Er sieht aus wie ein Teil von dir“, sagte Amanda.
„Wie meinst du das?“
„Komplex. Riesig. Und trotzdem unfertig.“
Geraldine schnaubte. „Charmant.“
„Ehrlich.“
Sie blieben noch eine Weile in Formation, wortlos, das Konstrukt im Blick.
Dann drehten sie ab. Amanda schlug vor, irgendwo zu feiern. Geraldine nickte.
Die Kabine war klein, aber sauber. Station Alpha-27, irgendwo im gleichen System. Amanda hatte sie ausgesucht, weil sie „weniger nach Notschlafplatz und mehr nach Erstkontakt“ aussah.
Die Flasche war teuer. Die Stimmung: gelöst.
Und dann, irgendwann – der Moment.
Sie saßen auf dem Boden, Rücken an die Wand.
Die Gläser halb leer. Der Blick halb wach.
Geraldine stellte ihr Glas ab, drehte sich leicht zu Amanda.
„Ich hab dir nie erzählt, wo ich herkomme“, sagte sie leise.
Amanda antwortete nicht, sah sie nur an.
„Ich bin in einer orbitalen Erziehungsstation aufgewachsen. Staatlich organisiert. Kein Zuhause. Kein Name auf der Tür. Nur ein rotierendes System aus Modulen, Regeln, Disziplin.“
Amanda fragte vorsichtig: „Keine Familie?“
Geraldine schüttelte den Kopf. „Keine Menschen. Nur Abläufe. Man lernt früh, dass Bindung ein Fehler ist. Dass Nähe wehtut, weil sie immer endet. Ich war effizient. Ich hab funktioniert. Aber ich hab nie… dazugehört. Nicht irgendwo. Nicht jemandem.“
Sie hob den Blick, traf Amandas Augen.
„Und dann kamst du. Und ich wusste nicht, was das ist. Ich weiß es immer noch nicht.
Aber es fühlt sich gut an.“
Amanda legte ihr Glas ebenfalls weg, rückte ein Stück näher. Ihre Stimme war ruhiger als sonst.
„Ich kann mit vielem umgehen. Mit Waffensystemen, mit Notlandungen, mit Betrunkenen in engen Gängen. Aber damit? Dass jemand ehrlich zu mir ist? Das ist neu.“
„Ich wollte es dir sagen“, flüsterte Geraldine. „Schon vorher.“
Amanda nickte. „Ich wollte, dass du’s sagst. Aber nicht, weil du musst. Sondern weil du willst.“
Geraldine atmete aus. Tief. Ihre Stimme zitterte nicht, als sie sagte:
„Ich liebe dich.“
Ein Moment Stille. Dann Amanda – ohne Lächeln, ohne Flucht:
„Gut. Dann bleib ich.“
Sie schwiegen eine Weile. Nur der entfernte Summton der Stationssysteme vibrierte in der Wand hinter ihnen.
Dann sagte Amanda: „Aber du weißt, dass ich kein Mensch für Ketten bin.“
„Ich auch nicht“, sagte Geraldine ruhig. „Und trotzdem… fühl ich mich gerade frei.“
Amanda lehnte sich leicht an sie. Kein großes Zeichen. Nur ein Kontaktpunkt.
Vielleicht war das hier nicht das, was andere Beziehung nannten.
Aber für sie beide war es genau das, was sie brauchten.
Ein Ort für alles
Der Carrier war leer, aber bereit.
Die Systeme liefen. Die ersten Crewmitglieder trafen ein. Die Wartung war im Gange. Und Geraldine?
Sie saß vor dem Transfer-Terminal.
Schiffsliste.
Sortiert nach Station.
T9. Dolphin. Beluga. Mamba. Corvette.
Jedes einzelne ein Kapitel.
Jetzt: ein Zuhause.
Sie begann zu verschieben. Nichts Spektakuläres. Ein paar Klicks. Koordination. Transponderfreigaben.
Der Transferprozess lief – die Schiffe würden nacheinander eintreffen.
Amanda saß in einem der tiefergelegenen Sessel, eine Tasse irgendwas in der Hand, die Füße auf der Konsole.
„Und? Ist das jetzt der Punkt, an dem du alles kontrollieren willst?“
„Nein“, sagte Geraldine. „Das ist der Punkt, an dem ich endlich alles beisammen hab.“
Der erste Transfer kam an.
Ein sanftes Vibrieren durchlief den Carrier.
Dock A1. Ihre Dolphin. Kaum benutzt, fast vergessen.
Dann: die Beluga. Dann die Mamba.
Und dann…
Der T9.
Er landete schwer. Die Landebeine federten über. Irgendwas knackte metallisch.
Geraldine ging in den Hangar. Allein.
Und als sie das Schiff sah, blieb sie stehen.
Die Außenhaut war stumpf. Die Gravur verkratzt.
Einige Paneele waren ersetzt worden – billig. Der Lack blätterte an den Triebwerksaufhängungen.
Aber er stand da.
Ganz.
Wortlos.
Unkaputtbar.
Sie trat näher. Legte eine Hand an die Hülle.
Kein Wort. Kein Gedanke.
Dieser Klotz hatte sie durch alles getragen.
Er war nie der Schönste, nie der Schnellste.
Aber er war immer da gewesen.
Immer zurückgekommen.
Wie jemand, der nichts verspricht – und trotzdem hält.
Amanda trat leise hinter sie.
„Sieht übel aus.“
Geraldine nickte. „Ich weiß.“
„Wirst du ihn verkaufen?“
„Niemals.“
Amanda sagte nichts. Aber sie blieb da.
Zurück auf dem Carrier schloss Geraldine das Terminal.
Die Liste war komplett. Alles war da.
Nur eine Frage blieb.
„Was wäre“, murmelte sie, „wenn’s was gäbe, das das hier kann – nur schneller?“
Amanda sah auf.
„Du meinst was Schnelles mit Frachtraum?“
„Genau.“
Amanda grinste. „Ich hab mal so ’ne imperiale Möhre gesehen. Cutter oder so. Riesig, elegant, völlig übertrieben.“
Geraldine sah sie an. Und dann kam der Blick.
Amanda hob die Hände. „Oh nein. Nein. Das war kein Vorschlag. Das war ein Witz.“
Geraldine grinste langsam. „Zu spät.“
Die Idee war geboren.
Und bei Geraldine war das nie harmlos.
Imperiale Umwege
„Du willst also wirklich zurück zum Imperium?“, fragte Amanda und ließ sich in Geraldines Sitz gleiten, die gerade ihre Stiefel von der Konsole zog.
„Nein“, sagte Geraldine trocken. „Ich will eine verdammte Cutter.“
Amanda lachte, leise und echt. „Ah. Die gute alte imperiale Zweckentfremdung.“
Geraldine sah sie von der Seite an. „Ich krieg das hin.“
„Ich weiß. Aber bist du dir sicher, dass du dich dabei nicht selbst verlierst?“
„Das ist ein Schiff, Amanda. Keine Religion.“
„Für manche da draußen ist das dasselbe.“
Die Station roch wie alle imperialen Stationen. Nach Parfüm, Macht und Desinfektionsmittel.
Die Aufträge waren oberflächlich freundlich. Die Leute noch mehr.
Und alles – jede verdammte Mission – war in ein Lächeln verpackt, das keine Fragen stellte.
Geraldine flog.
Lieferungen. Kuriere. Einflussgeschäfte.
Keine Ehre. Keine Worte. Nur Funktion.
Sie war gut darin.
Am dritten Tag fragte Amanda, ob sie mitfliegen dürfe.
„Du? In imperialem Raum?“, fragte Geraldine.
„Warum nicht? Ich hab alle Impfungen.“
Sie flogen gemeinsam. Keine Einsätze, die zählten – aber Einsätze, die saßen.
Amanda in ihrer FDL, Geraldine in der Corvette.
Zwei Silhouetten, die sich durch Zielgebiete bewegten, als hätten sie das jahrelang geprobt.
Nach einem heißen Gefecht, das eigentlich gar nicht geplant war, saßen sie beide nebeneinander auf der Rampe eines Außenpostens.
Der Raum war voll mit Dampf, alten Rohren, abgestandener Luft.
Amanda schnippte eine Energieriegelverpackung von sich.
„Du fliegst die Corvette inzwischen wie jemand, der weiß, was sie kann.“
„Sie macht, was sie soll.“
„Das klingt nicht begeistert.“
„Ich bin nicht hier, um begeistert zu sein. Ich will etwas erreichen.“
Amanda nickte. Sie verstand das. Zu gut.
Die Ränge stiegen schneller, als Geraldine erwartet hatte.
Und irgendwann kam der Moment, in dem das Schiff nicht mehr nur ein Datensatz war.
Die Cutter stand im Hangar wie ein verchromter Schwan. Elegant. Überdimensioniert. Arrogant.
Geraldine trat an die Nase des Schiffs, legte eine Hand auf die glatte Hülle.
Amanda warf ihr von hinten einen Blick zu.
„Na? Liebe auf den ersten Blick?“
„Eher die Sorte, bei der man weiß, dass es Ärger wird – und trotzdem bleibt.“
„Klingt wie ich.“
Geraldine grinste. „Aber du bist wenigstens wendig.“
Sie flogen zurück zum Carrier, die Cutter frisch lackiert, frisch konfiguriert, frisch fremd.
„Und?“, fragte Amanda, als Geraldine ausstieg.
„Ich weiß noch nicht.“
„Zu schnell?“
„Viel zu schnell. Und zu schön.“
„Dann gewöhn dich dran. Du bist jetzt Besitzerin eines peinlich effizienten Imperialfrachters mit der Agilität eines betrunkenen Wals.“
Geraldine streifte ihre Handschuhe ab, sah zur Seite.
„Vielleicht passt das ja zu mir.“
Amanda grinste nicht. Sie sah sie nur an.
„Oder du passt es dir an.“
Manche Dinge holte man sich, weil man sie wollte.
Andere, weil man wissen musste, ob sie einen verändern.
Die Flotte, die bleibt
Die Gänge des Carriers waren noch leer. Kein Lärm, kein Systemverkehr.
Nur das dezente Summen der lebenserhaltenden Systeme – und das tiefe, pulsierende Brummen des Reaktorkerns, das durch die Wände zog wie ein Herzschlag.
Geraldine ging sie langsam ab.
Deck A – Frachtraum.
Deck B – Schiffsverwaltung.
Deck C – Crewquartiere.
Deck D – ihr Bereich.
Sie hatte ihn angepasst. Nicht luxuriös, aber klar. Keine überflüssige Deko, keine plakative Eigeninszenierung.
Ein funktionaler Wohnraum mit einer großzügigen Sichtluke und einer verschlossenen Kommandokonsole.
Amanda stand schon da.
In ihrem grauen Anzug. Barfuß.
Den Blick auf den Hangar gerichtet, in dem gerade Amandas Fer-de-Lance auf die Plattform gesetzt wurde.
„Sieht aus, als hätte sie sich benommen“, sagte Geraldine.
„Sie fliegt nur, wenn sie will. So wie ich.“
Geraldine trat neben sie. Sagte eine Weile nichts.
Dann, leise: „Du musst hier nicht wohnen. Aber du kannst jederzeit hier sein.“
Amanda drehte sich nicht um.
„Das weiß ich.“
„Ich hab lange geglaubt, ich müsste niemanden brauchen. Und vielleicht stimmt das sogar. Aber ich will, dass du hier bist.“
„Du willst mich nicht. Du lässt mich.“
„Ich… lass dich, ja.“
Stille. Und dann dieses halbe, echte Lächeln von Amanda.
Sie saßen später auf der Ladeplattform.
Der T9 stand hinten im Schatten. Die Cutter vorne, arrogant im Licht.
Die Corvette daneben. Die Dolphin. Die Mamba.
Ein kleines Stück von Geraldines Geschichte – in Schiffen gegossen.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so viele Schiffe habe und mich trotzdem leer fühlen kann“, sagte Geraldine.
Amanda sah sie an. „Fühlst du dich leer?“
„Nein“, sagte Geraldine. „Aber ich weiß jetzt, warum ich es war.
Ich hab immer alles festgehalten, was funktioniert hat. Aber Menschen… die konnte ich nie halten.“
Amanda sagte nichts.
Geraldine fuhr fort:
„Und jetzt? Jetzt hab ich alles hier. In meinem Carrier.
Und ich hab dich. Irgendwie. So wie du eben bleibst.“
Amanda nickte. Legte ihre Hand auf Geraldines. Kein Druck. Nur Gewicht.
„Das reicht“, sagte sie.
Der Carrier war nicht das Ziel.
Er war der Beweis.
Dass man auch dann ankommen kann, wenn man nie einen Ort hatte.
Dass Nähe nicht Sicherheit braucht – sondern Wahl.
Geraldine sah zur Cutter. Dann zur FDL. Dann zu Amanda.
Das hier war kein Happy End.
Es war ein Anfang, dem nichts mehr fehlte.